Der Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, hat am Montag schwere Vorwürfe gegen Benjamin Netanjahu erhoben. Netanjahu, so Ronen Bar, habe versucht, die Macht des Geheimdienstes durch eine Reihe zweifelhafter Forderungen für politische und persönliche Zwecke auszunutzen – der umstrittene israelische Premierminister dementierte scharf. Von Ramon Schack.
Bar hatte gegenüber dem Obersten Gerichtshof eine Eidesstattliche Erklärung vorgelegt. Aus dieser geht hervor, dass der israelische Premier den Inlandsgeheimdienst aufgefordert haben soll, politische Gegner auszuspionieren. Diesbezüglich müsse es einen „besonderen Fokus auf die Überwachung der finanziellen Unterstützer der Proteste“ geben. Demnach weigerte sich der Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, regierungsfeindliche Demonstranten auszuspähen. Außerdem wies Bar Vorwürfe zurück, wonach der Geheimdienst es versäumt habe, Netanjahu und andere Sicherheitsbehörden rechtzeitig vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zu warnen.
Netanjahu spricht von Lügen
Ferner heißt es in der Erklärung, Bar habe es abgelehnt, Maßnahmen zu ergreifen, welche zu Verzögerungen in einem gegen Netanjahu laufenden Korruptionsprozess geführt hätten. Dies sei auch der wahre Grund für seine vom Obersten Gericht gestoppte Entlassung als Geheimdienstchef, ließ Bar verlautbaren. Zudem beschuldigte Bar den Premier, von ihm persönliche Loyalität verlangt zu haben. Es bestand keine Zweifel daran, dass Bar im Falle einer Verfassungskrise Netanjahu und nicht dem Obersten Gerichtshof hätte dienen müssen, heißt es in der Erklärung.
Die Generalstaatsanwaltschaft publizierte das brisante Dokument Bars. Netanjahus Büro ließ daraufhin erklären, dass die Eidesstattliche Erklärung voller Lügen sei. „Ronen Bar hat heute eine falsche Eidesstattliche Erklärung beim Obersten Gerichtshof eingereicht, die zu gegebener Zeit ausführlich widerlegt werden wird“, war in der Erklärung zu lesen.
Oberstes Gericht stoppt Entlassung
Zwischen Netanjahu und Bar tobt eine harte politische und juristische Auseinandersetzung. Netanjahus Kabinett hatte Bars Entlassung als Chef des Inlandsgeheimdienstes am 21. März einstimmig beschlossen. Doch mehrere Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen legten Einspruch ein.
Der Oberste Gerichtshof ließ Bars Entlassung zunächst bis zum 8. April aussetzen und erließ dann eine Einstweilige Verfügung, welche die Entlassung Bars bis zu einer „späteren Entscheidung“ in dem Fall blockiert. Der Regierung ist es demnach erlaubt, weiter Gespräche mit möglichen Nachfolgern zu führen, darf aber noch keinen Nachfolger oder Interimsnachfolger ernennen.
Die versuchte Entlassung Bars durch Netanjahu hatte in Israel große Empörung ausgelöst und die Protestwelle verstärkt. Regierungskritiker warfen Netanjahu vor, er zerstöre die Demokratie und unterwandere wichtige staatliche Institutionen.
Untersuchungen zum „Katar-Gate“
Unterdessen laufen die Ermittlungen der Schin Bet wegen der Weitergabe geheimer Armeedokumente an Medien auf Hochtouren. Außerdem untersucht der Geheimdienst mutmaßliche Bestechungsgelder aus Katar an mehrere Vertraute Netanjahus. Wegen der „Katar-Gate“ genannten Affäre sitzen inzwischen zwei Verdächtige in Untersuchungshaft. Der israelische Premier gibt sich ahnungslos und wirft seinerseits dem Geheimdienst vor, die Vorbereitungen der Hamas vor dem Überfall am 7. Oktober 2023 nicht bemerkt zu haben.
Bar hatte allerdings nie bestritten, dass der Schin Bet bei der Verhinderung des Überfalls versagt habe und angekündigt, er werde vor dem Ende seiner Amtszeit zurücktreten. „Wir sind gescheitert“, fasste Bar die Ergebnisse des Berichts damals zusammen. In einem Untersuchungsbericht zum 7. Oktober benannte der Schin Bet allerdings nicht nur eigene Fehler, sondern auch Fehler der Regierung.
Angespannte Beziehungen zwischen dem Premierminister und den Geheimdiensten
Bei dem israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet handelt es sich um eine der einflussreichsten politischen Einrichtungen Israels. „Töte zuerst“ lautete der Titel einer WDR-Dokumentation über eben diesen Geheimdienst, die 2013 ausgestrahlt wurde und noch heute von beklemmender Aktualität ist.
Die Beziehungen zwischen Netanjahu und den israelischen Geheimdiensten sind schon seit Jahren belastet. Was die Gefahr eines iranischen Atomprogramms angeht, so hat ihm eine Reihe von profilierten Experten im eigenen Land schon öfter widersprochen. So stellte der ehemalige Mossad-Chef Meir Dagan vor einigen Jahren fest, als Netanjahu eine militärische Option gegen Teheran ins Spiel brachte, dass ein israelischer Angriff auf iranische Anlagen die Atombombe nicht aufhalten würde. Der damalige Chef des Inlandsgeheimdienstes, Juval Diskin, verdammte die Iran-Politik Netanjahus sogar in Bausch und Bogen. Ferner warf er Netanjahu ein hohes Maß an Mitverantwortung für das Massaker der Hamas vor. Die maßgeblich von Netanjahu bestimmte Politik der vergangenen Jahre habe solch ein Massaker auf israelischem Terrain erst ermöglicht. Diskin sprach in diesem Zusammenhang von einem Staatsversagen sondergleichen und betonte: „Er (Netanjahu) wird dafür bezahlen müssen“.
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