Statistisches Bundesamt als Bundesbeschönigungsamt
„Zahl der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten steigt deutlich“, „Tarifverdienste von April 2011 bis April 2012 um 2,2 % gestiegen“, so lauteten die Überschriften von zwei Meldungen des Statistischen Bundesamtes. Besonders die Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen ging heute durch alle Nachrichtensendungen. Man kann sicher sein, dass die Bundesregierung diese Zahlen einmal mehr als Erfolg für ihre Wirtschaftspolitik buchen wird. Betrachtet man die Statistiken etwas genauer, so sind die Schlagzeilen – zurückhaltend ausgedrückt – Beispiele für die Beschönigung durch Statistik. Von Wolfgang Lieb
„Zahl der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten steigt deutlich“
„Die Zahl der Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis stieg von 2010 auf 2011 um rund 610 000 Personen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis von Ergebnissen des Mikrozensus mitteilt. Die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt erhöhte sich in diesem Zeitraum um knapp 790 000. Die Normalarbeitsverhältnisse haben somit wesentlich zum Beschäftigungswachstum beigetragen…
Bis 2005 war die Zahl der Personen in Normalarbeitsverhältnissen stetig gesunken. Seit dem Jahr 2006 ist wieder ein Anstieg zu verzeichnen, der 2011 besonders deutlich ausfiel“, heißt es in der Meldung.
Man kann sich für jeden Einzelnen freuen, der in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gefunden hat und ich will das gewiss nicht schlechtreden. Aber zur ganzen Wahrheit gehört eben auch, dass die Zahl der atypisch Beschäftigten – wenn auch prozentual nur halb so viel wie die Normalarbeitsverhältnisse – gleichfalls um 80.000 zugenommen hat. Nur durch den Anstieg der „Normalbeschäftigten“ auf knapp zwei Drittel (66,2 %) ging der Anteil der atypisch Beschäftigten leicht von 22,4 % auf 22,1 % zurück.
In absoluten Zahlen haben die atypisch Beschäftigten mit 7.918 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. 2001 lag diese Zahl noch bei 5,986 Millionen, knapp 2 Millionen Menschen mehr sind also in der zurückliegenden Dekade in atypischer Beschäftigung gelandet.
Dieser historische Höchststand wäre mindestens genauso schlagzeilenträchtig, wie die relative Zunahme der Normalarbeitsverhältnisse, deren Zahl – wie das Statistische Bundesamt einräumt – mit 23,674 Millionen immer noch niedriger lag als vor zehn Jahren (23,740 Millionen) und deutlich unter den 26,83 Millionen im Jahre 1991.
Noch deutlicher zeigt sich die Beschönigung in der Überschrift des Bundesamtes für Statistik aber in der Berechnungsmethode für ein Normalarbeitsverhältnis. Als Vollzeitbeschäftigte „gelten hier“ einfach alle Erwerbstätigen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit ab 21 Stunden. Das ist etwas mehr als die Hälfte der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,07 Stunden (2011). Es dürften also eine Vielzahl von Arbeitnehmern zu „Vollzeit Beschäftigten“ gezählt werden, die in Teilzeit arbeiten. (Zur Definition der „Teilzeitarbeit“ siehe die Bundesagentur für Arbeit)
Das Bundesamt für Statistik spricht bei seiner Erfolgsmeldung von „Normalarbeitsverhältnissen“. Zu den Kernformen der atypischen Beschäftigung zählen jedoch neben der geringfügigen und der befristeten Beschäftigung sowie der Leiharbeit aber auch die Teilzeitarbeit [PDF – 100 KB].
Von einer Zunahme der Beschäftigung dürfte man ohnehin wohl kaum sprechen können, denn das Arbeitsvolumen aller Erwerbstätigen hat in den letzten zehn Jahren eher abgenommen. Lag das Arbeitsvolumen im Jahr 2000 noch bei fast 58 Milliarden Stunden, so ist es seither eher rückläufig und lag 2010 (letzte mir zugängliche Statistik) bei etwas über 57 Milliarden Stunden [PDF – 285 KB].
Bei der „Erfolgsmeldung“ des Statistischen Bundesamtes handelt es sich im Übrigen nur um eine Momentaufnahme, denn die Nachfrage nach Mitarbeitern geht angesichts eingetrübter Konjunkturerwartungen zurück. Laut einer am gleichen Tag veröffentlichten Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit, gab es im Juli so wenig offene Stellen wie seit einem Jahr nicht mehr.
„Tarifverdienste von April 2011 bis April 2012 um 2,2 % gestiegen“
Genauso beschönigend wie die Meldung über den Anstieg der Vollzeitbeschäftigten ist die Statistik über den Anstieg der Tarifverdienste im April.
Wollte man ein realistisches Bild zeichnen, wie viel die Arbeitnehmer tatsächlich mehr in der Tasche haben, so müsste man gleichzeitig darauf hinweisen, dass die Verbraucherpreise von April 2011 bis April 2012 um 2,1 % gestiegen sind, so dass sich die Kaufkraft der Arbeitnehmer gerade einmal um 0,1 % erhöht hat.
Die Angaben zu den Tarifverdiensten vermitteln ohnehin ein geschöntes Bild der Lohnentwicklung, denn nur etwas über die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen (52 %, im Osten Deutschlands gar nur 37 %) bezogen 2010 einen Lohn nach einem Branchentarifvertrag [PDF – 1 MB].
Die Löhne in Betrieben ohne Tarifbindung liegen in der Regel niedriger, teilweise sogar erheblich niedriger.