Zustimmung der Länder zum Fiskalpakt – Schmierentheater zweiter Akt
Nachdem der Bundesrat schon im Mai seine grundsätzliche Zustimmung zum Fiskalpakt signalisiert hatte [PDF – 117 KB], war es nicht mehr überraschend, dass es bei den Bund-Länder-Verhandlungen im Kanzleramt nicht mehr darum ging, ob eine der weitreichendsten vertraglichen Bindungen für Bund, Länder und Gemeinden sinnvoll oder ob er schädlich ist, sondern nur noch um den Preis, den die Bundesregierung für den von ihr in Europa vorangetriebenen Pakt an die Länder zu bezahlen bereit ist.
Wer bei einer Verhandlung seinem Verhandlungspartner in der Sache schon zugestimmt hat, kann natürlich keine harten Bedingungen mehr stellen, dementsprechend billig ließen sich die Länder durch die Bundesregierung auch abspeisen. Das Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlungen vom Sonntag lässt sich so zusammenfassen: Wir (die Länder) zahlen jetzt in bar (nämlich mit der Zustimmung zum Fiskalpakt), ob und in welchem Umfang (vom Bund) geliefert wird, das wird irgendwann später ausgehandelt und wer dann Verhandlungspartner sein wird, das werden die Bundestagswahlen zeigen. Von Wolfgang Lieb.
Obwohl der von Kanzlerin Merkel durchgesetzte Fiskalpakt die nationale „Schuldenbremse“ noch mehr anzieht und die Länder ihre Neuverschuldung schneller herunterbremsen müssen als dies das 2009 geänderte Grundgesetz vorschreibt und obwohl die Länder – angesichts der ausdrücklichen Einbeziehung der kommunalen Verschuldung in die künftige Defizitobergrenze – darüber hinaus für die chronisch überschuldeten Kommunen haften müssen, ging es bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über deren Zustimmung im Bundesrat mit keinem Wort um die Kernfrage, ob die Länder und vor allem, ob auch die Kommunen künftig überhaupt noch investieren und ob sie ihre sozialen und daseinsvorsorgerischen Leistungen noch erfüllen können. Auch die Länder hängen dem unhinterfragten Irrglauben an, dass eine vorgeschriebene Spar-Absicht auch zum Spar-Erfolg führe, statt zu erkennen, dass das Abbremsen von Verschuldung mitten in einer Krise die Wirtschaftsdynamik nur noch weiter abbremst und damit zu Steuerrückgängen bei gleichzeitig steigenden sozialen Leistungen und damit zu noch mehr Schulden führt. (Siehe die Spirale nach unten in Griechenland oder Spanien).
Wie die Kommunen künftig ihre Straßen und Schulen sanieren sollen und wie sie die künftigen Sozialleistungen finanzieren sollen, dazu blieb es am Sonntag bei vagen Absichtserklärungen. Der sonst so großsprecherische bayerische Ministerpräsident Seehofer gab sich schon damit zufrieden, dass die Bundesregierung „die finanziellen Belastungen der Länder durch den Fiskalpakt verstanden und akzeptiert“ habe.
Die Länder verhandelten nach der Devise: das Hemd ist mir näher als der Rock.
Sie gaben sich z.B. mit der Erklärung der Regierung zufrieden, dass durch die noch ausstehenden Konkretisierungen der Vorgaben des Fiskalpakts durch die Europäische Kommission keine über die nationale „Schuldenbremse“ hinausgehenden Anforderungen an die Länder begründet werden würden.
Schaut man ins Kleingedruckte so ist auch dieser vom Bund zugesagte Schutzzaun für die Länder ziemlich löcherig. Jeder Vertragsstaat darf ja nach dem Fiskalpakt nur mehr ein strukturelles (konjunkturbereinigtes) Defizit von maximal 0,5% des BIP aufweisen. (Siehe zum Problem, dass mit der Festsetzung des sog. „strukturellen Defizits“ die EU-Kommission den fiskalpolitischen Spielraum der Mitgliedsstaaten bestimmt, Stephan Schulmeister [PDF – 191 KB])
Wie dieses „Defizitkriterium“ innerstaatlich umgesetzt werden soll, sei aber noch zu konkretisieren, heißt es in der Verlautbarung der Bundesregierung. Auch hier werden die Länder also auf künftige Verhandlungen vertröstet. Und was nützen den Ländern großspurige Versprechen, dass ihre Haushaltsautonomie garantiert bleibt, wenn ihnen ausschließlich die „Autonomie“ bleibt, zu entscheiden, wo sie weiter in ihre Haushalte einschneiden müssen.
Denn die Einhaltung der gesamtstaatlichen Defizitobergrenze soll ja künftig eine „Stabilitätsrat“ überwachen und damit dieser „Stabilitätsrat“ sich auch gegenüber den Ländern durchsetzen kann, soll doch wohl gerade das sog. „Stabilitätsratsgesetz“ demnächst geändert werden. Dabei kann dann wieder einkassiert werden, was jetzt den Ländern vermeintlich generös versprochen wurde.
Die Länder ließen sich wohl davon blenden, dass der Bund bis 2019 das Risiko etwaiger Sanktionszahlungen bei einem Verstoß gegen den Fiskalpakt übernehmen will. (Künftig sind ja bei einem Verstoß gegen diesen völkerrechtlich bindenden Vertrag automatisch Strafzahlungen bis zu 0,1 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung eines Staates, für Deutschland also bis zu etwa 2,5 Milliarden Euro möglich.) Warum gilt aber diese Haftungsfreistellung nur bis 2019 und nicht bis 2020, dem Zeitpunkt also, zu dem die Länder die Vorgaben der nationalen „Schuldenbremse“ erfüllt haben müssen? Ist damit nicht ein zusätzlicher, von Europa kommender Zwang eingebaut, dass die Länder (umso mehr) Strafe zahlen müssen, wenn sie die Vorgaben bis 2020 nicht erfüllen können sollten?
Was die Entlastung der Länder anbetrifft, stellt die Bundesregierung den Ländern nur mehr oder weniger ungedeckte und zeitlich unbestimmte Wechsel in die Zukunft aus.
Die von den Ländervertretern hochgelobte Zusage des Bundes, zusätzlich 580 Millionen für den Ausbau von Kinderkrippen und 75 Millionen jährlich zum laufenden Betrieb beisteuern zu wollen, steht noch nicht einmal im veröffentlichten Eckpunktepapier der Bundesregierung.
Angesichts von noch 15 verbleibenden Monaten bis zum Inkrafttreten eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Geburtsjahr müssten noch ca. 262.000 zusätzliche Plätze in Tageseinrichtungen und/oder Tagespflege geschaffen werden. Das sind mehr, als in den letzten fünf Jahren zusammen ausgebaut wurden. (Bildungsbericht S. 65 [PDF – 1.1 MB]). Die angeblich versprochenen zusätzlichen 580 Millionen Euro reichen aber maximal für 30.000 zusätzliche Kita-Plätze und die 75 Millionen Euro Betriebskostenzuschüsse sind angesichts der Ausgaben der Länder (2010) für Kindertageseinrichtungen in Höhe von 8,3 Milliarden Euro (siehe Exzell-Tabelle im Bildungsbericht) wirklich nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Betrachtet man dagegen die geschätzten Kosten für die Einführung des sog. Betreuungsgeld von jährlich 2,2 Milliarden Euro kann man getrost von einem Ablenkungsmanöver von der unsinnigen Einführung der sog. „Herdprämie“ sprechen.
Als großen Erfolg feiert etwa Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Hasseloff (DCU), die angebliche Zusage von 4 Milliarden Euro, mit denen sich der Bund an den Eingliederungshilfen für Behinderte beteiligen soll, die bei den Ländern und Kommunen mit insgesamt 12 Milliarden anfallen. Doch tatsächlich gibt es von Seiten der Bundesregierung nur die vage Vertröstung, dass in der nächsten Legislaturperiode (wer dann auch immer regieren wird) ein neues Bundesleistungsgesetz erarbeitet werden soll, das die Länder bei der Eingliederungshilfe für Behinderte – eigentlich insgesamt eine gesamtstaatliche Aufgabe – entlasten soll. Diese Zusage der Bundesregierung – sollte sie denn überhaupt gegeben worden sein – ist eine reine Luftbuchung, denn daran sind das dann neu gewählte Parlament und möglicherweise eine andere Regierung in keiner Weise gebunden. (Diskontinuitätsgrundsatz: Mit dem Ablauf einer Wahlperiode werden alle Zusagen aus der vorigen gegenstandslos.) Der FDP-Generalsekretär Patrick Döring, hat ein solches Zugeständnis schon jetzt ausdrücklich bestritten: Beschlossen seien nur Zahlungen des Bundes von etwa 600 Millionen Euro für den Ausbau der Kindertagesstätten sowie von rund 500 Millionen Euro für die Grundsicherung im Alter. „Weitere Zusagen hat es nicht gegeben.“.
Dass der Bund sich an der von den Kommunen zu tragenden sozialen Grundsicherung im Alter zunächst mit 555 Millionen und später mit 700 Millionen beteiligen soll, ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Schließlich ist Altersarmut im Wesentlichen durch den Rentenabbau und durch die Arbeitsmarkt- und Lohnsenkungspolitik (Ausweitung des Niedriglohnsektors und Hartz IV) des Bundes verursacht. Die steigenden Lasten der Kommunen für die soziale Grundsicherung sind ein typisches Beispiel dafür, wie die Lasten einer verfehlten Politik des Bundes auf die untere Ebene verlagert wurden. (Verstoß gegen das Konnexitätsprinzip, wonach die Kosten für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, von der Ebene zu tragen sind, die die Kosten verursacht: „Wer bestellt, bezahlt.“)
Gleichfalls nur eine Absichtserklärung für das kommende Wahljahr ist die Bereitschaft des Bundes zusammen mit den Ländern die Voraussetzungen für eine gemeinsame Kreditaufnahme („Huckepackverfahren“) zu schaffen, damit die Länder genauso günstige Zinskonditionen erlangen können, wie sie derzeit für Bundesanleihen bestehen. (Die Rendite für Bundesanleihen liegt derzeit teilweise sogar im Minus.) Doch was Merkel auf europäischer Ebene Recht ist, kann ihr in Deutschland nur billig sein, d.h. es wird keine „Deutschland-Bonds“ geben, es sei denn der Bund hätte ein fiskalpolitisches Durchgriffsrecht auf die Länder. Wie ein solches „Intelligentes Schuldenmanagement“ aussehen soll, steht also weitgehend in den Sternen und die Länderfinanzminister sollten sich dabei nicht schon jetzt die Hände reiben, über durchaus denkbare Zinsentlastungen. (Die Frage ist allerdings berechtigt: Warum sollten die Länder auch höhere Zinsen bezahlen müssen, als der Bund?)
Mit dem Fiskalpakt wirklich überhaupt nichts zu tun, hatte die Forderung der Bayern, der Bund möge den Verkehrsetat um 1,5 Milliarden Euro aufstocken. Da waren eher Engpässe bei der Finanzierung bayerischer Verkehrsprojekte der Vater des Gedankens. Dementsprechend dürftig waren auch die Zusagen des Bundes: „Bund und Länder stimmen darin überein, dass eine Entscheidung über die Höhe der vom Bund für den Zeitraum 2014 – 2019 zur Aufgabenerfüllung der Länder zu zahlenden Kompensationen nach Artikel 143c GG („Entflechtungsmittel“, z.B. zur Verbesserung der kommunalen Verkehrsverhältnisse) im Herbst dieses Jahres erfolgt“, heißt es verschlüsselt in den Eckpunkten der Bundesregierung.
Gemessen an den Kosten von Stuttgart 21 von derzeit optimistisch geschätzten weit über 4 Milliarden, dürfte die Zugeständnisse des Bundes gegenüber den Ländern und Kommunen auf diesem Feld allenfalls Peanuts darstellen.
Wie billig sich die Länder ihre Zustimmung zum Fiskalpakt vom Bund abkaufen ließen, mag man auch schon daran erkennen, dass Finanzminister Schäuble keinerlei Abweichungen am Etat des Bundeshaushalts für 2013 zulassen will und die mit den Ländern ausgehandelten möglichen Zusatzbelastungen durch Verschiebungen innerhalb des Haushalts ausgleichen will. Ob die Deckungsvorschläge dann zu Lasten der Länder an anderer Stelle gehen, wird man erst noch abwarten müssen. Ein Null-Summen-Spiel für die Länder dürfte aber die wahrscheinlichste Lösung sein.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck hat völlig Recht, wenn er sagt: “In ganz entscheidenden Punkten haben wir zwar Verhandlungsbereitschaft erreicht, aber in keiner Weise irgendwelche konkreten Zusagen.“
Dennoch will Beck den SPD-Ländern im Bundesrat die Zustimmung zum Fiskalpakt empfehlen.
Warum er eine solche Empfehlung aussprechen will, lässt sich nur aus dem ersten Akt des politischen Schmierentheaters um den Fiskalpakt erklären, nämlich damit, dass Beck parteipolitisch gar nicht anders kann, weil seine Parteifreunde in Berlin schon dem Systemwechsel von einem sozialstaatlichen Europa hin zu einem Kontinent, in dem die Demokratie nur noch um das „Vertrauen der Märkte“ zu buhlen hat, schon längst zugestimmt hatten.
Schade, dass auf dem Sonderparteitag der Grünen, den Gegnern einer Zustimmung zum Fiskalpakt drei Stimmen fehlten. Vielleicht hätte es dann wenigstens noch eine kontroverse öffentliche Debatte gegeben. So bleibt nur noch die kleine Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht.