10 Thesen der Kritik an Hochschulräten
Die nachfolgenden Thesen habe ich vorgetragen in einem Eingangsstatement zu einem Streitgespräch mit dem Hochschulratsvorsitzenden der Universität Paderborn und früheren Vorsitzenden des Wissenschaftsrats Prof. Dr. Winfried Schulze gestern bei der Mercator Stiftung in Essen. Professor Schulze war auch Koordinator eines „Positionspapiers der Vorsitzenden deutscher Hochschulräte [PDF – 137 KB]“, zu dem ich zum damaligen Zeitpunkt Stellung genommen habe. Von Wolfgang Lieb.
- Paradigmenwechsel
Mit dem Hochschul-“freiheits“-Gesetz vom 31. Oktober 2006 wurde auch in NRW ein Systemwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule vollzogen.
Die Hochschulen wurden statt den „Gesetzen“ des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, den anonymen „Gesetzen“ des Wettbewerbs auf dem Wissenschaftsmarkt (Stichwort: Drittmitteleinwerbung) und des Wettbewerbs auf dem Ausbildungsmarkt (Stichwort: Studiengebühren) unterstellt.
- Das Problem der Legitimation
An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als demokratische legitimierte rahmensetzende Organe wurde in der „unternehmerischen“ Hochschule der Hochschulleitung ein freischwebender Aufsichtsrat als „Fachaufsicht“ mit weitgehenden Kompetenzen vorgesetzt, dessen Mitglieder während und nach ihrer gesamten fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig sind. Sie können weder abberufen noch abgewählt werden. Sie können für Ihre oft tiefgreifenden und kostenintensiven Entscheidungen nicht zur Verantwortung gezogen werden.
- Das Problem der Sachkompetenz
Die Hochschulratsmitglieder mögen zwar viel Engagement und Sympathie für „ihre“ jeweilige Hochschule haben, doch sie müssen keinerlei fachliche oder rechtliche Kenntnisse besitzen, sie müssen noch nicht einmal mit dem Hochschulwesen vertraut sein, sie sind ehrenamtlich tätig und müssen sich nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich vier Mal im Jahr treffen. In aller Regel haben Hochschulräte keinen eigenen planerischen Unterbau, der ihnen für ihre Entscheidungen zuarbeiten könnte.
Es bestehen – so das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das niedersächsische Modell einer Stiftungshochschule – „durchgreifende Zweifel“, ob diese Aufsichtsräte die ihnen vom Gesetz übertragenen Kompetenzen fachlich und sachlich ausfüllen können.
In der Praxis stärken Hochschulräte eher die Durchgriffsmacht der mit den Hochschulreformgesetzen ohnehin massiv gestärkten Hochschulleitungen gegenüber den Hochschulangehörigen und den Gremien der Hochschule.
- Das Problem der Pluralität
Hochschulräte arbeiten in der Regel weder transparent noch sind sie repräsentativ zusammengesetzt. Vor allem unter den Hochschulratsvorsitzenden sind „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft dominant vertreten. (In Abwandlung zur Kritik an US-Boards „white, wealthy, businessmen“ könnte man sagen die Hochschulräte sind bei uns „old, wealthy, masculine, businessmen“)
In der tatsächlichen Zusammensetzung zeigt sich eine „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“. Wir haben es mit einer Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem auch zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule zu tun.
- Funktionelle Privatisierung der Hochschulen
Da Wettbewerb und Konkurrenz das entscheidende Steuerungsinstrument sein sollen, steuern vor allem einzuwerbenden Mittel (Drittmittel, Studiengebühren) – also eine die staatliche Grundfinanzierung ergänzende Finanzierung – das nach wie vor ganz überwiegend staatlich finanzierte Unternehmen Hochschule. Mit der einer Aktiengesellschaft nachgebildeten Aufsichtsratsstruktur wurden die öffentlichen Hochschulen faktisch „funktionell privatisiert“.
- Umdeutung der Hochschulautonomie auf eine autonome Leitungsstruktur
Die Umdeutung und Verengung der „Hochschul“-Autonomie auf die Institution Hochschule und ihre Verengung auf eine „autonome“ Leitungs- und Aufsichtsratsstruktur tangiert die individuellen Freiheitsgrundrechte der Hochschulangehörigen als primäre Träger der Wissenschaftsfreiheit.
- Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit nach dem GG
Ich schließe mich weitgehend einem in einer Dissertation niedergelegten Rechtsgutachten von Thomas Horst an, wonach das NRW-Modell der Hochschulräte den Anforderungen, die nach Art. 5 Abs. 3 S. 1GG an eine wissenschaftsadäquate Teilhabe der betroffenen Hochschulangehörigen zu stellen sind, nicht genügt.
Dies betrifft vor allem die in § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrats, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit 2/3 bzw. 3/4- Mehrheit zu ersetzen.
- Verstoß gegen die Selbstverwaltungsgarantie nach der LV NRW
Das HG NRW verstößt zusätzlich gegen die Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 16 Abs. 1 der LV NRW. Entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 HG NRW ist der Hochschulrat materiell kein Selbstverwaltungsorgan. Es fehlt ihm das Element der „Betroffenenteilnahme“ und es fehlt der der legitimatorische Bezug zu den Betroffenen, da insbesondere auch die Amtsbestellung des Hochschulrats nicht (allein oder wenigstens mehrheitlich) durch die Körperschaft Hochschule selbst erfolgt.
- Dienstherrneigenschaft verstößt gegen funktionsgerechte Organisationsstruktur
Über die verfassungsrechtliche Problematik der bestehenden Regelungen zum Hochschulrat hinaus verstößt u.a. auch dessen „Dienstherreneigenschaft“ (§ 33 Abs. 2 S. 3 HG NRW) gegen den Grundsatz einer funktionsgerechten Organstruktur. Als (ehrenamtlicher) oberster Dienstbehörde kommen dem Hochschulrat zahlreiche wesentliche Entscheidungen z.B. in Bezug auf das Beamtenverhältnis zu – bis hin zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Dass dies nicht funktionsgerecht sein kann, ist weitgehend anerkannt.
- Widerspruch zu den „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien Wissenschaft
Jenseits der rechtlichen Bewertung widerspricht die „unternehmerische“ Hochschule mit ihrer Aufsichtsratsstruktur den „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien Wissenschaft. Sie ist wissenschaftlicher Kreativität nicht förderlich sondern konterkariert eher das vorgegebene Ziel wissenschaftlicher Qualität und läuft Gefahr wissenschaftliche Innovation zu erschweren.
(Das ist das Ergebnis einer empirischen Studie von Dörre und Neis an der Friedrich-Schiller-Uni in Jena. Übrigens der bisher einzig mir bekannte empirische fundierte Untersuchung, die die ansonsten nur behaupteten Erfolge der neuen Hochschulstruktur in Frage stellt.)
Hinweis: Eine ausführlichere Begründung für diese 10 Thesen finden Sie hier.