Leutheusser-Schnarrenbergers Vorstoß gegen den Ankauf von Steuer-CDs: Hinter dem rechtsstaatlichen Pathos verbirgt sich plumper Klientelismus, um parteipolitisch zu überleben
Das einzige Motiv, das die politisch und rechtlich unsinnige Ankündigung, den Ankauf von Steuer-CDs künftig unter Strafe zu stellen zu wollen, plausibel macht, ist wohl weder ein steuer- noch ein rechtspolitisches: Es ist die pure Angst der bayerischen Landesvorsitzenden Sabine Leutheusser-Schnarrenberger davor, dass ihre FDP im kommenden Jahr aus dem Landtag gewählt wird. Von Wolfgang Lieb.
Welcher Teufel hat wohl Leutheusser-Schnarrenberger geritten, dass sie sich über das Wochenende gleich in mehreren Medien zu Wort gemeldet und dafür plädiert hat, den Ankauf von Steuer-CDs per Gesetz zu verbieten: „Der Ankauf bewegt sich in einem hochproblematischen Graubereich, nicht nur ethisch-moralisch, sondern auch juristisch… Ich unterstütze meinen hessischen Kollegen Jörg-Uwe Hahn, der eine Gesetzesinitiative gegen Datenhehlerei auf den Weg bringen will“, sagte sie zunächst der Rheinischen Post. Nachdem die Justizministerin dann offenbar bemerkt hatte, dass sie sich auf den hessischen Parteifreund gar nicht stützen kann, weil dessen Bundesratsinitiative den Ankauf von Steuerdaten ausdrücklich von der Strafbarkeit ausnimmt, musste sie ihren Vorstoß auf die eigene Kappe nehmen und schob in der Süddeutschen Zeitung nach: Natürlich sei Steuerhinterziehung „kein Kavaliersdelikt, aber das heißt nicht, dass die Kavallerie durch den Rechtsstaat reiten darf”. Deshalb prüfe das Bundesjustizministerium derzeit, “wie eine Regelung gegen den Ankauf illegal erlangter Steuerdaten ausgestaltet werden könne“.
Warum sucht Leutheusser-Schnarrenberger nach solchen Schlagzeilen, offenbar ohne sich vorher wenigstens mit ihrer Parteispitze abgesprochen zu haben. Der FDP-Vorsitzende hat ihre Ankündigung angeblich erst aus den Medien erfahren. „Die große Mehrheit“, des FDP-Präsidiums, so Generalsekretär Patrick Döring, „sieht den Vorstoß skeptisch”. Vielleicht deshalb, weil die „Liberalen“ nicht schon wieder dem weit verbreiteten Verdacht Nahrung geben wollten, dass die FDP erneut nur ihre Wähler- und Spenden-Klientel bedienten, über die Hoteliers, die Freiberufler und die Wirtschaftslobby hinaus, diesmal sogar kriminelle Steuerbetrüger (die ja gerade in den von der FDP gehätschelten Berufsgruppen nicht selten zu vermuten sind).
Auch der schwarze Koalitionspartner war offenbar alles andere als glücklich über den Vorstoß der Justizministerin. Ihr Kabinettskollege Schäuble sprach von einem „Nebenkriegsschauplatz“, der hier eröffnet werde und auch die Kanzlerin war laut Pressemeldungen „not amused“.
Nun könnten manche Leutheusser-Schnarrenberger, die ja dem sog. Bürgerrechtsflügel der FDP angehören soll (Rainer Brüderle feierte sie als “Jeanne d’Arc der Bürgerrechte”) und die bisher nicht gerade als Exponentin des Klientelismus ihrer Partei in Erscheinung trat, zugutehalten, dass möglicherweise deren rechtsstaatliches Gewissen schlage und die Justizministerin die Hehlerei von Strafverfolgungsbehörden mit geklauten Steuerdaten tatsächlich für ein strafbares Delikt hält.
Doch warum sollten bei ihr die Gewissensbisse gerade jetzt kommen und nicht schon vor zwei Jahren, als ein CDU-Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen für 2,5 Millionen Euro eine CD mit 1.400 mutmaßlichen Steuersündern aufkaufte? Warum hatte sie keine Einwände erhoben, als das Bundesfinanzministerium am 29. Juni 2010 per Brief an den nordrhein-westfälischen Finanzminister den damaligen Ankauf der angebotenen Datensätze ausdrücklich „begrüßte“ und den Ankauf „für rechtlich zulässig und aus Gründen der Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung auch für geboten [PDF – 108.7 KB]“ hielt?
Warum sieht die Bundesjustizministerin gerade jetzt in solchen Einzelfällen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, wo doch das höchste Gericht noch im November 2010 in einem Beschluss, bei dem es gleichfalls um eine rechtswidrige Datenbeschaffung ging, entschieden hat, dass deren „Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung… nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot“ führe.
Auch mehrere Entscheidungen von Gerichten, wie etwa dem des Landgerichts Düsseldorf (Js 150/10-60/10) oder des Finanzgerichts Köln (14 v 2484/10) urteilten, dass sich die Finanzverwaltung durch den Ankauf von Daten nicht strafbar gemacht hätte und „die Zahlung von Belohnungen für Hinweise zur Aufklärung von Straftaten ein traditionelles Mittel der Strafverfolgung“ sei. Immerhin stützte das Bundesfinanzministerium seine Zustimmung an den Datenkauf gleichfalls auf ein Rechtsgutachten.
Im deutschen Strafrecht gilt nämlich das „Offizialprinzip“, d.h. die Gerichte haben eine „objektive“ Aufklärungspflicht, unabhängig von den Einlassungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Deswegen kennen wir in unserem Strafprozessrecht – anders als im amerikanischen Recht – nicht die „Frucht-vom-verbotenen-Baum“-Doktrin, wonach rechtswidrig erlangte Beweismittel nicht verwertet werden dürfen. Anders als in den USA, wo man mit dieser Doktrin kriminelle Methoden der Polizei oder von Anklägern eindämmen möchte, ist bei uns vom Gericht selbst eine Abwägung vorzunehmen, wie schwer einerseits der Rechtsbruch zur Erlangung des Beweismittels wiegt und wie gewichtig demgegenüber das staatliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung ist. Die Verwertung illegal erlangter Beweismittel gehört also durchaus zu den üblichen Ermittlungsmethoden.
Und es handelt sich beim Ankauf von Steuer-CDs sogar um eine äußerst effiziente Fahndungsmethode, allein in Nordrhein-Westfalen hat es seit dem ersten Ankauf einer Steuer-CD weit 6.505 Selbstanzeigen gegeben und nach dem Bekanntwerden des jüngsten Deals meldeten sich allein von Juli bis August 93 verunsicherte Steuerhinterzieher bei ihren Steuerbehörden. Auch in anderen Bundesländern offenbarten sich plötzlich erheblich mehr Schwarzgeldbesitzer bei ihren Finanzämtern. 2,5 Milliarden Euro sollen Bund und Länder durch Selbstanzeigen inzwischen an hinterzogenen Steuern zurückerhalten haben. Dagegen nehmen sich die Vorauszahlungen, die die Schweizer Banken (für die geschätzten 180 Milliarden Euro illegal dort gebunkerten Gelder) nach dem bisher ausgehandelten Steuerabkommen in Höhe von 2 Milliarden Schweizer Franken (1,67 Mrd. Euro) leisten sollen und die künftigen Abgeltungssteuern mit geschätzten 700 Millionen Euro bescheiden aus. Außerdem soll ja durch die Auswertung der Steuer-CDs vor allem gegen das bisherige „Geschäftsmodell“ vieler Schweizer Banken angegangen werden und Ziel ist gerade auch deren „Kunden“ aus Deutschland zu verunsichern.
Wie scheinheilig diese Debatte ist zeigt sich im Übrigen darin, dass solche Ermittlungsmethoden sogar in der Schweiz selbst eingesetzt werden, nämlich dann, wenn die Schweizer Steuerverwaltung gegen ihre eigenen Landsleute vorgeht, die z.B. unversteuertes Geld in die mitten in der Schweiz liegende Steueroase Liechtenstein verschoben haben. Das höchste eidgenössische Gericht, das Bundesgericht in Lausanne, hatte nämlich schon im Oktober 2007 ganz ähnlich wie die deutschen Gerichte entschieden, dass aus gestohlenen Steuerdaten gewonnene Informationen keinem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Dass sich nun Schweizer Politiker und „Bankpatrioten“ darüber aufregen, dass in Deutschland genauso verfahren wird, zeigt die ganze Interessenabhängigkeit des gegenwärtigen Theaters.
Die strammste politische Verteidigerin des hinter dem Schweizer Bankgeheimnis versteckten organisierten Steuerbetrugs, die eidgenössische Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf sollte sich also besser an die eigene Nase packen, wenn sie tönt: „Wenn Selbstanzeigen auf einem System der Einschüchterung beruhen, ist man der organisierten Kriminalität näher als einer gesetzeskonformen Steuererhebung“.
Selbst den Schweizern sind die Steuerbetrugs-Tricks ihrer Banken offenbar nicht mehr geheuer. Nachdem durch den jüngsten Ankauf einer Steuer-CD sogenannte „Zebra“-Konten der Coutts Bank bekannt wurden, wurde nun auch im bankenfreundlichen Nachbarland eingestanden, dass eine solch „plumpe Mauschelei“ nach Schweizer „Sorgfaltspflichten“ nicht erlaubt sei. Die Daten-CD offenbarte nämlich unter anderem, dass die deutschen Kunden in der Schweiz noch ein zweites schwarzes („Zebra“-)Konto unterhielten, das sie nicht gemeldet hatten – natürlich mit einem Vielfachen des auf dem anderen, offiziellen Konto gemeldeten Geldbetrages. Von einem Vorgehen der Schweizer Behörden gegen solchen evidenten Steuerbetrug ist bisher allerdings nichts bekannt. Dabei kann man sich gewiss nicht mehr hinter dem Argument verschanzen, dass (einfache) Steuerhinterziehung in der Schweiz nur als Ordnungswidrigkeit und nicht als Straftat gilt.
Der nordrhein-westfälische Finanzminister, Norbert Walter-Borjans fragt die Bundesjustizministerin nach ihren öffentlichen Einlassungen vom Wochenende zu Recht danach, welche Haltung sie denn zu Belohnungen, Kronzeugenregelungen oder bezahlten Informationen aus Straftäterkreisen stehe, die der Aufdeckung von Delikten im Bereich des Drogenhandels oder des Rechtsextremismus dienten. Steuerbetrug stehe hinter Straftaten auf anderen Feldern durchaus nicht zurück. Noch im Februar dieses Jahres habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass Steuerhinterziehung von mehr als einer Million im Regelfall mit einer Haftstrafe und zwar ohne Bewährung zu ahnden sei.
Was ist ein einziger Diebstahl von Daten der hunderte von kriminellen Akten des Steuerbetrugs in vielfacher Millionenhöhe aufklären helfen kann?
Dass Leutheusser-Schnarrenberger nun speziell bei den Methoden der Fahndung nach Steuerbetrügern rechtsstaatliche Gewissensbisse bekommen haben sollte, ist ziemlich merkwürdig und erklärungsbedürftig.
Wollte sie eine politische Attacke gegen ihren Parteivorsitzenden Rösler reiten und ihm einmal mehr vorführen, dass er seinen Laden nicht im Griff hat, wie der Spiegel spekuliert?
Das scheint mir eher unwahrscheinlich, denn erstens machen diese Demontage-Arbeit die „Parteifreunde“ Christian Lindner und Wolfgang Kubicki viel besser und zweitens, welche personelle Alternative wollte Leutheusser-Schnarrenberger denn anbieten.
Wollte sie das Steuerabkommen mit der Schweiz retten, das so gut wie tot ist, weil es im Bundesrat im Herbst aufgrund der Mehrheit rot-grün oder rot-rot regierter Länder mit ziemlicher Sicherheit jedenfalls in der vorliegenden Form scheitern wird?
Dann hätte die Bundesministerin das Gegenteil erreicht, denn selbst die Wackelkandidaten auf der Seite der SPD, wie der baden-württembergische Landesvorsitzende und Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid, der wegen der „Grenzgeschäfte“ zur benachbarten Schweiz dem vorliegenden Abkommen zuneigt, musste sich gegen diesen Affront von Leutheusser-Schnarrenberger zur Wehr setzen, wenn er nicht sein Gesicht verlieren wollte.
(Dass ich selbst das Steuerabkommen mit der Schweiz als einen „Freibrief für Steuerhinterzieher und für die Schweizer Banken“ betrachte, habe ich an anderer Stelle darzustellen versucht. Siehe auch Jens Berger „Ein Steuerabkommen mit Sollbruchstellen“ und Albrecht Müller „Das Thema Steuerflucht/Steueroasen könnte ein ganz großes Wahlkampfthema werden, weil es in der Sache so wichtig und voller Konfliktmöglichkeiten ist.“)
Wollte sie gar das Steuerabkommen auf deutscher Seite bewusst torpedieren und gleichzeitig den Ankauf von Steuer-CDs unter Strafe stellen?
Das wäre die raffinierteste Tour des FDP-Klientelismus, denn damit müssten die Steuerbetrüger in Zukunft nicht einmal pauschal und anonym über die Schweizer Banken ihre Zinsgewinne abgelten, sie könnten sich sogar endlich wieder vor der deutschen Steuerfahndung einigermaßen sicher fühlen.
Alle diese Erklärungsversuche für den Vorstoß der Justizministerin machen keinen Sinn.
Das wahrscheinlichste Motiv den politisch und rechtlich unsinnigen Ankündigung, den Ankauf von Steuer-CDs künftig unter Strafe zu stellen zu wollen, ist wohl weder ein steuer- noch ein rechtspolitisches: Es ist die pure Angst der bayerischen Landesvorsitzenden Leutheusser-Schnarrenberger, dass ihre FDP im kommenden Jahr aus dem Landtag gewählt wird. Nach allen jüngeren Umfragen ist die FDP in Bayern weg von den Trögen. Deshalb musste die Frontfrau der bayerischen FDP, die ansonsten nicht gerade mit politischen Erfolgen vor ihren Wählern glänzen kann, endlich mal auf die Pauke hauen. Das macht schließlich auch die CSU etwa mit ihrer populistischen Kampagne gegen die Griechen.
Sie hat das Thema „Kapitalflüchtlinge“ – wie Steuerbetrüger im Handelsblatt so erbarmungswürdig genannt werden – sicherlich nicht ohne Bedacht gewählt. Die auf den Steuerdaten-CDs ausgewiesenen Steuerbetrüger sind nämlich üblicherweise nicht etwa die wirklich großen und organisierten Steuerkriminellen. Die haben ihre Konten längst in Honkong oder auf den Cayman Islands. Die Auswertung der Steuer-CDs zeigte, dass es ganz überwiegend Mittelständler sind, die sich ansonsten als staatstragende Patrioten geben und die sich gerne zur ehrenwerten Gesellschaft zählen wollen, die ihr Schwarzgeld in die benachbarte Schweiz bringen. Das schon deshalb, um ohne Kontobewegungen auf ihrem deutschen Konto das unversteuerte Geld wieder abholen zu können.
Auf diese Wählergruppe schielt die FDP-Landesvorsitzende Leutheusser-Scharrenberger offenbar gerade auch in dem mit der Schweiz benachbarten Bayern, in der Hoffnung, dass diese Gruppe und deren insgeheime Sympathisanten ausreichend groß ist, der FDP bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr wieder über die Fünf-Prozent-Hürde zu verhelfen und – so wahrscheinlich – ihre Posten in der bayerischen Landesregierung verteidigen zu können.
So entpuppt sich rechtsstaatliches Pathos als plumper Klientelismus, um parteipolitisch zu überleben. Einmal mehr steht das Wohl der Partei über dem Wohl der Allgemeinheit und der Mehrheit der ehrlichen Steuerzahler.
“Deutschland braucht das Steuerabkommen mit der Schweiz“, sagte sie. SZ