Deutschland – der Elefant im Euro-Porzellanladen. Frankreich müsste mit den Südländern eine Koalition bilden, um den Elefanten zur Vernunft zu bringen.
Heiner Flassbeck hat bei einer Diskussion auf der Euro Finance Week laut Welt.de das Bild vom Elefanten gebraucht. Wörtlich: „Der Elefant im Porzellanladen ist Deutschland”, … “Solange wir den Elefanten nicht aus dem Laden rauskriegen, können wir Tassen flicken, soviel wir wollen, zum Beispiel in Griechenland.” Das ist ein gutes Bild. Es beschreibt anschaulich, was seit Beginn des Euro Währungsraum und speziell mit den Rettungsversuchen seit 2010 hier in Europa abläuft. Deutschland feiert seine Exportüberschüsse und versucht dann zusammen mit der Troika und anderen in immer wiederkehrenden Rettungsrunden die Porzellan-Schäden in den Defizitländern zu kitten. Statt den Weg der Vernunft mit seinem Gewicht zu verstärken, verneigt sich Frankreich vor dem deutschen Modell. Von Albrecht Müller
Das deutsche „Erfolgs“modell beruht auf dem Export von Arbeitslosigkeit und ist schon deshalb kein erstrebenswertes Modell für einen gemeinsamen Währungsraum, auch nicht für Deutschland
Der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands wird in diesem Jahr 150 Milliarden € betragen. So geht es schon seit Jahren. Das bisschen Wachstum dieses Jahres von 0,8 % geht auf diesen Überschuss zurück. Die Binnennachfrage liegt weit unter dem notwendigen Wert. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss ist zu ungefähr 60 Milliarden € das Leistungsbilanzdefizit der anderen Länder in der Eurozone. Sie importieren mehr, als sie exportieren. Bei uns werden mit den Überschüssen Menschen beschäftigt, in den Defizitländern werden Menschen entsprechend arbeitslos. Siehe dazu auch den heute verlinkten Beitrag von Heiner Flassbeck in der Financial Times Deutschland.
Außerdem – das ist die reale Seite andauernder Leistungsbilanzüberschüsse – : Deutschland produziert und setzt Ressourcen ein und erwirbt damit Forderungen gegen das Ausland. Real betrachtet ist das auf Dauer von Nachteil.
Der Export von Arbeitslosigkeit trägt – wie man jetzt beobachten kann – wesentlich zu den Wirtschaftskrisen in den südlichen Ländern des Euroraums bei. Aufmerksame Beobachter wissen, dass dies inzwischen nicht nur verheerende wirtschaftliche Folgen sondern auch soziale, gesellschaftspolitische und außenpolitische Folgen hat. Halbe Generationen verlieren ihre berufliche Perspektive, viele Menschen sehen sich gezwungen, auszuwandern. Wir Deutschen geraten in Verruf und dies mit Recht. So unverantwortlich kann man in einem gemeinsamen Währungsraum nämlich nicht miteinander umgehen.
Die Durchsetzung des „Erfolgs“modells beruht auf Propaganda und auf einem ziemlich weit verbreiteten engstirnigen Denken
Meinem Nachbarn und Freund, der am Band des Lkw-Werks von Mercedes arbeitet, kann ich es nicht übel nehmen, dass er den Export der Produkte seines Werkes und damit einen Teil unseres Exportüberschusses gut findet. Die Höhe seines Lohns und die Sicherheit seines Arbeitsplatzes hängt aus seiner Sicht von dieser Exportstärke ab. Aber dies kann nicht die Sicht einer verantwortungsvoll arbeitenden Bundesregierung und auch nicht die Sicht eines aufgeklärten Wirtschaftsjournalisten sein. Ist es aber. Die Bundesregierung nutzt die Bewunderung der meisten Menschen für die Exportweltmeisterschaft für die Propaganda – die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung, wie Angela Merkel in der Bundestagsdebatte heute meinte. Und die Journalisten, vor allem die Wirtschaftsjournalisten tun in der Regel nichts zur Aufklärung, sondern verstärken die öffentliche Propaganda ohne Rücksicht auf die verhängnisvolle Wirkung dieser Politik für den Euroraum.
Die Propaganda wird dadurch erleichtert,
- dass die verantwortungsvolle und ökonomisch richtige Lösung angesichts der Größe des Desasters Zeit braucht,
- und dadurch, dass es immer populär ist, auf andere Völker herunter zuschauen und über sie herzuziehen.
Zum zweiten Aspekt nur ein kurzer Hinweis: die vielen Runden zur Behandlung der Schwierigkeiten in den Südländern waren in den deutschen Medien und in der deutschen Politik ständig von abfälligen und aggressiven Bemerkungen gegenüber diesen Völkern begleitet. Da machte sich ein Chauvinismus breit, den man als Befürworter und Nutznießer der Völkerverständigung nicht mehr für möglich gehalten hat.
Zum ersten Aspekt: die Lösung verlangt zum einen eine expansive Politik zur Überwindung der Rezession in Gesamteuropa und zum andern eine Anpassung der Wettbewerbsfähigkeiten in den Überschuss- und Defizitländern des Euroraums. Nachdem sich die Lohnstückkosten und die Defizite bzw. Überschüsse so weit auseinander entwickelt haben, braucht die Heilung einige Zeit. Die Löhne in Deutschland, in den Niederlanden, in Finnland müssen überproportional steigen, in anderen Ländern werden sie stagnieren. Wie schwierig dieses Aufeinander-zu-bewegen sein wird, kann man schon daran sehen, dass bisher nicht einmal der Anfang gemacht wurde, auch unsererseits etwas zu tun. Auch im nächsten Jahr erwarten die Prognostiker für Deutschland einen ähnlich hohen Leistungsbilanzüberschuss wie in 2012. Und die Löhne hierzulande steigen auch nicht annähernd in dem notwendigen Maß. Die Last der Anpassung kann aber nun wirklich nicht alleine auf den Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten abgeladen werden. Das hat die Bundesregierung offensichtlich immer noch nicht verstanden. Der Sachverständigenrat auch nicht. Dass es die Exportwirtschaft nicht verstehen will und die dort Beschäftigten nur schwer verstehen können, ist verständlich. Die Verantwortung liegt bei der Politik und bei der Wissenschaft.
Die in Deutschland herrschende Gruppe nimmt ihre Verantwortung für die Stabilisierung des Euroraums auch deshalb nicht wahr, weil die Krise die Möglichkeit bietet, neoliberal geprägte Rezepte und die damit verbundenen Interessen durchzusetzen und damit sozialstaatliche Prägungen zu zerstören.
Man verkauft den von Leistungsbilanzdefiziten gezeichneten Ländern die so genannten Reformen, man verkauft ihnen den Sparkurs (der tatsächlich kein Sparkurs ist) und man zwingt sie zur Privatisierung ihres Volksvermögens zu Schnäppchenpreisen. Siehe dazu auch die Studie der Friedrich Ebert Stiftung mit dem Titel „Eurokrise, Austeritätspolitik und das Europäische Sozialmodell. Wie die Krisenpolitik in Südeuropa die soziale Dimension der EU bedroht.“ [PDF – 1.6 MB]
Nahezu in jedem Bericht unserer Fernsehsender über Verhandlungen in Brüssel oder andernorts tauchen diese Motive auf. Immer ist die Rede davon, die Länder des Südens hätten noch nicht genug gespart und sie seien zu zögerlich bei Reformen oder bei der Privatisierung. Diese von Interessen geleiteten und ideologisch bedingten Ratschläge sind in deutschen Medien jedenfalls ausgesprochen fest verankert. Auch das stützt die bisherige Politik der Bundesregierung und lässt ihr im wahrsten Sinne verheerendes Modell als Erfolgsmodell erscheinen.
Frankreich hätte angesichts seines ökonomischen und politischen Gewichtes ein wichtiger Katalysator des Aufeinander-zu-bewegens sein können. Leider hat sich Präsident Hollande aber dem Druck aus Deutschland gebeugt und sucht bei so genannten Reformen und beim Sparen das Glück seines Landes.
Frankreich hätte sich mit den Ländern des Südens zusammentun müssen, um einen Block der Vernunft zu bilden und auf die zuvor skizzierten notwendigen Anpassungen der Wettbewerbsfähigkeit zu drängen und zugleich die notwendigen propagandistischen Schritte einzuleiten, das heißt deutlich zu machen, dass das deutsche Modell nicht das Modell eines gemeinsamen Währungsraums sein kann. Statt sich dem Druck der so genannten Märkte zu beugen, hätte Frankreich die Front gegen die Spekulanten anführen müssen. Das wäre alles nicht leicht gewesen, aber es hätte wenigstens der Einstieg in Richtung der notwendigen Entscheidungen sein können.
(Zur Information über in die Entwicklung in Frankreich siehe auch einen Klartext [PDF – 90 KB] des DGB-Bundesvorstands „Frankreich auf Agenda-Kurs?“)
Hollande und Frankreich hätte auch die ideologische Debatte anführen können, es hätte für das europäische Sozialstaatsmodell und die öffentliche Verantwortung in der Wirtschaft werben können.
Dazu wäre zunächst eine wichtige Erkenntnis zu vermitteln gewesen, die heute weit gehend verschüttet ist: Auch in einer Währungsunion ist es möglich, dass die einzelnen Partnervölker ihre inneren Angelegenheiten so gestalten, wie sie das für richtig halten.
Wenn ein Volk sich entscheidet, die Risiken des Lebens solidarisch abzusichern, so zum Beispiel eine gesetzliche Rente, eine gesetzliche Krankenkasse, eine gute Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung auf öffentlicher Basis einzuführen, dann ist das möglich, auch wenn das andere Land, wie im konkreten Fall Deutschland dabei ist, die solidarische Sicherung gegen die Risiken aufzugeben oder zumindest einzuschränken. Im konkreten Fall sind bei solidarische Absicherung die Abzüge vom Bruttolohn bei der solidarischen Sicherung etwas höher und die Nettolöhne tendenziell niedriger als im andern Fall.
Ein Land kann sich dafür entscheiden, den öffentlichen Sektor mit vielen öffentlichen Leistungen auszubauen, den Schienenverkehr zum Beispiel in öffentlicher Regie zu betreiben, und auch die Wasserversorgung und die Energieversorgung und die Abfallwirtschaft öffentlich zu organisieren.
Wenn das rational gemacht wird, dann ist die öffentliche Organisation nicht weniger effizient als die private. Genauso wie die solidarische Organisation der Sicherung gegen die Risiken des Lebens meist auch effizienter und weniger riskant ist als die private. Das kann man konkret am Beispiel der Riester-Rente und der Rürup-Rente beobachten. Sie haben sich mehrheitlich als unrentabel und teilweise als riskant erwiesen.
Fazit: Jeder kann nach seiner Facon selig werden. Die gemeinsame Währung zwingt nicht zur Gleichschaltung der inneren Gestaltung.
(Dazu wird gelegentlich eine etwas ausführlichere Abhandlung in den NachDenkSeiten eingestellt)
Wer formuliert das sachlich notwendige Gegenmodell zum herrschenden deutschen Modell?
Es wäre die Aufgabe und die Chance von Hollande gewesen. Es wäre die Chance der deutschen Sozialdemokratie. Damit könnte die Bundestagswahl 2013 wirklich zu einer Richtungswahl gemacht werden. In meinem Beitrag für die FAZ vom 19. November nannte ich die Alternative zu Merkels und Schäubles Austeritätspolitik das Megathema. Es hat „viele Facetten: wirtschaftspolitische, europapolitische, die Facette guter oder schlechter Nachbarschaft und damit des Rufes unseres Volkes bei anderen Völkern.“
Weil die Sozialdemokratie und auch der kommende Spitzenkandidat Steinbrück die den Ländern des Südens aufgedrückte Reformpolitik wie die Bundesregierung als Bestätigung ihrer eigenen Agenda 2010 empfinden, sind sie wahrscheinlich nicht willens und nicht fähig, die Meinungsführung bei der Formulierung und Umsetzung des Gegenmodells zu übernehmen. Vielleicht bewegt sich aber noch etwas.
Bis dahin ist es die Chance und die Aufgabe der Linksparteien in Europa, das Gegenmodell zu formulieren und zu propagieren.
Sie haben die Rolle des Katalysators und Antreibers schon bei anderen Projekten übernommen: beim Mindestlohn, bei der Regulierung der Finanzwirtschaft, beim Nein zu militärischen Einsätzen und dem Ja zum Abzug aus Afghanistan zum Beispiel.
Auch wenn es eine undankbare Rolle ist, wichtige Programmpunkte zu formulieren und zu propagieren, und dann mit anzusehen, wie andere auf den fahrenden Zug aufspringen, wir sind darauf angewiesen, dass die ideologische Auseinandersetzung um die Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik in der Eurozone geführt wird. Dass gerade die Linksparteien Europas so zum Anker der europäischen Einigung und dabei nebenbei auch einer gemeinsamen Währung werden könnten, ist ein erstaunlicher Vorgang. Bei näherem Hinsehen allerdings auch verständlich.