Ein in dieser Woche vorgelegter „Friedensplan für die Ukraine“ des US-Präsidenten Donald Trump erhitzt zurzeit die Gemüter des politisch-medialen Komplexes in Deutschland. Offenbar hat man in Berlin immer noch größte Schwierigkeiten, sich mit der Idee einer Niederlage der Ukraine abzufinden, und versteift sich nunmehr wie ein bockiges Kind, dessen Wünsche nicht erfüllt werden, in Lügen, Verdrehungen und Realitätsflucht. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Trumps Friedenplan sei abzulehnen, da er vorsieht, dass die Ukraine die russische Herrschaft über die Krim anerkennt. Dies ist der Tenor zahlreicher Artikel deutscher Medien. Im SPIEGEL heißt es beispielsweise lapidar, die Ukraine könne „auf die Krim nicht freiwillig verzichten“, da dies die ukrainische Verfassung nicht zulasse. Dieses Argument stammt übrigens von Wolodymyr Selenskyj, der Trumps Plan mit genau dieser Begründung ablehnt.
Das ist schon seltsam. Entsprach die Abtretung von Elsass-Lothringen denn der Bismarck’schen Reichsverfassung? Und nicht, dass mir nun revisionistisches Gedankengut unterstellt wird. Auch der Vorfriede von Versailles, in dem Frankreich Elsass-Lothringen 1871 an das Deutsche Reich abgetreten hatte, entsprach selbstredend nicht der Verfassung des Zweiten Französischen Kaiserreichs. Mir wäre aber auch neu, dass in jüngerer Zeit den Verfassungen von Staaten wie dem Irak oder Jugoslawien bzw. Serbien großartige Bedeutung bei der Neuordnung territorialer Fragen nach dem Sieg des Westens eingeräumt wurden. Die Vorstellung, dass die Verfassung eines Kriegsteilnehmers ein ernsthaftes Hindernis für Friedensverträge sei, ist schon ziemlich weltfremd. Hier gilt die normative Kraft des Faktischen. Und ja, Verfassungen können auch geändert werden.
Wie absurd die Fokussierung auf angeblich verfassungsrechtliche Hindernisse bei Friedensverhandlungen ist, zeigt sogar der Ukrainekrieg selbst. So wurde die ukrainische Verfassung 2019 um den Punkt ergänzt, dass die Ukraine den Beitritt zu EU und NATO verfolgt. Im März 2022 zeigte niemand anderes als Selenskyj selbst sich jedoch bereit, auf die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verzichten. Auch zu „Kompromissen“ bei territorialen Fragen bezüglich der damaligen Separatistengebiete Luhansk und Donezk sei er bereit, deren Zugehörigkeit zur Ukraine in deren Verfassung genauso festgelegt ist wie die der Krim. Ist das nicht seltsam? Im März 2022 war die ukrainische Verfassung offenbar noch kein Hinderungsgrund für Friedensverhandlungen, deren Verhandlungspunkte ebenjener Verfassung widersprechen.
Doch dies ist ohnehin eine Scheindebatte, die zurzeit nur geführt wird, weil Selenskyj ein Ablenkungsmanöver führt, auf das deutsche Medien nur allzu gerne hereinfallen. In Trumps Friedensplan ist nämlich gar nicht die Rede davon, dass die Ukraine ihre Ansprüche auf die Krim fallen lässt, sondern dass die USA de jure anerkennen, was de facto seit 2014 ohnehin der Fall ist – dass die Krim zu Russland gehört. Nun kann man ja durchaus darüber streiten, ob die einseitige Anerkennung der völkerrechtlichen Zugehörigkeit der Krim zur Russischen Föderation eine so gute Idee ist und es ist absolut verständlich, dass Selenskyj dies ablehnt. Mit der ukrainischen Verfassung hat dies jedoch nur sehr wenig zu tun und ob ein Wolodymyr Selenskyj dies nun gut oder schlecht findet, spielt dabei eigentlich auch keine Rolle. Er ist Präsident der Ukraine und nicht Präsident der USA.
Verstörend an der gesamten Posse ist vielmehr die wieder einmal sehr einseitige und weltfremde Reaktion des politisch-medialen Komplexes in Deutschland. Hier träumt man offenbar immer noch vom Endsieg der Ukraine und folgt dem Baerbock-Mantra „Wir werden die Krim-Annexion nie akzeptieren“. Für solche Sprüche erhält man sicher Applaus von der bellizistischen Blase auf X und der Rüstungslobby – konstruktive Folgen für die sicherheitspolitische Lage in Europa hat eine derart bockige Verweigerung der Realitäten jedoch ganz sicher nicht.
Titelbild: bella1105/shutterstock.com