ARD-Presseclub: Weg von der Wirklichkeit!

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„25 Jahre Presseclub“: Was eine Jubiläumssendung werden sollte, geriet zum Trauerspiel. „Nah an der Politik, weg von der Wirklichkeit? Politischer Journalismus auf dem Prüfstand“ so lautete das Thema der Presseclub-Sondersendung. Für das Fragezeichen im Titel der Sendung hätte man allerdings besser ein Ausrufezeichen gesetzt: Weit weg von der Wirklichkeit! Inhaltsloses Palaver über Politik! Statt Prüfstand für den politischen Journalismus, nur Selbstlob und Filibustern über die Rolle des Journalismus. Das gestrige Jubiläum war das glatte Gegenteil einer Jubelfeier – es war der absolute Tiefpunkt des Presseclubs. Von Wolfgang Lieb.

Wer geglaubt oder erhofft hätte, dass sich die Diskussionsrunde wenigstens ein paar Gedanken über das aktuelle Zeitungssterben (Frankfurter Rundschau, Financial Times Deutschland) oder über die Zusammenlegung und Ausdünnung von Redaktionen gemacht hätte, sah sich enttäuscht. Aus der Runde hörte man nur auf sich selbst bezogene journalistische Lobhudelei: Der Chefredakteur des „Spiegel“, Georg Mascolo, meinte, dass unser Mediensystem im Vergleich zu dem der USA, Italiens oder Großbritanniens „alles in allem so schlecht nicht“ sei. Bundestagspräsident Norbert Lammert assistierte unterwürfig von Seiten der Politik: Wenn man Vergleiche anstelle, stelle man fest, „dass sich Politik und Medien sich jedem Vergleich mit erhobenem Haupte stellen können“. Da gab es natürlich Beifall unter den Ehrengästen wie der WDR-Intendantin Monika Piel, dem früheren SWR Intendanten Peter Voß oder dem ersten Presseclub-Moderator und späteren Bertelsmann-Vorstand Rolf Schmidt-Holtz und wer sonst noch als illustrer Gast als Claqueur geladen war.

Dass Journalisten untereinander zur Selbstkritik nicht fähig sind, das wurde nun schon anlässlich ihres totalen Versagens vor und während der Finanzkrise offenbar.
Mascolo fielen als Kritik nur ein paar Sprüche aus dem Poesiealbum des Journalismus ein: „In der Tradition steht der Journalist dem Politiker nicht nah, der Journalist hat eine Verpflichtung in einem System, das ist das System der Demokratie. Ansonsten sollen Politiker und Journalisten eine gesunde Distanz zueinander haben.“ Er distanzierte sich von der „Konsenskultur“: „Die ungewöhnlichen Stimmen, die Bereitschaft den Dingen auf den Grund zu gehen, ein eigenständiges Urteil zu fällen, das ist etwas, was im politischen Journalismus in Berlin, ich würde sagen: ich würde mir noch mehr davon wünschen.“ Ihn schmerze es, dass es zu viele Menschen gebe, die glaubten, dass politischer Journalismus und Politik eine gemeinsame politische Klasse geworden sei. Mich schmerzte – und das Gästebuch zur Sendung belegt, dass es vielen Zuschauern wie mir ging -, dass diese Sendung den besten Beweis dafür lieferte, wie sich hier eine politische Klasse, weit weg von der Wirklichkeit bewegte.

Der Moderator Jörg Schönenborn versuchte vergeblich mit ein paar Nachfragen wenigstens etwas Salz in die Harmoniesauce zu streuen, indem er z.B. das Stichwort „Meuteverhalten“ der Medien in die Runde warf. Der Kampagnen-Journalismus, den wir nahezu täglich auf den NachDenkSeiten brandmarken, wurde allerdings prompt als Randerscheinung abgetan.

Zur höheren Weihe des Jubiläums wurde ausnahmsweise auch ein Politiker in die Journalistenrunde eingeladen und zwar kein geringerer als der Bundestagspräsident.
Norbert Lammert hielt den Journalismus für „optimierungsfähig“ und erläuterte das wortreich mit Worthülsen wie etwa diesen:

„Mir fehlt gelegentlich die durchaus auch analytische Begleitung, solcher politischen Prozesse, bei denen das, was man eigentlich als Reflex erwartet, nicht stattfindet, nämlich die einen sind dafür und die anderen dagegen und beide möglichst lautstark und mit möglichst viel Leidenschaft, sondern wo auch und gerade bei sehr schwierigen Fragen, es ein erstaunliches Maß an gemeinsamem Verhalten der politischen Klasse gibt, das muss ja kein Nachweis für mangelndes Nachdenken und mangelnde Sorgfalt sein, es muss schon gar nicht ein Nachweis für Feigheit sein, aber es ist natürlich unter vielerlei Gesichtspunkten ein hochinteressanter Vorgang, und dass wir bei solchen Themen, wie all den Fragen und Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit dem Euro und der Überschuldung einer Reihe, der allermeisten der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft stellen, uns in der Situation befinden, dass es eine große übrigens auch verständliche, berechtigte Skepsis der Öffentlichkeit gibt, die sich im Parlament so nicht abbildet, weil das Parlament regelmäßig nach durchaus gründlichen Befassung mit dem Gegenstand, dann mit breiten Mehrheiten über die Koalition hinaus beschließt, ja es muss im Ergebnis so sein, wie es ist. Das ist auf der einen wie der anderen Seite diskussionswürdiger Vorgang, bei denen mir zu häufig nur die eine Seite beleuchtet wird.“

Im Übrigen sei es ja so schlecht nicht, wenn ein Parlament in gleicher Weise stimme. (Die Fraktion der LINKEN gibt es für den Parlamentspräsidenten offenbar gar nicht.) Er würde es bedauern, wenn es im Parlament mehr Kritik gäbe als in den Medien, das würde nicht zur Akzeptanz des politischen Systems beitragen. Ihm fehle aber in den Medien „die selbstreflektierende Beschreibung von Vorgängen, die hinter der Fassade eine bestimmte Logik haben, die nicht schlicht willkürlich ist und auch nicht aus Bequemlichkeit der Beteiligten erklärt werden kann.“ Mit Friedrich Schiller möchte man zu alledem sagen: Dunkel war der Rede Sinn und wenn man überhaupt einen Sinn herauslesen will, dann doch den, dass die Journalisten doch bitteschön mehr Verständnis für die Politiker aufbringen sollten. Man könne doch nicht so tun, als gäbe es nicht den ständigen Zwang für alles und jedes Mehrheiten organisieren zu müssen. Es geht also darum, Parlamentsmehrheiten zu organisieren und nicht um den Streit in der Sache und um politische Alternativen.

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man nur noch in Hohngelächter darüber ausbrechen, was da die Verteidiger der politischen Misere und des journalistischen Niedergangs zur Abwehr kritischer Einwände an nichtssagenden Wortschwällen über die Zuhörer und Zuschauer des Presseclubs ergossen.

Auch der „Wissenschaftler“, der wohl als neutraler Beobachter in die Runde geladen wurde, konnte wohl nicht erfassen, was der Parlamentspräsident über den politischen und medialen Einheitsbrei daher schwätzte. Die Presseclub-Redaktion hatte – wie sollte es anders sein – einen Wissenschaftler geladen, der sich als Repräsentant der Leere der meinungsführenden Ideologien einen Ruf erworben hat. Der Erfinder des Worts „Unterschichtenfernsehen“ und Professor für neuere Geschichte und ehrenamtliche Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin, Paul Nolte, wurde in der Sendung seinem Ruf als Produzent von „heißer Luft“ wieder einmal gerecht.

Er meinte eine weitere „Teilantwort“ zum „Meuteverhalten“ im Journalismus geben zu können, nämlich die „Sehnsucht nach einer Konsenskultur, die wir in Deutschland pflegen auch in manchen Bereichen des Journalismus“. Dieses Konsenssystem habe eben auch seine Nachteile, weil es „auf die Bevölkerung eine abschreckende Wirkung hat, weil der Eindruck entsteht, die sehen das ohnehin alle gleich und wo sind da noch andere Positionen.“ Er lobte in diesem Zusammenhang etwa die amerikanische Propagandamaschine der Republikaner, Murdochs Fox-News und stellte sie der „Ausgewogenheit“ der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender als Beispiel für „Zuspitzung“ und „Auffächerung“ gegenüber. Zum Glück hätten wir das ja bei den Printmedien noch, zwar nicht in der auch schon konformen taz, aber etwa in dem allseits bekannten Massenmedium „Jungle World“. Soviel zum Wirklichkeitsbezug!

Immerhin stellte Nolte in einem lichten Moment in den Raum, dass der Abstand der Bevölkerung zur politischen Klasse gefährlich gewachsen sei. Doch seine Begründung dafür war mehr als hanebüchen. Nolte meinte, dass bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts „die politischen Konflikte und Lagerungen noch mehr entgegengesetzt“ gewesen seien. Da sei über grundlegende Fragen gestritten worden. „Heute sind wir in einer Situation der vielbeschworenen Sachzwänge, in der es eigentlich gar nicht mehr um diese grundlegenden Alternativen zu gehen scheint, weil es sie offenbar gar nicht mehr gibt.“ So kann nur ein Professor für neuere Geschichte daher plappern, der keinerlei Ahnung hat, über die grundlegenden ökonomischen Alternativen die außerhalb Deutschlands diskutiert werden und der sich als Gefangener von Merkels Glaubenslehre einer „marktkonformen Demokratie“ entlarvt.

Für Nolte sind nicht die dramatische Massenarbeitslosigkeit, der Sozialabbau im Gefolge des Austeritätskurses der Bundesregierung die aufwühlenden Fragen, die „knallharten Themen“ sind für ihn vielmehr, die auf dem CDU-Parteitag behandelten Fragen wie die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften und die Anerkennung von Rentenjahren für ältere Mütter. (So wichtig diese Themen im Einzelnen auch sein mögen, aber dass sie in der jetzigen Situation in Europa das wichtigste Thema der Regierungspartei auf ihrem Wahlparteitag darstellen, ist Nolte keiner Kritik wert.)

Auch – die in Zeiten der Bonner Republik einstmals als kritische Journalistin geschätzte -Wibke Bruhns stieß in dasselbe Horn. Die erste Frau als Nachrichtensprecherin im westdeutschen Fernsehen, wurde wohl als lebende Zeitzeugin von Werner Höfers „Internationalem Frühschoppen“ – dem Vorläufer des Presseclubs – geladen. Abgesehen davon, dass sie kaum zu Wort kam und sich auch nicht zu Wort meldete, war für sie offenbar die Rolle der „Märchentante“ aus der guten alten Zeit vorgesehen. „Es war in der Bonner Zeit einfacher…Ich bin froh, dass ich nicht mehr dabei bin“, sagte sie. In der Bonner Zeit habe es einfach eine begrenztere Zahl von Kollegen gegeben, die Zugang gehabt hätten und deswegen hätten sie breiter informieren können. In Anspielung auf die zahlreichen Talkshows fände sie es nicht in Ordnung, dass überhaupt eine Menge von Politik in den Medien veröffentlicht werde, anstatt auf irgendeine Weise im miteinander und untereinander zu kommunizieren, das ginge ihr auf den Keks, malte sie die Bonner Idylle aus.

Auch durch die neuen Medien habe sich nach Bruhns Meinung im Spektrum der Medien nichts geändert, sagte sie zwei Wochen nach der Einstellung der Financial Times Deutschland und nach der Insolvenzmeldung der Frankfurter Rundschau: „Wir wissen eigentlich alle, warum wir welche Zeitung lesen und welchen Sender wir hören. Da hat sich so viel nicht geändert. In den Zeiten, in denen ich da noch rumgesprungen bin, da war Politik etwas zum Anfassen. Es gab ganz handfeste Fragen, über die man sich Gedanken machen musste. Ja oder Nein.“ Ein Nein sieht sie offenbar gar nicht. Die Politik sei heute nur „unglaublich diffus“. Nicht nur verstünden unsere Politiker durchgängig etwas davon, das Publikum schon gar nicht. „Die kapieren nicht worum es geht. Ich weiß bis heute nicht was passiert, wenn Griechenland pleitegeht.

Die sich aufdrängende Frage, warum das so ist, dass selbst sie nicht weiß, was passiert, wenn Griechenland pleitegeht, stellt sie leider nicht. Auf die Idee, dass das auch etwas mit dem (wirtschafts-)politischen Journalismus zu tun hat, kommt Wibke Bruhns nicht.

Kein Wunder das Schönenborn nach diesem Geschwafel weit weg von der Wirklichkeit kein Fazit zu ziehen in der Lage war, er stellte nur fest, dass zwei Journalisten ein Politiker und ein Wissenschaftler dem politischen Journalismus kein ganz so schlechtes Zeugnis ausstellten. Diese Selbstbeweihräucherung war wohl auch das einzige Ziel dieser „Jubiläumssendung“.

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Medien und Medienanalyse PR

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