Katrin Göring-Eckardt – die neue Vizekanzlerin
Nach der selbsternannten und von Anfang an nur zur Wählertäuschung erfundenen „bürgerlichen Koalition“ von FDP und CDU, könnte sich zwischen Grünen und CDU nun bald eine Koalition aus alter und neuer Bürgerlichkeit zusammenfinden – nämlich zu einer Koalition der Kinder des Bürgertums, die inzwischen selbst zu Besitz gelangt und zu Besitzstandswahrern geworden sind, die sich mit ihren Eltern, nämlich dem etablierten Besitzbürgertum versöhnt haben.
Mit ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl hat die „Reala“ Göring-Eckardt wie bei einem Mühlespiel, die Position einer „Zwickmühle“ erlangt: Sie kann mit jedem Zug eine Mühle schließen und entweder unter Angela Merkel oder – im unwahrscheinlicheren Fall – unter Peer Steinbrück die künftige Vizekanzlerin werden. Von Wolfgang Lieb.
Die Urwahl der beiden Spitzenkandidaten bei den Grünen war ein Beispiel für innerparteiliche Demokratie, das sich wohltuend von der Auswahl des Kanzlerkandidaten bei der SPD abhebt. Bei den Sozialdemokraten haben die Herren der „Troika“ die Spitzenkandidatur nach der Art eines Abzählreims „Ene mene muh, und raus bist du!“ unter sich ausgemacht. Die Spitzenkandidatin der CDU steht mangels Alternative ohnehin fest, da braucht Angela Merkel nicht einmal mehr einen Parteitag abzuwarten. Und ob Philipp Rösler die FDP in den Wahlkampf führen wird, hängt ausschließlich von der Landtagswahl in Niedersachsen ab.
Die Urwahl bei den Grünen, an der sich beachtliche 61,64 Prozent der knapp 60.000 Parteimitglieder beteiligt haben, war auch angesichts von 15 Bewerbern mutig. Auch die Promis der Partei mussten bei der Basis antreten. Dass – zur Überraschung der Parteispitze – 47 Prozent dafür gestimmt haben, dass Katrin Göring-Eckardt neben Jürgen Trittin die Grünen in den Wahlkampf führen soll, macht zugleich offenkundig, dass fast die Hälfte der aktiven Parteimitglieder in der wertkonservativen „bürgerlichen Mitte“ angekommen sind. „Wir wollen die bürgerliche Mitte niemand anderem überlassen“ sagte denn auch Göring-Eckardt nach ihrem Abstimmungssieg gegen Claudia Roth und Renate Künast.
Schon vor drei Jahren schrieb der Parteienforscher Franz Walter pointiert:
“Die Grünen von 2009 sind so, wie die Grünen 1983 die CDU beschrieben haben: furchtbare Bürger, elitär, selbstgefällig.”
Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde Katrin Göring-Eckardt nicht unsympathisch. Sie hat als Bundestagsvizepräsidentin keine schlechte Figur gemacht. Im Amt der Präses der Evangelischen Kirchensynode, als Mitglied im Rat der EKD und als Präsidentin des Evangelischen Kirchentages 2011 in Dresden, hat sie zwar den „Aufbruch von unten“ beschworen, konnte aber – vor allem wegen der schwierigen Finanzsituation – den Abbruch der Evangelischen Kirche nach unten nicht aufhalten. Ansonsten predigte sie, wie man das von einem aufrechten evangelischen Christenmenschen erwarten darf: „Wir können uns mit denen an einen Tisch setzen, mit denen niemand essen will. Wir können die in unsere Mitte holen, die am Rand stehen. Wir können die sein, die das Notwendige tun. Das, was die Not wendet.“
Diese christlich-karitative Haltung hat Göring-Eckardt wohl auch den medialen Ruf als „Anwältin der Ärmsten“ und als „Kämpferin für soziale Gerechtigkeit“ eingetragen. Und ihr Eintreten für die Agenda-Politik haben ihr die Mainstream-Medien schon seit langer Zeit mit freundlicher Publizität entlohnt. Dass sich die thüringische „Ost-Frau“ gegen die schrille Claudia Roth und gegen die verbissene Renate Künast so deutlich durchgesetzt hat, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Medien die innerparteiliche Willensbildung aller Parteien prägen und sogar bestimmen.
Doch wie so häufig bei karitativ, also bei mildtätig und hilfsbereit eingestellten Menschen lassen sich auch bei der calvinistisch geprägten Göring-Eckardt die Ermahnung zur Barmherzigkeit und das praktische politische Handeln oft nur schwer auf einen Nenner bringen. Sieht man nämlich von den Reden in ihren eher repräsentativen Ämtern ab und blickt auf das tatsächliche politische Handeln der früheren Fraktionsvorsitzenden der Grünen in der rot-grünen Koalition, so gehörte sie damals geradezu zu den Einpeitscherinnen der Agenda-Politik. Im Tonfall Gerhard Schröders redete die „Reala“ ihrer Partei und uns ein: „Es geht darum, den Sozialstaat auf die radikal veränderten Bedingungen einzustellen.“
Sie huldigte dem Mythos der Senkung der „Lohnnebenkosten“ als angebliches Mittel zur Arbeitsbeschaffung. Sie war und ist eine vehemente Verfechterin der privaten Altersvorsorge und setzte sich für Steuervergünstigungen dafür ein. Sie war und ist für die Rente mit 67 (bis heute http://goering-eckardt.de/detail/nachricht/urwahl-fragen-gewerkschaftsgruen.html). Sie war und ist für das Hartz-Regime, auch wenn sie sich später mildtägig für die Erhöhung der Regelsätze aussprach.
Kurz: Katrin Göring-Eckardt ist wesentlich mitverantwortlich für die Agenda-Politik und hält wie die SPD-Führungsriege nach wie vor an ihrem vorausgegangenen Tun fest. Wenn sie heute für eine „bessere Gesellschaft“ eintritt, so müsste sie gerade als evangelische Christin wissen, dass dies nur dann glaubwürdig wäre, wenn sie auch nur ein wenig Buße üben würde für das sozialpolitische Zerstörungswerk, das sie mit angerichtet hat.
Die ehemalige Theologiestudentin redet zwar heute von „guter Arbeit“ und „gerechter Entlohnung“, umgeht aber geflissentlich die Hartz-Gesetze, die täglich das Gegenteil bewirken. Sie glaubt – trotz ihres verbalen Eintretens für einen Mindestlohn (in welcher Höhe?) an das neoliberale Dogma, dass hohe Löhne Arbeitsplätze gefährdeten. Sie ist nach wie vor dem Alarmismus des „demografischen Wandels“ verhaftet und wendet sich nicht gegen die weitere Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente. Sie verficht den Fiskalpakt und die Schuldenbremse und fordert nur – wie ja selbst die Kanzlerin inzwischen redet – eine „Ergänzung“ durch Wachstumsimpulse.
Kurz: Bis auf Nuancen passen ihre politischen Äußerungen teilweise sogar wortgleich mit den Papieren aus dem sozialdemokratischen Lager und den Reden von Peer Steinbrück zusammen. Auch Steinbrück redet über mehr „Zusammenhalt“ und mehr „Menschlichkeit“ – was daraus auch immer an konkretem politischem Handeln folgen mag.
Zu Spekulationen, ob ihre Wahl zur Spitzenkandidatin als ein Zugehen der Grünen auf die CDU gewertet werden könne, meint Göring-Eckardt: niemand werde nach der Bundestagswahl ein Gespräch mit der Union ausschlagen, aber es gehe immer um inhaltliche Übereinstimmung und „die sehe ich nicht“.
Doch solche wahltaktischen Sprechblasen wie etwa „Grün oder Merkel“ kennt man ja. Göring-Eckardt würde ja die andere Hälfte der Parteimitglieder, die sie nicht gewählt haben, gegen sich aufbringen, wenn sie sich anders äußern würde und sie würde die Chancen auf ein gutes Abschneiden ihrer Partei zunichtemachen.
Aber Berührungsängste mit der CDU gibt es bei ihr mit ziemlicher Sicherheit nicht. Göring-Eckardt gehörte zur sog. Pizza-Connection und hat sich regelmäßig mit CDU-Abgeordneten getroffen. Zwischen Göring-Eckardt und Ursula von der Leyen bestehen – wie man gestern Abend bei Günther Jauch beobachten konnte – mehr als nur menschliche Sympathien und jedenfalls mehr als zu Peer Steinbrück. Beim Thema Mindestlohn wäre bei entsprechend niedrigem Niveau leicht eine Einigung möglich und beim Betreuungsgeld würde sicherlich auch Angela Merkel wieder einen raschen Ausstieg mitmachen. Die Europapolitik der Kanzlerin haben die Grünen und der andere Spitzenkandidat, Jürgen Trittin, – wenn auch mit verbaler Kritik an der Performance – ständig mitgetragen.
Schwarz-Grün steht angesichts der Annäherung der Grünen an die sog. bürgerlichen Mitte nicht viel im Wege.
„Das Beste kommt noch“
schrieb Göring-Eckardt auf ihrer Website. Das Beste für sie persönlich dürfte sein, Vize-Kanzlerin unter Angela Merkel zu werden oder im weniger wahrscheinlichen Fall unter Peer Steinbrück. Göring-Eckardt hat sich wie bei einem Mühlespiel, die Position einer „Zwickmühle“ verschafft, sie kann mit jedem Zug eine Mühle schließen und ihre Spielgegner ausspielen. Die Grünen sind nicht nur in der Rolle der „Öko-FDP“ angekommen, sie haben auch die Rolle der FDP als „Zünglein an der Waage“ und als Mehrheitsbeschaffer eingenommen.