Einblicke in die Wirklichkeit der Schul- und Hochschulreformen.
Über Sinn und Unsinn der Bertelsmannschen „Selbst-Evaluation“ an den Schulen, über den „Bachelor“ als Flaschenhals für den „Master“ und der Gefahr der Dequalifizierung und Nivellierung akademischer Ausbildung, über eine Spaltung in Elite und Fußvolk in der Ausbildung schreibt uns unserer Leser Helwig Börger einen kritischen Kommentar. Er ist Mitglied des Berufsverbandes der Studienberater/innen des Landes Baden-Württemberg.
Erstens: Nicht nur per CHE im Hochschulbereich macht sich die Bertelsmannstiftung mit völlig unqualifizierten Rankings und anderen bildungspolitischen Maßnahmen breit (alle wissen das: die Rankings sind Mist, aber sie werden veröffentlicht und wirken, man kann sie daher auch nutzen, um sich zur Elite-Uni zu stilisieren), sondern auch im Schulbereich. Dort arbeitet die Stiftung mittels des Instruments SEIS: www.das-macht-schule.de.
Aufgrund konkreter Einblicke bin ich in der Lage zu sagen, dass dieses “Instrument” ein bürokratischer Unsinn ist, der als Sinn daherkommt. Da die Stiftung in den Elitekreisen naturgemäß sehr anerkannt ist, werden Schulen regelrecht veranlasst, sich diesem Blödsinn einer “Evaluation” auszusetzen. Wissend, dass statistisch gesehen die Umfrageergebnisse in Klasse 6 und Klasse 8 mit jeweils evtl. 30 Schülern, bei deren Eltern sowie den beteiligten Lehrern überhaupt keine statistisch relevante Basis darstellt, um gesicherte Erkenntnisse zu den gestellten Fragen herauszubekommen, wissend, dass man – mit Luhmann gesprochen – bei Evaluation mit dem Rücken zur Zukunft steht und diese Daten quasi zum Zeitpunkt der Erhebung schon partiell Makulatur sind, werden dennoch Schulen und Lehrer mit dieser ideologischen Sichtweise überzogen – ohne relevanten Nutzen, mit erheblichem Zeitaufwand.
Aber: Evaluation ist ein Zauberwort. Kaum gesprochen, sind die Sinne schon benebelt. Dabei ist klar, dass Unterrichtshandeln von Lehrern nicht wirklich evaluierbar ist. Für diesen bildungsbürokratischen Unsinn wurden sinnvolle Ansätze einer Personalentwicklung zurückgefahren: Supervision, Coaching, Fallbesprechungsgruppen mit Lehrern aller Provenienz und Schulleitern, einzeln und in Gruppen. Da aber die Qualifizierung des Personals der Bürokratie ein Dorn im Auge ist – es könnte ja anfangen und eigenständige Meinungen entwickeln – und das Schulsystem in Baden-Württemberg als Nachlass von Frau Schavan weitgehend dem Innenministerium überlassen worden ist, setzt man auf solche vermeintlich wissenschaftlich begründeten Umfragen in einzelnen Schulen, um daraus angeblich Veränderungen zu initiieren und den Makel der PISA-Untersuchung auszuradieren. PISA und der europaweit über unkritische Medien verbreitete Schwachsinn von Ergebnisse aus nicht vergleichbaren Studien entspricht ebenfalls dem Diktum einer mittelmäßigen Elite zur Dequalifizierung des Systems.
Zweitens: An den Universitäten in Baden-Württemberg wurde jetzt auch das Neue BA-MA-System (weitgehend) installiert. Trotz der Zusage, dass der „Bachelor“ zu einer Öffnung führen würde, führt er im Gegenteil zur Verengung – wir haben so viele Numerus clausus Fächer wie noch nie.
Zweitens geht mit dem BA-MA-System eine Dequalifizierung der akademisch auszubildenden Bevölkerung einher. Nicht nur, dass die meisten lediglich den dreijährigen „Bachelor“ machen dürfen (Flaschenhalsprinzip: für die Masse den „Bachelor“ und darauf dann das Sahnehäubchen eines „Masters“ – Reduktion von beispielsweise 90 Bachelorplätzen auf 20 (!) Masterplätze für eine kleine Elite), auch inhaltlich – und dies insbesondere in den bisherigen Magisterstudiengängen – findet Dequalifizierung statt. Hatte man bisher ein Hauptfach und zwei Nebenfächer oder zwei Hauptfächer als Kombinationsgrundlage, so sind beim „Bachelor“ nur noch ein Haupt- und ein Nebenfach vorgesehen und im Master oftmals sogar nur noch ein Hauptfach. Das Ganze dient dazu, die Bevölkerung nicht höher zu qualifizieren, sondern geringer – es ist, anders gewendet, ein Schritt auf die Ablösung der Demokratie hin zur Oligarchie verbunden mit einer ausufernden Bürokratie.
Es heißt seitens des Ministeriums in Stuttgart: Deregulation, Autonomie – aber es gibt kaum einen Bereich, in den das Ministerium nicht hineinregelt – wie Albrecht Müller in seinem Buch „Machtwahn“ an einer Stelle schreibt: Es gab noch nie so viel Dirigismus und Bürokratie wie heute.
Hinzu kommt noch, dass der “deutsche” „Bachelor“ in den USA nicht anerkannt wird, dass die Erfassung der “Credits” über eine ausufernde fachfremde Prüfungsverwaltung die Unis in Richtung Fachhochschule degradiert und dass als Auswirkung der neuen Organisation der Studiengänge, die in einer vertieften Verschulung münden, die Vergleichbarkeit und Durchlässigkeit des Systems und damit ein Hochschulwechsel erschwert statt befördert wird. Das BA-MA-System soll ja in seiner letzten Ausformung dazu führen, dass ein Germanistikstudent z.B. des 3. Fachsemesters überall in Europa, wo man Germanistik anbietet, dieselben(!) Inhalte vorfindet – ob in Portugal oder Wien oder Hamburg oder Athen – sofern es da Germanistik gibt. Ist das nicht ein Wahnsinn!
Zum Abschluss: „Bachelor“ heißt Jung-Geselle. Baccalaureus oder Bakkalaureus stammt von baccalaria, mittellateinisch und bedeutet: Hufschmied, niederster Dienst bei den Soldaten. Wir führen das Zunftsystem wieder ein mit einer klaren Regelung, wer unten, in der unteren Mitte und ganz oben ist – und wie schon damals, als man u.U. die Witwe des Meisters heiraten musste, um Meister zu werden – geht es um die Verteilung der Pfründe, die Sicherung der Existenzgrundlagen für den Nachwuchs: Der Lehrling/Scholar kommt an die Hohe Schule, macht den Gesellen/Baccelar, indem er die niederen/trivialen Fächer/Dienste (das Trivium: Grammatik, Rhetorik und Geometrie) absolviert, um dann eventuell (sic!) Meister/Lehrer/Magister/Master werden zu dürfen, nachdem er das “Quadrivium”: Musik, Mathematik, Astronomie und Arithmetik studiert hat. Das Neue ist das Alte: des Kaisers neue Kleider. So wird das Volk verdummt und bildet sich zusätzlich noch ein, es würde an etwas ganz Wunderbarem teilnehmen.
Also, die so genannte Reform der Hochschulen wird zu einer Nivellierung des gesamten Systems führen. Gab es früher ein Universitätsgesetz, ein PH-Gesetz, ein FH- Gesetz, so gibt es jetzt ein einziges Landeshochschulgesetz, in dem nahezu die gleichen Strukturen umgesetzt werden. So wird alles ein Brei, unentwirrbar, nicht mehr signifikant gekennzeichnet – on top nur ein paar Master – M.A. oder M.Sc. Die werden für uns die Zukunft gestalten, indem sie uns anleiten das zu tun, was sie, da eben Elite, für richtig halten. Der große Rest ist Fußvolk und hat zu folgen.