Ausgrenzung des hochschulpolitischen Programms des DGB aus der öffentlichen Debatte
Am Dienstag den 11. Dezember hat der DGB ein hochschulpolitisches Programm für eine demokratische und soziale Hochschule der Öffentlichkeit vorgestellt. Bis auf eine Vorabmeldung im Berliner Tagesspiegel habe ich bisher auf keiner Suchmaschine auch nur eine einzige Meldung darüber in den Medien gefunden. Nicht einmal der „Informationsdienst Wissenschaft“ (idw), wo sonst nahezu jede Presseerklärung einer einzelnen Hochschule einen Eintrag wert ist, ist bisher darauf eingegangen.
Vergleicht man diese mediale Missachtung einmal mit der Aufmerksamkeit, die beliebige Pressemeldungen zur Hochschulpolitik des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft oder ganz zu schweigen der Bertelsmann Stiftung oder der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in den Medien auslöst, dann muss man von einer demokratischen und sozialen Ausgrenzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf dem Feld der Hochschulpolitik sprechen. Eine demokratische und soziale Hochschule, wie sie die Gewerkschaften fordern, scheint für die veröffentlichte Meinung kein Thema zu sein. Von Wolfgang Lieb
Die hochschulpolitische Ausgrenzung der Gewerkschaften
Gibt man bei Google die Suchworte „unternehmerische“ oder „entfesselte“ Hochschule – also die Leitbegriffe des bertelsmannschen Hochschulleitbildes – ein, so findet man in Sekundenbruchteilen hunderttausende von Fundstellen der unterschiedlichsten Medien. Beim gewerkschaftlichen Leitbild einer demokratischen und sozialen Hochschule findet man ganz überwiegend nur gewerkschaftsnahe Quellen. Das hat sicherlich auch mit den Algorithmen der Suchmaschinen zu tun, es dürfte aber überwiegend daran liegen, dass den Vorstellungen der Arbeitnehmervertretungen zur Hochschulpolitik keine öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Während Stellungnahmen von Wirtschaftsverbänden oder wirtschaftsnahen Lobbyorganisationen zur Hochschulpolitik einen hohen öffentlichen Aufmerksamkeitswert genießen, stehen auch noch so differenzierte oder gründliche Überlegungen über die Zukunft des Hochschulwesens von Arbeitnehmerseite offenbar vor eine Barriere des Verschweigens. Das gewerkschaftliche Leitbild einer demokratischen und sozialen Hochschule wird paradoxerweise sozial ausgegrenzt und findet in den demokratischen Meinungsbildungsprozess kaum Eingang. Gerade so als hätten die Vertreter der Arbeitnehmerschaft nichts mit den Hochschulen zu tun, als hätten sie im tertiären Bildungssektor nichts zu suchen.
Das ist angesichts der Tatsache, dass heute annährend die Hälfte eines Altersjahrgang über eine Studienberechtigung verfügt und etwa 40 Prozent aller Studienberechtigungen über das berufliche Bildungssystem oder den „zweiten Bildungsweg“ vergeben werden, ein bemerkenswertes Phänomen des Verlustes an Meinungsvielfalt in einer angeblich pluralen Gesellschaft, die sich ständig der „Sozialpartnerschaft“ zwischen „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ rühmt. Da wohl die meisten Journalisten irgendwann einmal eine Hochschule besucht haben, mag sich in deren Wahrnehmungshorizont, die gleiche „soziale Abschottung“ wiederspiegeln, die wir auch bei den Studierenden an den Hochschulen gegenüber Kindern aus Elternhäusern, die keinen akademischen Abschluss vorfinden.
Sicherlich tragen die Gewerkschaften an dieser Wahrnehmungsasymmetrie ein Stück weit selber Schuld, haben sie sich doch erst recht spät (wieder) in die hochschulpolitische Debatte eingeschaltet. Es hat lange gedauert, bis die Gewerkschaften mindestens genauso intensiv, wie sie für eine bessere berufliche Bildung streiten, auch auf dem Feld der Hochschulbildung aktiv geworden sind. Die gesellschaftliche Gruppe, deren Interessen Gewerkschaften vertreten, nämlich Arbeitnehmer und deren Kinder waren und sind eben an den Hochschulen dramatisch unterrepräsentiert [PDF – 415 KB], so dass in den Zwängen der Alltagsarbeit von Gewerkschaftern die Hochschulpolitik in der Agenda nicht gerade die oberste Priorität einnahm.
Anders als etwa die Arbeitgeberseite mit ihrem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ oder die Lobby der Marktgläubigen, wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) oder in besonderer Weise die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) war die Stimme der Gewerkschaften in der Zeit der „größten Umbrüche seit den preußischen Universitätsreformen“ (so der frühere Chef des CHE) weg vom humboldtschen Bildungsideal hin zum hayekschen Glauben an die Überlegenheit der Markt- und Wettbewerbssteuerung einer „unternehmerischen Hochschule“ kaum zu vernehmen. Die an den Hochschulen vertretenen Gewerkschaften GEW und ver.di waren viel zu schwach, um dem „Reform-Tsunami“ der letzten Dekade etwas entgegensetzen zu können.
Auch in den neuen Aufsichts- und Entscheidungsstrukturen des „New Public Managements“ der vom Staat und den Parlamenten „entfesselten“ Hochschulen sind die Gewerkschaften nur marginal vertreten. Gerade einmal drei Prozent der extern (mit)besetzten Hochschulräte an den Hochschulen wurden mit gewerkschaftlichen Mitgliedern besetzt und Arbeitnehmervertreter sind damit gegenüber den Repräsentanten aus der Wirtschaft, die nahezu die Hälfte der Hochschulratsvorsitzenden stellten, gemessen an ihrem Stellenwert als „Sozialpartner“ dramatisch unterrepräsentiert.
Die „Reform“-Welle schwappt zurück
Es ist allerhöchste Zeit, dass sich die Gewerkschaften und ihr Dachverband der DGB (wieder) in die hochschulpolitische Debatte einmischen und die Hochschulpolitik als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ (Reinhard Mohn) nicht mehr länger nur der Bertelsmann Stiftung, dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, dem Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw), der von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), dem arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) oder etwa auch die McKinsey & Company Inc. überlassen.
Natürlich haben die Hochschul-„Reformen“ der letzten Dekade Fakten geschaffen, die nicht mehr oder nur schwer korrigierbar sind, aber da diese Reformwellen inzwischen auf zahllose Sandbänke aufgelaufen sind und allmählich zurückschwappen, ist vielleicht ein guter Zeitpunkt gekommen, die öffentliche Debatte von der wettbewerbsgesteuerten in Richtung auf eine wieder mehr demokratische und vor allem auch auf eine soziale Hochschule zu lenken. Der Korrekturbedarf am Bologna-Prozess der Studienreform ist mittlerweile in allen hochschulpolitischen Lagern anerkannt und die bildungspolitische Barriere der Studiengebühren, wird inzwischen sogar von der CSU in Bayern – neben Niedersachsen das letzte Land mit einer „Studienmaut“ – in Frage gestellt.
Dass Gewerkschaften in die hochschulpolitische Debatte eingreifen, ist schon deshalb wichtig, weil allein aus den Hochschulen heraus ein neuerlicher Leitbildwechsel nicht zu erwarten ist. Wäre es allein nach den Hochschulen gegangen, so hätten diese das „Doping“ der Studiengebühren niemals absetzen wollen. Und warum sollten die Hochschulpräsidien auch freiwillig wieder etwas von der ihnen einmal zugestandenen Macht preisgeben. Können sie doch mit den Hochschulräten im Rücken und ihrer ohnehin massiv gestärkte Durchgriffsgewalt praktisch jeden lästigen Widerstand der Hochschulgremien gegen ihre Top-Down-Entscheidungen brechen. Zu einer wirklichen Alternative zur „unternehmerischen“ Hochschule hin zu einer demokratischeren, freieren und sozialeren Wissenschaftsorganisation wird es nur kommen, wenn gleichzeitig auch ein gesellschaftlicher Leitbildwechsel weg vom mit „neoliberal“ nur unzulänglich umschriebenen vorherrschenden Weltbild gelingt. Das wird zwar noch ein langer Weg sein, doch bekanntlich beginnt auch der längste Marsch mit dem ersten Schritt.
Die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung hat vor zwei Jahren mit ihrem Projekt eines „Leitbildes Demokratische und soziale Hochschule“ einen ersten Stein ins Wasser geworfen. Zwar hat sich die Kritik an den Hochschulreformen der letzten Jahre nicht nur unter Studierenden sondern auch unter Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern weit verbreitet, doch das alternative gewerkschaftliche Leitbild erreichte im Wesentlichen nur die innergewerkschaftlichen Kreise. Mehr Nachdruck wird nun erhofft, wenn die Dachorganisation der Gewerkschaftsbewegung ein hochschulpolitisches Programm der Öffentlichkeit vorstellt. Doch den Medien war das – wie oben erwähnt – bisher kaum eine Meldung wert. Dabei berühren die gewerkschaftlichen Forderungen den Kern der Misere des sog. tertiären Bildungssektors, also die Hochschulbildung selbst, mehr Chancengleichheit, die Attraktivität und die Freiheit wissenschaftlichen Arbeitens, das Verhältnis zwischen Staat und einem autonomen Forschen und Studieren und die Finanzierungsstrukturen eines zukunftsfesten Hochschulwesens.
14 Eckpunkte für eine demokratische und soziale Hochschule
- Der DGB tritt in seinem Leitbild für eine soziale Öffnung der Hochschulen ein.
Dazu gehören entsprechend gestaltete Studieneingangsphasen genauso wie umfassende fach- und studienorganisationsbezogene Beratungs- und Förderangebote, aber auch Angebote für ein berufsbegleitendes Studium oder ein Teilzeitstudium als Regelangebot. Die Übergänge zwischen Schule, Arbeitswelt und Hochschule müssten aktiv gestaltet werden und individuell gestaltbar bleiben. Der freie Hochschulzugang dürfe nicht den Auswahlkriterien einzelner Hochschulen unterliegen. Es wird ein bedarfs- und nachfrageorientierten Ausbau der Studienplätze und damit eine Überwindung des Numerus Clausus gefordert. Um das Chaos bei der Hochschulzulassung [PDF – 80 KB] zu beenden, müssten in Studiengängen, in denen die Studienplätze knapp sind, diese zentral nach Maßgabe eines Bundesgesetzes vergeben werden. Dabei sollen neben Leistungskriterien auch soziale Kriterien sowie politisches und soziales Engagement zu berücksichtigen sein. - Der DGB strebt die Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung an (Studieren auch ohne Abitur). Absolvent/innen eines anerkannten mindestens dreijährigen Ausbildungsberufes sollen das Recht auf den allgemeinen Hochschulzugang erhalten. Das setzt auch den Ausbau von berufsbegleitenden Studiengängen und von Teilzeit-Studienangeboten oder von dualen Studiengängen voraus. Und natürlich verlangt eine heterogenere Studierendenschaft angemessene Lernarrangements und eine entsprechende Didaktik.
- Der DGB beklagt die mangelnde Ausrichtung der Hochschulen auf ein „lebensbegleitendes Lernen“ und kritisiert die Privatisierungstendenzen im Bereich der Weiterbildung.
- Zum Leitbild der Gewerkschaften gehört der Abbau finanzieller Hürden auf dem Weg zur Hochschule (Abschaffung der Studiengebühren und dafür ein sozial gerechteres Steuersystem) genauso wie ein Rechtsanspruch auf eine bedarfsdeckende Studienfinanzierung mit einer Verbesserung der Bedarfssätze und einer schrittweisen Senkung des Darlehensanteils. Die Leistungen des Familienleistungsausgleichs sollten zukünftig zusammengefasst, in die staatliche Studienfinanzierung integriert und allen Studierenden – unabhängig vom Einkommen der Eltern – direkt ausgezahlt werden.
- Der DGB greift die allgemeine Kritik an den äußeren Studienbedingungen und an der inhaltlichen Studienreform im Rahmen des Bologna-Prozesses auf. Der vermeintliche Widerspruch zwischen einem Studium als „Bildung durch Wissenschaft“ und beruflicher „Ausbildung“ wird durch die Kompromissformel aufzulösen versucht, dass eine Studium einer „wissenschaftliche Berufsausbildung“ dienen soll, die sich nicht an den aktuellen Erfordernissen der beruflich verwertbaren Fertigkeiten des Arbeitsmarktes sondern an einer vorrausschauenden Berufsorientierung ausrichten müsse. „Eine so verstandene wissenschaftliche Berufsausbildung meint einen kritisch-reflektierten Praxisbezug im Studium, der fachliche und methodische Qualifikation in den Kontext gesellschaftlicher Prozesse stellt und auf die Entwicklung umfassender Handlungskompetenz ausgerichtet ist.“
Erfolge bei der Verbesserung der Qualität der Lehre verspricht sich der DGB nur, wenn die Lehre einen eigenständigen Stellenwert als Quelle wissenschaftlicher Reputation erfährt. - Die Gewerkschaften treten für eine Weiterentwicklung des „Europäischen Hochschulraums“ ein und kritisieren dementsprechend die unzureichende Bilanz des Bologna-Prozesses, der mit spezialisierten Modulen, kleinteiligen Prüfungen und mangelnder Transparenz ausufernder Bachelor-Studienangeboten schon die Mobilität zwischen deutschen Hochschulen erschwert habe.
- Staatlich verantwortete und demokratisch legitimierte Rahmenbedingungen (aufgabengerechte Finanzierung, Hochschulentwicklungsplanung, Sicherung des Hochschulzugangs, soziale Absicherung des Studierens) sollen die Wissenschaftsfreiheit gegen die anonymen Zwänge des Wettbewerbs auf dem Forschungs- und Ausbildungsmarkt absichern. Ein Verständnis von Hochschulautonomie, das sich aus der Freiheit der Wissenschaft zum Nutzen und Fortschritt der gesamten Gesellschaft ableiten soll. Ziel ist eine demokratische Hochschule für eine demokratische Gesellschaft. Dazu gehören für den DGB die Verankerung verfasster Studierendenschaften genauso wie die (viertel-)paritätischen (Mit-)Entscheidungssrechte aller Mitgliedsgruppen an den Hochschulen oder Beauftragte für benachteiligte Gruppen.
Die Kontrolle der Hochschulen soll nicht länger bei demokratisch nicht legitimierten und niemand zur Rechenschaft verpflichteten externen Hochschulräten obliegen, die Brücke zur Gesellschaft soll mit plural zusammengesetzten Kuratorien in beratender Funktion geschlagen werden. - Als wichtiger Akteur bei der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen müssen die Hochschulen attraktive Arbeitgeber für qualifiziertes Personal sein. Die Hochschulen können auf Dauer die „besten Köpfe“ nur gewinnen, wenn sie „gute Arbeit“ bieten. Die Promovierenden sollen – wie das im Ausland üblich ist – als „young researcher“ anerkannt werden. Postdocs und Juniorprofessoren sollen klare berufliche Perspektiven in unterschiedliche Karrierewege eröffnet werden.
- Geschlechtergerechtigkeit soll zu einem Qualitätsmerkmal für die Hochschulentwicklung werden.
- Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften halten an der Einheit von Forschung und Lehre fest. Sie wenden sich gegen eine weitere Hierarchisierung der Hochschullandschaft nach dem amerikanischen Vorbild eines „academic capitalism“. Sie verlangen eine verlässliche Grundfinanzierung und halten die zunehmende Steuerung der Forschung über Drittmittel für problematisch. Durch eine „Zivilklausel“ soll eine friedliche Orientierung der Hochschulen festgeschrieben werden. Ein transparenter Zugang zu allen öffentlich und privat finanzierten Forschungsergebnissen soll gesichert werden.
- Der tertiäre Bereich differenziert sich innerhalb und zwischen den Hochschulen aus. Umso wichtiger ist es nach den Vorstellungen der Gewerkschaften die Gleichwertigkeit und vor allem die Durchlässigkeit zwischen den Hochschuleinrichtungen zu gewährleisten. Eine Abschottung zwischen „Elite“ und „Masse“ wird abgelehnt. Der Durchstieg zur Promotion auch von der Fachhochschule soll offen stehen.
- Im hochschulpolitischen Programm wird eine bedarfs- und nachfragegerechte Finanzierung der Hochschulen gefordert. Damit die Hochschulen eigenständige (autonome) Schwerpunkte in Lehre und Forschung setzen können, sollen die Grundhaushalte wieder ausgeweitet werden. (Unpräzise bleibt das Programm bei der Frage nach zusätzlichen Finanzmitteln für einen bedarfsgerechten Kapazitätsausbau von Studienplätzen.)
- Deutlich positionieren sich die Gewerkschaften gegen den mit der Föderalismusreform durchgesetzten Wettbewerbsföderalismus und fordert eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern und eine nationale Bildungsstrategie ein. Es müssten wieder Grundsätze und damit ein Mindestmaß an Regelungen über Ziele und Aufgaben, über die Organisation der Hochschulen, ihre Personalstruktur und Funktionsweisen sowie über Zugänge und Abschlüsse durch ein Hochschulgesetz auf Bundesebene eingeführt werden. Der Bund müsse durch eine Änderung des Grundgesetzes auch wieder dauerhaft an der Grundfinanzierung der Hochschulen und am Hochschulbau beteiligt werden.
- Die Kernfrage wird natürlich bleiben, was die Gewerkschaften tun können, um von einem hochschulpolitischen Programm zur hochschulpolitischen Wirklichkeit durchdringen zu können.
Es ist ein Fortschritt dass die Gewerkschaften die Hochschulpolitik als wichtiges Feld der Gesellschaftspolitik begreifen und es bleibt richtig, dass es eine demokratische und soziale Hochschule ohne starke Gewerkschaften nicht geben wird.
Die Frage wird sein, ob die Gewerkschaften die Kraft und den nötigen „langen Atem“ haben werden, um einen Leitbildwechsel von der wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen“ Hochschule zu einer sozialen und demokratischen Hochschule anstoßen zu können.
Die Barrieren sind hoch. Das zeigt schon die eingangs beschriebene mediale Ausgrenzung des hochschulpolitischen Programms der Gewerkschaften.
Die Protagonisten der „entfesselten Hochschule“ haben einen jahrzehntelangen Vorsprung. Das Paradigma der „unternehmerischen Hochschule“ hat sich in den Köpfen der politischen Eliten festgesetzt. Auch die überwiegende Mehrheit der Hochschulangehörigen ist auf den mit diesem Modell unmittelbar verbundenen neoliberalen Mainstream eingeschwenkt. Die Hochschulleitungen werden energischen Widerstand gegen eine demokratische (Wieder-) Eingrenzung ihrer teilweise autokratischen Machtbefugnisse leisten.
Es wird noch viel Kreativität und noch mehr Anstrengungen kosten damit die Gewerkschaften mit ihren Alternativen in der hochschulpolitische Gehör finden.
(Siehe dazu: Warum sich Gewerkschaften so schwer tun, der „unternehmerischen Hochschule“ ein fortschrittliches Leitbild entgegenzusetzen)
Aber unterhalb der Oberfläche der veröffentlichten Meinung hat sich nicht nur unter den Studierenden sondern auch bei Professorinnen und Professoren und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den Hochschulen erheblicher Unmut über die zurückliegenden „Reformen“ angestaut. Und die politischen Erfolge bei der Abschaffung der Studiengebühren haben gezeigt, dass – ähnlich wie in der Schulpolitik – Wahlentscheidungen auch durch hochschulpolitische Themen beeinflusst werden. Warum würde sonst die CSU ein Volksbegehren über die Abschaffung von Studiengebühren in Bayern scheuen wie der Teufel das Weihwasser?
Auch wenn die allgemeine Bevölkerung eine gewisse Schwellenangst gegenüber den Hochschulen hat, so gibt es doch nach wie vor einen weitgehenden Konsens, dass diese (zumal aus Steuergeldern finanzierten) Bildungs- und Forschungseinrichtungen in gesellschaftlicher Gesamtverantwortung stehen und damit offen für alle sein und der demokratischen und sozialen Entwicklung dienen sollen.
P.S.: Das nunmehr vorgelegte hochschulpolitische Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist – wie sollte es anders sein – ein Kompromiss zwischen den auch unter den Gewerkschaften recht unterschiedlichen Strömungen. Wer meine auf den NachDenkSeiten vielfach dargelegten hochschulpoltischen Positionen verfolgt hat, wird wissen, dass ich im Detail viel Kritisches anzumerken hätte. Doch im Grundsatz halte ich diesen Diskussionsanstoß für richtig und unterstützenswert.