New Deal für Deutschland.
Achim Truger hat in der FR ein neues Buch besprochen: Plädoyer für höhere Steuern und konstante Reallöhne.
New Deal für Deutschland.
Der dritte Weg zum Wachstum.
Giacomo Corneo.
Campus-Verlag, Frankfurt a.M. 2006,
215 Seiten, 24,90 Euro.
Die Lehre von den öffentlichen Finanzen hat sich in den vergangenen 25 Jahren radikal gewandelt. Früher betonten viele renommierte Professoren, dass es gute Gründe für ein Tätigwerden des Staates gibt. Umverteilung betrachteten sie als wesentliche Aufgabe des Staats. Ganz anders heute. Fast scheint es, als seien die universitären Finanzwissenschaftler ihrem Untersuchungsobjekt und Brötchengeber – dem Staat – feindlich gesinnt. Ihre finanzpolitischen Empfehlungen laufen fast immer auf das Zurückdrängen von Staatstätigkeit hinaus. Den umverteilenden Wohlfahrtsstaat sehen sie als Wachstums- und Beschäftigungshemmnis Nummer eins. Entsprechend setzen sie auf weniger Umverteilung – also weniger Steuern für Unternehmen und Reiche sowie geringere Sozialtransfers – als Wachstumsrezept.
Doch genau dieser Weg ist nicht Erfolg versprechend. Das jedenfalls sagt Giacomo Corneo in seinem Buch New Deal für Deutschland. Seine Thesen lassen sich auch von standesbewussten deutschen Ökonomen schlecht als unwissenschaftlich abtun, denn er benutzt dieselben mikroökonomischen Methoden wie sie. Zudem ist der gebürtige Italiener Inhaber eines Lehrstuhles für Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er hat an den renommierten Universitäten in Berkeley und Philadelphia geforscht und in hochrangigen internationalen akademischen Zeitschriften über das Thema Steuern publiziert.
Eine kleine Sensation
Die Thesen, die Corneo als Kenner des internationalen Forschungsstandes vertritt, kommen in der angestaubten deutschen Debatte einer kleinen Sensation gleich. Zunächst singt er ein Loblied auf die segensreichen Wirkungen der Umverteilung. Die aufgrund der Globalisierung zu beobachtende Polarisierung der Einkommensverteilung zu Gunsten der hoch Qualifizierten sieht er nicht als verdiente Belohnung für die Leistungsträger, sondern als zufällige Begünstigung. Sie solle im Dienste des friedlichen Fortbestandes der demokratischen Gesellschaft korrigiert werden.
Das Problem nur: Die Steuerpolitik tue schon seit langem das genaue Gegenteil. Schon seit den frühen 1980er Jahren befinde sich Deutschland auf dem Weg in den Lohnsteuerstaat. Ausgerechnet Rot-Grün habe den schleichenden Prozess enorm beschleunigt und mit Steuersenkungen Reiche und Unternehmen besonders entlastet. Dem Argument, solche Steuergeschenke seien zur Förderung der Investitions- und Leistungsbereitschaft nötig, tritt er vehement entgegen. Nach aktuellem Forschungsstand gebe es keine Anzeichen für gravierende negative Auswirkungen umverteilender Besteuerung auf Wachstum und Beschäftigung.
Wenig überraschend lautet daher ein Teil seines “New Deal” für Deutschland: (Moderat) höhere Einkommen- und Erbschaftssteuern für Wohlhabende sowie höhere Steuern auf Vermögenseinkommen. Mit den zusätzlichen Einnahmen sollen öffentliche Investitionen und Sozialprogramme finanziert werden.
Gibt es auch einen Haken? Ja und zwar einen gewaltigen: Der andere Teil des “New Deal” besteht in einer radikalisierten Politik der Lohnzurückhaltung. Die Gewerkschaften sollen sich für fünf bis sieben Jahre auf konstante Reallöhne trotz steigender Produktivität verpflichten. Durch die relative Verbilligung des Faktors Arbeit könnten dann riesige Beschäftigungsgewinne erzielt werden. Hier rächt sich Corneos rein mikroökonomische Perspektive, derzufolge Arbeitslosigkeit immer in zu hohen Löhnen begründet liegen muss. An einigen Formulierungen und Inkonsistenzen merkt man, dass der Autor auf dem makroökonomischen Terrain der Lohnpolitik ganz im Gegensatz zur Steuerpolitik nur Laie ist. Die Umsetzung seines Konzeptes würde denn auch eher in Deflation als in ein Beschäftigungswunder münden.
Dennoch: Für die steuerpolitische Debatte ist Corneos Werk unverzichtbar. Die Tatsache, dass er mit demselben Instrumentarium zu ganz anderen Ergebnissen als seine deutschen Kollegen kommt, setzt diese einem peinlichen Verdacht aus: Könnte es sein, dass ihre steuerpolitische Empfehlungen nicht wissenschaftlichem Urteil, sondern politischem Interesse entspringen?
© FR online 2006