EZB unter Beschuss
Nach Informationen des SPIEGEL plant die EZB „Zinsschwellen“, mit denen sie künftig ihren Interventionen am Markt für Staatsanleihen einen festen Rahmen geben kann. Ein solcher Interventionsautomatismus wäre durchaus geeignet, die Spekulation einzugrenzen und den südeuropäischen Staaten ein wenig Luft zu verschaffen. Wer jedoch glaubt, dass „die Märkte“ stets rational agieren und eine Entschärfung der Eurokrise den „Reformdruck“ von den angegriffenen Staaten nehmen würde, kann auch kein Interesse an einer politischen Deeskalation der Krise haben. Vor allem aus Deutschland gibt es daher zahlreiche Stimmen gegen die neue EZB-Linie. Finanzpolitische Hardliner denken sogar bereits daran, das EZB-Statut zu verändern, um Deutschland ein Vetorecht bei allen Entscheidungen zu verschaffen. Von Jens Berger
Staaten wie Portugal, Italien und Spanien leiden nur indirekt unter ihren eigentlichen Staatsschulden. Das Damoklesschwert, das über ihnen schwebt, ist der Zinsdienst, der umso höher ausfällt, desto höher die Zinsen für neu ausgegebene Staatsanleihen sind. Spanien hat beispielsweise sowohl absolut als auch relativ weniger Staatsschulden als Deutschland, muss jedoch aufgrund der wesentlich höheren Zinsen einen deutlich größeren Teil des Staatshaushalts für die Bedienung dieser Schulden aufwenden. Ab einem bestimmten Zinssatz droht jeder Staat in eine Verschuldungsspirale abzugleiten, da die hohe Zinslast dann nur noch durch neue Schulden bedient werden kann. Hinzu kommt, dass in einer Situation, in der die Neuverschuldung politisch reglementiert und die Konjunktur am Boden ist, dieser Staat keinen Spielraum für konjunkturpolitische Maßnahmen hat. Dieser Teufelskreis kann erst dann unterbrochen werden, wenn man verhindert, dass der Zinssatz ein zerstörerisches Niveau erreicht.
Warum eine Zinsschwelle?
Zu hohe Zinsen können faktisch nur dann vermieden werden, wenn man den Einfluss der Finanzmärkte ab einem bestimmten Zinsniveau eliminiert. Dies könnte beispielsweise dadurch erreicht werden, dass die EZB den Staaten ab einem bestimmten Zinsniveau ihre Anleihen direkt oder indirekt abnimmt. Eine direkte Intervention der EZB ist jedoch nach dem EZB-Statut untersagt. Eine indirekte Intervention (z.B. über den ESM mit Zugriff auf EZB-Kredite) wäre wohl die sinnvollste Lösung [1], ist jedoch nicht gegen den Willen der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag umsetzbar, der einer Änderung des ESM-Gesetzes zustimmen müsste [2]. Ohne das zu erwartende deutsche Veto kann derzeit nur die EZB agieren. Weder die Bundesregierung noch die Bundesbank haben im EZB-Rat ein Vetorecht und bereits beim letzten Ratstreffen der EZB war der Bundesbankvertreter Jens Weidmann komplett isoliert. Um das EZB-Statut nicht zu verletzen, ist die Zentralbank jedoch gezwungen, ihre Interventionen auf den sogenannten „Sekundärmarkt“ zu beschränken, Staatsanleihen also nur an den Finanzmärkten zu kaufen. Um dennoch eine größtmögliche Auswirkung auf den Primärmarkt, also die für die Staaten relevanten Versteigerungen der Staatsanleihen, zu nehmen, kommt die Zinsschwelle ins Spiel.
Da bei Anleihen die Kurse genau umgekehrt zum Zins verlaufen, ein steigender Zins also mit fallenden Kursen für die betreffenden Anleihen einhergeht, ist eine solche Zinsschwelle gleichbedeutend mit einem Minimalkurs für die betreffenden Anleihen. Sinkt der Marktwert für diese Anleihen unter den Minimalkurs, kauft die EZB die Papiere auf. Dies hat jedoch auch Auswirkungen auf den Primärmarkt. Da jeder Käufer am Primärmarkt weiß, dass er das ersteigerte Papier gleich nach der Versteigerung zum Minimalkurs weiterverkaufen kann, wird es bei den Versteigerungen auch keine nennenswerten Gebote geben, die deutlich unter dem Minimalkurs liegen. Wer zu schlechte Angebote abgibt, geht bei diesen Versteigerungen nämlich in der Regel leer aus. Dadurch dürfte sich der Zins, den die Staaten bei neu ausgegebenen Anleihen zu zahlen haben, ziemlich schnell auf der Zinsschwelle der EZB einpendeln. Eine solche Zinsschwelle hätte zudem den Vorteil, dass die Gläubiger keine weiteren irrationalen Abwertungen der Anleihen befürchten müssten und eine kalkulierbare Untergrenze hätten. Dies könnte den Verkaufsdruck von diesen Papieren nehmen. Kein Spekulant wagt es, gegen eine potente Zentralbank zu spekulieren. Je glaubhafter die Interventionspläne der EZB, desto geringer ist daher auch die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB überhaupt intervenieren muss. Im Idealfall beruhigen sich „die Märkte“ nach einer glaubhaften Interventionsankündigung der EZB und die Kurse finden von ganz alleine auf ein vertretbares Niveau zurück.
Die Gegner der Zinsschwelle
Wer solche Zinsschwellen ablehnt, hält die momentanen Zinsaufschläge meist für gerechtfertigt und geht davon aus, dass die Finanzmärkte stets rational agieren und „unsolide“ Staaten vollkommen zu Recht abstrafen. So dumm sind jedoch noch nicht einmal die Finanzmärkte. In der Vergangenheit war es vielmehr die Regel, dass die Zinsen immer dann in die Höhe schnellten, wenn die betreffenden Staaten sich dem Druck aus Brüssel und Berlin beugten und neue Austeritätsprogramme beschlossen. Jedes Signal aus Brüssel, den Staaten ein wenig mehr Freiraum zu bieten, wurde spiegelbildlich von sinkenden Zinsen begleitet. Die Finanzmärkte sind zwar keinesfalls rational, die Akteure auf diesen Märkten wissen jedoch selbst nur allzu gut, dass die Austeritätspolitik das Ausfallrisiko der Anleihen nicht senkt, sondern erhöht. Die Austeritätsbefürworter in Brüssel und Berlin befinden sich somit gleich doppelt auf dem Holzweg.
Den Gegnern von EZB-Interventionen geht es somit auch nur vordergründig um die Ideologie der freien, rationalen und effektiven Märkte; ihnen geht es eigentlich vielmehr darum, nicht den Hebel auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Länder, die bereits jetzt unter Kuratel der EU stehen, aus der Hand zu geben. Sie wollen ihre „Schock-Strategie“ durchdrücken, egal was da komme. Mehr oder weniger offen wird dies auch ganz klar so kommuniziert. Michael Hüther vom arbeitgeberfinanzierten IW vertritt beispielsweise die Position, dass „die Staaten damit von den Sanktionswirkungen der Kapitalmärkte abgeschottet [würden], was zu größerer Laxheit in der Finanzpolitik einlade“. Dieser „Reformdruck“ wurde auch schon von Vertretern der schwarz-gelben Koalition bereits mehrfach gegen Maßnahmen ins Feld geführt, die eine Deeskalation der Krise versprechen. Meist hält man sich jedoch eher bedeckt und appelliert stattdessen an die deutsche „Urangst“ vor einer steigenden Inflation – zu unrecht, wie die NachDenkSeiten erst letzte Woche analysierten.
Deutschland gegen den Rest Europas
Ohne ein Veto-Recht im EZB-Rat ist es der deutschen Regierung jedoch nicht möglich, Maßnahmen der Zentralbank zu unterbinden, die sich in Einklang mit dem EZB-Statut befinden. Der deutschen Regierung gelingt es offensichtlich nicht mehr, auf europäischer Ebene eigene Mehrheiten zu finden. Sowohl Bundesregierung als auch Bundesbank sind mittlerweile komplett isoliert – Deutschland gegen den Rest Europas. Den Versuch, durch „bessere“ Argumente Mehrheiten für die eigene Position zu gewinnen, scheint Deutschland bereits aufgegeben zu haben. Wenn man das Spiel nicht mehr gewinnen kann, muss man halt die Regeln des Spiels ändern. Da die Mehrheit des EZB-Rats die deutsche Linie nicht mehr mitträgt, werden hierzulande bereits Stimmen laut, die einen „Radikalumbau“ der EZB fordern – darunter die „üblichen Verdächtigen“, wie Frank Schäffler (FDP), Klaus-Peter Willsch (CDU) und Carsten Schneider (SPD). Der Unterstützerkreis eines solchen „Radikalumbaus“ ist groß – da wären zum Einen die „Marktgläubigen“, die jeden Eingriff des Staates in die freien Märkte ablehnen und zum Anderen die „Neoliberalen“, die befürchten, dass eine starke EZB, die sich nicht der deutschen Ideologie beugt, ihnen ihren Hebel auf die Eurozone aus der Hand nehmen könnte. Zwischen diesen Hauptströmungen befinden sich auch noch die „Monetaristen“ der alten Bundesbank, für die eine Zentralbank sich einzig und allein um die Preisstabilität zu kümmern hat, die „Goldbugs“, die auf einen Preisanstieg an den Edelmetallmärkten gewettet haben und diverse „Geldtheoretiker“, die es nicht wahrhaben wollen, dass wir ein „Fiat-Money-System“ haben, in dem die Währung nicht durch „reale Werte“ gedeckt ist.
Welchen Einfluss dieses Konglomerat auf die Regierungspolitik hat, ist fraglich. Dass Frau Merkel zumindest den Marktgläubigen, den Neoliberalen und den Monetaristen sehr nahe steht, dürfte inzwischen bekannt sein. Die Frage ist jedoch, ob sie so weit geht, den Konflikt zwischen Deutschland und Resteuropa durch einen geplanten EZB-Umbau auf die Spitze zu treiben. Käme es hart auf hart, könnte Deutschland durch das – bereits vorhandene – Vetorecht in den EU-Gremien und bei den „Rettungsschirmen“ gehörigen Druck auf die Gegner eines EZB-Umbaus ausüben. Die EZB ist die letzte Bastion im Kampf gegen die Eurokrise, die (noch) nicht dem deutschen Diktat unterworfen wurde. Es steht in den Sternen, wie lange sich diese Bastion hält. Die Zeichen stehen jedenfalls auf Sturm.
[«1] Was die NachDenkSeiten im Artikel „Die deutsche Regierung heizt die Eurokrise weiter an“ als „Zinskorridor“ bezeichnen, entspricht im Wesentlichen den „Zinsschwellen“, die von der EZB geplant werden.
[«2] Es ist auch keinesfalls sicher, dass die Oppositionsparteien im Bundestag einer solchen Gesetzesänderung zustimmen würden.