Die „Wahrheiten“ der Bild-Zeitung über die Reichen-Steuer – Irreführungen und platte Lügen

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„7 Wahrheiten über die Reichen-Steuer“ machte gestern BILD auf Seite 2 auf und mobilisiert die Leserschaft der zumeist „kleinen Leute“ gegen die Initiative „umfairteilen – Reichtum besteuern“ von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien für eine höhere Besteuerung der großen Vermögen zur Rückführung der Staatsverschuldung. Schaut man BILDs „Wahrheiten“ genauer an, so entpuppen diese sich als bewusste Irreführungen oder glatte Lügen. Von Wolfgang Lieb.

Die bewusste Irreführung geht schon damit los, dass BILD sich ausschließlich auf die Einkommensteuer bezieht. Die Initiative fordert jedoch allein die gigantischen privaten Vermögen zu besteuern – durch eine dauerhafte Vermögensteuer und einer einmaligen Vermögensabgabe.

(Man kann über die Teilforderung einer Vermögensabgabe (so auch das DIW) durchaus geteilter Meinung sein, weil es einfachere Wege zur Verbesserung der Einnahmeseite des Staates gäbe. Siehe „Der DIW-Vorschlag für „eine Zwangsanleihe oder eine Vermögensabgabe“ lenkt von Wichtigem ab.“. Aber diese Diskussion soll an dieser Stelle nicht geführt werden.)

Wie naheliegend eine (Wieder-)Besteuerung der großen Vermögen ist lässt sich allein aus der Grafik über die extrem ungleiche Verteilung des Vermögens in Deutschland ablesen:

Quelle: umfairteilen

Aber über die Vermögensverteilung will BILD seine Leser besser nicht aufklären. Viel einfacher erscheint es dem Hetzblatt für den Klassenkampf unter den Armen von den gigantischen Vermögen abzulenken und ausschließlich auf die – von der Vermögensteuer-Initiative gar nicht angesprochene – Einkommensteuer abzustellen.

Dazu muss man wissen, dass die Lohnsteuer mit 139.749 Mio. Euro der gesamten Steuereinnahmen in Höhe von 573.351 Mio. Euro nur 24,4%, also nur ein knappes Viertel ausmacht. Selbst wenn man die die veranlagte Einkommensteuer mit 31.996 Mio. Euro addiert macht die Einkommensteuer gerade 30% der gesamten Steuereinnahmen aus.

Bild redet also von nicht einmal einem Drittel der Steuereinnahmen.

Den größten Batzen der Steuereinnahmen macht übrigens die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) aus, nämlich 190.033 Mio. Euro. Diese indirekte Steuer belastet alle Einkommensbezieher vom Hartz IV-Empfänger bis zum Spitzenverdiener und Vermögensmilliardär gleich. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass niedrigere Einkommensbezieher einen viel höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens (mehrwertsteuerpflichtig) konsumieren als die „Bestverdiener“. D.h. gemessen am Gesamtsteueraufkommen wird der Umverteilungseffekt bei der Einkommensteuer weitgehend über die indirekten Steuer weitgehend wieder aufgefangen.

Die Körperschaftssteuer trägt mit 15.634 Mio. Euro gerade mal 2,7 % zu den gesamten Steuereinnahmen bei, die nichtveranlagten Steuern vom Ertrag mit 18.136 Mio. Euro rd. 3% und die Abgeltungssteuer von den Zinserträgen mit 8.020 Mio. Euro nur noch 1,4%.

Man sollte sich das einmal vor Augen halten, die Körperschaftssteuer (15.634 Mio. Euro), also die Steuer auf das Einkommen von juristischen Personen, in der Regel also von Unternehmen liegt etwas über den Steuereinnahmen über die Tabaksteuer (14.414 Mio. Euro).

Eine Vermögensteuer wird seit dem Jahr 2000 überhaupt nicht mehr erhoben und für Kapitaleinkünfte gilt ein pauschaler Steuersatz von 25% während auf Arbeitseinkünfte bis zu 45% Steuern erhoben werden. Auch die Erbschaftssteuer ist mit 4.246 Mio. Euro ein winziger Restposten.
(Alle Zahlenangaben gelten für das Jahr 2011 und stammen vom Bundesfinanzministerium [PDF – 8.3 KB])

Das heißt BILD spricht gar nicht von den wirklich Reichen, die riesige Vermögen haben oder hohe Kapitalerträge erzielen. Das Blatt täuscht also seine Leser ganz bewusst, denn dass den Redakteuren diese leicht zugänglichen Fakten nicht bekannt wären, das wäre ein noch größeres journalistisches Armutszeugnis.

Aber selbst, wenn man sich auf die Rechnung einlässt und nur auf die Einkommensteuer abstellt, liefert BILD ein schiefes Bild.

Mit den rot-grünen Steuerreformen von 1999 bis 2005 wurde der Spitzensteuersatz auf die Einkommen von 53 auf 42% gesenkt. Erst seit 2007 gilt für zu versteuernde Einkommen ab 250.000 Euro (für Ledige) mit 45% wieder ein etwas erhöhter Steuersatz. Die Steuerschuld für Steuerzahler mit sehr hohem Einkommen liegt jedenfalls deutlicher niedriger als zu Helmut Kohls Regierungszeiten.

Nun aber zu den „7 Wahrheiten“ über die Reichen-Steuer von BILD:

  1. „Reiche zahlen schon jetzt die meisten Steuern!
    Es gibt in Deutschland 383 000 Spitzenverdiener, die mehr als 172 000 Euro brutto im Jahr verdienen.
    Das ist nur 1 % der Steuerpflichtigen. Aber sie zahlen ein Viertel der gesamten Einkommensteuer.“

    Da das Blatt die Quelle nicht angibt kann ich die Angaben nicht nachprüfen. Nach Angaben der Bundesregierung [PDF – 157 KB] tragen die oberen 5 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen (ab einem Jahreseinkommen von 92.750 Euro) 42 % zum Einkommensteueraufkommen bei.

    Das hört sich dramatisch an, wenn man aber berücksichtigt, dass diese Einkommensgruppe einen Anteil von 27% am zu versteuernden Einkommen hat, dann relativiert sich die Dramatik sofort wieder. Das oberste Zehntel der Einkommensteuerpflichtigen hat schon einen Anteil von knapp 40% der gesamten zu versteuernden Einkommen. Insgesamt kommt die obere Hälfte der Einkommensbezieher auf einen Anteil von deutlich über 90% der Einkommensteuer. Es ist ja gerade der Sinn der progressiven Einkommensbesteuerung, dass sie zu einem gewissen sozialen Ausgleich zwischen den Einkommensbeziehern beitragen soll.

  2. „Die Hälfte der Erwerbstätigen zahlt fast keine Steuern!
    Die Hälfte aller Einkommenssteuerpflichtigen zusammengenommen zahlt nur 3,6 %, denn: 19,2 Mio. Deutsche sind Geringverdiener (weniger als 22 500 Euro pro Jahr).“

    Das ist eine glatte Lüge. Zahlen die Geringverdiener etwa keine Mehrwert-, keine Versicherungs-, keine Tabak-, keine Strom-, keine Lotto-, keine Branntwein-,keine Bier-, keine KfZ-Steuer, um nur die wichtigsten indirekten Steuerarten zu nennen, die insgesamt einen viel höheren Anteil am gesamten Steueraufkommen ausmachen als die Einkommensteuer.

    Nach Angaben der Bundesregierung (s.o.) zahlt die untere Hälfte der Steuerpflichtigen mit einem Einkommen bis 26.750 Euro pro Jahr 6,2% an der Einkommensteuer.

    Wer – wie BILD – aus diesem relativ geringen Prozentsatz ein Argument gegen die Reichen-Steuer ableiten will, müsste sich eher Sorgen darüber machen, wie riesig der Anteil der Geringverdiener an den Einkommensbeziehern ist.

  3. „Normalverdiener sind „reich“!
    „Reiche“ – das sind nach der Steuertabelle schon Normalverdiener.
    Der Spitzensteuersatz von 42 % beginnt bereits bei einem Jahreseinkommen von 52 882 Euro (etwa 4400 Euro/Monat).“

    In der Tat der Spitzensteuersatz setzt ab einem relativ niedrigen Einkommensniveau an. In Schweden liegt der Spitzensteuersatz bei 56,4% setzt jedoch bei einem deutlich höheren Einkommen an.

    Wenn man Zyniker wäre, dann müsste man sagen, diese relativ niedrige Progressionsgrenze ist ein genialer Schachzug der Politik, um Menschen mit einem ordentlichen mittleren Einkommen das Gefühl zu vermitteln sie gehörten schon zu den Reichen. Damit schafft man relativ viele Betroffene in der Debatte um einen höheren Spitzensteuersatz und entsprechenden politischen Widerstand. Was dabei ständig unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass es ab dem Spitzensteuersatz (bis auf den erwähnten Reichensteuersatz, der bei 250.000 Euro (als Lediger) Jahreseinkommen einsetzt) keinerlei Progression mehr gibt. Zwischen 52.882 Euro Jahreseinkommen bis 250.000 Euro (als Ledige) zahlen also alle Einkommensbezieher den gleichen Steuersatz.

    Doch auch diese für manchen Facharbeiter schockierende Fünzigtausend-Euro-Grenze, ab der der Spitzensteuersatz einsetzt ist nur eine fiktive Horrorzahl. Laut Steuertabelle des Bundesfinanzministeriums liegt die Durchschnittsbelastung eines alleinstehenden Beziehers eines Einkommens von 50.000 Euro Jahreseinkommen bei weitem nicht bei 42% sondern um die 26% Prozent [PDF – 150 KB]. Bei Verheirateten sind es um 17% [PDF – 167 KB] (Die Daten beziehen sich zwar auf das Jahr 2009, doch sie dürften sich nicht wesentlich verändert haben.)

    Der nominelle Spitzensteuersatz von 42 Prozent trifft nämlich die Realität kaum. „Deutschland ist ein Steuerparadies für Millionäre. Selbst die Reichsten sind weit davon entfernt, den Spitzensteuersatz zu entrichten. Sie können derartig viele Freibeträge und andere Abzugsbeträge beim Fiskus geltend machen, dass sie im Durchschnitt nur 36 Prozent Steuern auf ihr Einkommen zahlen. Dies ergibt sich aus einer Berechnung, die das Statistische Bundesamt für die taz angestellt hat“, berichtet Ulrike Herrman.

  4. „Es gibt schon eine Reichen-Steuer!
    Wer mehr als 250 730 Euro pro Jahr verdient, muss schon jetzt 45  % Steuern Zahlen (plus Soli).“

    Der hier angegebene Betrag bezieht sich auf einen ledigen Alleinverdiener. Bei einem Verheirateten verdoppelt sich dieser Betrag. Die Einführung der sog. Reichensteuer betrifft nur eine kleine Zahl der Einkommensbezieher. Diese Steuer hat im Jahre 2010 dem Fiskus gerade einmal 640 Millionen Euro eingebracht. Ein winziger Bruchteil der Gesamteinnahmen aus der Einkommensteuer.

  5. „Steuern werden nicht konsequent eingetrieben!
    Thomas Eigenthaler, Chef der Steuergewerkschaft: „Wenn wir konsequenter gegen Steuerflucht, Hinterziehung und Schwarzarbeit vorgehen würden, brauchen wir keine neuen Steuern.“

    Hier hat BILD ausnahmsweise ein Stück weit Recht. Selbst bei zurückhaltender Schätzung liegt allein in der Schweiz ein unversteuerter Anlagebestand von 130 Milliarden Euro, nach anderen Schätzungen sind es sogar bis zu 380 Milliarden Franken.

  6. „Nicht nur Spitzenverdiener zahlen!
    Steigt der Spitzensteuersatz, steigen auch die Steuern für darunter liegende Einkommen.“

    Das ist zwar richtig, aber auch nur die halbe Wahrheit und damit eine ganze Lüge.

    Einkommensteuertarife

    Quelle: Jens Berger

    Aus dieser Grafik ist leicht erkennbar, dass die Einkommensteuerbelastung bei den unteren Einkommen am steilsten ansteigt, die Belastungskurve aber danach abflacht. Das heißt, die höheren Einkommen sind auch hier wieder die Gewinner.

  7. „Der Staat kann nicht mit Geld umgehen.
    Enteignete man z. B. das Vermögen der Quandt-Familie (u. a. BMW, insgesamt 34,2 Mrd. Euro), würde der Staat das Geld (gemessen an den laufenden Kosten) innerhalb von nur 40 Tagen ausgeben.“

    Das ist das typische Argument aller Anhänger von Steuersenkungen, aller Steuerverweigerer und aller Steuerhinterzieher. Man behauptet einfach einmal der Staat verschwendet die Steuereinnahmen sinnlos. Wenn es jedoch um Straßenbau oder um Lehrer oder um Polizeibeamte geht, dann gibt der Staat viel zu wenig aus.

    Die BILD-Journalisten sollten einfach BILD lesen, denn ihr eigenes Blatt berichtete vor wenigen Monaten, dass allein die Gewinne aus den Anteilen an BMW vor kurzem 650 Millionen in die Familienkasse der Quandts gespielt haben.

    Diese Rekordgewinne unterliegen allerdings nicht der Einkommensteuer und schon gar nicht dem Spitzensteuersatz. Sie unterliegen der Kapitalertragsteuer und die liegt bei 25 Prozent. Einen solchen Steuersatz wünschte sich bei uns auch ein gut verdienender Facharbeiter der Einkommensteuer bezahlen muss.

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