Die Zukunft des Fiskalpakts liegt in den Händen der SPD
Angela Merkels Traum von einer Austeritätspolitik mit Ewigkeitsgarantie hat durch den Wahlerfolg François Hollandes erste Risse bekommen. Zwar ließe sich der Fiskalpakt, wenn es hart auf hart kommen sollte, auch ohne die Franzosen umsetzen. Der Widerstand Hollandes hat bereits die Kritiker in anderen Ländern aufhorchen lassen. Egal, ob es der deutschen Kanzlerin gefällt oder nicht – ohne eine Erweiterung des Fiskalpakts durch Wachstumsprogramme wird ihr Traum zerplatzen wie eine Seifenblase. Eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen spielt dabei die SPD. Nun wird sich zeigen, ob sie eine echte, inhaltliche Opposition betreiben oder doch nur der ewige Juniorpartner an Muttis Rockzipfel sein will. Von Jens Berger
„Das geht einfach nicht!“ – Dieser Satz, der jedem bockigen Kind alle Ehre machen würde, ist Angela Merkels offizielles Statement zur Frage, ob der Fiskalpakt verhandelbar ist. „Der Fiskalpakt“, so Merkel, „steht nicht zur Disposition“. Dies ist zweifelsohne eine waghalsige Aussage, wenn man bedenkt, dass Frau Merkel noch nicht einmal in Deutschland über eine ausreichende Mehrheit zur Verabschiedung des Fiskalpakts verfügt. Da das Vertragswerk tief in das deutsche Grundgesetz eingreift, ist sowohl im Bundestag wie auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Als ratifiziert gilt der Vertrag erst dann, wenn ihn auch der Bundespräsident unterzeichnet. Der, so wollen es die politischen Spielregeln, wird jedoch noch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten müssen. Sowohl die Linkspartei als auch ein Bündnis rund um die ehemalige Justizministerin Däubler-Gmelin haben bereits angekündigt, Karlsruhe anrufen zu wollen, wenn Bundestag und Bundesrat den Fiskalpakt absegnen. Sollten Bundestag, Bundesrat oder das Bundesverfassungsgericht das Vertragswerk ablehnen, kann Deutschland den Pakt nicht ratifizieren [*]. Ob Angela Merkel dann immer noch jedwede Änderung kategorisch ausschließt?
Der Fiskalpakt ist erst dann gültig, wenn ihn mindestens zwölf Eurostaaten nach den jeweils bestehenden demokratischen Abstimmungsverfahren ratifiziert haben. Insofern ist Merkels Argument, der Vertrag könne nicht nachverhandelt werden, weil ihn drei Staaten (Griechenland, Portugal und Slowenien) bereits ratifiziert haben, fadenscheinig. Wenn sich keine zwölf Eurostaaten finden, die dem Vertragswerk zustimmen, tritt es ohnehin nicht in Kraft und die bereits verabschiedeten Ratifikationen sind null und nichtig. Es sollte auch kein allzu großes Problem sein, wenn die Staaten, die bereits ratifiziert haben, noch einmal über ein neues, überarbeitetes Vertragswerk abstimmen ließen. So etwas kommt in den besten Familien vor und ist kein Grund zur Aufregung. Es ist dennoch eher unwahrscheinlich, dass der Fiskalpakt im Kern neu verhandelt werden wird. Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass er durch weitere Verträge ergänzt werden wird, die nicht das Sparen, sondern Wachstumsimpulse behandeln. Dies ist es auch, was sowohl Hollande, als auch die deutsche SPD zwischen den Zeilen fordern. Von einer generellen Ablehnung des Fiskalpakts ist auch vom französischen Präsidenten nichts (mehr) zu hören.
François Hollande hat jedoch ein weiteres Problem. Im Juni finden in Frankreich die für ihn ungemein wichtigen Parlamentswahlen statt. Nur wenn die Sozialisten auch die Mehrheit in der Assemblée Nationale bekommen, kann er seine Politik überhaupt in Angriff nehmen. Sollte er jedoch bereits bei der Umsetzung seines Wahlversprechens, den Fiskalpakt nachzuverhandeln, patzen, droht den Sozialisten eine Wahlniederlage und er wäre zu einer „Kohabitation“ mit den Konservativen gezwungen. Für Hollande muss bei den Verhandlungen zum Fiskalpakt demnach zumindest ein Punktsieg herausspringen, den die Sozialisten im Wahlkampf verwerten können. Einem Formelkompromiss nach gusto der deutschen Kanzlerin kann Hollande eigentlich nicht zustimmen.
Was würde passieren, wenn Frankreich den Fiskalpakt nicht unterzeichnet? Formal würde das Vertragswerk auch ohne Frankreich in Kraft treten, wenn es zwölf Eurostaaten ratifizieren. Sowohl die Pflicht zur Umsetzung der Schuldenbremse als auch die implementierten Sanktionsmechanismen würden dann nur für die Signatarstaaten, aber nicht für Frankreich gelten. Frankreich wäre dann in der gleichen Situation wie Großbritannien. Frankreich hätte dann auch – zumindest pro forma – keinen Anspruch auf die Mittel des „Eurorettungsfonds“ ESM. Nun gehört Frankreich aber auch nicht zu den potentiellen Kandidaten für Rettungsgelder und im worst case wäre es zudem sehr unwahrscheinlich, dass Deutschland Frankreich ans Messer der Spekulanten liefern würde. Auch wenn ein solches Szenario in der Tat denkbar wäre, ist es dennoch unwahrscheinlich.
Deutschland und Frankreich sind – trotz der vielzitierten Achse Berlin-Paris – befreundete Konkurrenten. Ein offener Bruch wäre weder im deutschen noch im französischen Interesse. Deutschland wird nach den Wahlen in Frankreich sein Maximalziel, Europa seinen fiskalischen Regeln zu unterwerfen, nicht mehr erreichen können. Ohne Zugeständnisse an Paris wird Angela Merkel künftig keine Europapolitik mehr betreiben können. Wie weit die Zugeständnisse beim Fiskalpakt gehen können, wird aller Voraussicht noch am 23. Mai auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel entschieden. Welche Verhandlungsoptionen Merkel und Hollande haben, liegt jedoch vor allem in den Händen der deutschen SPD.
Angela Merkel wird nicht nach Brüssel fahren, ohne zuvor mit der SPD – und wohl auch mit den Grünen – einen informellen Kompromiss ausgehandelt zu haben. Eine Kanzlerin, die zuhause noch nicht einmal über die Mehrheiten verfügt, den Fiskalpakt selbst zu ratifizieren, kann auf europäischer Ebene unmöglich eine harte Linie gegenüber ihren Verhandlungspartnern fahren. Nun liegt es also an der SPD, der Kanzlerin den Verhandlungsspielraum vorzugeben. Sollte die SPD den Rückenwind aus Paris spüren und rund ein Jahr vor den Bundestagswahlen endlich erkennen, dass sie eine Oppositionspartei ist, kann sie Angela Merkel am Nasenring durch die politische Manege führen. Entsprechende Forderungen kommen bereits vom linken Flügel der Partei. Da Merkel beim europäischen Showdown mit Hollande auf eine eigene Mehrheit in Deutschland angewiesen ist, wird sie Kompromisse eingehen müssen. Sollte die SPD gar erkennen, dass der Fiskalpakt an sich eine politische und volkswirtschaftliche Torheit ist, könnte sie Merkel sogar allein im Regen stehen lassen. Welche Überzeugungskraft hätte die „Sparkanzlerin“ in Brüssel, wenn allgemein bekannt ist, dass Deutschland den Fiskalpakt selbst nicht verabschieden kann, da Merkel daheim keine ausreichende Mehrheit hat?
Wenn die SPD bis zum 23. Mai öffentlich signalisiert, dass sie den Fiskalpakt, so wie er bislang angelegt ist, nicht mittragen wird und ihn auch dann nicht mitträgt, wenn Merkel ergänzende Wachstumsprogramme verspricht, wäre dies der Tod des Fiskalpakts. Ein Vertragswerk für die Eurozone, das die beiden Kernstaaten Deutschland und Frankreich nicht ratifzieren, wird auch die anderen Unterzeichnerstaaten davon abhalten, dies zu tun. Auch die merkel-treuen Medien haben diese Gefahr schon erkannt – anders ist das überbordende Hyperventilieren nicht zu erklären. WELT-Autorin Dorothea Siems arbeitet beispielsweise schon an ihrer eigenen Dolchstoß-Legende und wirft der SPD bereits jetzt „Vaterlandsverrat“ vor.
Frau Siems kann sich jedoch getrost wieder beruhigen. Es ist leider wenig wahrscheinlich, dass in der SPD gesamtwirtschaftliche Vernunft einkehrt und eine Abkehr vom neoliberalen angebotsorientierten Wirtschaftsdogma stattfindet . Die SPD hat bereits der Schuldenbremse zugestimmt und ihre Kritik am Fiskalpakt war bis dato auch eher handzahm und dem Wahlkampf geschuldet. Sogar in theoretischen Schriften rühmt sich das Spitzenpersonal der SPD lieber, eine bessere – und härtere – Sparpolitik als die Regierungskoalition betreiben zu wollen. Sollte in den nächsten Wochen keine 180°-Wende in den Köpfen der Parteigranden stattfinden, ist auch in puncto Fiskalpakt Hopfen und Malz verloren. Dann bleibt nur noch die Frage, wie groß das „Zückerli“ denn ausfallen wird, mit dem sich Angela Merkel die Linientreue der Genossen erkauft. Der Begriff „Wachstumspakt“ ist sehr dehnbar. Auch die Agenda-Politik der SPD wurde mit dem Argument verkauft, das Wachstum anzukurbeln und die Wirtschaftsliberalen verstehen unter Wachstumspolitik – siehe etwa das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz – ohnehin nur Abbau des Sozialstaats, Arbeitsmarktliberalisierung und Privatisierung Durch eine Zustimmung zum Fiskalpakt würde die SPD jedoch ihren Genossen in Frankreich in den Rücken fallen und Angela Merkel auf europäischer Ebene stärken. Dies wäre die Eingangstür zur Juniorpartnerschaft in eine Große Koalition im nächsten Jahr. Was will die SPD? Sie muss sich jetzt entscheiden.
[«*] Bevor ein Vertrag völkerrechtlich in Kraft treten kann, muss er durch den Souverän ratifiziert (von lateinisch ratus ‚gültig’, facere ‚machen’) werden. Art. 59 Grundgesetz regelt, dass dies in Deutschland durch ein Zustimmungsgesetz gehandhabt wird, das wie jedes andere Gesetz auch die jeweiligen Gesetzgebungsorgane (Bundestag, wenn nötig Bundesrat und Bundespräsident) durchlaufen muss.