Vorstandsklausur des DGB: Sieht so der Kampf für einen „Kurswechsel“ aus?
Die Gewerkschaften fordern in ihren öffentlichen Aufrufen ständig einen politischen „Kurswechsel“. Zu einer Klausur hinter verschlossenen Türen lädt der DGB-Bundesvorstand aber Politiker ein, die bestenfalls für ein „Weiter so“ stehen, wenn nicht sogar – wie etwa die Kanzlerin – für eine weitere Beschneidung von Arbeitnehmerinteressen. Warum laden die Gewerkschaftsspitzen den SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück ein, der doch unerbittlich an dem von den Gewerkschaften zumindest in wesentlichen Teilen bekämpften Agenda-Kurs festhält? Warum gerade den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, für den Schwarz-Grün „eine zweite Tür“ ist?
Warum aber wird die Linkspartei, mit deren politischen Positionen die Gewerkschaften – jedenfalls nach Beschlusslage und öffentlichen Erklärungen – viel mehr übereinstimmen als mit den Repräsentanten der eingeladenen Parteien, nun auch noch vom Deutschen Gewerkschaftsbund ausgegrenzt? Für die Gewerkschaftsspitzen ist offenbar eine „linke“ Mehrheit, also Rot-Rot-Grün – selbst wenn es der Wählerwille so ergäbe – keine Option. Noch mehr: die Stimmen der über 6 Millionen Gewerkschafter sollen noch nicht einmal als politisches Drohpotential für einen Kurswechsel eingesetzt werden. Ein Kampf für einen „Kurswechsel“ sieht anders aus. Von Wolfgang Lieb
„Am 15. und 16. Januar findet sich der DGB-Bundesvorstand zu seiner jährlichen Klausursitzung zusammen. In diesem Jahr werden an den Beratungen Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, und der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück teilnehmen. Am Dienstagabend trifft der DGB-Bundesvorstand Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg.
Themen der Gespräche werden unter anderem die inhaltliche Aufstellung des DGB zur kommenden Bundestagswahl sowie aktuelle politische Themen wie die Entwicklungen in der Wirtschaft- und Finanzkrise sein“, so heißt es in einer Presse-Einladung zur DGB-Bundesvorstandsklausur.
Der DGB und seine Gewerkschaften sind „pluralistisch und unabhängig, aber keineswegs politisch neutral“ so lautet seit eh und je die Formel, wenn Gewerkschafter nach ihrem Verhältnis zu Parteien gefragt werden. Gewerkschaften müssen ihre politischen Forderungen gegenüber allen Parteien vertreten. Es ist deshalb nichts dagegen einzuwenden, wenn der DGB-Bundesvorstand Repräsentanten der Parteien zu seiner Klausursitzung einlädt.
Warum aber nur die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel und den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und warum am Rande der Klausur gerade ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann von den Grünen?
Warum eigentlich nicht auch mit einem Vertreter der FDP, mit einem Politiker der LINKEN oder vielleicht sogar mit einem Piraten?
Nun ja, dass Philipp Rösler nicht eingeladen wurde, kann man verstehen. Dass Gewerkschaften von der FDP nichts, aber auch gar nichts erwarten können, das hat die zu Ende gehende Legislaturperiode zur Genüge bewiesen. Die Piraten haben sich mit gewerkschaftlichen Forderungen bisher kaum befasst und ob sie jemals im Bundestag sitzen werden, ist mehr als unsicher. Ob sie der Einladung in eine „Klausur“ gefolgt wären, ist eher unwahrscheinlich. Wäre das doch ein klarer Verstoß gegen das auferlegte Transparenzgebot.
Aber warum grenzt der DGB auch die Partei DIE LINKE aus? Gibt es mit dieser Partei, wenn man nur einmal einige zentrale gewerkschaftliche Positionen nimmt, nicht mehr Übereinstimmung als mit der CDU und ihrer Vorsitzenden. Man denke nur an die Forderung nach einem „Kurswechsel für Europa“, an den Mindestlohn, an einen Stopp der Rente mit 67, an die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer oder an eine Reform der Erbschaftssteuer, an die Bekämpfung des Niedriglohnsektors und der prekären Arbeit und und und.
Wenn man die gewerkschaftlichen Positionen ernst nimmt, so kann man doch sogar mehr sachliche Übereinstimmungen mit der Linkspartei als mit der SPD feststellen, zumal wenn es um die Agenda-Politik geht, zu der sich doch Peer Steinbrück nahezu uneingeschränkt bekennt.
Auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist nun nicht gerade dafür bekannt, dass er – auch innerhalb seiner Partei – für gewerkschaftliche Forderungen eingetreten wäre. Er gehört zu denjenigen unter den grünen Spitzenpolitikern, der am offensten für eine schwarz-grüne Koalition offen ist. Für ihn ist ein Zusammengehen mit Merkel eben „eine zweite Tür“. Will der DGB-Bundesvorstand durch die Einladung gerade von Kretschmann etwa ein politisches Signal an die Grüne Partei in Richtung auf eine schwarz-grüne Koalition senden (sollte es mit Schwarz-Rot nicht klappen)?
Die Einladungen gerade an diese drei Politiker – und das weiß auch der DGB-Bundesvorstand – ist also ein klares Zeichen, dass der Dachverband der Gewerkschaften entweder von einer großen Koalition oder aber von Schwarz-Grün ausgeht, ja eine dieser beiden Regierungsbildungen sogar anstrebt. Darüber hinaus – und vielleicht sogar vor allem – wird durch die Ausgrenzung der Linkspartei deutlich, dass für die Gewerkschaftsspitzen – selbst wenn es der Wählerwille so ergäbe – eine „linke“ Mehrheit, also Rot-Rot-Grün keine Option ist – ja noch nicht einmal als politisches Drohpotential eingesetzt werden soll.
Es ist ja unverkennbar, dass sowohl dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer als auch dem Vorsitzenden der größten Einzelgewerkschaft, Berthold Huber von der IG Metall, eine große Koalition am liebsten wäre. Eine andere Interpretation lassen jüngste Interviewäußerungen kaum zu. Sommer im Tagesspiegel: „Wir hatten Glück, dass eine große Koalition regierte, als uns die letzte Krise erwischt hat.“ Huber in der FAZ: „Wahr ist, dass wir in der Krise ab 2008 von der Politik der damaligen großen Koalition profitiert haben.“ Bei der IG BCE ist das Eintreten für Schwarz-Rot oder vielleicht noch Rot-Schwarz schon Tradition.
Wenn das aber so ist, warum lädt man dann überhaupt noch Steinbrück ein, der doch angeblich „nie wieder“ in ein Kabinett Merkel eintreten will?
Was halten eigentlich etwa die Gewerkschaftsspitzen von ver.di oder der GEW von solchen Koalitionswünschen? Warum haben sie nicht auf eine Erweiterung der Einladungsliste gedrängt?
Da verlangt der DGB in öffentlichen Erklärungen einen „Kurswechsel für Europa – jetzt!“. Die IG Metall veranstaltete sogar einen internationalen Kongress unter dem Titel „Kurswechsel für ein gutes Leben“ und verlangt einen „Kurswechsel jetzt!“ [PDF – 1.5 MB].
Will man den Gewerkschaftsmitgliedern etwa vorgaukeln, dass mit Merkel, Steinbrück oder auch Kretschmann ein „Kurswechsel“ möglich wäre? Glaubt man auf den Vorstandsebenen der Einzelgewerkschaften tatsächlich, dass man den Eingeladenen in einer Klausur – also hinter verschlossenen Türen – politische Zugeständnisse abringen könnte? Muss der DGB-Bundesvorstand nicht vielmehr damit rechnen, dass der öffentliche Eindruck aufkommen muss, dass man sich eher anbiedert und dass man sich damit abspeisen lässt, dass sich die Prominenz die Ehre des Besuches gibt?
Sollte man gerade in einem Wahljahr nicht eher dafür sorgen, dass der DGB mit den Stimmen seiner immerhin noch über 6 Millionen Mitglieder ein entscheidendes Stimmgewicht für einen politischen Kurswechsel in die Wahlurnen wirft?
Wie will man bei der Bundestagswahl einen Kurswechsel herbeiwählen, wenn eine politische Partei wie DIE LINKE, die dabei helfen könnte, einfach ausgegrenzt wird? Wie wollen die Gewerkschaften glaubhaft machen, dass sie für einen politischen Wechsel einstehen, wenn sie die Machtoption einer „linken“ Mehrheit bei der Bundestagswahl schon im Vorfeld ausblenden und damit ausschließen?
Selbst die Gewerkschaftsspitzen, die mit Merkel, Steinbrück oder den Grünen sympathisieren, müssten doch wissen, dass sie ohne das Drohpotential, dass nämlich ein Teil der Gewerkschafter CDU, SPD oder Grünen die Stimme versagen könnten, politisch nichts oder kaum etwas für die Interessen ihrer Mitglieder erreichen können.
Hat die Führung der Gewerkschaften aus ihrer Anpassung an den Agenda-Kurs nichts gelernt?
Solche Fragen und noch viele andere mehr müssten sich eigentlich Gewerkschafter stellen, wenn sie von dieser Einladungsliste zur Klausur ihrer Vorsitzenden erfahren.
Wenn Sie einer Gewerkschaft angehören, warum protestieren Sie nicht gegen diese Einladungsliste? Oder warum schicken Sie nicht einfach diese und ihre weiteren Fragen noch vor der DGB-Bundesvorstandsklausur an Ihre Vertreter in diesem obersten Gremium der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
Die Antworten würden uns sehr interessieren.