Nie zuvor war das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Parteien geringer. Die Große Koalition steht in der Wertung der Wähler wieder so schlecht da wie die Regierung Schröder.
Die „Menschen“ sind zu Veränderungen bereit, das Volk wünscht Reformen, so behaupten vom Bundespräsidenten, über die Parteispitzen bis zu den Leitartiklern alle.
Das mag wohl sein, aber offenbar halten die Leute die Richtung der Veränderung und die Art der Reformen für falsch oder wenigstens für untauglich. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die relative Mehrheit der Überzeugung ist, dass keine der Parteien in der Arbeits-, Renten-, Steuer- und der Gesundheitspolitik zielführende Lösungen anbietet. 66% der Bürger trauen keiner der politischen Partei zu, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Die Antwort des vorherrschenden Meinungskartells auf diese Abwendung des Volkes von der praktizierten Politik dürfte wieder einmal sein: Erhöhung der Reformdosis und Beschleunigung der Veränderung.
Auf den ziemlich nahe liegenden Gedanken, dass die Menschen dem Reformkurs insgesamt misstrauen und Reformen und Veränderungen in einer ganz anderen Richtung wünschen, kommt kaum jemand.
Man nehme als Beleg für diese These nur einmal die FR-Infografik zur Gesundheitsreform. Zwar halten 55% die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für den falschen Ansatz und gar 90% glauben nicht daran, dass die Beiträge nicht weiter steigen werden. Anderseits sind 73% der Meinung, dass die Gesundheit so wichtig ist, dass man dafür ruhig etwas mehr Geld ausgeben kann. Was die Leute wirklich ärgert, ist offenbar nicht die Erhöhung der Beiträge, sondern dass sich die Politik an die “großen Lobbygruppen, wie die Pharmaindustrie oder die Ärzteverbände“ nicht herantraut (82%) und zuviel Geld verschwendet wird, weil eine Kontrolle fehlt (90%).
Die Bürgerinnen und Bürger wären also durchaus bereit für ihre Gesundheit mehr Geld auszugeben, sie sehen nur nicht ein, dass bei der Art der Reformen, wie sie derzeit propagiert werden, nur immer bei den „kleinen Leuten“ abkassiert wird und die mächtigen Interessengruppen weitgehend verschont bleiben.
Dass die Merkel-Regierung im Urteil der Bürgerinnen und Bürger wieder auf dem Tiefstand von 25% bei der Zufriedenheit gelandet ist, wo Schröder aufgehört hat, beweist eigentlich nur, dass das ganze Ablenkungsmanöver vom Scheitern des Agenda-Kurses durch die Neuwahlen nichts gebracht hat. „Das Volk, der Lümmel“ (Heine) lässt sich eben auf Dauer von solchem politischen Pulverdampf nicht einnebeln, der Lümmel merkte ziemlich schnell, dass er damit nur verschaukelt wurde.
Wenn unsere Parteien, die Regierung und die Meinungsführer in den Medien nicht allmählich einsehen, dass die Wählerinnen und Wähler eine andere Politik wollen, wird es zunehmend gefährlich für die Demokratie.
Aber das kümmert die Vertreter des herrschenden Reformkurses offenbar nicht weiter, für sie ist es wichtiger, dass die Unternehmenssteuern weiter gesenkt werden und dafür die Mehrheit mit der Mehrwertsteuer belastet wird, sie „optimieren“ weiter Hartz statt über eine vernünftige Konjunktur- und Wirtschaftspolitik nachzudenken. Sie sparen stur weiter, statt für öffentliche Investitionen zu sorgen. Sie streichen die kleinen Steuervergünstigungen für die kleinen Leute, statt die Steuerlücken und die echten Subventionen für das große Geld zu schließen.
Das mag der Logik des Finanzkapitals und der Kapitalbesitzer entsprechen, die Basis der Demokratie ist jedoch, dass die Politik dem Willen der Mehrheit folgt.
Aber, wie ist es doch Angela Merkel schon mal so rausgerutscht: “Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.”