BSW ficht das Wahlergebnis an

BSW ficht das Wahlergebnis an

BSW ficht das Wahlergebnis an

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat am Mittwoch beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags Einspruch gegen das Ergebnis der Bundestagswahl eingelegt. Angesichts des historisch knappen Ergebnisses und starker Indizien für Unregelmäßigkeiten ist das Vorgehen meiner Meinung nach gut begründet. Der Vorgang lenkt den Fokus auch auf Schwächen des Systems: So wird das neue Parlament nun selbst die eigene Legitimation überprüfen, ist also Richter in eigener Sache. Notfalls kann das BSW noch zum Verfassungsgericht ziehen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Die Parteivorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), Amira Mohamed Ali, erklärte gestern zur Entscheidung, das Ergebnis überprüfen zu lassen:

Es ist so gut wie sicher, dass das sogenannte amtliche Endergebnis den Wählerwillen nicht korrekt abbildet. Nach unseren Erkenntnissen ist es wahrscheinlich, dass tausende BSW-Stimmen weiterhin falsch gezählt sind und es deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BSW die Fünf-Prozent-Hürde doch übersprungen hat und deshalb mit einer Fraktion im Bundestag vertreten sein müsste. Klarheit kann nur eine komplette bundesweite Neuauszählung der Stimmen bringen – die wir mit unserem Wahleinspruch fordern.“

Bei der Bundestagswahl am 23. Februar war das BSW – laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis – angeblich extrem knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, es fehlten lediglich rund 14.000 Stimmen. Laut BSW haben Recherchen eine ganze Reihe von Auffälligkeiten ergeben. Demnach gab es zahlreiche Stimmbezirke, in denen das BSW angeblich keine oder nur sehr wenige Stimmen, Kleinstparteien wie das „Bündnis Deutschland“ hingegen überproportional viele Stimmen erhalten hätten. Laut BSW war es am Wahlabend bei der Auszählung und Übermittlung der Ergebnisse offenbar zu Fehlern gekommen.

Angeblich fehlen 9.500 Stimmen für den Einzug

Tatsächlich gab es dann bei der Bekanntgabe des endgültigen amtlichen Endergebnisses zahlreiche Korrekturen zugunsten des BSW – laut der Partei mehr als für alle anderen Parteien zusammen. Und die Zahl der angeblich fehlenden Stimmen schrumpfte auf 9.500. Laut BSW beruhten diese Korrekturen aber nur in sehr wenigen Fällen auf kompletten Nachzählungen in den Wahlbezirken, es seien auch nicht alle Auffälligkeiten beseitigt worden. Die vereinzelten kompletten Nachzählungen in den Wahlbezirken würden zudem zeigen, dass auch in Stimmbezirken, in denen es keine Auffälligkeiten bezüglich offensichtlicher Verwechslungen zulasten des BSW gebe, BSW-Stimmen anderen Parteien zugeordnet oder fälschlich für ungültig erklärt worden seien.

Sollte es zu einer bundesweiten Neuauszählung kommen und sollte sich dabei herausstellen, dass das BSW tatsächlich genug Stimmen erhalten hat, um im Bundestag vertreten zu sein, hätte das erhebliche Auswirkungen: Das BSW würde in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, alle anderen Fraktionen müssten Mandate abgeben – und die sich gerade bildende Regierung stünde ohne parlamentarische Mehrheit da und wäre zum Beispiel auf einen weiteren Koalitionspartner angewiesen. Deshalb gehe es auch nicht nur um das BSW, so Mohamed Ali:

Es geht um die Frage, ob 2,5 Millionen Wähler im Parlament repräsentiert sind. Es geht um die Frage, ob eine Regierung, die in den kommenden Jahren vor wichtigen Entscheidungen stehen wird, eine Mehrheit hat oder nicht. Letztlich geht es um das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen.“

Die BSW-Chefin ergänzt:

Natürlich sitzen im Wahlprüfungsausschuss Vertreter der Parteien, die Mandate verlieren würden, wenn wir in den Bundestag einzögen. Ich habe trotzdem die Hoffnung, dass sich im aktuell zusammengesetzten Bundestag die Verantwortung für unsere Demokratie gegen Partikularinteressen durchsetzt.“

„Schwerwiegender Fehler im Wahlsystem“

Problematisch beim jetzt folgenden Prozedere ist: Nun befasst sich mit dem Einspruch des BSW ein Ausschuss jenes Parlaments, dass durch die eigene Überprüfung die demokratische Legitimation verlieren könnte. Dazu kommt, dass sich dieser Ausschuss für eine Entscheidung theoretisch so viel Zeit nehmen kann, wie er will, wie der BSW-EU-Politiker Fabio De Masi in diesem Artikel der Frankfurter Rundschau kritisiert:

Es ist ein schwerwiegender Fehler im Wahlsystem, dass sich der Bundestag selbst bei einem so knappen Wahlergebnis theoretisch die gesamte Wahlperiode mit der Wahlprüfung Zeit lassen kann. Zudem ist der Bundestag natürlich Richter in eigener Sache und befangen.“

De Masi hat zahlreiche weitere Hintergründe und Details zu dem Vorgang zusammengetragen und auf X veröffentlicht, zum Beispiel in diesem Beitrag. In diesem Beitrag geht De Masi darauf ein, dass dem BSW noch der Gang zum Verfassungsgericht offensteht, sollte das Parlament den Einspruch ablehnen. Dazu schreibt De Masi:

Es wird spannend vor dem Bundesverfassungsgericht (auf den befangenen Bundestag setze ich nicht), denn die Daten aller bekannten Nachzählungen (ohne von außen erkennbare Anomalien) in Wahlbezirken lassen darauf schließen, dass wir bei vollständiger Neuauszählung locker die Fünf Prozent Hürde DEUTLICH überschreiten würden und die bisherige Rechtssprechung des Verfassungsgerichtes ist ebenso deutlich: Auch das Verfassungsgericht stellt fest, dass Wahldaten niemals zu 100 Prozent korrekt sind. Beim BSW sind die Fehler aufgrund struktureller Faktoren extrem gehäuft. Bei extrem knappen Ergebnissen gibt es somit keine 100 prozentige Sicherheit, dass das BSW nicht die Fünf Prozent Hürde überschritten hat. Damit ist aber die Voraussetzung das BSW aus dem Bundestag auszuschließen erst erfüllt, wenn die Daten systematisch überprüft wurden und das Minimum veranlasst wurde einen mandatsrelevanten Wahlfehler auszuschließen. (…).“

Eine Aufklärung ist dringend geboten

Ich finde das Vorgehen des BSW gut begründet. Ich sehe die Partei sogar in der Pflicht, im Sinne ihrer Wähler für die Anerkennung dieser Stimmen zu kämpfen. Die Legitimation des neuen Bundestags steht meiner Meinung nach so lange unter Vorbehalt, bis die deutlichen Auffälligkeiten rund um das historisch knappe Wahlergebnis für das BSW in angemessener Gründlichkeit geklärt sind.

Titelbild: penofoto / Shutterstock