Profite mit der Krise (I)
Sie glauben, dass sinkende Kurse an den Börsen immer zu Verlusten führen? Sie glauben, der Handel mit Staatsanleihen sei eine konservative Sache, die vor allem der Altersvorsorge dient? Sie glauben, dass politische Entscheidungen einen direkten Einfluss auf die Zinsen der Staatsanleihen haben? Dann glauben Sie sicher auch, dass die Akteure auf den Finanzmärkten nicht gegen Staaten spekulieren und es nicht möglich ist, Profit aus der Eurokrise zu schlagen. Doch da irren Sie sich gewaltig. Von Jens Berger
In der Öffentlichkeit genießen Staatsanleihen immer noch den Ruf einer konservativen, risikoscheuen Finanzanlage. Lebensversicherungen, Pensionsfonds und Riester-Produkte sind gesetzlich verpflichtet, einen Großteil ihrer Kundeneinlagen in Staatsanleihen aus dem Euroraum zu investieren, die von den Ratingagenturen eine Bestnote bekommen haben. Und wer erinnert sich nicht an die drollige Schildkröte Günter Schild, mit der deutsche Staatsanleihen als hoch seriöses, bisweilen langweiliges, Finanzprodukt beworben wurden. Noch immer spukt in den meisten Köpfen die Vorstellung, eine Bundesanleihe würde gleich bei der Emission von einem soliden Investor erworben und am Ende der Laufzeit eingelöst. Doch die Zeiten haben sich geändert.
Weltweit gehören die Staaten zu den größten Kreditnehmern und damit auch zu den größten Emittenten (Herausgebern) von Anleihen. Für Spekulanten hat der „echte“ Markt für Staatsanleihen jedoch einen entscheidenden Schönheitsfehler – er ist nicht sonderlich volatil, das heißt, die Kurse sind vergleichsweise stabil und bewegen sich nur langsam. Der Kurs der 10-jährigen Bundesanleihe 04/14 mit einem Kupon von 4,25% hat sich beispielsweise in den letzten drei Monaten um gerade einmal um 0,6% bewegt.
Für eine Erklärung der Fachbegriffe und eine Einführung ins Thema „Handel mit Staatsanleihen“ siehe: Ergänzungen und Erklärungen zum Artikel »Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte«
Renditen in dieser Größenordnung entsprechen dem Image der mündelsicheren Bundesanleihen und sind eher vergleichbar mit dem guten, alten Sparbuch. Für Spekulanten ist es – unter normalen Bedingungen – uninteressant, sich solche Papiere ins Portfolio zu nehmen. Die klassische Bundesanleihe hat für Spekulanten vor allem den Nachteil, dass man mit ihr nur auf steigende Kurse, also sinkende Zinsen, wetten kann. Dies entspricht ja auch dem gesunden Menschenverstand. Wer beispielsweise ein altes Gemälde kauft, spekuliert ja auch nicht darauf, dass es an Wert verliert. Auch wer ganz normale eine Anleihe kauft, hofft in der Regel darauf, dass dieses Papier an Wert gewinnt. Mit „normalen“ Geschäften hat das moderne Finanzsystem jedoch nichts mehr gemein.
Im Investmentbanking wird generell auf fallenden und auf steigende Kurse gewettet. Die klassische Möglichkeit, von sinkenden Kursen zu profitieren, ist dabei der Leerverkauf. Bei einem Leerverkauf leiht man sich ein Papier, das man sofort verkauft und macht mit dem Verleiher – gegen Gebühr – eine Frist aus, an der man ihm das Papier spätestens zurückgeben muss. Sinkt der Kurs, kann man es zu einem günstigeren Preis erwerben, dem Verleiher zurückgeben und hat Gewinn gemacht. Seit Juli 2010 ist der Leerverkauf von europäischen Staatsanleihen jedoch in Deutschland verboten. Wer dennoch auf diese Art und Weise gegen europäische Staatsanleihen wetten will, kann dies freilich an jedem anderen Finanzplatz der Welt immer noch tun.
Der klassische Leerverkauf ist jedoch – unter normalen Umständen – ebenfalls nicht sonderlich volatil und für die Spekulanten daher zu langweilig. Wer das Risiko sucht, greift eher zu einem Zinsderivat wie dem Euro-Bund-Future. Dieses Papier ist eine synthetische Bundesanleihe – ein Termingeschäft bei dem in beide Richtungen spekuliert werden kann. Wer den Future kauft, spekuliert auf sinkende Zinsen und steigende Kurse, wer in verkauft, spekuliert auf steigende Zinsen und fallende Kurse. Am Ende der Laufzeit muss sich der Verkäufer (wie bei einem Leerverkauf) reale Bundesanleihen im Nennwert des Future-Kontrakts besorgen. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt der an den Börsen notierte Kurs für deutsche Staatsanleihen gesunken – und damit der Zins gestiegen – sein, geht sein Geschäft auf. Auf diese Art und Weise hat die Finanzwirtschaft völlig legal das Leerverkaufsverbot für europäische Staatsanleihen ausgehebelt. Selbstverständlich ist der Politik diese Umgehung bekannt. Der Euro-Bund-Future wird an der Eurex gehandelt, der weltgrößten Terminbörse für Finanzderivate, die zur Hälfte der Deutschen Börse AG gehört und massiv politisch protegiert wurde und wird.
Der große Vorteil für Spekulanten ist, dass man mit dem Euro-Bund-Future mit relativ kleinem Einsatz gigantische Geldmengen bewegen und so überproportional von den schwankenden Kursen für Staatsanleihen profitieren kann. Der Nennwert eines solchen Kontrakts beträgt 100.000 Euro, den Handelsplattformen reicht es in der Regel jedoch, wenn die Spekulanten lediglich 0,01% des Nennwertes direkt hinterlegen. Wie viel Geld nachgeschossen werden muss, regelt vor allem der Kursverlauf. Verluste werden 1:1 von einem sogenannten Margin-Konto abgezogen. Erst wenn dieses Konto nicht mehr gedeckt ist, verfällt der Kontrakt. Wer also Glück hat, kann bei diesem Spiel sagenhafte Gewinne machen, da der Einsatz prinzipiell nahezu unbegrenzt gehebelt werden kann. Ein Hebel ist diesem Kontext ein Multiplikator, der angibt, in welchem Verhältnis sich die Kursänderungen auf die eigene Wette auswirken. Beim klassischen Anleihenhandel auf eigene Rechnung beträgt der Hebel immer 1:1 – geht der Kurs um 2% in die Höhe, hat der Spekulant 2% gewonnen. Ein Hebel von 10:1 heißt, dass Kursgewinne und –verluste sich mit dem Faktor 10 auf den eigenen Einsatz auswirken. Statt 2% gewinnt oder verliert der Spekulant dann 20% auf seinen Einsatz.
Momentan sind mehr als 2,3 Millionen Kontrakte, die sich direkt auf Futures von deutschen Staatsanleihen beziehen, im Markt – bei einem Nennwert von 100.000 Euro je Kontrakt beziehen sich diese Kontrakte auf deutsche Staatsanleihen im Gegenwert von 230 Milliarden Euro. Der Markt für deutsche Staatsanleihen unterscheidet sich in diesem Punkt kaum vom Öl- oder vom Getreidemarkt. An den Terminmärkten wird gezockt, was das Zeug hält und die Marktpreise für die den Derivaten zugrundeliegenden „Waren“ (Öl, Getreide, Staatsanleihen) werden durch die Terminmärkte massiv beeinflusst.
Für eine Erklärung der Fachbegriffe und eine Einführung ins Thema „Zertifikate“ siehe: Aus dem Leben eines Taugenichts
Für den Kleinanleger ist der direkte Weg zum Euro-Bund-Future-Markt jedoch verbaut. In der Belle Etage des Finanzkasinos will man lieber unter sich bleiben. Doch auch Kleinanleger können auf Teufel komm raus auf Staatsanleihen wetten. Täglich legen die Banken ein neues „innovatives Finanzprodukt“ auf, mit dem jeder, egal ob Hedge-Fonds oder Tante Erna, im Finanzkasino seinen Einsatz machen kann. Wer auf fallende Kurse bei den Bundesanleihen wetten will, greift beispielsweise zu einem Bund-Future-Mini-Short-Zertifikat, wer auf steigende Kurse wetten will, nimmt stattdessen das Bund-Future-Mini-Long-Zertifikat. Für Spekulanten besonders interessant ist hierbei, dass diese Zertifikate mit unterschiedlichen Hebeln angeboten werden. Wer beispielsweise ein Zertifikat mit einem Hebel von 1:50 erwirbt, gewinnt bei einer Kursbewegung von 2% in die „richtige“ Richtung 100% (2% (Kursbewegung) * 50 (Hebel)) auf seinen Einsatz. Geht der Kurs in die „falsche“ Richtung, ist das Papier bereits bei geringen Schwankungen wertlos, da es dann zum sogenannten Knock-Out kommt. Dies geschieht freilich weniger zum Schutz des Spekulanten, sondern mehr zum Schutz der Bank. Gäbe es keinen Knock-Out müsste der Spekulant in diesem Falle Geld nachschießen und das könnte bei höheren Hebeln sehr teuer werden. Anbieter und Handelsplattformen müssten sich in diesem Fall von der Solvenz aller Spieler überzeugen und den Spielern ggf. zu riskante Wetten verbieten. Dies wäre zweifelsohne ein Handelshemmnis.
Gewinner beim Spiel mit Zertifikaten in jedem Fall die ausstellende Bank. Sie nimmt die Rolle ein, die ein Buchmacher im Wettgeschäft einnimmt und vermittelt streng genommen nur interessierte Spieler, die gegeneinander wetten. Und dieses Geschäft ist sehr lukrativ. Der Online-Broker Onvista hat mehr als 2.000 verschiedene Zertifikate im Angebot, die sich auf den Euro-Bund-Future beziehen. Einer der Marktführer ist auch hier die Deutsche Bank, die ihren Kunden über die konzerneigene Plattform db-X markets eine schier unüberschaubare Fülle von Zertifikaten anbietet. Der Vater von db-X-markets ist übrigens niemand anderes als der heutige Vorstandsvorsitzende Anshu Jain. Natürlich wird mit Zertifikaten nicht nur auf den Kurs von Staatsanleihen gewettet. Die zentrale Handelsplattform Scoach listet insgesamt mehr als eine Million verschiedene Zertifikate, mit denen man auf so ziemlich jede Kursbewegung bei jedem nur denkbaren Papier wetten kann.
Bei der großen Spekulation gegen Staatsanleihen geht es natürlich nicht nur um deutsche Staatsanleihen. Bei db-X-markets kann man auch mit solchen Zertifikaten für oder gegen italienische Staatsanleihen zocken. Wer diese Hintergrundinformationen hat, wertet vielleicht auch die alltäglichen Nachrichten anders. So meldeten die Medien beispielsweise am 12. Juni, dass der politische Druck auf Italien zu steigenden Zinsen bei italienischen Staatsanleihen geführt hat. In der Tat – wer eine Woche zuvor mit einem 46-fach gehebelten Turbo-Optionsschein gegen Italien gewettet hat, konnte binnen einer Woche seinen Einsatz vervierfachen!
Man muss schon sehr naiv sein, wenn man glaubt, dass derlei Spekulationen in Billionenhöhe keinen Einfluss auf die Politik und die Berichterstattung haben. Sämtliche große Banken und Investmentfonds sind auf diese oder jene Art und Weise Spieler im großen Spiel gegen Europa. Es ist barer Unsinn, anzunehmen, dass beispielsweise die deutschen Staatsanleihen in den letzten Tagen leicht nachgaben, weil dem Bundeshalt angeblich Risiken durch die Euro-„Rettungs“-Programme entstünden. Grund dieser Kurskorrekturen ist vielmehr die Ansage einiger großer Hedge-Fonds, gegen Deutschland wetten zu wollen. Dabei muss kein einziger Cent Hedge-Fonds-Geld geflossen sein – alleine die Botschaft reicht aus, um Milliarden Euro von Spekulanten in Wetten gegen den Staatsanleihen und den Euro zu bewegen. Und wer weiß? Vielleicht halten die genannten Hedge-Fonds in Wirklichkeit die Gegenposition, wetten auf sinkende Zinsen und suchen nur ein paar „dumme“ Geschäftspartner, die ihnen ihre Wettscheine abkaufen? Für die Medien sollte gelten, in Zukunft keine Fonds-Manager, Analysten von Bankhäusern oder ähnliche Akteure mehr zu Wort kommen zu lassen. Alle diese Personen haben handfeste Eigeninteressen und wollen mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit nur eins – den Markt zu ihren Gunsten zu bewegen. Es geht schließlich um sehr, sehr viel Geld.
Auf dem „echten“ Markt für Staatsanleihen wird der Preis, wie auf jedem anderen Markt auch, durch Angebot und Nachfrage gebildet. Es sind jedoch nicht die langfristigen, „seriösen“ Investoren, die den Preis machen. Wer beispielsweise eine Staatsanleihe im Wert von 1.000 Euro kauft und zehn Jahre, also bis zur Fälligkeit hält, sorgt an den Märkten für einen durchschnittlichen Umsatz von 100 Euro pro Jahr über die gesamte Laufzeit (1.000 Euro Handelsumsatz in 10 Jahren). Nach Informationen der deutschen Finanzagentur beträgt der Umsatz mit deutschen Staatsanleihen jährlich rund fünf Billionen Euro – das fünffache des Nominalvolumens der Anleihen im Markt. Durchschnittlich wechselt jede Anleihe also pro Jahr fünfmal den Besitzer. Wenn wir nun unterstellen, dass 90% der Bundesanleihen im Besitz „seriöser“ Käufer (Lebensversicherungen, Pensionsfonds etc.) sind, die diese Papiere meist bis zur Fälligkeit halten, entfallen 4,5 Billionen Euro Handelsvolumen auf die restlichen im Markt befindlichen Anleihen im Nominalvolumen von rund 100 Milliarden Euro. Diese Anleihen wechseln also im Schnitt rund 49mal pro Jahr den Besitzer und machen mehr als 98% des Handels aus. Der Preis bzw. Kurs einer Staatsanleihe wird demnach zu 98% von den Akteuren bestimmt, die diese Papiere nicht bis zur Fälligkeit halten, sondern damit spekulieren. Und diese Zahlen beziehen sich „nur“ auf den „echten“ Markt für Staatsanleihen. Der billionenschwere Markt für Termingeschäfte (Futures) und Zertifikate ist dabei noch nicht einmal mit eingerechnet. Dies ist auch nicht möglich, da vor allem der Zertifikatemarkt derart intransparent ist und oft abseits der ohnehin bereits kaum regulierten offiziellen Handelsplattformen stattfindet, dass man keine präzise Aussage zu den Handelsvolumina machen kann.
Wie Sie sehen, ist es töricht, zu glauben, „die Märkte“ würden bei ihren Kurskapriolen auf irgendwelche realwirtschaftlichen Vorgänge oder gar politische Absichtserklärungen „reagieren“. „Den Märkten“ ist die Haushaltslage der Staaten auch relativ egal, volkswirtschaftliche Entscheidungen sind für Spekulanten lediglich ein Signal, wohin sich der Herdentrieb der anderen Spekulanten bewegen könnte. Wenn täglich neue „Rekordzinsen“ auf spanische oder italienische Staatsanleihen „verlangt“ werden, so muss dies keinesfalls etwas mit der Haushaltslage oder der Finanz- und Wirtschaftspolitik dieser beiden Staaten zu tun haben. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Spekulanten gigantische Summen auf steigende Zinsen und damit sinkende Kurse für diese Papiere wetten und den Markt mit gehebelten Leerverkäufen in die ihnen genehme Richtung bewegen. Dabei gehen sie sogar mit Vorsatz Verluste auf dem „echten“ Markt ein, geht es ihnen doch eigentlich um den massiv gehebelten Derivatemarkt, auf dem sie ihre großen Wetten platziert haben. Die realen Märkte sind bei diesem Spiel nur das Spielfeld.
Wenn man sich diese „innovativen Finanzprodukte“ anschaut, wird man bei bestem Willen nicht zu dem Schluss kommen können, dass es sich hierbei um Investitionen handelt. Wir haben es hier mit reinen Wetten zu tun. Unter der Wertpapierkennnummer SZ12AG ist z.B. an den Börsen auch ein Papier gelistet, das sich „Meisterzertifikat Deutschland 2012“ nennt. Mit diesem Zertifikat kann der Spekulant darauf wetten, dass Deutschland Fußballeuropameister wird. Hierbei handelt es sich wohlgemerkt nicht um eine Sportwette, sondern um ein zugelassenes Finanzprodukt!
Das Finanzsystem hat sich über die letzten Jahre zu einem reinen Marktplatz für Glücksspiele und Wetten jeder Art gewandelt. Und dabei gelten für das Finanzsystem noch laschere Regulierungen als für das staatlich legalisierte Glücksspiel. Es ist für eine Gesellschaft nicht tolerierbar, dass die elementaren Fragen der Politik von Spielern gelenkt werden. Doch wir sind weit davon entfernt, dass die Politik diesem Treiben ein Ende setzt. Im Gegenteil – anstatt den Spekulanten das Handwerk zu legen, folgt man ihren Ratschlägen und hat die „marktkonforme Demokratie“ zum Leitbild erhoben.
Im zweiten Teil, der in der nächsten Woche erscheint, lesen Sie, wie es überhaupt so weit kommen konnte und warum die Politik bei der Regulierung der Finanzmärkte auf ganzer Linie versagt.