Die Lufthansa bildet Kampfpiloten aus, die Bahn will Panzer befördern, Rheinmetall schafft Umschlagplätze für Waffen. Die innere Militarisierung der Gesellschaft ist in vollem Gange. Auf rechtsstaatlich wackeligem Terrain verbünden sich Bundeswehr und Konzerne auf der Mission Kriegsertüchtigung. Richtig geheim ist das Treiben nicht, dafür aber gemeingefährlich. Von Ralf Wurzbacher.
Preisfrage: Was braucht die Deutsche Bahn am dringendsten? Dieselloks und Flachwagen! Nun ja, beides bräuchte sie wohl mit am allerwenigsten, lebten wir in normalen Zeiten. Tatsächlich ist das deutsche Schienennetz heute noch fast zur Hälfte nicht elektrifiziert, weshalb es vor allem Oberleitungen bedürfte und, zwecks Mobilitätswende, mehr Personenwagen zur Beförderung von Pendlern und Reisenden. Aber die Zeiten sind nicht normal und die Gedankengänge vieler Politiker und sogenannter Experten sind es auch nicht. Sie meinen, Deutschland müsse sich auf einen Krieg vorbereiten und die Bahn zügig in die Lage versetzt werden, in großer Zahl schweres Kriegsgerät und Soldaten zu transportieren.
Als einer der besagten Experten firmiert hierzulande die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), eine „Denkfabrik“, deren Vertreter bei ARD und ZDF häufig und gerne die Welt erklären. Schon im Juli des Vorjahres war auf der Webseite der Organisation im Beitrag „Militärische Mobilität“ zu lesen, dass die DB über viel zu wenige Flachwagen verfüge. Zitat des Autors und DGAP-Analysten Jannik Hartmann: „Aufgrund der geringen Kapazitäten ist es nahezu unmöglich, schnell eine große Zahl von Panzern von und durch Deutschland in Richtung NATO-Ostflanke zu entsenden.“ Und gegenüber dem Handelsblatt (hinter Bezahlschranke) äußerte dieser Tage derselbe Hartmann: „Für den wahrscheinlichen Fall, dass das Stromnetz angegriffen wird, braucht die DB viel mehr Dieselloks als heute.“
Hauptschlagader zur Front
Man bekommt beim Gesagten eine Ahnung davon, wohin das ganze Geld des per Grundgesetzänderung durchgeboxten Schuldenpakets im Umfang von 500 Milliarden Euro zur Instandsetzung der maroden Infrastruktur auch und vielleicht vor allem fließt: in die Kriegsertüchtigung von Schienen, Straßen, Brücken, Tunneln, Krankenhäusern und allem, was sonst noch in Schuss zu bringen ist, damit von deutschem Boden wieder geschossen werden kann. Aber nicht jeder dürfte bemerkt haben: Die Großmobilmachung ist bereits in vollem Gange. Im Handelsblatt-Artikel „Hilferuf der Bundeswehr“ vom vergangenen Dienstag wird dankenswerterweise in aller Offenheit rapportiert, was eigentlich streng geheim ist, weil eigentlich gar nicht rechtens.
Der Text zeichnet unter anderem nach, wie die Deutsche Bahn in die Kriegslogistik eingebunden wird, die Lufthansa zur Ausbildung von Kampfpiloten beiträgt, private Spediteure Waffen und schweres Gerät an die Frontlinien verfrachten sollen, Straßen, Brücken und Häfen behördlich auf Belastbarkeit geprüft werden und Rheinmetall Umschlagplätze für Waffen, Munition und Treibstoff errichtet. All das läuft unter der Devise „Hilfe“, Hilfe für die deutsche Truppe, ihren Bündnisverpflichtungen im Rahmen der neuen NATO-Strategie „New Force Model“ erfüllen zu können. Nach den Vorgaben, festgeschrieben im zum 1. Januar in Kraft getretenen „Operationsplan Deutschland“, muss die BRD ab 2025 im sogenannten Bündnis- und Verteidigungsfall innerhalb von 30 Tagen 35.000 Soldaten sowie mehr als 200 Schiffe und Kampfflugzeuge in Einsatzbereitschaft versetzen. In seiner Position als dann zentrale „logistische Drehscheibe“ hätte Deutschland außerdem die Verlegung und Versorgung auch ausländischer Truppenverbände zu erledigen, die Rede ist von 800.000 Mann, und wäre damit so etwas wie die Hauptschlagader zur Front.
In der Grauzone
Aber: Solange der Bündnisfall nicht ausgerufen wurde, gibt es für die deutsche Armee gar keine Befugnisse und Handhabe, die über Amtshilfe im Katastrophenfall nach Artikel 35 Grundgesetz hinausgehen. Deshalb schrieb etwa die Welt am Sonntag (hinter Bezahlschranke) Ende März, die Truppe bewege sich in einer „rechtlichen Grauzone“, wenn sie schon jetzt mit Unterstützung privater und staatlicher Unternehmen Strukturen aufbaut, um für den Tag X gerüstet zu sein. Allerdings ist die scheidende und kommende Bundesregierung bereits im Begriff, die Gesetzeslage an die neuen Realitäten anzupassen. So solle der fragliche „Operationsplan Deutschland“ um „zivile Beiträge im Sinne einer ‚gesamtstaatlichen Verteidigung’“ erweitert werden, heißt es im Artikel.
Wegweisend dürfte dabei das von Spitzenmilitärs und Spitzenpolitikern erarbeitete „Grünbuch ZMZ 4.0“ (Zivil-Militärische Zusammenarbeit) sein, das Ende Januar veröffentlicht wurde. Darin ist im Licht eines Szenarios, wonach es 2030 zwischen Russland und der NATO zur kriegerischen Auseinandersetzung kommt, detailliert skizziert, wie Militärs und Zivilgesellschaft verschmelzen, um den Herausforderungen zu begegnen. Ein Punkt betrifft die medizinische Versorgung. Kalkuliert wird mit täglich „bis zu 1.000“ verletzten Soldaten, weshalb Zivilisten nur noch nachrangig behandelt werden könnten.
„Hybride Bedrohungslagen“
Das „Grünbuch“ präsentiert auch die Lösung, wie sich ein zivil-militärischer Schulterschluss schon lange im Vorfeld eines heißen Konflikts juristisch beibiegen ließe. Der Schlüssel dazu ist das Konzept „hybride Bedrohungslagen“ in Gestalt von „Cyberangriffen“, „Desinformationskampagnen“ und „Sabotage/Spionage“ – alles Dinge, die der Westen vor allem Russland in die Schuhe schiebt, oft bar jedes Beweises. Jedenfalls empfehlen die Autoren die „Einführung eines eigenständigen Gesetzes zur Regelung Hybrider Bedrohungen“, während sie eine Verfassungsänderung wegen hoher Hürden und schwer abzuschätzender „staatsrechtlicher Implikationen“ als „kaum praktikabel“ einstufen.
Aber vorerst fehlt das erforderliche Gesetz noch, und alle Aktivitäten der inneren Mobilmachung stellen faktisch einen Verfassungsbruch dar. Ganz egal. Schließlich stelle laut Handelsblatt in den deutschen Chefetagen niemand mehr in Frage, „dass den Streitkräften geholfen werden muss“. Und deshalb macht man es einfach – aus Patriotismus vielleicht, aber mehr noch, weil Kriegsertüchtigung ein fettes Geschäft verspricht, allein mit Blick auf deutsche Rüstungsausgaben, die in den nächsten zehn Jahren in die Billionen gehen könnten. Und die Bundeswehr ist dankbar. Bei logistischem Transport von Militärgütern und -material außerhalb von Krisengebieten greife man „fast ausschließlich auf zivilgewerbliche Leistungserbringer zurück“, zitierte die Wirtschaftszeitung das Operative Führungskommando. Selbst in Krisengebieten sei man „noch zu einem erheblichen Anteil“ auf die Dienste von gewerblichen Anbietern angewiesen.
DB Gewehr bei Fuß
Bei den vertraulichen Verhandlungen mit Privat- und Staatsunternehmen gehe es zunächst um „erste vorbereitende Gesprächsrunden“, berichtete das Handelsblatt, vieles sei „noch ungeklärt, die Themen hochsensibel“. Beispiele: Die Lufthansa soll die Grundausbildung der Kampfjetpiloten übernehmen. Die größte deutsche Airline trainiert schon heute auf dem Flughafen Rostock-Laage Drohnenpiloten der Bundeswehr. Aktuell führt das Bundesverteidigungsministerium Verhandlungen mit mehreren Herstellern von Angriffsdrohnen mit dem Ziel, das entsprechende Kampfarsenal deutlich auszubauen. Um sie zu steuern, bedarf es zunächst einer regulären Pilotenausbildung. Nur auf dieser Basis können Absolventen einschätzen, welche Auswirkungen vom Boden gesteuerte Manöver haben. Erst Anfang März hatte Lufthansa-Chef Carsten Spohr auf die engen Beziehungen zur Hardthöhe verwiesen und erklärt, auch das Thema Schulungen intensivieren zu wollen. Die Konzerntochter Lufthansa Technik unterhält inzwischen eigens einen Geschäftsbereich „Defense“, der sich künftig um die Instandhaltung von Kampfflugzeugen und Hubschraubern der Armee kümmern soll.
Gewehr bei Fuß steht auch die DB. Im Berliner Bahntower sei man „vorbereitet“. Selbst Panzer mit 80 Tonnen Gewicht könne man „problemlos transportieren“, heißt es dort. Seit 2023 besteht ein Vorhaltevertrag mit der Frachtsparte DB Cargo, der die Bahn-Tochter verpflichtet, auf Abruf bis zu 343 Flachwagen sowie zwei tägliche Zeitfenster für Militärtransporte zu reservieren. Das jedoch reicht den Kriegsplanern nicht. Cargo biete nicht einmal ein Viertel der Kapazitäten, die im Ernstfall nötig seien, sagte jüngst Ben Hodges, Ex-Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, dem Branchendienst RailFreight.com (hinter Bezahlschranke). Sein Mantra: „Die Russen müssen sehen, dass wir Panzer und Haubitzen schneller bewegen können als sie.“
Transa bleibt deutsch
Hartmann von der DGAP hat eine ganze Reihe an Ratschlägen parat, etwa den, bei der angelaufenen Generalsanierung von 40 Hochleistungskorridoren solche Routen zu priorisieren, „die als Militärkorridore genutzt werden können“. Ferner sollte die Bundesregierung in Absprache mit der DB „genügend Reservelokomotiven und -Anhänger reservieren“. Am dringlichsten wäre aber das Erreichen einer Kapazität „von 1.000 Flachwagen“. Außerdem müssten Militärtransporte auf Schienen und Straßen „unabhängig von Nachtfahrverboten oder Lärmschutzzonen“ durchgeführt werden können. Laut Welt am Sonntag laufen bereits Planungen für „konvertierbare ICE-Waggons, die als ‚Bettenwagen‘ dem Rücktransport von Verwundeten dienen sollen“.
Für den Transport auf der Straße setzt die Bundeswehr unter anderem auf die Speditionen Quehenberger mit Sitz in Salzburg und Transa aus Offenbach, ein Hauptauftragnehmer, wie es heißt. Einst gehörte das Unternehmen zur DB-Logistiktocher Schenker, deren Veräußerung an den dänischen Konkurrenten DSV kurz vor dem Abschluss steht. Man darf annehmen, dass die Bundesregierung Transa als bedeutenden Militärdienstleister nicht verlieren wollte. Also hat man wohl den Laden rechtzeitig aus der Verkaufsmasse herausgelöst und 2022 unters Dach von DB Cargo verschoben.
Öffentliche Debatte – sofort!
Den Zuschlag für die Einrichtung sogenannter Convoy Support Center hat sich im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung Rheinmetall gesichert. Geplant sind laut Handelsblatt auf einem „geheimen Aufmarschkorridor von Westen der Niederlande bis nach Polen im regelmäßigen Abstand Raststationen zur Versorgung von Mensch und Material“. Die Düsseldorfer Waffenschmiede macht seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein „Mordsgeschäft“ und war lange Zeit Börsianers Liebling. Allerdings verliert die Aktie seit mehreren Tagen an Wert. Hintergrund ist ein sich abzeichnender Deal Donald Trumps mit Moskau über einen möglichen Friedensschluss mit Kiew. So etwas kommt bei Investoren schlecht an.
„Die innere Militarisierung schreitet voran – leise, systematisch, tiefgreifend“, konstatiert Arno Gottschalk auf seinem X-Account. Er sitzt für die SPD in der Bremischen Bürgerschaft und zählt zu den noch wenigen „friedensbewegten“ Sozialdemokraten im Land. „Militarisierung ist keine Zukunftsvision – sie ist Gegenwart“ und „dringt tief ins zivile Leben ein – in Unternehmen, in Verwaltungen, in den Alltag“, führt Gottschalk aus. „Es ist höchste Zeit für eine kritische öffentliche Debatte.“
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