Die renommierte britische Wochenzeitung Economist, deren Artikel sich regelmäßig in den Pressemappen des Kanzleramts finden, hatte letzte Woche einen Artikel veröffentlicht, in welchem anhand zahlreicher Beispiele die zunehmende „Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland“ thematisiert wurde. Auch der aktuelle Bericht von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit in Deutschland 2025 spricht von massiver Selbstzensur und strengen Sprachregelungen in den Redaktionen deutscher Leitmedien. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, wie der geschäftsführende Kanzler die entsprechende internationale Wahrnehmung einer gefährdeten Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik unter seiner Ägide erklärt. Von Florian Warweg.
Hintergrund
Unter dem Titel „Die Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland – Eines der freiesten Länder der Welt versetzt seinem eigenen Ruf einen schweren Schlag“ kommt der Economist in einem am 16. April veröffentlichten Artikel zu dem Schluss, dass die freie Meinungsäußerung in Deutschland „zunehmend in Gefahr“ sei. Belegt wird dies anhand zahlreicher Beispiele (eine deutsche Übersetzung des Artikels ist hier einsehbar).
Aufhänger des Artikels ist die Verurteilung des Chefredakteurs des Deutschland-Kuriers zu einer siebenmonatigen Haftstrafe (auf Bewährung) wegen der Veröffentlichung seiner Zeitung eines satirischen Memes über Innenministerin Nancy Faeser (die NachDenkSeiten berichteten).
Anschließend führt der Economist weitere Beispiele auf:
- „Letztes Jahr wurde ein Rentner, der auf X ein Bild geteilt hatte, das den deutschen Vizekanzler Robert Habeck als „Schwachkopf“ bezeichnete, einer polizeilichen Hausdurchsuchung unterzogen, nachdem Habeck ihn angezeigt hatte.“
- „Ein Gericht verurteilte einen Journalisten zu einer Geldstrafe, weil er angedeutet hatte, Habeck würde „in einer Versammlung von Alkoholikern am Bahnhof“ nicht fehl am Platz wirken.“
- „Der Regierungsvertrag der neuen Koalitionspartner in Deutschland sieht vor, eine Behörde zu ermächtigen, gegen die „vorsätzliche Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ vorzugehen.“
- „Im Jahr 2024 gaben nur noch 40 Prozent der Deutschen gegenüber dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach an, sich frei äußern zu können. Seit 1990 hat sich dieser Wert halbiert.“
- „In Berlin löste die Polizei Konferenzen und Demonstrationen auf, um Hassreden zu verhindern. Wissenschaftlern, die pro-palästinensische Studierende unterstützten, wurde mit dem Verlust von Fördergeldern gedroht. Die Gefahren für die Meinungsfreiheit beschränken sich nicht auf eine Seite.“
Reporter ohne Grenzen: Stark verengter Meinungskorridor
Unter dem Titel „Nahaufnahme Deutschland 2025: Pressefreiheit im Überblick“ berichtet die Nichtregierungsorganisation, die sich nach eigener Darstellung „für Pressefreiheit und gegen Zensur“ einsetzt, dass sich zahlreiche Journalisten in Deutschland an ROG gewandt haben und von einem „stark verengten Meinungskorridor bei der Arbeit berichteten“.
Darüber hinaus ist in dem Bericht, insbesondere in Bezug auf die Nahost-Berichterstattung, „von strengen Sprachregelungen“, „Vorgaben mit dem Ziel …“ sowie „äußerst langwierigen Kontroll- und Aushandlungsprozessen“ die Rede. In Bezug auf die Arbeit von freien Journalisten heißt es abschließend:
„Freie Journalisten berichten, dass angesichts der Unsicherheit in Redaktionen und deren Furcht, von anderen Medien des „israelbezogenen Antisemitismus“ bezichtigt zu werden, diese dazu übergingen, als heikel wahrgenommene Themen auszusparen.“
Die Nebelkerzen des Regierungssprechers
Regierungssprecher Steffen Hebestreit tut in der Bundespressekonferenz so, als seien die vom Economist und ROG aufgeworfenen Punkte in Bezug auf eine gefährdete Meinungsfreiheit in Deutschland „medieninterne Diskussionen“, zu welchen sich der geschäftsführende Kanzler nicht zu äußern habe. Doch entgegen seiner Darstellung fallen die angesprochenen Punkte natürlich in den Verantwortungsbereich eines Kanzlers mit Richtlinienkompetenz, etwa was die Gesetzesinitiativen von Innenministerin Nancy Faeser (z.B. das Demokratiefördergesetz), das fragwürdige, vom BMI iniitierte Campact-Verbot oder auch das massive Vorgehen seiner Minister, nicht nur des Bildungsministeriums, gegen Wissenschaftler und Universitäten, die das Agieren Israels in Gaza kritisierten (Drohung mit dem Verlust von bundesstaatlichen Fördergeldern), sowie weitere belegte Eingriffe der Exekutive in die Wissenschaftsfreiheit.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 23. April 2025
Frage Warweg
Der „Economist“ hat vergangene Woche einen Artikel veröffentlicht, in dem er auf die zunehmende Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland eingeht bzw. diese thematisiert. Der aktuelle Bericht von Reporter ohne Grenzen zur Pressefreiheit 2025 in Deutschland spricht von massiver Selbstzensur und strengen Sprachregelungen in den Redaktionen der Leitmedien.
Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, wie der geschäftsführende Kanzler die aufgezählten Aspekte zumindest in der internationalen Wahrnehmung zunehmend eingeschränkter Meinungsfreiheit in Deutschland unter seiner Ägide erklärt.
Regierungssprecher Hebestreit
Herr Warweg, wie so häufig stellen Sie Dinge in lustige Zusammenhänge, die nicht zueinander gehören. Sie haben gerade von Leitmedien gesprochen. Sie meinen sicherlich die seriösen Medien. Aber das lasse ich Ihnen jetzt einfach mal – – –
Zusatz Warweg
„Leitmedien“, das ist ein fest definierter Begriff – – –
Hebestreit
Darf ich kurz weiterreden, Herr Warweg?
Zusatz Warweg
Das dürfen Sie.
Hebestreit
Sie fragen, ich antworte. Dann fragen Sie nach, drei, vier Mal, dann antworte ich wieder. So ist das hier!
Die Leitmedien sind unabhängig, und es stehen auch keine staatlichen Menschen hinter ihnen, die sie beeinflussen würden. Das ist die Pressefreiheit in Deutschland. Diesbezüglich hat sich der Kanzler zu gar nichts zu äußern.
Die Unterstellungen, die Sie gemacht haben, das sind Meinungsbeiträge, die ich genauso zur Kenntnis nehme wie Ihre Meinungsbeiträge oder die von anderen. Auch die habe ich nicht zu beurteilen.
Dass ich ein Gefühl hätte, dass man sich um die Meinungsfreiheit in Deutschland sorgen müsste, auch das habe ich nicht. Aber auch das kann man, wenn man eine andere Grundauffassung hat, sicherlich anders sehen.
Insofern teile ich alle Prämissen dieser Frage nicht, und ich werde den Teufel tun, hier medieninterne Diskussion zu führen. Das können Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen austragen. Aber das ist keine Frage, die die Regierung zu beantworten hat, sondern das sollten Sie medienintern miteinander tun. Dafür gibt es vielleicht auch Foren, auf denen Sie das tun können. Die Regierungspressekonferenz ist kein solches Forum.
Zusatzfrage Warweg
Neben dem Bericht von Reporter ohne Grenzen habe ich auch den entsprechenden Artikel in einem britischen Fachmagazin angesprochen. Er geht hauptsächlich auf eine Causa im Zusammenhang mit einem Strafantrag von Frau Faeser ein, die wir auch vergangene Woche besprochen haben. Ich habe mir die Haltung explizit nicht zu eigen gemacht, sondern gefragt, wie der Kanzler die in der internationalen Wahrnehmung im Ansatz bedrohte Meinungsfreiheit beurteile. Ich finde, das kann der Kanzler problemlos tun, ohne sich in journalistische Angelegenheiten einzumischen. Diese Dinge haben sich unter seiner Ägide stärker gehäuft. Deshalb interessiert mich, welche Gründe er dafür sieht.
Hebestreit
Auch da gilt wieder: Es hat sich keinerlei Gesetzesveränderung gegeben. Sie haben einen Einzelfall angesprochen. Das ist ein juristischer Fall; den müssten Sie dann mit dem zuständigen Gericht diskutieren und nicht hier. Dazu darf jeder seine Position haben.
Ansonsten werde ich mich zu einzelnen Medienberichten, so abstrus sie auch sein sollten, hier nicht äußern, und ich bleibe bei meiner Grundaussage.
Zusatzfrage Warweg
Das könnte ja für die Kollegen zitatemäßig interessant sein. Sie nennen also die entsprechende Berichterstattung im „Economist“ abstrus. Habe ich das so richtig verstanden?
Hebestreit
Ich habe gesagt, dass ich mich zu einzelnen Medienberichten, so abstrus sie auch sein mögen, hier nicht äußere. Und das gilt zu allen Ihren Beiträgen, und das gilt auch zu den Beiträgen, die Sie hier angeführt haben.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 23.04.2025
Haftstrafe für Chefredakteur des Deutschland-Kuriers wegen Satire-Bild zu Innenministerin Faeser
Pressefreiheit à la BRD: Wieso der deutsche Inlandsgeheimdienst Tageszeitung junge Welt überwacht
Wegen Post zu Nancy Faeser: Sieben Monate Haft auf Bewährung für Journalisten
„Demokratiefördergesetz“ – Was versteht Bundesregierung konkret unter „Verhöhnung des Staates“?
Innenministerium zu Compact-Verbot: „Unmittelbar im Grundgesetz vorgesehen…“