Zwischen Holocaust-Gedenken und Kriegsunterstützung: Deutschlands gefährliche Doppelmoral

Zwischen Holocaust-Gedenken und Kriegsunterstützung: Deutschlands gefährliche Doppelmoral

Zwischen Holocaust-Gedenken und Kriegsunterstützung: Deutschlands gefährliche Doppelmoral

Ein Artikel von Detlef Koch

Wenn Völkerrechtsverbrechen im internationalen Rampenlicht stehen, scheint die Forderung nach Verantwortlichkeit eindeutig zu sein. Doch die Wirklichkeit ist komplexer. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Vorwürfen schwerer Kriegsverbrechen gegen die israelische Regierung im Konflikt um Gaza und an der Haltung deutscher Amtsträger, die dabei eine problematische Rolle spielen. Von Detlef Koch.

Der Konflikt im Gazastreifen ist seit Jahrzehnten Schauplatz wiederkehrender Gewalt. Die jüngsten Ereignisse werfen jedoch besonders schwere Vorwürfe auf: Israelische Militäraktionen wurden vom Internationalen Gerichtshof (IGH) bereits 2024 in einem Eilverfahren als mögliche Verstöße gegen die Völkermordkonvention eingestuft. Südafrika klagte Israel an, den Genozid durch direkte und öffentliche Aufrufe sowie militärische Operationen gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza voranzutreiben. Zahlreiche Staaten, darunter die Malediven, schlossen sich dieser Klage an.

Doch trotz der Schwere der Vorwürfe gestaltet sich die strafrechtliche Verantwortungszuweisung kompliziert. Das Völkerstrafrecht betont seit den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg die individuelle Verantwortlichkeit – Taten werden von Menschen begangen, nicht von Staaten. Gerade bei kollektiven Gewalttaten wie denen im Gazastreifen ist aber die genaue Zurechnung persönlicher Verantwortung schwierig. Juristische Konstrukte wie die „Joint Criminal Enterprise“ versuchen, diesen kollektiven Kontext einzufangen, sind jedoch umstritten, weil sie die Grenze zwischen persönlicher Schuld und bloßer Gruppenzugehörigkeit verschwimmen lassen können.

In diesem juristischen Dickicht kommt nun die Rolle Deutschlands ins Spiel: Die Bundesregierung und ihre Amtsträger stehen in der Kritik, weil Deutschland trotz eindeutiger Hinweise auf mögliche Völkerrechtsverletzungen Israels dessen Regierung weiterhin politisch unterstützt und mit Waffenlieferungen versorgt. Kritiker sehen hierin eine Beihilfe zu Kriegsverbrechen, zumindest aber eine moralische Mitschuld, welche die Bundesregierung durch ihr Schweigen und ihre militärische Unterstützung trägt. Die ethisch-moralische Dimension ist offenkundig: Kann ein Staat, der seine historische Verantwortung für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg stets betont, es sich leisten, bei möglichen Völkerrechtsverbrechen eines Verbündeten wegzusehen?

Hinzu kommt, dass die Bundesregierung auf eine verstörende Weise die Verbrechen der rechtsgerichteten Apartheidsregierung in Israel mit dem Judentum verquickt. Dies führt zu einer gefährlichen Vermischung politischer Interessen und religiöser Identität. Dabei repräsentieren die Verbrechen der zionistischen Regierung keineswegs das Judentum. Viele jüdische Stimmen, Organisationen und Einzelpersonen distanzieren sich klar vom zionistischen Terror gegen die palästinensische Bevölkerung. Sie betonen, dass die Gewaltaktionen und Menschenrechtsverletzungen Israels nicht im Namen aller Juden erfolgen dürfen.

Deutschland gibt immer wieder vor, aus der Geschichte gelernt zu haben und Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen zu wollen. Doch die Realität sieht anders aus: Die Bundesregierung unterstützt durch Waffen- und Hilfslieferungen an Israel faktisch die systematische Ermordung und Vertreibung palästinensischer Zivilisten. Diese Unterstützung stellt nicht nur eine moralische, sondern auch eine völkerrechtliche Herausforderung dar und wirft die dringende Frage auf, ob historische Schuldgefühle tatsächlich eine Rechtfertigung für heutige Ungerechtigkeiten bieten können.

Jugendliche besuchen im Rahmen ihrer schulischen Bildung regelmäßig die Gedenkstätten des Holocausts, um die Erinnerung an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wachzuhalten und als zukünftige Generation Verantwortung zu übernehmen, damit Völkermord, Vertreibung, Folter und Dehumanisierung von Menschen niemals wieder durch Deutsche oder mit deutscher Hilfe stattfinden. Das kann im Angesicht der Taten deutscher Amtsträger oder der Taten der Verantwortlichen in deutschen Rüstungsunternehmen nur als Heuchelei empfunden werden und untergräbt das Vertrauen der Jugend in unseren Staat und damit letztlich in unsere Demokratie.

Zudem erschwert ein weiteres Problem die strafrechtliche Aufarbeitung: Die Immunität staatlicher Amtsträger. Nach geltendem Völkergewohnheitsrecht genießen amtierende Staatsoberhäupter eine umfassende Immunität vor nationalen Gerichten – selbst bei schwersten internationalen Verbrechen. Im Fall Israels bedeutet dies, dass Regierungsmitglieder, die direkt an Entscheidungen zu militärischen Operationen beteiligt waren, praktisch nicht juristisch belangt werden können, solange sie im Amt sind. Eine Strafverfolgung wäre erst nach Amtsende und unter sehr eingeschränkten Bedingungen möglich.

Diese Immunität ist politisch brisant und moralisch kaum haltbar. Sie widerspricht der universellen Vorstellung von Gerechtigkeit und Verantwortung, insbesondere bei schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit. International zeichnet sich zwar ein Trend ab, diese Immunitäten einzuschränken – doch Deutschland hält an einer konservativen Auslegung fest, was zu einer paradoxen Situation führt: Einerseits setzt man sich offiziell für internationale Rechtsstaatlichkeit ein, andererseits blockiert man faktisch deren Anwendung, wenn sie politisch unbequem wird.

Die Haltung Deutschlands zu Israel wirft somit nicht nur juristische, sondern fundamentale politische und ethische Fragen auf: Sollten historische Schuldgefühle, politische Loyalitäten und Sicherheitsinteressen Vorrang vor universellen Prinzipien wie Gerechtigkeit und Verantwortung haben? Ist es moralisch vertretbar, aus strategischen Überlegungen Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen?

Es liegt nun an der internationalen Gemeinschaft und vor allem an Staaten wie Deutschland, glaubwürdige Antworten auf diese Fragen zu finden. Die Herausforderung besteht darin, eine Haltung einzunehmen, die Rechtsstaatlichkeit und ethische Integrität nicht zugunsten kurzfristiger politischer Vorteile opfert. Die kommenden Entscheidungen in diesem Kontext werden richtungsweisend sein – für die Glaubwürdigkeit Deutschlands und für das Vertrauen in das internationale Recht insgesamt.

Weitere Hintergründe zur rechtlichen Situation finden sich unter diesem Link.

Über den Autor: Detlef Koch (Jahrgang 1961) war viele Jahre Gründer und Projektleiter in der ländlichen Entwicklungszusammenarbeit in Indien. Derzeit ist er publizistisch tätig und engagiert sich für demokratische Teilhabe und soziale Gerechtigkeit. Zum Thema Israel und Palästina hat er mit Rolf Verleger im Verein BIP e.V. zusammengearbeitet.

Titelbild: Alexander Supertramp / Shutterstock

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