Stolz auf Hartz IV-Reformen? Stolz auf die Zerstörung eines wichtigen Teils der sozialen Sicherung: Die Arbeitslosenversicherung?
Zehn Jahre nach Präsentation der Vorschläge zur Reform des Arbeitsmarktes durch den damaligen VW-Manager Peter Hartz wird in den Medien und von den einschlägigen Verbänden Position bezogen. Wir erleben jetzt zum Jubiläum der Hartz-Vorschläge wie immer wieder in den letzten Monaten ein wahres Trommelfeuer von Meldungen und Kommentaren zur Verankerung der Botschaft, die so genannten Reformen seien ein großer Erfolg. Um diese Botschaft unter die Leute zu bringen werden verschiedene Methoden der Meinungsmache benutzt: es wird übertrieben, es wird verschwiegen, es wird geschönt, unsere europäischen Freunde werden bedauert, weil sie dieses Wunderwerk an Reformen noch nicht hinter sich hätten, und es sei höchste Zeit. Die wichtigste Wirkung, die gezielte Schwächung der Position der abhängig Arbeitenden durch die Drohung, im Falle ihrer Arbeitslosigkeit nach einem Jahr auf Hartz IV-Niveau abzustürzen, wird in der Regel in den Bilanzen verschwiegen. Ein kleiner Einordnungsversuch: Albrecht Müller.
Zunächst der Hinweis auf die Bilanz des Paritätischen Wohlfahrtsverbands:
In dieser Bilanz [PDF – 45,2 KB] der Sozialverbände, die direkt mit den Betroffenen der Reformen zu tun haben, heißt es: „Das Hartz-Paket ist gescheitert.“
Anders als in vielen anderen Bilanzen wird in dieser Schrift auch geschildert, was mit den einzelnen Paketen, also Hartz I und Hartz II geschehen ist. Die dort vorgeschlagenen Reformen, wie zum Beispiel die Personal-Service-Agenturen (PSA) und die Ich AGs, sind schlicht in der Versenkung verschwunden. Die meisten Medien und auch die verantwortlichen Politiker verschweigen diese Flops. Sie tun damit so, als wäre es eine lässliche Sünde, in einer Gesellschaft solche gravierenden Veränderungen einfach so mal einzuführen und wieder fallen zu lassen. Reformen im Trial-and-error-Verfahren an einer Gesellschaft auszuprobieren, das ist der reinste Irrsinn.
Wenn Sie sich über den angeblichen Erfolg von Hartz IV informieren wollen, dann lesen Sie die viereinhalb Seiten der Bilanz des Paritätischen Wohlfahrtverbandes. Dort wird beschrieben,
- dass drei Viertel aller Betroffenen dauerhaft in Hartz IV Bezug bleiben,
- dass ein beträchtlicher Qualitätsverlust auf dem Arbeitsmarkt eingetreten ist,
- dass der Anteil der geringfügig Beschäftigten wächst;
- dass 1,3 Millionen Menschen als so genannte Aufstocker gelten, deren Einkommen nicht reicht, um sich vom Arbeitslosengeld II unabhängig zu machen. Ihre Zahl wächst
- Und dass insbesondere der öffentliche Beschäftigungssektor aufgrund der Sparversuche immer weiter schrumpft.
Zur Bilanz gehört auch die Tatsache eines hohen ungenutzten Arbeitskräftepotenzials. Das waren im Jahr 2011 7,4 Millionen Menschen. (Siehe die Hinweise von heute. Wenn es neben den 2,5 Millionen Erwerbslosen noch 2 Millionen Menschen unterbeschäftigt in Teilzeit, 1,7 Millionen unterbeschäftigt in Vollzeit und 1,2 Millionen Personen in der so genannten Stillen Reserve[*] gibt (Quelle: Statistisches Bundesamt ), dann kann doch keine Rede davon sein, dass der Arbeitsmarkt bei uns im Gleichgewicht oder sonst in Ordnung sei. Es gibt einen großen Bedarf an Arbeitsplätzen.
Die gravierendste Folge von Hartz IV: Die Zerstörung der Arbeitslosenversicherung
Wenn abhängig arbeitende Menschen damit rechnen müssen, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf das Niveau von Hartz IV abzusinken und dann auch ihre Ersparnisse angreifen zu müssen, dann strahlt dies auf das Verhalten dieser Menschen in den Betrieben aus. Sie werden eher bereit sein, dem Druck der Unternehmen nachzugeben. Sie werden eher bereit sein, billiger und länger zu arbeiten und eine Verschlechterung ihrer Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen hin zu nehmen. Damit ändert sich die gesamte Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Hartz IV hatte deshalb direkte Folgen für das Lohnniveau. Hartz IV ist mitverantwortlich für den Ausbau des Niedriglohnsektors, für Leiharbeit und Minijobs. Es ist deshalb berechtigt, dass sich der frühere Bundeskanzler Schröder des Ausbaus des Niedriglohnsektors rühmt. Wie es zu bewerten ist, dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler sich dieser Untat rühmt, steht auf einem anderen Blatt.
Hartz IV half wegen der Entwertung der Arbeitslosenversicherung dem Kalkül der Neoliberalen und Rechtskonservativen, dass eine Reservearmee von Arbeitslosen auf die Löhne drückt und die Profite stark steigen lässt, erst richtig zum Durchbruch.
Der britische konservative Notenbanker Sir Alan Budd hat es als Erfolg der Monetaristen der Chicago Schule und ihrer politischen Anhänger vom schlage Thatchers gewertet, dass die Anwendung dieser neoliberalen Ideologie immerhin zum Aufbau einer Reservearmee von Arbeitslosen geführt habe und damit der genannte Druck auf Löhne und der Anstieg der Gewinne und Vermögenseinkommen erreicht werden konnte. In Deutschland ist dieser Prozess durch die Entwertung der Arbeitslosenversicherung beschleunigt worden.
Diese reale Lage unseres Landes wird durch das erwähnte Trommelfeuer an Propaganda zum angeblichen Erfolg der Hartz-Reform überlagert.
Dazu zwei einschlägige Äußerungen. Wir beschränken uns auf Medienorgane, von denen man etwas mehr Differenziertheit erwarten könnte:
Die Frankfurter Rundschau brachte am 15. August ein Interview mit Franz Müntefering zu Hartz-IV-Reformen. Müntefering war als Vorsitzender der SPD eine der wichtigsten Mitkämpfer von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er versteht viel von Propaganda und weiß deshalb, dass man überhöhen und übertreiben muss, um eine Botschaft unters Volk zu bringen. Die Überschrift über seinem Interview:
„Ich zumindest bin stolz darauf“
Müntefering hat nichts gelernt. Er übertreibt und beschönigt. Und die Frankfurter Rundschau betätigt sich als Stichwortgeber: FR-Redakteurin Vestring am 15.8. im Interview mit Müntefering:
„Viele Sozialdemokraten denken immer noch, dass Hartz IV ein großer Fehler war. Dabei könnte die Partei auch stolz auf diese Reform sein.“
Die Süddeutsche Zeitung kam schon am 13.8. mit einem unsäglichen Beitrag von Guido Bohsem:
“Zehn Jahre nach Schröders Reform: Warum Hartz IV gelungen ist”
Eine Kostprobe:
“Doch hat Hartz IV den Grundsatz verankert, dass es allemal besser sei, für weniger Geld zu arbeiten, als sein Leben in dauerhafter Abhängigkeit vom Staat zu fristen. Das ist ein Erfolg, den selbst die betroffenen Arbeitnehmer bescheinigen werden.”
Das schreibt ein Journalist einfach so dahin, obwohl er wissen müsste, dass es unter den 7,4 Millionen „ungenutzten Arbeitskräftepotenzials“ außer den statistisch erfassten 2,5 Millionen Erwerbslosen noch Millionen Menschen gibt, die als Aufstocker oder als Teil der Stillen Reserve in „dauerhafter Abhängigkeit“ vom Staat leben.
Noch eine Bemerkung zu den Methoden der Agitation pro Hartz-Reformen:
Es sind die üblichen billigen Methoden, die wir aus Untersuchungen zur „Meinungsmache“ kennen. Siehe Ziffer 3 der Leseproben:
- Wiederholung.
- Affirmativ auftreten. Siehe Müntefering.
- Auf Experten berufen.
- Übertreibung. „Ich bin stolz“.
- »Tina«: There is no alternative.
- Mit der Botschaft B wird die Botschaft A transportiert. Botschaft B: Die anderen Völker Europas wären froh, wenn sie die Hartz IV Reformen bei sich schon eingeführt hätten. Damit wird die Botschaft A – Hartz Reformen sind ein Erfolg – indirekt transportiert.
- Verschweigen, weglassen, ausblenden. Müntefering tut so, als hätte Hartz IV keine Auswirkung auf die Marktmacht der Arbeitnehmerschaft, also auf alle die noch arbeiten.
[«*] Methodische Erläuterung des Statistischen Bundesamtes:
Unterbeschäftigte sind Erwerbstätige, die den Wunsch nach zusätzlichen Arbeitsstunden haben und für diese auch zur Verfügung stehen. Personen in Stiller Reserve haben ebenso wie die Erwerbslosen überhaupt keine Arbeit. Sie gelten nach den strengen Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation aber nicht als erwerbslos. Zur Stillen Reserve gehören Personen, die zwar Arbeit suchen, jedoch im Moment kurzfristig für eine Arbeitsaufnahme nicht zur Verfügung stehen. Ebenfalls zur Stillen Reserve zählen Personen, die aus verschiedenen Gründen aktuell keine Arbeit suchen, aber grundsätzlich gerne arbeiten würden und für diese Arbeit auch verfügbar sind.