Hallo, liebe Journalisten-Kolleginnen/en: Was sind denn die Leistungen der „großen“ Bildungspolitikerin Schavan?
Schon vor ihrem Rücktritt wurden wir Zeugen eines aberwitzigen Diskurses: die arme Annette Schavan, die erfolgreiche Bildungs- und Forschungsministerin kommt in Not, weil es – anders als bei Kapitalverbrechen – bei vorsätzlicher Täuschungsabsicht bei der Dissertation keine Verjährungsfrist gibt. Die Arme muss gehen, weil die Universität Düsseldorf bei der Betreuung der jungen Doktorandin versagt hat. Die Uni hat ihr ein viel zu langes Diss-Thema verabreicht. Ach, die Arme. Wo sie doch so erfolgreich war! Ja, wo denn und wie denn? Studiengebühren und G8 in Baden-Württemberg – eine reine Erfolgsgeschichte! Meine Tochter studierte Physik im baden-württembergischen Heidelberg, als Schavan dort gegen alle Vernunft Bachelor und Masters durchsetzte. Haben Sie etwas davon gehört, dass sie Widerstand gegen diesen EU-Irrsinn angemeldet hätte? Und dann im Bund die Exzellenzinitiative – eine reine Erfolgsgeschichte! Von Albrecht Müller
Vielleicht gibt es ja Gründe, die zurückgetretene Ministerin für erfolgreich zu halten. Dann würde man das aber gerne begründet haben statt immer nur insinuiert.
Roland Nelles SpiegelOnline bedauert den Rücktritt bei ausdrücklicher Anerkennung der Tatsache, Schavan habe „keine großen Erfolge vorzuweisen. Aber sie hat ihr Haus ruhig und unaufgeregt geführt, man kann sie mit gutem Recht als seriös bezeichnen. Sie ist so, wie sich die meisten Bürger – zumindest in der Theorie – ihre Politiker wünschen. Sie macht kein Tamtam, sie hält sich von jeder Form von aufregenden Schlagzeilen fern, sie meidet Attacken gegen ihre Gegner und kontert selbst die härtesten Angriffe mit stoischer Ruhe. Dafür verdient sie Respekt.“
Donnerwetter, da schlägt eine durch eigenes Zutun gescheiterte Bildungspolitikerin noch Kapital aus ihrem Scheitern. Das ist das, was Schavan und Merkel gerne wollen. Es soll kein Makel an Merkel hängen bleiben, obwohl mit Schavans Rücktritt jetzt schon zum zweiten Mal sichtbar wird, mit welchem Personal Angela Merkel arbeitet: mit Personen, die sich akademische Titel mit vorsätzlicher Täuschung erworben und den Vorteil dieser Titel Jahrzehnte genutzt haben.
Auf die Verharmlosung dieser Vorgänge wurde im Vorfeld des Rücktritts kräftig hingearbeitet:
Mit dem Argument zum Beispiel, „selbst schwere Straftaten wären nach so langer Zeit verjährt“. Das meint Heribert Prantl – in guter Gesellschaft mit Claus Kleber und anderen Journalisten – in der Süddeutschen Zeitung vom 7.2.2013 unter der Überschrift „Doktortitel behalten, Amt aufgeben“.
Der Vergleich mit schweren Straftaten und ihrer Verjährung ist so eingängig, dass man das Denken aufgibt und gar nicht merkt, wie man manipuliert wird. Es geht ja nicht um eine Straftat. Es geht darum zu erkennen, mit welchen Charakteren wir es bei den handelnden Politikerinnen und Politikern zu tun haben. So war es bei Guttenberg, bei Koch-Mehrin und so liegt es im Fall Schavan.
Herbert Prantl nennt die Plagiate im Falle Guttenberg einzigartig, im Unterschied zum Fall Schavan. Wörtlich dazu: „Ihre Plagiate sind, wenn man von Plagiat reden mag, Mini-Plagiate“. Darauf baut dann der Vergleich mit den schweren Straftaten auf.
Da macht es Sinn, den zuständigen Fakultätsrat der Universität Düsseldorf zu zitieren:
„Der Fakultätsrat hat sich nach dieser grundsätzlichen Klärung in seinen Beratungen nach gründlicher Prüfung und Diskussion abschließend die Bewertung des Promotionsausschusses zu eigen gemacht, dass in der Dissertation von Frau Schavan in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden sind.
Die Häufung und Konstruktion dieser wörtlichen Übernahmen, auch die Nichterwähnung von Literaturtiteln in Fußnoten oder sogar im Literaturverzeichnis ergeben der Überzeugung des Fakultätsrats nach das Gesamtbild, dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte.“
Der Rat sieht eine “vorsätzliche Täuschungsabsicht”.
Trotzdem will niemand Annette Schavan in den Kerker werfen. Niemand hat auch gefordert, dass Schavan die Vorteile, die ihr die durch „vorsätzliche Täuschungsabsicht“ erworbenen akademischen Titel im Laufe der Karriere gebracht haben, zurückzahlt. Soll sie diese Vorteile behalten! Aber den Titel weiterführen, weil die Tat verjährt ist? Das ist doch eine groteske und assoziative Übertragung des Denkens aus dem Strafrecht auf einen ganz anderen Sachverhalt.
Die Süddeutsche Zeitung startete am gleichen Tag, am 7.2.2013 noch ein anderes Entlastungsmanöver, wiederum im Verein mit anderen Medien und Personen: Man stellt ein Betreuungsversagen der Universität und der zuständigen Fakultät in Düsseldorf fest. So hier unter dem Titel: „Täuschen und Verschleiern“. Dort wird dann ähnlich wie in einem Leserbrief an die NachDenkSeiten (siehe Hinweis Nr. 2b vom 8.2.2013) beklagt, das Thema der Dissertation von Frau Schavan sei vage angelegt, und es setze „sehr viel Mut, sehr viel Können oder beides voraus, nicht an seiner schieren Größe zu scheitern“. „Verantwortlich für die Wahl des Gegenstandes für eine Promotion ist aber nicht die Kandidatin, sondern der Betreuer. Die Kandidatin kann allenfalls ein Thema vorschlagen, über das dann der Betreuer entscheidet.“
Ich zitiere diese nebensächlichen Abhandlungen, weil daran sichtbar wird, wie abstrus die Verteidigungslinien zu Gunsten von Annette Schavan aussehen. Wie nämlich die Themenauswahl konkret abläuft, ist nicht so eindeutig, wie in diesem Beitrag der Süddeutschen Zeitung behauptet wird. Ich habe über längere Zeit als Assistent an der Universität München an Beratungen zu Promotionsthemen teilgenommen und mitgewirkt. Die Promovierenden hatten dabei in der Regel sehr viel mitzureden und sie waren keinesfalls gezwungen, ein aufgedrücktes Thema zu bearbeiten. Im Fall Schavan wird es nicht anders gewesen sein, zumal das Thema „Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ recht gut zu Annette Schavan passt: Konservativ und verquast.