Häufig gestellte Fragen: Welche Ziele verfolgt Bertelsmann in der Hochschulpolitik?
Immer wieder werde ich zu Vorträgen an Hochschulen vor allem auch in Nordrhein-Westfalen, zu Gesprächen oder zu Interviews eingeladen. Sowohl die Anfragenden, aber vor allem auch in Diskussionen werden mir immer wieder folgende Fragen gestellt:
- Welche Ziele verfolgt Bertelsmann in der Bildungspolitik?
- Wie gehen Bertelsmann und CHE vor, um ihre Ziele umzusetzen?
- Welchen Einfluss hat das CHE auf den Prozess der Ökonomisierung, speziell auf das Hochschulfreiheitsgesetz in NRW ausgeübt?
Ich will versuchen, in gebotener Kürze meine Antworten auf diese häufig gestellten Fragen zu geben. Wolfgang Lieb
- Welche Ziele verfolgt Bertelsmann in der Bildungspolitik?
Die Bertelsmann Stiftung ist – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – keine gesellschaftspolitisch neutrale Einrichtung zu uneigennützigen Zwecken.
Man kann dem verstorbenen Firmenpatriarchen Reinhard Mohn nicht einmal vorwerfen, dass er mit seiner „Mission“ hinter dem Berg gehalten hätte. Jeder kann diese noch heute auf der Website der Bertelsmann Stiftung oder etwa in Mohns Buch „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ nachlesen.Mohn und mit ihm die Bertelsmann Stiftung vertreten eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt,
- der auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt,
- der den Sozialstaat als überdehnt oder gar überholt betrachtet
- und der eine über den Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument an die Stelle von Mitbestimmung und demokratischer Gestaltung setzen will.
Und immer geht es deshalb auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und – als Mittel dazu – um die Senkung der Steuerlast.
„Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“, sagte Reinhard Mohn schon 1996 in einem Stern-Interview.Im Hinblick auf diese Mission ist die Stiftung – wie Harald Schumann im Tagesspiegel schrieb – eine „Macht ohne Mandat“.
Bertelsmann ist geradezu zu einem „informellen Bundesbildungsministerium“ geworden.
Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ oder „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (so Reinhard Mohn) gibt es kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Bertelsmann Stiftung mit ihren Handreichungen nicht ihre Lösungsangebote macht.
Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik. Hochschulen werden von Reinhard Mohn – richtigerweise – als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen.
Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor einigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten deutschen Privaten Universität Witten-Herdecke. Diese sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein.
Witten-Herdecke schaffte es nie so richtig finanziell auf die Beine zu kommen und wäre der Privaten Uni der Staat nicht zur Seite gesprungen wäre sie wohl schon längst Pleite gegangen.
Reinhard Mohn hat offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur Reform des Hochschulsystems über die Gründung privater Hochschulen nicht erfolgversprechend ist; schlicht: weil sich nicht ausreichend private Geldgeber finden lassen. Viel effizienter erschien ihm daher der Weg, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen organisiert wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um Studiengebühren und ergänzende private oder auch öffentliche Drittmittel das Hochschulsystem steuern zu lassen.
Diese Erkenntnis haben Reinhard Mohn und seine Berater wohl veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen.
Da Wettbewerb und Konkurrenz das entscheidende Steuerungsinstrument sein sollen, steuern vor allem einzuwerbenden Mittel (Drittmittel, Studiengebühren) – also eine die von den Ländern bereitgestellte „Grundfinanzierung“ ergänzende Finanzierung – das nach wie vor ganz überwiegend staatlich finanzierte Unternehmen Hochschule.
Mit der einer Aktiengesellschaft nachgebildeten Aufsichtsratsstruktur wurden die öffentlichen Hochschulen faktisch „funktionell privatisiert“.
- Wie gehen Bertelsmann und CHE vor, um ihre Ziele umzusetzen?
Klugerweise nahm das CHE die damals ohne großen Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber umso standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot. So veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulreformerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.
Darüber hinaus hat das CHE ein vielfältiges Netzwerk finanzstarker Unterstützer. Der GEW Privatisierungsreport Nr. 6 [PDF – 340 KB] hat nur die wichtigsten aufgezählt:
- Da ist etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, sozusagen der verlängerte Arm der Wirtschaft in die Wissenschaft,
- der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw),
- die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mit ihren Webekampagnen,
- das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
- oder etwa auch die McKinsey & Company Inc.
Um Synergien zu erzielen, arbeitet die Bertelsmann Stiftung unter anderem mit der Heinz Nixdorf Stiftung, der Körber-Stiftung, der Volkswagen Stiftung, der Hertie-Stiftung oder der Ludwig-Erhard-Stiftung zusammen. Und vielen anderen mehr.
Das CHE hat es auch geschafft mit Namen und Köpfen in der Öffentlichkeit präsent zu sein, also vor allem mit dem früheren Chef Detlef Müller-Böling, mit Frank Ziegele, mit dem ehemaligen Hamburger Wissenschaftssenator und jetzigen Geschäftsführer des Zentrums, Jörg Dräger und vielen anderen inzwischen zu „Experten“ avancierten Mitarbeitern, die nur zu gern von den Hochschulen zu Rate gezogen werden.
Und schließlich und vor allem auch: Hinter dem CHE steht der Bertelsmann-Konzern und seine geballte Medienmacht vom Spiegel (Unispiegel), über den stern, die Financial Times Deutschland bis hin zu RTL. Und für sein Hochschulranking hat das das CHE dazu noch die bürgerliche „Zeit“ als Medienpartner gewonnen.
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) firmiert als eine private und als gemeinnützig anerkannte GmbH, die von der Bertelsmann-Stiftung mit jährlich etwa eineinhalb bis zwei Millionen Euro finanziert wird. Nach eigener Darstellung handelt es sich beim „CHE“ um eine unabhängige »Denkfabrik«. Zur „Marke“ CHE gehören inzwischen zwei Gesellschaften, das gemeinnützige Centrum für Hochschulentwicklung (gGmbH) als „Reformwerkstatt für das deutsche Hochschulwesen“ und in die CHE Consult GmbH, als Profitcenter und als private Beratungsgesellschaft für Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen, Ministerien oder Stiftungen.
Das CHE arbeitet – wie die anderen meist als gemeinnützige zivilgesellschaftliche Stiftungen organisierte PR-Agenturen wie etwa die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) – nach dem gleichen Muster. Man erstellt eine Studie oder macht eine Umfrage oder veranstaltet einen Kongress und schafft so einen Medien-Event und die Mainstream-Medien plappern die Ergebnisse unkritisch nach. Schließlich gilt die Stiftung als gemeinnützig und damit als neutral.
Die Methoden, die Bertelsmann und das CHE für ihre „Überzeugungsarbeit“ einsetzen, sind im Großen und Ganzen auch immer dieselben: Es sind Rankings und Benchmarks und Umfragen, die zunächst von den eigenen Medien verbreitet und dann von den anderen aufgegriffen werden.
Überall dort, wo kein Markt besteht und damit das Steuerungsinstrument des (Markt-) Wettbewerbs nicht funktioniert, also vor allem im öffentlichen Sektor, etwa auch bei den Hochschulen, musste die Bertelsmann Stiftung wettbewerbliche Steuerungsinstrumente erst noch einführen. Da dienen als Fiktion für den Marktwettbewerb Rankings und Benchmarks.
Das CHE hat so z.B. in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht.
Durch diese Vergleiche soll nicht etwa nur eine Selbsteinschätzung der einzelnen Hochschule ermöglicht werden, sondern es wird vor allem ein an den von der Bertelsmann Stiftung aufgestellten Messkriterien ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen ausgeübt.
Aus den rein quantitativen Rankings sollen sich Qualitätsvergleiche ergeben, und wer am besten abschneidet, soll nach den Vorstellungen der Veranstalter solcher Rankings die Qualitätsmaßstäbe vorgeben. Das Ziel ist, dass sich die schlechter Platzierten im Wettbewerb an den besser Platzierten messen. Dadurch wird ein Wettlauf zur vom CHE propagierten „Entfesselung“ der Hochschulen angestoßen.
Man kann nun lange über die Sinnhaftigkeit von Benchmarks oder Rankings streiten. Über eine Tatsache führt nichts hinweg: Wie bei allen Vergleichsmessungen geht es bei Rankings darum, dass Qualität quantifiziert werden muss. Oder anders: Man muss Qualität in Quantitäten ausdrücken, denn nur so lässt sich vergleichen und messen. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann nennt diese Übertragung betriebswirtschaftlicher Prinzipien, also das Messen und Vergleichen einen „Verlust an Urteilskraft“.
Die Bertelsmann AG ist der größte Oligopolist der veröffentlichten Meinung in Deutschland. Die Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender und nicht zuletzt die Verlage des Konzerns beeinflussen nicht nur die Meinungsbildung sondern auch die gesamte Stimmungslage und die Befindlichkeiten in Deutschland. Schon diese Medienmacht alleine stellt eine Bedrohung für die Meinungsvielfalt in Deutschland dar, Bertelsmann gehört zu den mächtigsten Meinungsmachern in unserer Gesellschaft.
Über die Meinungsmacht des Konzerns hinaus übt Bertelsmann hinaus eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht.
- Welchen Einfluss hat das CHE auf den Prozess der Ökonomisierung, speziell auf das Hochschulfreiheitsgesetz in NRW ausgeübt?
An Hand von Dokumenten lässt sich schwarz auf weiß belegen: Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde nicht nur am Schreibtisch des bertelsmannschen CHE konzipiert, während des Gesetzgebungsverfahrens wurde aus Gütersloh souffliert und sogar nach seiner Verabschiedung wurde im Auftrag des NRW-Ministeriums Bertelsmann mit der Umsetzung des Gesetzes an den Hochschulen betraut.
Die Entstehungsgeschichte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus seiner Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurückzieht und dem Druck und von privaten Lobbyorganisationen nachgibt und sich zur verlängerten Werkbank von an gesellschaftlichen Einzelinteressen orientierten, finanzkräftigen Think-Tanks degradieren lässt.
Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher dieses Konzept vom Rückzug des Staates, der unternehmerischen Hochschule mit einem CEO (Chief Executive Officer) und einem aufsichtsratsähnlichen Hochschulrat stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom Bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und dem hochschulpolitischen Arm der Wirtschaft, dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ seit über einem Jahrzehnt Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.
Das lässt sich bei der Entstehungsgeschichte des nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetzes“ gut belegen:
- Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“.
- Dort finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen, die der damalige Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag auf einer Pressekonferenz Anfang des Jahres 2006 als „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte.
Diese „Eckpunkte“ entsprachen weitgehend den zuvor vom CHE formulierten „Zehn Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz“. - Nur wenige Tage nachdem die „Eckpunkte“ vorgelegt wurden, lieferte des CHE ein „Zeugnis“ und bewertete die Pinkwartschen Gesetzesvorschläge am Erfüllungsgrad der CHE-Anforderungen.
- Aber damit immer noch nicht genug:
Nachdem das HFG verabschiedet worden ist, wird das CHE vom Ministerium beauftragt, die Hochschulen auch noch bei der Umsetzung zu begleiten.
Eine solche Überwachung hätte sich früher einmal ein Ministerium erlauben sollen:
Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.
Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann ist das von den Hochschulen ganz selbstverständlich und ohne Murren hingenommen worden.Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese meist von der Exekutive eingebracht und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke wird der Bertelsmannsche „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch für ein positives Image für den Bertelsmann-Konzern sorgt.
Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-Tanks nur allzu gerne auf. Ja noch mehr, er zieht sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.
- Inwiefern sind die Hochschulen durch das Hochschulfreiheitsgesetz in NRW unfreier geworden?
Kaum ein anderer Begriff ist in der Menschheitsgeschichte so unterschiedlich gebraucht und so oft missbraucht worden, wie der Freiheitsbegriff.
Man sollte also immer auch nach der schon von Immanuel Kant herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen „positiver“ und „negativer“ Freiheit, also von der Freiheit „zu was“ und der Freiheit „von was oder von wem“ fragen.Die „unternehmerische Hochschule“ ist vom Staat und vom Einfluss des demokratischen Gesetzgebers „befreit“ worden und – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – den Gesetzen des Wettbewerbs auf dem Ausbildungs- und Forschungsmarkt unterworfen worden. Die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit wird als Freiheit zur Durchsetzung auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert. Dem Zwang des Marktes kann und darf sich kein Hochschulangehöriger entziehen.Denkt jeder Hochschullehrer und jede Hochschule an sich, so ist an alle gedacht. So lautet das markt- und betriebswirtschaftliche Credo.
Der Staat oder der Gesetzgeber sind bestenfalls noch „Zahlmeister“.
Es gab einen Rückzug staatlicher Verantwortung zugunsten einer unternehmerischen Autonomie der Hochschule und zugunsten einer der einzelunternehmerischen Wettbewerbslogik unterworfenen autokratischen Leitungsstruktur.
Die Hochschulleitungen sollen von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) – durchentscheiden können. Man braucht dazu sozusagen einen Chief Executive Officer als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (So in § 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG geregelt.)
An Stelle des demokratisch kontrollierten Ministeriums oder des Parlaments als demokratische legitimierte rahmensetzende Organe wurde in der „unternehmerischen“ Hochschule der Hochschulleitung ein freischwebender Aufsichtsrat als „Fachaufsicht“ mit weitergehenden Kompetenzen vorgesetzt, als sie Staat und Parlament je hatten.
Die Mitglieder des „Hochschulrats“ sind während und nach ihrer gesamten fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig. Sie können weder abberufen noch abgewählt werden. Sie können für Ihre oft tiefgreifenden und kostenintensiven Entscheidungen nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Die Hochschulratsmitglieder entscheiden über das Geld der Steuerzahler nach ihren ganz persönlichen oder ihren politischen oder ökonomischen Interessen.Hochschulräte arbeiten in der Regel weder transparent noch sind sie repräsentativ zusammengesetzt. Vor allem unter den Hochschulratsvorsitzenden sind „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft dominant vertreten. (In Abwandlung zur Kritik an US-Boards „white, wealthy, businessmen“ könnte man sagen die Hochschulräte sind bei uns „old, wealthy, masculine, businessmen“)
In der tatsächlichen Zusammensetzung zeigt sich eine „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“. Wir haben es mit einer Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem auch zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule zu tun.
Mit der einer Aktiengesellschaft nachgebildeten Aufsichtsratsstruktur wurden die öffentlichen Hochschulen faktisch „funktionell privatisiert“.
In der „unternehmerischen Hochschule“ ist die überwiegende Mehrheit der Forschenden und Lehrenden an den Hochschulen und schon gar die Studierenden mit der „neuen“ Freiheit verglichen mit ihren früheren Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten wesentlich „unfreier“ geworden als unter der früheren – allerdings durchaus nicht optimalen – akademischen Selbstverwaltung.
In der selbstverwalteten Gruppenuniversität entschieden (vor allem) die Gemeinschaft der Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch die Studierenden – jedenfalls dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und – mit zunehmend flexibilisierten Haushalten – auch über die Verteilung der Ressourcen.
Der Staat legte den Finanzrahmen fest und führte im Wesentlichen nur eine Rechts- und Finanzaufsicht. Eine „Fachaufsicht“ wie heute durch die Hochschulräte wäre gegenüber einer verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungskörperschaft Hochschule nicht denkbar gewesen. Das Schreckbild staatlicher bürokratischer Detailsteuerung ist eher ein Buhmann, der von den sog. „Reformern“ aufgebaut wurde. Man hatte damals allerdings einen Sündenbock zur Verfügung, wenn es zu Knappheiten oder zu Konflikten innerhalb der Hochschule kam und der Bock, das war dann eben das Ministerium. Heute werden Knappheitskonflikte vor Ort ausgetragen und die Politik ist fein heraus.
In der neuen „unternehmerischen“ Hochschule wird nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach dem Vorurteil eines ihrer wichtigsten Promotoren, dem damaligen NRW-Minister Pinkwart Vorurteil nur „blockiert“ wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es muss nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt gehandelt werden.
Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.
Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind natürlich ausgiebige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die es „aus dem Weg zu räumen“ galt.
Es gibt inzwischen Rechtsgutachten, wonach das NRW-Modell der Hochschulräte den Anforderungen, die nach Art. 5 Abs. 3 S. 1GG an eine wissenschaftsadäquate Teilhabe der betroffenen Hochschulangehörigen zu stellen sind, nicht genügt.
Dies betrifft vor allem die in § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrats, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit 2/3 bzw. 3/4- Mehrheit zu ersetzen.Gegen eine Novellierung der Kompetenzen der Hochschulräte, die viel Macht aber relativ wenige Rat haben, stemmen sich natürlich die Hochschulleitungen. Sie sind in dieser Debatte Partei, denn die Präsidenten können sich – mit dem Hochschulrat im Rücken – gegen alle Widerstände innerhalb der Hochschule durchsetzen. Und wer würde schon gerne eine einmal erlangte Machtposition freiwillig wieder in Frage stellen lassen?