Wenn Theorie und Realität einfach nicht zusammenfinden wollen
Europa ächzt unter dem Joch der Austeritätspolitik. Sowohl Spanien als auch Portugal mussten in den letzten Tagen melden, dass sie „trotz größter Sparanstrengungen“ ihr Defizitziel deutlich verfehlt haben. Hier muss die Frage gestattet sein, ob diese Länder ihr Defizitziel nun „trotz“ oder doch wohl eher „wegen“ der „größten Sparanstrengungen“ verfehlt haben. Der vor allem von deutscher Seite propagierte Ansatz, ein Land durch Budgetkürzungen und neoliberale Reformen fit für die Zukunft zu machen und dabei dann auch gleich die Staatsfinanzen zu sanieren, mag in der marktliberalen Theorie funktionieren. In der Praxis funktioniert dieser Ansatz jedoch nicht, was sich mittlerweile eigentlich herumgesprochen haben sollte. Mit jedem Tag, an dem die Politik an ihren ideologischen Scheuklappen festhält, forciert sie die Krise und verhindert deren Beendigung. Von Jens Berger
In den deutschen Massenmedien wird Austeritätspolitik meist fälschlicherweise als Sparpolitik bezeichnet. Der Begriff „Sparen“ ist nun einmal positiv besetzt und legt nahe, dass derjenige, der spart, später mehr Geld zur Verfügung hat. Wer auf der Ausgabenseite spart, macht weniger Verluste und reduziert somit sein Defizit – so zumindest die Theorie, die volkswirtschaftlich betrachtet, intellektuell auf einer Stufe mit Angela Merkels Leitbild der schwäbischen Hausfrau rangiert. Ein Staat ist nun einmal kein Privathaushalt und Ausgabenkürzungen schlagen immer auch auf andere Teilnehmer der Volkswirtschaft zurück. Austeritätspolitik ist jedoch mehr als „nur“ die Kürzung von Ausgaben in den öffentlichen Haushalten. Zu einer echten Austeritätspolitik gehören auch neoliberale Reformen – der Staat zieht sich aus verschiedenen Bereichen zurück und überlasst diese Bereiche „dem Markt“. Zur Austeritätspolitik gehören beispielsweise auch die Deregulierung des Arbeitsmarkts und die Privatisierung ehemals öffentlicher Aufgabenfelder.
Von Befürwortern der Austeritätspolitik wird oft ins Spiel gebracht, dass die rot-grüne Agendapolitik auch eine Form der Austeritätspolitik war und die Agenda Deutschland nicht geschadet, sondern genutzt hätte. Diese Aussage ist jedoch nicht haltbar. Einerseits wurden während der Agendapolitik die Ausgaben der öffentlichen Haushalte – anders als vielfach kommuniziert – nicht gekürzt. Andererseits war die weltweite Konjunktur zu Zeiten der Agendapolitik sehr stark, so dass die stagnierende Nachfrage der Privathaushalte durch eine steigende Nachfrage aus dem Ausland kompensiert wurde. Und selbst wenn man die Agendapolitik – gegen alle Logik – als Erfolg wertet, sollte man zumindest eingestehen, dass Deutschland als exportstarke Volkswirtschaft anders auf wirtschaftspolitische Reformen reagiert als Volkswirtschaften mit einer starken Binnenkonjunktur. Welchen Schaden eine Austeritätspolitik anrichtet, hängt somit von vielen Faktoren ab, von denen die globale Konjunktur wohl der wichtigste ist.
Austerität in der Theorie
In der Theorie ist die Austeritätspolitik eine Antwort auf das fehlende Vertrauen der Märkte. Man könnte auch sagen, dass mit der Austeritätspolitik ein Defizit bei der Marktkonformität der Demokratie ausgeglichen werden soll. Wenn die Investoren eine marktkonforme Demokratie vorfinden, so die Theorie, sind sie eher davon überzeugt, dass dieses Land seine Schulden zurückzahlen kann und dass sich Investitionen in diesem Land rentieren. Die Umsetzung einer Austeritätspolitik soll somit vor allem das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen und Investoren ins Land holen.
Die Investitionen, die dank des steigenden Vertrauens unternommen werden, sollen dann zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen und mehr Menschen in Lohn und Brot bringen. Dadurch sollen dann die Ausgaben des Staates auch abseits der verabschiedeten Kürzungen sinken, während gleichzeitig die Steuereinnahmen durch die anspringende Konjunktur steigen. Dies führt schlussendlich zu Haushaltsüberschüssen und einem Abbau der Staatsverschuldung, was die Märkte mit sinkenden Zinsen für die Staatsanleihen dieses Landes goutieren. So will es die Theorie.
Austerität in der Realität
Die Befürworter der Austeritätspolitik schaffen es jedoch nicht einmal, den ersten Schritt dieser Kausalkette beweisen zu können – erst recht dann nicht, wenn die Austeritätspolitik während einer globalen Krise stattfindet. Investitionen werden nicht aus ideologischen Gründen, sondern auf Basis einer knallharten Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen. Jede Form der Austeritätspolitik führt zunächst immer dazu, dass die aggregierte Nachfrage zurückgeht. Da die Einkommen der privaten Haushalte zurückgehen, haben diese auch weniger Geld für Konsumausgaben zur Verfügung. Der Staat kann dieses Defizit nicht ausgleichen, da er ja seine Ausgaben kürzt und somit ebenfalls weniger nachfragt. In einer Rezession investieren in der Regel jedoch auch die Unternehmen weniger, da die zurückgehende Nachfrage und die unsichere Zukunft eine Kosten-Nutzen-Analyse negativ beeinflussen. In Zeiten einer starken Weltkonjunktur kann die Nachfrage aus dem Ausland diese Faktoren ausgleichen, in Krisenzeiten ist jedoch das Gegenteil der Fall. Wenn neben der Inlands- auch noch die Auslandsnachfrage zurückgeht, ist dies nicht der Zeitpunkt, an dem Unternehmen investieren. Ausgaben- und Lohnkürzungen verschärfen den ohnehin während einer globalen Krise stattfindenden Rückgang der Nachfrage abermals. Ökonomen sprechen hier von einem „prozyklischen“ Effekt, Konjunkturausschläge werden nicht ausgeglichen, sondern verstärkt.
Dies alles führt in erster Konsequenz zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit und damit auch zu einem Rückgang der Nachfrage. Wenn dieser Rückgang nicht durch „antizyklische“ Wirtschaftspolitik oder durch eine steigende Auslandsnachfrage abgefedert werden kann, befindet sich das Land auf dem Weg in die Rezession. Die steigende Arbeitslosigkeit führt dazu, dass die Staatsausgaben im Sozialbereich weiter ansteigen. Die Steuereinnahmen gehen parallel zurück. Sinkenden Löhne und steigende Arbeitslosigkeit führen zu sinkenden Einkommensteuereinnahmen und auch die Einnahmen aus Verbrauchssteuern gehen aufgrund der sinkenden Nachfrage zurück. Da in einer Rezession auch die Unternehmensgewinne sinken, gehen die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer ebenfalls zurück.
Steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen führen in Folge nicht zu einer Sanierung des Staatshaushalts, sondern zu einem Verfehlen der aufgestellten „Sparziele“ und zu einem weiteren Anstieg des Haushaltsdefizits und der Staatsschuldenquote. Am Ende der Kausalkette stehen dann nicht etwa niedrigere, sondern vielmehr höhere Zinsen bei den ausgegebenen Staatsanleihen und im schlimmsten Falle sogar der Staatsbankrott.
Wenn die Empirie der Theorie widerspricht
Die jüngsten Entwicklungen in Spanien und Portugal sind ein weiterer empirischer Beweis dafür, dass die Theorie hinter der Austeritätspolitik nicht (mehr) haltbar ist. Sowohl Spanien als auch Portugal haben sich bis zur Selbstkasteiung dem deutschen Austeritätsdogma unterworfen und damit die Krise zusätzlich verschärft. In Portugal hat sich die Arbeitslosenquote im Laufe der Krise von 7,3% auf heute 15% verdoppelt, in Spanien hat sie sich von rund 8% auf heute 25% mehr als verdreifacht. In beiden Staaten schrumpfen die Steuereinahmen schneller, als die Ausgaben selbst ohne entgegenlaufende Konjunktureffekte gekürzt werden könnten. Jede weitere Ausgabenkürzung führt zu einem noch höheren Defizit bei den Steuereinnahmen und sowohl die absolute Staatsverschuldung als auch – in noch stärkerem Maße – die Staatsschuldenquote steigen.
Die harte Austeritätspolitik in Südeuropa gleicht einem grausamen Feldexperiment, dessen Verantwortliche sich ihr Scheitern nicht eingestehen wollen. Wenn Theorie und Realität nicht zusammenfinden, ist nicht die Realität, sondern die Theorie falsch. Dies einzugestehen, wäre der erste Schritt, um die Krise aufzulösen. Doch davon sind wir anscheinend immer noch weit entfernt.