Das „deutsche Problem“ mit dem Arbeitsmarkt: Das IW sieht die Schuld bei den Arbeitslosen, das IAB sieht das Problem im Auftragsmangel der Unternehmen

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Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht 3 Millionen Stellenangebote und 1,3 Millionen offene Stellen. Nirgendwo in Europa seien mit 3,2% so viele Arbeitsplätze unbesetzt wie in Deutschland. Das IW sieht „ein deutsches Problem“ in der mangelnden Mobilität und Flexibilität und in der „recht großzügigen“ staatlichen Alimentation der Arbeitslosen.
Sind also die Arbeitslosen an der hohen Arbeitslosenrate selbst schuld?

Diese Meldung des IW wurde natürlich sofort von vielen Medien [1] [2] nachgeplappert.
Dankenswerterweise ging Nicola Holzapfel dem „Rätsel Arbeitsmarkt“ in der Süddeutschen Zeitung einmal journalistisch etwas gründlicher nach und befragte die Arbeitsmarktforscher vom „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit“ (IAB) zu der Pressemeldung des IW.

Das Ranking des IW habe mit der Realität nichts zu tun, verlautete vom IAB. “Die Statistiken der aufgeführten Länder sind nicht vergleichbar, weil die Datenbasis völlig unterschiedlich ist. Manche Länder erfassen nur offene Stellen ausgewählter Wirtschaftsbereiche oder von Unternehmen bestimmter Größe, einige ermitteln ihre Zahlen durch Betriebsbefragungen, anderen schätzen sie”, sagt die Arbeitsmarkt-Expertin Kettner. Dazu käme noch die Hartz-IV-Reform. “Die angebotenen Ein-Euro-Jobs fließen in die deutsche Statistik ein. In anderen Ländern gab es im vergangenen Jahr keine solche Arbeitsmarktreform“.

Nach der jährliche Betriebsbefragung des IAB zum gesamtwirtschaftlichen Stellenangebot [931 KB], sind zwar im Herbst 2005 mit 1,1 Millionen erfreulicherweise wieder 400.000 Stellen mehr angeboten worden als im Jahr zuvor, darunter allerdings nur 350.000 aktuelle Vakanzen. Dazu haben aber vor allem die 1-Euro-Jobs mit einem Zuwachs von rd. 110.000 beigetragen. Am „Ersten Arbeitsmarkt“ wurden rd. 980.000 Stellen angeboten, gut 70.000 Stellen mehr als im Vorjahr.

Ist es also doch – wie das IW nahe zu legen scheint – ein „Problem“ der aktuell gemeldeten 4,3 Millionen Arbeitslosen, wenn sie bei knapp einer Million Stellenangeboten nicht zugreifen?

Was das IW unterschlägt ist, dass Stellenbesetzungen Ausgleichsvorgänge zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt sind, die eben mehr oder weniger Zeit benötigen.
Die Spanne vom Beginn der Bewerbersuche durch den Betrieb bis zur Arbeitsaufnahme eines (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten betrug im Jahr 2 005 in Westdeutschland durchschnittlich 73 Tage, in Ostdeutschland 62 Tage.
Da die Betriebe in der Regel mit zeitlichem Vorlauf auf Bewerbersuche gehen, ist die Vakanzzeit erheblich kürzer. Im Westen betrug sie 2 005 durchschnittlich 18 Tage, im Osten 14 Tage. So lange waren also die angebotenen Stellen offen.
Das IAB kommt sogar zum Ergebnis, dass offene Stellen 2 004 und 2 005 im Ganzen leichter besetzt werden konnten als in früheren Jahren.

Zwischenbemerkung:
Die hohe Zahl an Stellenangeboten (rd. 1 Million) und die relativ kurze Vermittlungsfristen bestätigen einmal mehr, dass der Arbeitsmarkt viel dynamischer ist, als sich das in den monatlichen Arbeitslosenstatistiken ausdrückt. Auch zeigt sich in der Studie des IAB zum gesamtwirtschaftlichen Stellenangebot, dass nur etwa 34% der offenen Stellen überhaupt bei den Arbeitsämtern gemeldet wird, über zwei Drittel aller Stellen werden also auf dem „freien“ Arbeitsmarkt vermittelt. Auch darin zeigt sich erneut, wie unsinnig es ist, wenn die Bundesregierung nahezu sämtliche ihrer Energien in der Arbeitsmarktpolitik seit Hartz auf die „Reform“ der Arbeitsagentur und deren Instumentarien konzentriert, statt eine offensive Beschäftigungspolitik zu betreiben.

Gibt es also wirklich kein „deutsches Problem“ bei der Besetzung offener Stellen?
Das IAB befragte deshalb Betriebe, ob in den letzten 12 Monaten ihre Geschäftstätigkeit durch externe Gründe behindert worden sei und welche Rolle dabei insbesondere das Fehlen geeigneter Arbeitskräfte gespielt habe.
Diese Umfrage beförderte ein ganz anderes “Problem“ zu Tage als uns offenbar das IW suggerieren will.
Ich zitiere wörtlich den IAB-Kurzbericht vom 27.4.2006:

Von den befragten Betrieben berichteten rd. 52 Prozent im Rückblick auf die letzten 12 Monate von betriebsexternen Aktivitätshemmnissen, wie zu wenig Aufträgen bzw. zu wenig Umsatz, zu wenig geeigneten Arbeitskräften oder Finanzierungsrestriktionen. Der Anteil war um 3 Prozentpunkte höher als im Vorjahr.
Als wichtigstes Hemmnis wurden fehlende Aufträge genannt. Dies betraf rd. 35 Prozent aller Betriebe, etwa so viele wie im Vorjahr. Von einem Mangel an geeigneten Arbeitskräften berichteten 7 Prozent, etwas mehr als im Vorjahr. In Deutschland ist somit der Auftragsmangel nach wie vor das mit Abstand größte Hemmnis für mehr Beschäftigung und Wachstum, während der Arbeitskräftemangel nur eine geringe, wenn auch leicht zunehmende Rolle spielt.

Auftragsmangel und nicht Arbeitskräftemangel ist also das „deutsche Problem“!

Und auf noch ein „deutsches Problem“ verweis Lutz Bellmann vom IAB in der Süddeutschen Zeitung: “Arbeitgeber, die nicht kompromissbereit sind, könnten sich schwer tun, jemanden zu finden. Sie müssen überlegen, was sie wollen und sich zum Beispiel fragen, ob es wirklich ein junger Bewerber sein muss oder nicht auch ein Älterer passt. Vielleicht müssen sie auch eine Einarbeitung in Kauf nehmen”.
Es liegt also eher an der mangelnden Bereitschaft der Unternehmer, Kompromisse gegenüber neu einzustellenden Arbeitskräfte einzugehen, hat Bellmann in einer anderen Studie des IAB herausgefunden. Also nicht wie das IW unterstellt, an der mangelnden Flexibilität und Mobilität der Arbeitskräfte oder daran, dass sich Arbeitslose im sozialen Netz gemütlich machten.

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