Bischof fordert Kriegstauglichkeit – ein Brief an den „Mann Gottes“

Bischof fordert Kriegstauglichkeit – ein Brief an den „Mann Gottes“

Bischof fordert Kriegstauglichkeit – ein Brief an den „Mann Gottes“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Wir müssen „kriegstauglich“ werden und uns zugleich „friedenstüchtig“ für einen gerechten Frieden einsetzen“ – das sind aktuelle Worte von Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck. Mit dieser Aussage klingt der „Mann Gottes“ wie ein Politiker. Es ist an der Zeit, dem ehrwürdigen Bischof zu schreiben. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lieber Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck,

kennen Sie das 5. Gebot? Gewiss, Sie sind ein kluger Mann und erkennen sofort, dass diese Frage nur rhetorischer Art ist. Als ranghoher Gottesdiener kennen Sie jene Gebote, die, so sagt es unser Glauben, Gott Mose persönlich auf dem Berg Sinai übermittelt hat, aus dem Effeff. „Du sollst nicht töten“, lautet das 5. Gebot. Vielleicht – ich vermag das nicht zu sagen – spüren Sie diese innere Kraft, die diesem und den anderen Geboten zugrunde liegt. Mein Eindruck ist: Es ist gut, nach jedem der Zehn Gebote einen Punkt zu setzen und möglichst lange zu schweigen. Manche Zeitgenossen haben keinen Respekt vor den Geboten, gerade wenn es um Politisches geht. Schnell zaubern sie anstelle eines Punktes ein Komma aus dem Hut. „Ja, Komma, das mag ja so sein“, sagen Sie und führen fort: „Aber!“

Sie als „Mann Gottes“ sind sicherlich gut mit der immer wieder gerne ins Feld geführten Exegese, also mit der Auslegung der alt- und neutestamentlichen Texte vertraut. Je nachdem, wie Mensch es braucht, kennt die Kreativität der vorgeblich richtigen Auslegung von Bibelstellen bisweilen keine Grenzen. Doch lassen wir das mal beiseite. Reden wir über den Krieg. Reden wir über Kriegstüchtigkeit. Reden wir über Kriegstauglichkeit. Kurzum: Reden wir über Ihre Rede, oder genauer: Ihre Karfreitagsbotschaft.

Sie haben sich in eine weitreichende politische Debatte eingeschaltet. In Ihrer Botschaft zum Karfreitag haben Sie gesagt: „Wir müssen ‚kriegstauglich‘ werden und uns zugleich ‚friedenstüchtig‘ für einen gerechten Frieden einsetzen.“

Wissen Sie, was der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki gesagt hat? „Wir müssen kriegstauglich werden“, so Kubicki im Dezember 2023.

Haben Sie von den Worten unseres allseits sehr geschätzten Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius gehört? Er redet vom „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“. Wissen Sie, wer in der bundesdeutschen Politik noch so ähnlich gesprochen hat? Sie haben recht! Lassen wir es mit dem Zitieren gut sein. In der heutigen Zeit formulieren es ja viele Politiker so: Kriegstüchtigkeit, um nicht in den Krieg zu müssen. Und dann ist da auch noch die Rede von der angeblichen „Zeitenwende“, von der Sie ja auch sprechen.

Was ich Ihnen damit sagen möchte: Sie klingen wie ein Politiker. Und richtig: Das ist nicht gut. Gerne würde ich einen Bischof für seine großartige Botschaft loben. Nur: Wofür sollte so ein Lob im Hinblick auf Ihre Botschaft erfolgen? Sie vertreten die Auffassung, eine gesellschaftliche Akzeptanz müsse dafür aufgebaut werden, nach der „Friedenstüchtigkeit“ und „Kriegstauglichkeit“ kein Widerspruch seien. Sie finden, dass der Gebrauch der Begriffe „kriegstüchtig“ und „kriegstauglich“ schonungslos die Bedrohungslage offenlege. Die Realität dürfe aber nicht verweigert und die Bedrohungslage ignoriert werden.

Der bloße Gebrauch von Begriffen soll an dieser Stelle schonungslos etwas „offenlegen“? Meinen Sie das ernst? Die Sprache in den Medien und die Sprache der Politik (was bisweilen eine Sprache ist) sind durchsetzt von Begriffen, die darauf abzielen, die Realität zu manipulieren. Vom Morgen bis zum Abend ist die Gesellschaft durch Medien einem Dauerfeuer an propagandistisch kontaminierten Begriffen ausgesetzt, die vorgeben, die Realität zu spiegeln. In Wirklichkeit zielen diese Begriffe aber darauf ab, in den Köpfen der Adressaten jene manipulierte Vorstellung von Realität zu erzeugen, von der sie vorgeben, sie abzubilden.

Wäre es doch nur so einfach, dass allein schon der vielfache Gebrauch eines Begriffes zeigt, „was ist“. Dann – ja dann – könnten Sie so sprechen, wie Sie es getan haben. Doch so einfach ist es eben nicht! Edward L. Bernays, Walter Lippmann, Siegfried Kracauer, Noam Chomsky und noch so einige kluge Leute mehr haben sich mit dem Wesen und der Sprache der Propaganda auseinandergesetzt.

Anzunehmen, dass allein schon der Gebrauch eines der wohl am politisch-propagandistisch kontaminiertesten Begriffe dieser Zeit, nämlich: „Kriegstüchtigkeit“, auch nur im Ansatz etwas von einer realen Bedrohungslage zeige, kommt einem Realitätsbruch gleich. Der Begriff Kriegstüchtigkeit legt nichts offen, er verschleiert.

In den Sinnenklaven der ewig Kalten Krieger, wo der Feind grundsätzlich nur in Russland sitzen kann, mag die Vorstellung von der großen Bedrohung der Wirklichkeit entsprechen. Außerhalb ist die Realität eine andere.

Beim Lesen Ihrer Aussagen habe ich mich gefragt: Wie kann ein so kluger, intelligenter und gebildeter Mann Derartiges sagen? Weiß ein Bischof nicht, dass es einen Unterschied zwischen Medienrealität und realer Realität gibt?

Das fällt mir schwer zu glauben. Die Realität der Medien ist allein schon auf der einfachen Ebene eine konstruierte Realität. Was uns in der Berichterstattung vorgesetzt wird, basiert auf einem Akt der Konstruktion. Die Berichterstattung zeigt uns einen Ausschnitt aus dem, was „da draußen“ ist – das Gesamtbild kann sie nicht zeigen. Und das wirft große Probleme im Hinblick auf die präsentierte Wahrhaftigkeit auf. Ich will hier mit Ihnen gar nicht über die Grundlagen einer kritischen Medienbetrachtung sprechen, das würde den gesetzten Rahmen sprengen. Aber ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass beim Thema Ukraine-Krieg auch die vermeintlich „Guten“ manipulieren?

Gestatten Sie mir eine Frage: Woher nehmen Sie Ihre Auffassung, dass „wir“ angeblich einer „Bedrohung“ ausgesetzt sind? Aus der „Tagesschau“? Aus dem Spiegel? Aus Medien, die über „Massenvernichtungswaffen“ im Irak „berichtet“ haben?

Geradeaus gesagt: Es gibt keine Bedrohung. Die Bedrohung durch Russland gleicht einem Phantasma.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum Russland „uns“ angreifen sollte? Europa besteht aus 450 Millionen Bürgern, während in Russland etwa 150 Millionen Menschen leben. Europa – ein Gebilde aus zahlreichen Kulturen, Mentalitäten, Sprachen. Haben Sie sich jemals überlegt, wie es konkret aussehen würde, wenn Russland Europa überfallen und unter seine „Knute“ stellen wollte? Allein schon sprachpraktisch und verwaltungstechnisch wäre es geradezu ein Unding. Vom Krieg nach dem Krieg, also entfachten Partisanenkämpfen, Aufständen usw. ganz zu schweigen. Glauben Sie mir: Russland ist froh, dass es, salopp gesagt, dieses Europa nicht an der Backe hat. Oder ziehen Sie in Betracht, dass Russland Europa vernichten will, vielleicht sogar atomar? Halten Sie Russland wirklich für so böse und so dumm obendrauf, dass es die NATO atomar angreift, Millionen von Menschen tötet und sich selbst der Gefahr einer völligen Zerstörung aussetzt? Sollten Sie das bejahen, empfehle ich: Konsumieren Sie bitte keine Medien mehr.

Um Ihnen ein Stück entgegenzukommen: Eine Gefahr besteht tatsächlich. Es besteht die Gefahr, dass durch eine zunehmende und sich bereits jetzt schon verselbstständigende Politik der Konfrontation und des Feindbildaufbaus irgendwann tatsächlich ein Krieg entsteht.

Von Paul Watzlawick stammt das Zitat:

Je mehr eine Nation sich von Nachbarn bedroht fühlt, desto mehr wird sie sich zur Verteidigung rüsten, und desto mehr wird die Nachbarnation ihre eigene Aufrüstung für das Gebot der Stunde halten. Der längst erwartete Krieg ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Da ist etwas dran. Und gerade deshalb ist es wichtig, dass auch Bischöfe fundamentalkritisch die Medienrealität hinterfragen.

Die Realität, mit der wir es zu tun haben, entspricht nicht der Realität eines billigen Western, wo die Bösen die schwarzen Hüte und die Guten die weißen Hüte tragen. Wenn sich schon ein Kirchenvertreter zum Thema Kriegstüchtigkeit zu Wort meldet, dann weiß er hoffentlich, seit wann die CIA in der Ukraine agiert und aus welchen Gründen. Und er versteht auch, was eine dreckige Tiefenpolitik ist.

Um es offen zu sagen: In den Kirchenhierarchien gibt es sicherlich gute, anständige, weitherzige Menschen, die dem Wort Gottes folgen, es nicht weltanschaulich verseucht verstehen und versuchen, zum Guten hin zu wirken. Vor diesen Kirchenmännern und -frauen habe ich großen Respekt. In den Kirchen gibt es aber auch Drecksäcke, die Wasser predigen und Wein saufen. Es gibt Kirchenvertreter, die in der Coronazeit Ungeimpfte wie Aussätzige behandelt haben – dass Jesus Leprakranke aufgesucht hat, haben diese Leute wohl vergessen. Und es gibt Kirchenvertreter, die sich aus Gründen lieber mit der vorherrschenden Politik gemein machen, als sie in angebrachter Schärfe zu kritisieren.

Ich weiß nicht, ob Bischöfe Musik hören, darauf wetten würde ich aber – wobei man als Christ natürlich nicht wetten sollte. Wenn auch Sie also Musik hören, haben Sie vielleicht schon mal das Lied mit dem Titel „Sei wachsam“ gehört. Es stammt von dem Liedermacher Reinhard Mey. Darin heißt es:

Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln
Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln?
Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich,
Abteilung kehrt, im Gleichschritt marsch, ein Lied und heim ins Reich!
Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!”
Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!”
Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!”
Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen.”
Sie zieh’n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,
Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder zurück!

Dieses Lied handelt von Heuchlern, Pharisäern und Manipulateuren, es handelt von Politikern und, ja, auch von Vertretern Ihrer „Zunft“, von Bischöfen.

„Wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen“, singt Mey, um dann anzumerken: „Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm, ich halt’ sie arm!“

Wäre Ihre Karfreitagsbotschaft vom Geist dieses Liedes inspiriert gewesen: Sie wäre ein Glanzstück geworden, mit dem sicherlich auch Ihr oberster Chef – Sie wissen: oben, ganz weit oben – sehr zufrieden gewesen wäre.

Stattdessen baut Ihre Ansprache auf eine politische „Realität“, in der bis heute der Krieg in der Ukraine nicht als das bezeichnet wird, was er auch ist: ein Stellvertreterkrieg.

Warum klagen Sie als Kirchenvertreter nicht die unfassbaren Ausgaben im Rahmen des politischen Großprojektes Kriegstüchtigkeit an, während vor den Suppenküchen im Land die Armen in der Schlange stehen? Warum prangern Sie nicht die Beschaffung und Lieferung von Panzern, Waffen und Munition an, die – und da gibt es nichts schönzureden – zum Töten von Menschen gemacht sind?

Vielleicht entgegnen Sie, diese Ausführungen seien zu einseitig, weil mit den Waffen doch Menschenleben verteidigt würden. Falls dem so ist: Hören Sie bitte mit dergleichen auf. In allen Kriegen „verteidigen“ immer alle Seiten. Manche sprechen gar bei Angriffen von „Präventivverteidigung“. Überhaupt wollen auch alle immer nur den Frieden. Und selbst die, die den Krieg anfangen, ziehen nur für den „Frieden“ in die Schlacht.

Bei einer Kirche, die sich nicht ausdrücklich gegen den politischen Wahnsinn der Hoch- und Aufrüstung ausspricht, entsteht der Eindruck, dass sie lieber mit „der Macht“ schwimmt als gegen sie. Das Letzte, was wir derzeit aber brauchen, ist eine Kirche, die versucht, der Politik Stellungshilfe bei der „korrekten“ Ausformulierung des eingeschlagenen Irrwegs zu bieten. Ob „Kriegstüchtigkeit“ oder „Kriegstauglichkeit“: Beide Ausdrücke bauen auf Prämissen, die einer kritischen Betrachtung nicht standhalten.

Wir Christen sind der Wahrheit verpflichtet. Das ist bisweilen nicht immer leicht. Und was wirklich „die Wahrheit“ ist, das ist leider nicht immer ganz einfach herauszufinden. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“, sagte Jesus. Die Wahrheit liegt also nach dem christlichen Glauben bei Gott. Wo die Wahrheit hingegen allenfalls nur selten liegt, ist in der Politik und den Medien und im Krieg schon gar nicht. Diese Felder sind durchtränkt von Propaganda, Manipulation, Halbwahrheiten und Lügen. Und wer der Meister der Lüge ist, das wissen wir alle.

Nichts für ungut.

Mit Friedensgrüßen
MK

Anm. d. Red.: Die gesamte Predigt von Bischof Franz-Josef Overbeck, der katholischer Militärpfarrer für die Bundeswehr ist, findet sich als PDF-Datei auf dieser Seite.

Titelbild: © KMBA / Hermann-Josef Lachnit