Die großen Versager und ihre Ablenkungsmanöver
In der letzten Zeit häufen sich öffentlich vorgetragene Warnungen und Klagen über die Lage in Europa, die von Personen vorgetragen werden, die für die in der Tat gefährliche Situation maßgeblich verantwortlich sind. Auf vier dieser großen Versager und ihre meist scheinheiligen und ablenkenden Verlautbarungen will ich hinweisen: auf Otmar Issing, Joschka Fischer, Jörg Asmussen und Jens Weidmann. Alle vier haben geleitet von Unwissenheit oder von Zynismus oder von Interessen wesentlich zur schwierigen Situation im Euroraum und in Europa beigetragen. Albrecht Müller.
Otmar Issing
Zur Tätigkeit des vermutlich dreistesten Versagers:
Issing war ab 1990 im Direktorium der Deutschen Bundesbank und Chefvolkswirt und in dieser Funktion z.B. mitverantwortlich für den Abbruch des Einheitsbooms unter anderem durch eine massive Erhöhung des Leitzinses; dann war er ab Juni 1998 bis zum Mai 2006, also acht Jahre lang, Mitglied des sechsköpfigen Direktoriums der Europäischen Zentralbank und verantwortlich für die Generaldirektionen „Forschung“ und „Wirtschaft“, seit 2007 ist er Berater der Investmentbank Goldman Sachs, gleichzeitig, also parallel zur Funktion des Beraters einer privaten Bank, wurde er von Merkel und Steinbrück zum Vorsitzenden einer Expertengruppe ernannt, die Vorschläge zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte machen sollte.
Issing war also in höchsten und einflussreichen Ämtern, und dies in der Zeit, als sowohl die Maastricht-Kriterien als auch der Euroraum geplant und entwickelt wurden. Er war mitverantwortlich für die Defizite dieser Planung. Einem dogmatischen Monetarismus verpflichtet hat er das Problem der Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten und damit der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Euro-Staaten nicht gesehen oder bewusst ignoriert, und dies, obwohl er von Amts wegen als Mitglied des Direktoriums der EZB für die Beobachtung und Begleitung der Entwicklung in den einzelnen Ländern zuständig war.
Und jetzt, im Juni 2012, schreibt er in der FAZ einen Artikel mit dem Titel „Schuldenkrise. Europa in Not – Deutschland in Gefahr“
Das nenne ich dreist. Hier nur ein paar Hinweise auf eine Fülle von Ungereimtheiten und dreisten Ablenkungen:
- Selbstverständlich nennt er die jetzige Krise eine Schuldenkrise.
- Als Berater von Goldman Sachs darf es aus seiner Sicht keine Banken- und schon gar keine Spekulantenkrise sein. Vorwärts verteidigend behauptet er: „der Versuch, Spekulanten oder Ratingagenturen als die Schuldigen zu identifizieren, ist längst als Ablenkungsmanöver entlarvt“. Hier spricht der Lobbyist von Goldman Sachs und damit der Lobbyist der Spekulanten.
- Issing beklagt die Misswirtschaft in anderen Ländern. Er beklagt die hemmungslose Kreditvergabe der Banken, überzogene Lohnsteigerungen und rigide Regelungen am Arbeitsmarkt der betroffenen Länder. – Ja, wenn das so ist, warum hat er dann nicht als Chefökonom der EZB davor gewarnt? Hat er in dieser zentralen Funktion geschlafen? Damit gehört er zur großen Gemeinschaft jener Verantwortlichen, die die Fehlentwicklungen und die Fehlkonstruktionen in Europa und im Euroraum nicht gesehen oder ignoriert haben. Das ist schon schlimm. Hinterher aber darüber zu jammern und anderen die Verantwortung zuzuschieben, ist unglaublich.
- Er beklagt die Verschuldung der Euro-Länder und ignoriert selbstverständlich die Tatsache, dass dies zum Beispiel bei Spanien nachweisbar nicht zutrifft. Die Staatsverschuldung ist in Spanien immer geringer gewesen als in Deutschland zum Beispiel.
- Issing pocht darauf, dass Verträge und Verpflichtungen eingehalten werden. Ja, wo blieb denn seine Intervention als Direktoriumsmitglied der EZB gegen den Bruch der Verpflichtungen auf die Maastricht-Kriterien auch durch Deutschland?
- Wirklich schrecklich an diesem Beitrag ist, dass Issing keine vernünftige Lösung für das in Not geratene Europa anbietet. Darauf wies auch Wolfgang Münchau am 13.6.2012 in SPON hin:
„Wenn der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” gegen die Bankenunion und die Fiskalunion argumentiert, verheimlicht er die Konsequenzen, die sich ergeben würden, wenn man seiner Argumentation folgt. Da er ein kluger Mann ist, nehme ich an, dass er den Zusammenbruch des Euro stillschweigend in Kauf nimmt. Ihm geht es um das Prinzip. Die Frage, die wir uns aber stellen müssen, ist, ob uns dieses Prinzip eine erneute Weltwirtschaftskrise wert ist. Wollen wir wirklich die Fehler der Prinzipienreiter vergangener Generation wiederholen?“
Diese Sicht teile ich, mit einer Ausnahme. Ich halte Issing nicht für einen klugen Mann. Kluge Menschen können keine Monetaristen sein. Kluge Menschen mussten wissen, dass eine Währungsunion so, wie sie angelegt ist, nicht funktionieren kann. Issing ist ein Dogmatiker. Da seine Dogmen für viele Menschen existenzbedrohend sind, muss man ihn leider auch einen Zyniker nennen.
Joschka Fischer
Zu seiner relevanten Tätigkeit:
Joschka Fischer war Außenminister mit Verantwortung für die Europapolitik und er war Vizekanzler von 1998-2005. Das war die Zeit der Einführung des Euro. Es war zugleich die Zeit der Einführung der Agenda 2010, des Lohndumping in Deutschland und des Aufbaus eines Niedriglohnsektors. Fischer war mitverantwortlich für die so genannten Reformen, die jetzt nach der herrschenden Lehre der Nachfolgeregierung von Rot-Grün, also von Merkel und Schäuble, auch anderen Völkern aufgenötigt werden sollen. „Sparen“ und „Reformen“ – das sind bekanntermaßen die beiden von Deutschland ausgesandten Botschaften und Forderungen. Fischer hat an den Grundlagen dieses Unsinns mitgearbeitet, in maßgeblicher Funktion. Er hat vor allem als direkt verantwortlicher Außenminister offensichtlich nicht gesehen, was geschieht, wenn sich die Löhne und Preise und damit die Wettbewerbsfähigkeit in den Euro Ländern so auseinander entwickeln, wie es schon Anfang des letzten Jahrzehnts erkennbar war.
Jetzt, am 4. Juni 2012 veröffentlicht dieser für die Fehlentwicklung mitverantwortliche ehemalige Vizekanzler und Außenminister einen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Europäische Finanzkrise – Europa steht in Flammen“
Im Gastbeitrag von Joschka Fischer heißt es:
„Deutschland ist einsam und isoliert. Wider alle historische Erfahrung hält Kanzlerin Merkel dogmatisch an einer Sparpolitik fest, die Europa an den Abgrund geführt hat.“
Das ist richtig. Aber wenn Joschka Fischer jetzt Angela Merkel angreift, dann sollte er auch bedenken, dass diese Entwicklung in der Politik der Regierung Kohl und der von Fischer maßgeblich mitgetragen Rot-Grünen Regierung angelegt war. Sie haben Hartz IV und die Agenda 2010 ohne Rücksicht auf europäische Verluste durchgesetzt, weil genauso wie CDU/CSU und FDP weder die SPD noch die Grünen sich jemals für die Frage, wie eine Währungsunion funktioniert, interessiert haben, sondern blind ihrem leider zur Überraschung von vielen neoliberal geprägten Kurs folgten. Hier ruft ein Brandstifter nach der Feuerwehr.
Weiter schreibt Fischer in der Süddeutschen Zeitung:
„Wenn der Euro und mit ihm der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt zerfällt, dann wird das eine Krise auslösen, wie sie die heute lebenden Generationen noch nicht erlebt haben.
Die Zeiten sind ernst, sehr ernst sogar. Wer hätte jemals auch nur davon geträumt, dass David Cameron die Regierungen der Euro-Gruppe dazu auffordern würde, endlich all ihren Mut zusammenzunehmen und gemeinsam eine Fiskalunion (gemeinsames Budget, Steuerpolitik, gemeinsame Garantie für die Staatsschulden) und, da es anders nicht geht, auch eine politische Union zu schaffen? Nur so könne ein Zerfall des Euro aufgehalten werden.“
Fischer ist zwar ein ganzes Stück vernünftiger als Issing. Aber er täuscht sich, wenn er meint, mit einer Fiskalunion könne der Zerfall des Euro aufgehalten werden. Ohne eine Annäherung der Lohnstückkosten und ohne eine Annäherung der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Staaten wird das Problem nicht zu lösen sein. Da hilft dann auch die Forderung nach einer gemeinsamen Regierung in der Europäischen Union bzw. in der Eurogruppe nichts. Europa und der Euro Gruppe und dem Euro ist doch nicht geholfen, wenn dem auf die neoliberale Linie festgelegten Barroso mehr Macht zuwächst.
Joschka Fischer kommt dann gegen Ende seines Gastbeitrags darauf zu sprechen, es gäbe noch eine vierte Herausforderung, das seien die „unabweisbaren Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas massiv zu verstärken“. Was er damit meint, sagt er nicht. Es steht zu befürchten, dass er nichts anderes meint als die auch ansonsten proklamierten Reformen, eben solche, die er zusammen mit Gerhard Schröder zum Beispiel zum Aufbau eines Niedriglohnsektors eingeleitet hat: Abbau der Arbeitnehmerrechte, Förderung der Leiharbeit, Deregulierung zu Gunsten der Privatisierung. – Ich würde ja gerne annehmen, dass Fischer etwas anderes meint.
Insgesamt ist sein Beitrag etwas angenehmer als der von Issing aber im Kern auch nichts anderes als eine Ablenkung von seiner eigenen Verantwortung. Er merkt, was er angerichtet hat, und tut jetzt so, als hätte er damit nichts zu tun. Haltet den Dieb, so könnte man seinen Gastbeitrag auch überschreiben.
Jörg Asmussen
Zu seiner bisherigen Arbeit und Mitverantwortung:
Er war als Referent und Abteilungsleiter und dann Staatssekretär ein wichtiger Mitarbeiter von Finanzminister Eichel, Finanzminister Steinbrück, Finanzminister Schäuble und auch der Bundeskanzlerin. Asmussen hat unter der Parole „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“ wesentlich an der Deregulierung der Finanzmärkte und der Förderung des Finanzcasinos mitgewirkt. Er war entscheidend daran beteiligt, für die Rettung des von der Deutschen Wirtschaft getragenen Finanzinstituts Industriekreditbank (IKB) 10 Milliarden vom Steuerzahler genommenes Geld hinzublättern, er hat bei den anderen Bankenrettungen maßgeblich mitgemacht, als zuständiger Mitarbeiter von Steinbrück auch an der Rettung der HypoRealEstate (HRE), die schon über 100 Milliarden gekostet hat. Asmussen ist sozusagen Mitträger der Finanzkrise und Mitträger teurer Rettungsaktionen der Banken zulasten der Steuerzahler. Diese Vorgänge sind in allen einschlägigen Ländern zugleich eine der Hauptursachen für den großen Anstieg der Staatsverschuldung.
Asmussen, selbst Sozialdemokrat, wurde mit Bedacht auch vom CDU-Mann Schäuble als Staatssekretär übernommen, auf Empfehlung von Kanzlerin Merkel. Er wurde dann von der deutschen Bundesregierung als Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank durchgesetzt. Er hat also auch heute eine entscheidende Funktion.
Jetzt versucht Asmussen sein bisheriges Versagen zu übertünchen und zugleich die Entwicklung in Richtung weiterer extremer neoliberaler Reformen zu treiben, indem er uns die baltischen Staaten als Vorbild anpreist.
Dort regieren rechtskonservative politische Parteien. Sie haben die so genannte Sparpolitik und die als Reformen bezeichneten Kürzungen von Löhnen und Sozialleistungen durchgesetzt. Anfang Juni war Asmussen in der lettischen Hauptstadt Riga und hat von dort aus die überschuldeten Euro Länder im Süden Europas zu zügigen Gegenmaßnahmen und Reformen aufgefordert. Siehe hier zum Beispiel. „Nach Ansicht des deutschen EZB- Direktoriumsmitglieds Jörg Asmussen können die drei baltischen Staaten derzeit die Früchte ihrer schnellen fiskalischen Reformen ernten“, schreibt Welt Online am 5. Juni 2012.
Wie ist die Realität: In allen drei Staaten lag der Rückgang des BIP dank Finanzkrise und Spar-Absichts-Operation zwischen 14 und 20 Prozent; alle drei haben im vergangenen Jahr etwa in der Größenordnung von 5 Prozent, also deutlich unterhalb des Verlustes, aufgeholt; nach den Prognosen der EU-Kommission werden sie in diesem Jahr praktisch schon gar kein Wachstum mehr haben – zwischen 1,6 und 2,4%. Sie haben also trotz massiver Hilfen der Kommission bis 2012 nicht annähernd aufgeholt, was sie 2008 und 2009 verloren haben und die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 12.5 und 16 Prozent; alle drei sind schon wieder auf dem Weg in Leistungsbilanzdefizite, weil sie alle ihre Wettbewerbsfähigkeit bei Weitem nicht wieder hergestellt haben.
Aber Asmussen lobt diese Staaten, weil er darauf vertraut, dass solche Parolen, die die neoliberal geprägten Rezepte als richtig bestätigen, weiterverbreitet werden und geglaubt werden, obwohl sie durch Fakten nicht gestützt sind.
Im konkreten Fall kommt noch erschwerend hinzu, dass, wie erwähnt, die baltischen Staaten unter der Hand massiv gefördert worden sind. Wer ideologisch ins Geschirr passt, wird ausgehalten. Wer ideologisch nicht passt, wie etwa die Linke in Griechenland, wird aufs heftigste bekämpft.
Jens Weidmann
Er war lange Zeit wirtschafts- und finanzpolitischer Berater der Bundeskanzlerin und wurde zum Dank auf den Posten des Präsidenten der Deutschen Bundesbank gesetzt. Damit ist er durch das Amt auch schon bei der Europäischen Zentralbank verortet. Er hat darüber und über große Mittel der Medienarbeit Einfluss auf die öffentliche Debatte.
Viele seiner Äußerungen könnten der Beleg dafür sein, dass die falsche Politik der Bundesregierung viel mit Naivität und Nichtwissen zu tun. Das ist die Meinung mancher Kenner der Szene. Ich neige eher dazu anzunehmen, dass die Interessen der Finanzwirtschaft und großer Vermögensbesitzer bei den Entscheidungen und Unterlassungen wesentlich mitspielen. Beides kommt zusammen – die neoliberale primitive Dogmatik und das Interesse finanziell starker Gruppen an Spekulation und Zerstörung. Dogmatiker und Schnäppchenjäger gehören zusammen. Jens Weidmann gehört zu den Dogmatikern.
Weidmann übertüncht das Scheitern seiner neoliberalen Linie durch Forderungen nach Erhöhung der Dosis
Das Handelsblatt meldete am 10.6.2012:
„Weidmann erhöht Spaniens Bringschuld“
Wörtlich im Text.
„Bundesbankchef Jens Weidmann verlangt Madrid höhere Anstrengungen im Gegenzug für Hilfsgelder der Euroländer ab. Neben der Reform seines Bankensektors müsse Spanien auch seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern. …
Der Bundesbankchef betonte, er habe Vertrauen in die Regierung in Madrid, die bereits am Arbeitsmarkt “sehr umfangreiche Struktur-Reformmaßnahmen” vorgenommen habe: “Aber auf diesem Weg muss sie eben weitergehen”, mahnte Weidmann.
Es ist immer wieder das gleiche Lied. Die Versager in den wohlbestallten Jobs und Ämtern leugnen ihre Mitverantwortung und verlangen von den anderen, vom Volk, von den Arbeitnehmern, von den Rentnern die Bereitschaft zum Verzicht. Sie nennen diese Angriffe auf Reste der Sozialstaatlichkeit „Reformen“ oder auch „Strukturreformen“. Immer das gleiche Lied. So hieß es schon bei Schröder und Clement und Fischer.
Otmar Issing, Joschka Fischer, Jörg Asmussen, Jens Weidmann – das ist die kleinste aller möglichen Listen von Versagern. Es wäre leicht und vermutlich auch notwendig, diese Liste zu ergänzen: Tietmeyer, Köhler, Stark, Steinbrück, Sarrazin, Clement, Schäuble, Merkel, usw.
Das Gemeinsame und zugleich Deprimierende: Ihr Versagen wird nicht sanktioniert, nicht bestraft. Bisher jedenfalls nicht. Und vermutlich auch nicht, solange es keine veröffentlichte Meinung in Medien und Wissenschaft gibt, die der Frage nachgeht, warum die erkennbare Zerstörungswut nicht durchschaut wird. „Europa in Not“ und „Europa steht in Flammen“ sind Hilferufe ohne Wirkung, solange die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.