Willy Brandt – am Montag 20 Jahre tot, heute vor 40 Jahren Auftaktrede zur heißen Phase des Wahlkampfes 1972
Am Montag, den 8. Oktober 2012 gedachte die SPD-Spitze des Todes Willy Brandts vor 20 Jahren. Siehe hier zum Beispiel. Es war eine etwas traurige Feier, so mein Eindruck. Dabei hätte die SPD-Spitze in dieser Woche, am besten schon am Montag am Grab, gleich noch einer großen und auch heute zukunftsweisenden Rede Willy Brandts gedenken können. Willy Brandt appellierte vor 40 Jahren, am 12. Oktober 1972 in seiner Eröffnungsrede an die Bereitschaft der Menschen, „mitzuleiden“, an die „Fähigkeit, barmherzig zu sein, ein Herz für andere zu haben“. Ich dokumentiere die Rede [PDF – 1,8 MB], weil sie darüber hinaus eine Reihe anderer interessanter Aspekte enthielt, weil sie der Auftakt zu einem grandiosen Wahlkampf und einem großen Wahlerfolg (45,8 %) war und weil die Rede nach meinen Recherchen im Netz bisher nicht verfügbar war. Die SPD von heute könnte viel davon lernen. Zweifel, dass sie das will, sind angebracht. Wenn man von Willy Brandt einiges lernen will, dann feiert man ihn und sein Werk anlässlich des 20. Todestages, statt ihn fade zu betrauern. Aber das will man wohl nicht, weil heute eine andere Richtung angesagt ist. Von Albrecht Müller
Auf einige Aspekte der Rede will ich hinweisen:
- auf die gute Mischung von Sachlichkeit und Offensivität in der Auseinandersetzung mit den Konservativen;
- auf das Bekenntnis zur wichtigen Rolle des Staates und der öffentlichen Leistungen;
- auf die erkennbare Werteorientierung;
- auf die Auseinandersetzung mit dem großen Geld (Seite 45);
- auf das Bekenntnis und die Freude über das politische Engagement junger Menschen (Seite 43);
- auf die Auseinandersetzung mit der Union auf deren heimischem Feld – der Sorge um das Funktionieren von Wettbewerb und Marktwirtschaft (Seite 46), Zitat: „Es gibt allerdings Leute in unserem Land, … die Marktwirtschaft sagen, wenn sie in Wirklichkeit Steuerflucht, Bodenspekulation und Subventionsschwindel meinen. Da scheiden sich die Geister. Marktwirtschaftliche Ordnung bedeutet nicht die Erhaltung von Privilegien und auch nicht die Drosselung des Wettbewerbs“;
- auf den Schwerpunkt Lebensqualität, Umweltschutz, vorsichtiger Umgang mit den natürlichen Ressourcen (Seiten 50 ff);
- auf die schon erwähnten Anmerkungen zum Umgang mit den Mitmenschen („Compassion“); spiegeln Sie diesen Text (Seite 66) mal auf die Hartz-Gesetzgebung und den Stolz des jetzigen Kanzlerkandidaten Steinbrück auf dieses Werk der Regierung Schröder;
- auf das zusammenfassende Bekenntnis am Schluss: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein im Innern und nach außen.“
P.S.: Was die SPD von heute aus jener Rede und dem damaligen Wahlkampf lernen könnte: dass es nur bei Mobilisierung von 100 tausenden von Menschen als Multiplikatoren zur Überwindung der Medienbarriere den Erfolg einer halbwegs linken Partei geben kann.