Der Leiter der Brandenburger Gedenkstätten, Axel Drecoll, hat gegenüber dem Springer-Blatt BILD angekündigt, den russischen Botschafter „mit Sicherheitskräften“ vom Gelände des KZ Sachsenhausen zu schmeißen. Dort sind für den 4. Mai offizielle Gedenkveranstaltungen anlässlich der Befreiung (durch die Rote Armee) geplant. Hintergrund ist eine Handreichung des Auswärtigen Amtes (AA), die ein entsprechendes Vorgehen gegen russische und belarussische Diplomaten empfiehlt. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, ob die Bundesregierung wirklich Bilder produzieren will, wenn Diplomaten unter Einsatz von Sicherheitskräften aus einer KZ-Gedenkstätte entfernt werden, in denen Abertausende ihrer Landsleute von der SS ermordet worden sind. Ebenso kam die Frage auf, ob das AA, wie behauptet, konkrete Fälle aufzählen kann, bei denen das Mai-Gedenken von russischer Seite in den Vorjahren propagandistisch ausgenutzt wurde. Von Florian Warweg.
Hintergrund
Am 22. April hatte der Leiter der Brandenburger Gedenkstätten, der Münchner Historiker Axel Drecoll, gegenüber BILD angesichts der geplanten offiziellen Gedenkveranstaltung im KZ Sachsenhausen am 4. Mai erklärt:
„Wir haben die russische Botschaft seit dem Überfall auf die Ukraine von allen Jahrestagen ausgeladen. Wenn der Botschafter trotzdem kommt, werden wir unser Hausrecht durchsetzen – in enger Abstimmung mit Sicherheitskräften!“
Im KZ Sachsenhausen, welches am 22. April 1945 von sowjetischen und polnischen Truppen befreit wurde, war im August 1941 von der SS extra eine sogenannte Genickschussanlage errichtet worden, mit welcher nach aktuellem Forschungsstand 13.000 bis 18.000 sowjetische Kriegsgefangene hinterrücks ermordet wurden.
Vor der geschichtsvergessenen Drohung des Westimport-Gedenkstättenleiters gegen den russischen Botschafter hatte das Auswärtige Amt Anfang April eine von Annalena Baerbock initiierte „Handreichung“ des Auswärtigen Amtes (AA) an Bundesländer, Landkreise und Kommunen verschicken lassen, in der anlässlich des Gedenkens an den 80. Jahrestag der Befreiung von der NS-Diktatur am 8. Mai empfohlen wurde, bundesweit keine Einladungen an russische oder belarussische Diplomaten auszusprechen und bei Bedarf Diplomaten dieser Länder mittels Hausrecht von den Gedenkorten entfernen zu lassen (die NachDenkSeiten berichteten).
„Nicht angemessen“
Dass es auch anders geht, zeigt die Reaktion des Bezirksamts Treptow, in dessen Bereich im Treptower Park sich das größte und bekannteste der drei sowjetischen Ehrenmale in Berlin befindet. Eine Sprecherin der Behörde erklärte diesbezüglich, dass man entgegen der Handreichung des AA nicht einschreiten werde, wenn russische Vertreter am 8. Mai zu Gedenkveranstaltungen in den Bezirk kommen:
„Angesichts der historischen Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus und angesichts der Opfer der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, hält das Bezirksamt Treptow-Köpenick es für nicht angemessen, Vertreter der Botschaften Russlands oder Belarus – selbst wenn sie nicht eingeladen wurden und unangekündigt erscheinen sollten – unter Anwendung des Hausrechts des Platzes zu verweisen.“
„Ein Desaster vor den Augen der Welt …“
Zur anhaltenden Debatte in Berlin und Brandenburg um die Teilnahme von Vertretern der Russischen Föderation und der Republik Belarus an Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Befreiung äußerte sich auch Alexander King, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Ko-Landesvorsitzender des BSW Berlin, gegenüber den NachDenkSeiten:
„Dass Vertreter Russlands und von Belarus zu Gedenkveranstaltungen am 8. Mai nicht eingeladen werden, ist geschichtsvergessen und dumm. In Brandenburg wurde vom Gedenkstätten-Chef angekündigt, beim Erscheinen von russischen oder belarussischen Vertretern vom Hausrecht Gebrauch zu machen, entsprechend der bekannten Handreichung aus dem Auswärtigen Amt.
Sollte es wirklich dazu kommen, dass diese Vertreter mit Polizeigewalt von den Gedenkstätten entfernt werden, an denen am 8. Mai den Opfern ihrer Landsleute bei der Befreiung Deutschlands, Europas und Berlins vom Faschismus gedacht wird, wäre das ein Desaster vor den Augen der Welt. Und was ist in Berlin zu erwarten? Das hatte ich in der letzten Plenarsitzung am 10. April den Regierenden Bürgermeister gefragt, allerdings ohne eine Antwort zu erhalten.“
Im Gegensatz zu Berlin kam aus Brandenburg auch Kritik von Seiten der SPD und CDU an dem Vorgehen der Bundesregierung. So bezeichnete etwa der stellvertretende CDU-Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland, Friedemann Hanke, die Handreichung des Auswärtigen Amts als „Quatsch“. Ähnlich äußerte sich auch die SPD-Landtagsabgeordnete Sina Schönbrunn, welche die Handlungsempfehlung als „absurd“ einstufte und erklärte:
„Natürlich kann man alles instrumentalisieren, aber uns sollte es doch vor allen Dingen darum gehen, der Toten zu gedenken.“
Der BSW-Landtagsfraktionschef in Brandenburg, Niels-Olaf Lüders, nannte das Vorgehen des Auswärtigen Amtes „absolut unakzeptabel“:
„Es ist ein diplomatisch – sagen wir es mal vorsichtig – nicht sehr freundlicher Akt gegenüber den Nachfahren der Menschen, die hier begraben liegen. Ihnen untersagen zu wollen, an die Gräber ihrer Vorfahren zu gehen, finde ich absolut unakzeptabel.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 23. April 2025
Frage Alipour (Euractiv)
Eine Frage an das AA: Man hatte den verschiedenen Behörden empfohlen, bei Weltkriegsgedenken die russischen und belarussischen Vertreter nicht einzuladen. Der russische Botschafter hat gesagt, er würde teilnehmen, wenn er das wolle. Daraufhin kam jetzt aus Brandenburg die Aussage, man würde im Zweifelsfall auch das Hausrecht durchsetzen und mit Sicherheitskräften zusammenarbeiten, um das zu verhindern. Mich würde interessieren, ob das Auswärtige Amt es auch als angemessen ansieht, so vorzugehen, falls der russische Botschafter versucht, an solchen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen.
Fischer (AA)
Ich glaube, wir haben uns an dieser Stelle ja schon sehr ausführlich zu diesem Thema geäußert. Aber ich glaube, man kann nicht oft genug betonen: Deutschland übernimmt Verantwortung für die furchtbaren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und setzt sich für eine angemessene Würdigung der Opfer ein, in Russland, in Belarus und weltweit. Aber gleichzeitig ist es so, dass wir natürlich die propagandistische Instrumentalisierung des Zweiten Weltkriegs durch Russland als Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine klar ablehnen und wir uns gegen geschichtsrevisionistische Verfälschungen stellen, die von russischer und belarussischer Propaganda ausgehen. Das gebietet aus unserer Sicht allein schon der Respekt vor den Opfern. An dieser Auffassung ändern auch die Äußerungen des russischen Botschafters nichts. Wir haben gegenüber der russischen Botschaft klar die Erwartung kommuniziert, dass Gedenkveranstaltungen würdevoll ablaufen.
Zusatzfrage Alipour
Würde man aber auch diese weitere Eskalationsstufe unterstützen, dass im Zweifelsfall der russische Botschafter herausgeschmissen wird oder des Geländes verwiesen wird oder der Eintritt gar nicht erst ermöglicht wird?
Fischer (AA)
Es gibt sozusagen die Möglichkeit, vom Hausrecht Gebrauch zu machen, und wenn jemand nicht eingeladen ist und vor der Tür steht, dann muss man sich überlegen, wie man damit umgeht. Eine der Möglichkeiten ist, das Hausrecht zu nutzen und diese Person nicht einzulassen.
Frage Warweg
Im konkreten Fall geht es ja um die Gedenkveranstaltung am 4. Mai im KZ Sachsenhausen. Dort wurden Tausende sowjetische Kriegsgefangene mit Genickschussanlagen hinterrücks ermordet. Deswegen möchte ich die Frage des Kollegen gerne aufgreifen: Sieht das AA keine Problematik, wenn Bilder produziert werden, auf denen der russische Botschafter zum Gedenken in ein Konzentrationslager fährt, in dem, wie gesagt, Tausende sowjetische, aber zum großen Teil auch russische Kriegsgefangene getötet wurden, und dieser Diplomat dann, wie vom Gedenkstättenchef Brandenburgs angekündigt, mithilfe von Sicherheitskräften herausgeschmissen wird? Sind das Bilder, die im Interesse auch der Bundesregierung wären?
Fischer (AA)
Ich glaube, Herr Warweg, ich habe zu dem Thema alles gesagt, was ich zu sagen hatte.
Zusatz Warweg
Nein, haben Sie nicht!
Fischer (AA)
Doch.
Zusatz Warweg
Es war die konkrete Frage, auf die ich Sie zu antworten bitten würde, ob der Besuch einer Gedenkstätte mit Abertausenden hinterrücks ermordeter Sowjetsoldaten durch einen ausländischen Botschafter – – –
Vorsitzender Feldhoff
Herr Warweg, ich glaube, Ihre Frage ist verstanden worden.
Zusatz Warweg
Ja, aber Sie wurde ja nicht beantwortet! Deswegen dachte ich, zum besseren Verständnis wiederhole ich sie.
Vorsitzender Feldhoff
Sie sind doch nicht neu hier. Sie nehmen doch seit mehr als einem Jahr an diesen Pressekonferenzen teil. Sie wissen doch, dass die Bundesregierung manchmal Ihre Fragen nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet. Das ist so!
Zusatz Warweg
Manchmal hilft aber nachfragen!
Vorsitzender Feldhoff
Das haben Sie ja zweimal getan.
Frage Jessen (freier Journalist, kooperiert mit jung & naiv)
Herr Fischer, wie verhält es sich mit Repräsentanten oder Vertretern von Organisationen aus Russland oder anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, die sich als Organisationen und Personen gegen den Angriffskrieg stellen und sagen, dass sie als Bürger mit einem Hintergrund in dieser Region den Toten bzw. den Opfern ihren Respekt erweisen wollen? Wären die willkommen? Dürfen die an solchen Veranstaltungen teilnehmen?
Fischer (AA)
Herr Jessen, vielleicht ganz grundsätzlich: Die Veranstaltungen, um die es hier geht, werden nicht vom Auswärtigen Amt organisiert. Das heißt, die Einladungspraxis wird in diesem Fall von den Gedenkstätten selbstständig gewählt.
Ich habe ja schon deutlich gemacht, dass wir uns für eine angemessene Würdigung der Opfer des Zweiten Weltkriegs einsetzen, gerade auch der sowjetischen Opfer, die ja russisch, ukrainisch, belarussisch, kasachisch, kirgisisch sein können. Das, wogegen wir uns aussprechen, ist in der Tat diese Instrumentalisierung und dieser Geschichtsrevisionismus. Das schließt aber nicht aus, dass Gruppen, die Sie genannt haben, natürlich an diesen Veranstaltungen teilnehmen. Aber, noch einmal, sozusagen die Einladungspraxis ist das Recht derjenigen, die die Veranstaltung organisieren.
Zusatzfrage Jessen
Ja, das ist selbstverständlich. Das gilt ja aber eben dann auch für Vertreter der russischen Staatlichkeit, und da haben Sie die politische Position geäußert, dass Sie sagen, aus Ihrer Sicht würde das einem angemessenen Gedenken nicht entsprechen. Zivilgesellschaftliche Vertreter – Memorial oder wer auch immer – würden aber nach den Kriterien des Auswärtigen Amtes ein würdevolles Gedenken nicht stören, sondern eher dazu beitragen. Verstehe ich Sie da richtig?
Fischer (AA)
Ich werde mich jetzt nicht zu einzelnen Organisationen einlassen. Ich will nur darauf hinweisen, dass Memorial in Russland verboten ist und dass sich das, was von der Organisation noch übrig ist, natürlich immer um die Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit gekümmert hat. Insofern würde ich keinen Widerspruch gegen eine Teilnahme von Memorial an diesen Gedenkveranstaltungen sehen. Aber, wie gesagt, es gilt, dass es das vornehmste Recht der Veranstalter ist, zu diesen Gedenkveranstaltungen einzuladen.
Frage Warweg
Herr Fischer, Sie und Ihre Kollegen hatten hier auch schon mehrmals dargelegt, dass diese Handreichung des Auswärtigen Amtes einen Präventivcharakter hat, um zu verhindern, dass das entsprechende Gedenken instrumentell oder propagandistisch, wie Sie es bezeichnet haben, ausgenutzt wird. Jetzt gab es ja bereits ähnliche Gedenken in Bezug auf den 8. und 9. Mai 2022, 2023, 2024. Gab es denn dort konkrete Vorfälle, bei denen russische oder weißrussische Diplomaten das Gedenken am 8. und 9. Mai entsprechend propagandistisch ausgenutzt haben, wie Sie es jetzt gerade behauptet haben?
Fischer (AA)
Ich werde mich auf diese Diskussion nicht einlassen. Wir haben zu diesen Themen gesagt, was wir zu sagen haben. Ich erinnere mich nur daran, dass russische Vertreter gelegentlich mit dem Georgsband aufgetreten sind, was ja ein Zeichen der russischen Aggression gegen die Ukraine ist.
Zusatz Warweg
Aber die Frage sollte man mir ja trotzdem beantworten! Sie sagen sozusagen: „Präventiv verhindern wir die Teilnahme russischer oder weißrussischer Diplomaten am Gedenken – aus Angst vor Instrumentalisierung“. Sie können mir aber keinen einzigen Beleg dafür geben, dass es so eine Instrumentalisierung in den letzten drei Jahren, seit Beginn des Krieges, gegeben hat.
Fischer (AA)
Herr Warweg, wir haben mitnichten eine Teilnahme russischer Vertreter an Gedenkveranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs verboten. Das könnten wir auch nicht. Ich habe ja darauf hingewiesen, dass die Einladungspraxis eine Praxis der jeweiligen Gedenkstätten bzw. derjenigen ist, die diese Gedenkveranstaltungen organisieren. Dabei würde ich es jetzt belassen. Ich habe ja schon ausgeführt, dass es die Gefahr der Instrumentalisierung durch russische offizielle Vertreter gibt.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 23.04.2025
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