Das Wettbewerbsdogma – ein Mythos! Kritische Anmerkungen von Jacques Sapir und Heiner Flassbeck

Ein Artikel von:

„Konkurrenz bzw. Wettbewerb stimuliert Umsatz und Absatzmärkte der Unternehmen, was diese wiederum veranlasst, neue Arbeitsplätze zu schaffen“ (…) stellen Volkswirte der OECD fest. Allerdings beruhen die dem Wettbewerb zugeschriebenen ökonomischen Tugenden weniger auf wissenschaftlicher Erkenntnis als auf interessengeleiteter Glaubenshaltung. Da durch solche offiziellen Verlautbarungen das Konkurrenzdogma immer wieder bekräftigt wird, fällt es neoliberalen Ökonomen leicht, sich einer ernsthafte Diskussion über ihre Glaubensüberzeugungen zu entziehen – und die Unternehmen können ihre spezifischen Strategien weiter durchsetzen.
Zum nicht mehr in Frage gestellten Dogma des Wettbewerbs empfehlen wir unseren Leserinnen und Lesern zwei aktuelle kritische Beiträge: „La concurrence, un mythe“ von Jacques Sapir (übertragen von Gerhard Kilper) und „Was ist Wettbewerb?“ von Heiner Flassbeck mit einer ergänzenden Anmerkung von Wolfgang Lieb.

I.

La concurrence, un mythe.

Von Jacques Sapir

Zusammenfassende Übertragung des in der französischen Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ (Ausgabe Juli 2006) erschienen Artikels «La concurrence, un mythe» von Jacques Sapir durch Gerhard Kilper.
(Jacques Sapir, Direktor der «École des hautes études en sciences sociales» (EHESS) ist Autor der beiden Bücher „Les Economistes contre la démocratie“, Verlag Albin, Paris 2002 und „La fin de l’eurolibéralisme“, Verlag Seuil, Paris 2006).

Die politische Debatte wird heutzutage durch behauptete, angeblich offensichtliche ökonomische Wahrheiten vergiftet, die mit (wissenschaftlicher) Autorität verkündet werden. Diese angeblichen Wahrheiten bewirken, dass bestimmte Themen, wie etwa (Formen wirtschaftlichen) Protektionismus, die positive Rolle öffentlicher Unternehmen oder (wirtschafts- und finanzpolitische) Interventionen des Staates überhaupt nicht mehr diskutiert werden. Im Namen ihres (angeblich) objektiven Charakters beanspruchen diese vorgeblichen Wahrheiten allgemein und jenseits der politischen Lager als solche anerkannt zu werden.

Wenn offensichtliche ökonomische Wahrheiten tatsächlich wissenschaftlich begründet wären, könnten sie (wie etwa naturwissenschaftliche Gesetze) nicht in Frage gestellt werden. Wenn aber die Grundlagen der angeblichen Wahrheiten sich als zweifelhaft herausstellen, dann ist ihr Stellenwert in der Debatte nicht nur Betrug, sondern eine antidemokratische Anmaßung, da diese Wahrheiten nämlich von einer Minderheit von Leuten verkündet werden, die politisch nicht verantwortlich gemacht werden können. Wenn diese Expertenminderheit Wissenschaftlichkeit behauptet, muss das Studium der Ökonomie verifizierbaren Regeln unterworfen und durch (spezifisch wissenschaftliche) Argumentationsmuster strukturiert werden. Diesen Wissenschaftszwängen entzieht sich die neoliberale Ökonomie.

Die wichtigste von ihr verbreitete Pseudo-Wahrheit ist die Betonung der fundamentalen Bedeutung der Konkurrenz für das Wirtschaftsleben, aus der die neoliberale Schule makroökonomisch den Primat des Freihandels und mikroökonomisch die überragende Rolle der Flexibilität ableitet. Und auf der Basis dieser Pseudo-Wahrheit wollten die Neoliberalen das Konkurrenzprinzip zu einem Eckpfeiler der Europäischen Verfassung machen!

Tatsächlich befindet man sich hier mitten in einer der ältesten Debatten des ökonomischen Denkens der Moderne. Zur Frage steht nicht, ob unter bestimmten Umständen und zur Erreichung bestimmter Ziele mit dem Konkurrenzprinzip eine (zielgerichtet bessere) Koordination der Aktionen der beteiligten Wirtschaftssubjekte erreicht werden kann. So begriffen wäre die (Untersuchung der) Konkurrenzproblematik in der gesellschaftlichen Realität verankert. Aber für die Liberalen sind Wirken und Rolle der Konkurrenz ein absolutes Dogma geworden, das über der Problematik konkreter Bedingungen bei der tatsächlichen Anwendung des Konkurrenzprinzips steht.

Das Konkurrenz-Dogma geht auf die im XVIII. Jahrhundert lebenden und wirkenden Gründer der klassischen Ökonomie David Hume, Bernard de Mandeville und Adam Smith zurück. Diese wollten mit ihren Schriften zeigen, dass die Aktivitäten höchst egoistisch motivierter Wirtschaftssubjekte in einer Konkurrenzsituation spontan zu einem positiven Resultat für die Gesellschaft führen. Das war der Inhalt der ersten „Freihandelstheorie“ David Humes, der „Bienenfabel“ Bernard de Mandevilles und der „Unsichtbaren Hand“ Adam Smiths. Die Argumentationslinien der drei Autoren erweisen sich jedoch bei einer genaueren Überprüfung am Ende als nicht haltbar.

Humes Theorie des automatischen Gleichgewichts internationalen Freihandels, von den Apologeten der WTO heute praktisch Wort für Wort nachgebetet, gründet sich auf vollkommen irrealen Annahmen. Hume ging von umfassender Information aller beteiligten Wirtschaftsakteure und von sofortigen, kostenlosen Anpassungen aus. Gleichzeitig sollte es sowohl Anpassungen zwischen Angebot und Nachfrage als auch Anpassungen innerhalb von Angebot und Nachfrage geben. Tatsächlich ist Voraussetzung dafür, dass alle in Frage kommenden Güter und Dienstleistungen vollständig substituierbar sind – sowohl für die Nachfrager als auch für die Anbieter.

Die These Mandevilles, nach der sich die menschlichen Laster Egoismus und Ehrgeiz oft ohne Zutun – wie im Bienenstock – in kollektive Tugenden umwandeln, war eine rein literarische Konstruktion (bzw. Fiktion).

Adam Smith schließlich hat nie den Mechanismus seiner „Unsichtbaren Hand“ beweisen können („der Markt“ sorge spontan besser für Produktion und Konsum als jedes andere denkbare System). Smiths „Unsichtbare Hand“ ist – wie der Historiker Jean-Claude Perrot zeigte – tatsächlich eher als eine Art religiöse Aporie beim Versuch des Aufbaus einer wissenschaftlichen Argumentation anzusehen.

Die drei Autoren verfolgten mit der Behauptung „natürlicher Gesetze“ (in ihrer Epoche) tatsächlich politische Ziele. Hume wollte (im vom Krieg geprägten absolutistischen Zeitalter) zeigen, dass Freihandel zwischen Staaten allen Beteiligten nur Vorteile bringt und Kriege überflüssig macht. Für Smith und Mandeville machte die von der Konkurrenz bewirkte, spontane wirtschaftliche Selbst-Organisation der Gesellschaft das despotisch-absolutistische Willkür-Regime überflüssig (die absolutistische Volkswirtschaft ist eine streng reglementierte, fürstlich-merkantilistische Verwaltungswirtschaft, deren Hauptzweck Ausrüstung und Versorgung des Militärs ist).

Man kann für den Pazifismus Humes und für die Zurückweisung willkürlichen Fürsten-Despotismus durch Mandeville und Smith eigentlich nur Sympathie empfinden. Aber man sollte nicht die absichtliche Instrumentalisierung eines pseudowissenschaftlichen Diskurses mit wissenschaftlicher Beweisführung verwechseln.

Gegen Ende des XIX. Jahrhunderts und im XX. Jahrhundert nahm die Konkurrenztheorie eine vielfältigere Gestalt an und es bildeten sich drei Schulen heraus.

Die erste, auf Léon Walras (1834-1910) zurückgehende Schule, die heute noch den größten Einfluss ausübt, lehrte, der Konkurrenzmechanismus führe zu einem wirtschaftlichen Gleichgewicht zwischen der Nachfrage und dem auf die Nachfrage reagierenden Angebot. Vilfredo Pareto (1848-1910) führte ergänzend aus, dieses ökonomische Gleichgewicht sei von seiner Natur her auch ein gesellschaftliches Gleichgewicht. Daher gebe es für die diversen ökonomischen Probleme der real existierenden Wirtschaft nur eine einzige Lösung: die Einführung der Konkurrenzwirtschaft sei für die Organisation von Ökonomie und Gesellschaft die optimale Lösung und damit sei die Debatte ein für allemal beendet.

Für die zweite, die österreichische Schule stehen die Namen Ludwig von Mises (1881-1973) und Friedrich von Hayek (1899-1992). Diese Schule entstand als Antwort auf Probleme (und Ungereimtheiten) der Walras’schen Theorie. Für die österreichische Schule war Walras’ Konkurrenzmechanismus (hin zum automatisch entstehenden Gleichgewicht) kein spontan wirkender Mechanismus, sondern eine Art neodarwinistische Eliminierung der ineffektivsten Lösungselemente.

Schließlich bedeutete Konkurrenz für die dritte Schule die Entfaltung von Innovationsdynamik zur beschleunigten Zerstörung veralteter Verhältnisse. Die neuen, fortschrittlicheren Wirtschaftsaktivitäten würden der Lösung bestehender Probleme besser gerecht werden. Diese Schule verzichtete auf jede Art von wirtschaftlichem Gleichgewicht, für sie war die Konkurrenzwirtschaft einfach ein Instrument zur permanenten Revolutionierung wirtschaftlicher Aktivitäten, „schöpferische Zerstörung“ genannt.

Joseph Schumpeter (1883-1950) steht für die meisten Beiträge dieser dritten Schule. Er hatte im Grunde dieselben Intentionen wie Hume, Mandeville und Smith im XVIII. Jahrhundert, er wollte die Ökonomie entpolitisieren. Schumpeter erhob aber auch den Anspruch, er könne (durch seine Theorie) die auf „rationalem und abgestimmtem“ Handeln der Individuen beruhenden, immanenten „Gesetze“ (der beiden anderen Schulen) ersetzen.

Die drei Schulen gehen von nicht miteinander zu vereinbarenden, inkompatiblen Rahmenbedingungen aus. Wenn man z.B. von den Walras-Pareto-Modellhypothesen her argumentiert, wie das Kenneth Arrow und Gérard Debreu tun, zwei Begründern der neoklassischen Schule in den 1940-er und 1950-er Jahren, dann kann man weder den theoretischen Konkurrenz-Ansatz der österreichischen Schule noch den Konkurrenz-Ansatz eines Joseph Schumpeter akzeptieren. Auch die umgekehrten Fälle treffen zu. Wer z.B. im Rahmen der Hypothesen des Hayekschen Modells argumentiert, muss jeden Bezug zur Gleichgewichtstheorie (Léon Walras’) ablehnen. Die drei Konkurrenz-Theorien können sich von ihren Ansprüchen und Inhalten her nicht kumulieren, im Gegenteil, sie heben sich gegenseitig auf.

Ein anderer „Totschläger“ (im Hinblick auf ihre Verifizierbarkeit) sind die den Modellen zugrunde liegenden Hypothesen. Die Hypothese vollständiger und umfassender Information aller Wirtschaftssubjekte als Voraussetzung eines allgemeinen Gleichgewichts ist absurd, außer man hält alle Wirtschaftssubjekte für rundum allwissend. Diese Hypothese ist im Übrigen (für die Stimmigkeit dieser Modelle und Theorien) genauso wichtig. Sobald man irgendwelche Unvollständigkeiten und Asymmetrien im Informationsstand der Wirtschaftssubjekte annimmt, sind die Märkte nicht mehr stabil und Konkurrenz wirkt destabilisierend, eine direkte öffentliche Intervention wird erforderlich – das ist bekannt und das wissen Theoretiker schon lange.

Andere notwendige Hypothesen erweisen sich als genauso unhaltbar. Das Modell von Arrow und Debreu setzt etwa voraus, dass die Präferenzen der Wirtschaftssubjekte unabhängig von ihrem persönlichen Kontext und ihrer persönlicher Situation sind. Wenn man das Gut A dem Gut B vorzieht und das Gut B dem Gut C, so wird angenommen dies sei bei allen möglichen Konstellationen so und unsere Reaktionen könnten niemals anders sein.

Hayeks Selektionsprozess impliziert, dass die angenommenen Präferenzen auf Dauer gleich sind. Damit dann tatsächlich Selektion stattfinden kann, müssen persönliche Erfahrungen vollständig miteinander vergleichbar sein und wir können unsere Präferenzen nicht etwa aufgrund zweier unterschiedlicher Erfahrungswerte ändern. Außerdem müssen darüber hinaus die Erfahrungen der Individuen zu identischen Erinnerungen führen, egal ob die Erfahrungen weit zurück liegen oder jüngst gemacht wurden. Mathematisch gesagt reagieren wir bei Hayek alle auf unsere Erfahrungen mit einem durchschnittlichen Mittelwert und nicht etwa mit außergewöhnlich intensiven Erfahrungsspitzen.

Das Schumpeter-Modell geht davon aus, dass die von Innovationen ausgelösten Schocks keinen Einfluss auf die Struktur unserer Präferenzen als Wirtschaftssubjekte haben. Wir ziehen Gewinn der Sicherheit vor oder umgekehrt. Unser Bezug zu möglichen Graden der Bedürfnisbefriedigung ändert sich nicht, auch dann nicht, wenn das Sortiment innovativ-neuer Produkte vollständig anders ist als das schon vorher vorhandene Sortiment.

In den 1970-er Jahren wurden alle diese individuellen Verhaltens-Hypothesen wissenschaftlich überprüft. Die … Resultate dieser unter wissenschaftlichen Bedingungen vorgenommenen Verifizierungen… widerlegen bzw. zerstören praktisch alle Hypothesen des neoklassischen Modells (Stabilität der Präferenzen und der Strategien), aber auch des Hayekschen und des Schumpeterschen Modells.

Tatsächlich werden unsere Präferenzen vom Kontext unserer Optionsmöglichkeiten (framing effect) oder von unserem persönlichen Reichtum (unserer materiellen Lage) bestimmt (endowment effect). Unser kognitives System reagiert eher auf intensive Erfahrungsspitzen als auf progressiv-gleichmäßige Entwicklungen und das Auftauchen neuer Erfahrungselemente zieht permanent auch eine Neuausrichtung unserer Optionsmodelle nach sich.

Die Verweigerungsstrategie mancher Ökonomen

Die massive (wissenschaftliche) Widerlegung bzw. Unhaltbarkeit der Modelle, die von der Annahme der Voraussehbarkeit des (rationalen) Handelns der Wirtschaftssubjekte ausgehen, egal in welchem Kontext oder in welcher Situation sich das Individuum befindet, ist für die Sozialwissenschaften sicherlich eine der bedeutendsten Errungenschaften der letzten 30 Jahre. Man muss aber (leider) feststellen, dass die meisten Ökonomen (heutzutage) die Strategie verfolgen, diese Ergebnisse einfach zu ignorieren, weil sie ihre Modellwelt nicht radikal in Frage stellen wollen. Indem sie das tun, zeigen sie, dass sie für sich nicht den Anspruch erheben, Wissenschaftler zu sein. Es stellte sich (nach wissenschaftlicher Überprüfung) heraus, dass die fundamentale Rolle der Konkurrenz für die Organisation des Wirtschaftslebens nicht einfach eine Hypothese, sondern eine Art religiöser Glaubenshaltung ist.

Die (neoliberal ausgerichtete) Ökonomie fällt von ihrem wissenschaftlichen Anspruch her zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts auf den Stand am Ende des VIII. Jahrhunderts zurück.

Ein legitimes wissenschaftliches Projekt – die Untersuchung der Vorgänge von Produktion, Tausch und Konsumtion in menschlichen Gesellschaften – wurde (von den Neoliberalen) aus rein ideologischen Gründen auf ein falsches Geleise gelenkt. Man könnte noch anfügen, dass angesichts des Skandals der Privatisierung der russischen Volkswirtschaft oder der Enron-, WorldCom- und Parmalat-Affären uns die Zielsetzungen (heutiger Ökonomen) auf ganze andere Weise eben nicht so vornehm erscheinen können wie die eines Hume, Mandeville oder Smith (im absolutistisch geprägten XVIII. Jahrhundert).

Wenn heute manche Ökonomen ihr wissenschaftliches Fach dem Mammon der Macht oder einem (ganz bestimmten) kurzfristigen Mammon opfern/preisgeben, machen sie sich moralisch doppelt schuldig:

Erstens versündigen sie sich an der Demokratie, wenn sie versuchen, einen Mythos mit katastrophalen sozialen Folgen als wissenschaftliche Wahrheit bzw. als von niemand in Frage zu stellende Evidenz zu verkaufen. Zweitens verstoßen sie gegen den Grundsatz fortschreitender wissenschaftlicher Erkenntnis auf der Basis von Forschungsergebnissen und diskreditieren damit die Legitimität einer wirklich wissenschaftlichen ökonomischen Forschung.

Von Sapir angegebene Literatur:

  1. Bruce J.Caldwell „Economic methodlogy: Rationale, foundations, prospects“, in Mäki/Gustafsson/Knudsen, “Rationality, Institutions & Economic Methodology”; Routledge, London und New York 1993
  2. Daniel M.Hausman “The Inexact and Separate Science of Economics”, Cambridge University Press, Cambridge (GB) 1994
  3. Frédéric Lordon “Et les lendemains n’ont pas chanté… », Le Monde diplomatique, Mai 2005
  4. J.-C. Perrot „Une histoire intellectuelle de l’économie politique (XVII. Bis XVIII. Jhd.), EHESS, Paris 1992
  5. David Hume, « Discours politiques », Übersetzung aus dem Englischen, Amsterdam 1754
  6. „Les Trous noirs de la science économique », Angabe ohne Autor, Albin Michel, Paris 2000
  7. Jacques Généreux « Les Vraies Lois de l’économie », Seuil, Paris 2002
  8. Sandford J. Grossmann und Joseph Stiglitz « On the impossiblity of informationally efficient markets » in « American Economic Review, Pittsburgh, Band 44/2, 1980
  9. Daniel Kahneman “New challenges to the rationality assumption” und Amos Tversky “Rational theory and constructive choice”, in Kenneth J. Arrow, Enrico Colombatto, M. Perlman und Christian Schmidt “The Rational Foundations of Economic Behavoir”, Saint Martin’s Press, New York 1996
  10. Hazel Henderson “Prix Nobel d’économie, l’imposture », Le Monde diplomatique vom Februar 2005
  11. Nina Bachkatov « Le Kremlin contre les oligarques », Le Monde diplomatique vom Dezember 2003
  12. Tom Frank « Enron aux mille et une escroqueries », Le Monde diplomatique vom Februar 2002.

II.

Was ist Wettbewerb?
Von Heiner Flassbeck
WuM, Juni 2006
Quelle: www.flassbeck.de [PDF – 48 KB]

III.

Anmerkung Wolfgang Lieb:

Zur Übertragung des Wettbewerbsprinzips auf Staat und Gesellschaft erlaube ich mir einen ergänzenden Hinweis:

Nichts gegen Wettbewerb, weder im Sport und schon gar nichts gegen den Wettbewerb zwischen Betrieben und ihren jeweiligen Produkten auf dem Markt. Der Wettbewerb hat zwischen den Marktteilnehmern eine unersetzbare steuernde Funktion. Das Wettbewerbsprinzip jedoch immer mehr auf die Gesellschaft und den Staat zu übertragen, birgt riesige Gefahren für den Zusammenhalt des politischen Gemeinwesens und für die Demokratie insgesamt.

Dazu braucht man sich nur einmal kurz auf die Prinzipien oder Motive zu besinnen, die hinter einer wettbewerbsgesteuerten im Unterschied oder sogar Gegensatz zu einer demokratischen (politischen) Gesellschaft stehen.
Man wird wohl kaum bestreiten können, dass hinter dem Wettbewerb das Motiv des Eigennutzes steht, während die demokratische Gesellschaft für das Gemeinnützige oder sogar für das Solidarische steht. Wettbewerb richtet sich gegen den anderen Wettbewerber und ist diesem gegenüber tendenziell destruktiv, während die demokratische Gesellschaft und immer auch das Ganze im Auge haben sollte und von daher eher konstruktiv ist. Die Mitglieder der Gesellschaft sind auch füreinander da oder zumindest aufeinander angewiesen.
Wettbewerb lebt von der Konkurrenz, ein demokratisches Gemeinwesen aber auch von der Kooperation. Wettbewerb misst sich am Anderen. Triebkräfte sind also eher extrinsische Motive. Ein demokratisches Gemeinwesen lebt aber auch von der intrinsischen Motivation seiner Bürger, einer Motivation die auch Anreizen folgt, die jenseits der ökonomischen liegen und auch inneren, wertbezogenen Antrieben Raum gibt.
Wettbewerb schielt auf den kurzfristigen Erfolg. Ein Staat muss auch die längerfristigen Interessen der Gesamtbevölkerung im Auge haben.
Der Wettbewerb schafft äußere, fremdbestimmte Zwänge, Demokratie macht aber Selbstbestimmung oder wenigstens Mitbestimmung aus.
Es wird doch geradezu als Kult gepflegt, dass im einzelwirtschaftlichen Wettbewerb immer auch autoritäre Entscheidungen der „Unternehmensführer“ verlangt und erwartet werden, die Gesellschaft, der Staat oder die Länder untereinander, sind jedoch keine einzelwirtschaftlich agierende Unternehmen mit einem Unternehmer oder Managern an der Spitze, sondern sie sind jedenfalls nach unserer Verfassung demokratisch konstituiert. Wettbewerb hält Ungleichheit aus, ja braucht sie geradezu als Antriebskraft, eine Gesellschaft bricht jedoch auseinander, wenn zuviel Ungleichheit herrscht.
Wettbewerb ist gewinnorientiert, eine offene demokratische Gesellschaft, die ihre Zukunft gestalten will, verlangt jedoch gerade mehr Spielraum für das Neue, das Unsichere, das sich nicht sofort und kalkulierbar in Profit Niederschlagende – man denke doch nur an Bildung und Forschung.
Wettbewerb mag zu einzelwirtschaftlicher Effizienz führen, die volkswirtschaftliche Effizienz misst sich aber auch am Allgemeinwohl und am allgemeinen Wohlstand und dafür bedarf es zumindest auch wertender Rahmensetzungen – z.B. der Prinzipien des Sozialstaats.

Um es noch einmal zu sagen: Es geht hier nicht um eine radikale Kritik am Wettbewerb oder gar dessen Ablehnung, dort wo er seinen Sinn und seinen Platz hat. Wenn der Wettbewerbsgedanke jedoch zum herrschenden Funktionsprinzip für Staat und Gesellschaft wird, dann gerät die demokratische Substanz in Gefahr.
Eine demokratische Gesellschaft braucht zwar auch den Wettbewerb als ein wichtiges Regulativ der Wirtschaft, aber die historische Erfahrung zeigt, dass umgekehrt Wettbewerb durchaus auch ohne Demokratie auskommt. Für die Geltung von Wettbewerbsprinzipien ist die Demokratie vielleicht hilfreich, aber keineswegs konstituierend. Es ist ja schließlich kein Zufall, dass in den faschistischen Diktaturen von Hitler bis Franco, von der griechischen über die portugiesische bis zur chilenischen Militärdiktatur der kapitalistische Wettbewerb weitgehend unangetastet blieb und selbst die imperialistische Kriegswirtschaft im Nazi-Deutschland kannte zumindest noch einen oligopolistischen Wettbewerb.

Quelle: NachDenkSeiten vom 20.12.2005