„Arme Alte“ im „produktiven Alter“ – Rente mit 67 führt zu mehr sozialer Ungleichheit – IAT untersuchte Auswirkungen einer Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters
Die geplante Heraufsetzung des Rentenalters wird die soziale Ungleichheit im Alter verschärfen. Wer gut qualifiziert und gesundheitlich leistungsfähig ist, hat gute Chancen auf vollwertige und längere Beschäftigung, für diejenigen, die mangels Arbeitsangeboten oder eigener Leistungsfähigkeit nicht bis 67 arbeiten können, wird der Übergang vom Berufsleben in die Rente länger und prekärer. „Vermehrte soziale Abstiegsprozesse im Alter infolge von beruflichen und privaten Fehlschlägen sind zu erwarten“, so die Arbeitsmarktforscher des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen), Dr. Martin Brussig und PD Dr. Matthias Knuth. Zu diesen Ergebnissen kommen Untersuchungen im Rahmen des Projektes „Altersübergangsmonitor“, die das IAT für die Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt hat.
Die Anhebung der Altersgrenze soll den bereits eingeleiteten Trend des steigenden Renteneintrittsalters (z.Zt ca. 63,1 Jahre) und zunehmender Erwerbstätigkeit Älterer verstärken. Angesichts der verbesserten gesundheitlichen Situation vieler Älterer erscheint ein späterer Rentenbeginn auch durchaus zumutbar und volkswirtschaftlich wegen des zu erwartenden Fachkräftemangels wünschenswert. Der bestausgebildete und gesundheitlich vitalste Teil der älteren Erwerbsbevölkerung wird länger produktiv tätig sein, zum Bruttoinlandsprodukt beitragen und die Sozialversicherungssysteme entlasten.
Diesem Positivszenario steht jedoch gegenüber, dass die Erwerbsmöglichkeiten Älterer nicht voll mit den Altersgrenzen mitziehen, schon gar nicht in Form vollwertiger und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Der „Ausweg“ für ältere Arbeitslose in die vorzeitige Altersrente kostet bis zu 18 Prozent Rentenabschlag. Viele werden sich als schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose in der Grundsicherung für Arbeitsuchende einfinden oder sich gezwungen sehen, unterwertige Beschäftigung mit aufstockendem Arbeitslosengeld zu kombinieren. Wer nicht einmal eine solche Beschäftigung findet, wird durch Ein-Euro-Jobs zumindest vorübergehend aus der Statistik genommen.
Die Chancen, zu den „produktiven Alten“ oder den „armen Alten“ zu zählen, hängen nicht nur von Qualifikation und Geschlecht ab. In Ostdeutschland haben die Rentnerjahrgänge in der ersten Hälfte der 1990er Jahre die massive Ausgliederung Älterer aus dem Arbeitsmarkt zumindest finanziell einigermaßen erträglich überstanden. Künftige ostdeutsche Rentnerjahrgänge haben jedoch weitaus öfter Erwerbsbiografien mit Unterbrechungen und Phasen niedrig entlohnter Beschäftigung mit geringem Rentenbeitrag. Besonders sie wären auf Erwerbsmöglichkeiten bis zum 67. Lebensjahr angewiesen, die aber auf dem Arbeitsmarkt nicht existieren.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass sich Ältere nicht allein durch Abschaffung des Vorruhestands und Rentenabschläge in Erwerbstätigkeit festhalten oder hineindrängen lassen. Im Vergleich zu Dänemark, Finnland und den Niederlanden sind die Rahmenbedingungen zum vorzeitigen Ausstieg in Deutschland die restriktivsten. Dennoch ist die Erwerbstätigkeitsquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland die niedrigste, ihre Steigerung seit 1998 die schwächste und die Arbeitslosenquote Älterer die höchste.
Ob jemand im Alter noch erwerbstätig sein kann, wird nicht erst nach dem 50. Lebensjahr festgelegt. Die Erwerbstätigkeitsquoten der Älteren in 45 Jahren entscheiden sich bereits heute an der Frage, welche Jugendlichen mindestens mit einem Schul- und Berufsabschluss ins Arbeitsleben starten und welche nicht. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele Frauen die Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung – und diese auch bis ins Alter fortzusetzen. Die heute 44-Jährigen werden erstmals voll von der „Rente mit 67“ betroffen sein. Ob sie auch bis 67 arbeiten können, hängt davon ab, ob die Betriebe sie an Weiterbildung und neuen beruflichen Herausforderungen teilhaben lassen, oder ob sie sie in der Personalentwicklung behandeln, als würden sie bereits in zehn Jahren ausscheiden. Altersgrenzenpolitik, die nicht zur sozialen Ausgrenzungspolitik werden soll, muss daher eingebettet werden in eine Reform der deutschen Erwerbsordnung, die das Bildungssystem, die Migrationspolitik, den Geschlechtervertrag und die Arbeitspolitik umfasst.
Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:
Dr. Martin Brussig, Durchwahl: 0209/1707-132E-Mail: brussig(at)iatge.de, PD Dr. Matthias Knuth, Durchwahl: 0209/1707-186, E-Mail: knuth(at)iatge.de
Brussig, Martin / Knuth, Matthias, 2006: Altersgrenzenpolitik und Arbeitsmarkt: zur Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters.
In: WSI-Mitteilungen 59, S. 307-313 [PDF – 127 KB]
Quelle: Altersübergangsreport