Während die USA im Ukraine-Konflikt auf Diplomatie setzen und die Beziehungen zu Russland normalisieren wollen, setzen Deutschland, die EU und Westeuropa auf Eskalation. Zeitgleich mit dem Besuch des US-Sondergesandten Witkoff bei Putin verspricht der deutsche Verteidigungsminister der Ukraine Waffen im Wert von elf Milliarden Euro. Die Koalitionäre schreiben sich die Verlängerung des Krieges in den Koalitionsvertrag. Damit sorgen sie wohl nicht nur in Russland für die Rückkehr der „deutschen Frage“. Von Gert-Ewen Ungar.
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Im Ukraine-Konflikt gibt es derzeit zwei gegenläufige Entwicklungen. Die USA sind erkennbar bestrebt, die diplomatischen Beziehungen zu Russland zu normalisieren und den Ukraine-Krieg zu beenden.
In den vergangenen Tagen gab es dazu gleich mehrere Treffen. Zunächst besuchte der russische Sondergesandte für Wirtschaft, Kirill Dmitriew, die USA. Besprochen wurden dort mögliche Lockerungen der Sanktionen. Unter anderem ging es um die gegenseitige Öffnung des Luftraums zur Wiederaufnahme von Direktflügen. Mit eine der ersten Sanktionen nach dem Beginn der speziellen Militäroperation in der Ukraine am 24. Februar 2022 war die Sperrung des Luftraums über der EU und den USA für russische Fluggesellschaften. Russland antwortete spiegelbildlich und schloss seinen Luftraum für westliche Fluglinien.
Wie nahezu alle Sanktionen hat diese Maßnahme die EU stärker getroffen als die USA, denn für Flüge nach Fernost können Lufthansa und Co. Russland nicht mehr überfliegen. Sie müssen weite Umwege nehmen, durch die sich die Flugzeit erhöht, was sich auch im Preis niederschlägt. Entsprechend der gesunkenen Wettbewerbsfähigkeit haben viele Fluglinien Flugverbindungen nach Fernost gestrichen – darunter British Airways und die Lufthansa. Während die USA über eine Aufhebung nachdenken, hält die EU jedoch am Sanktionsregime fest.
Die EU will auch am weitgehenden Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System festhalten, über das der internationale Zahlungsverkehr abgewickelt wird. Russland hat für einen Waffenstillstand im Schwarzen Meer die Aufhebung der Sanktionen gegen Hersteller von russischem Dünger zur Bedingung gemacht. Die EU verweigert das. Das war bereits 2023 einer der Gründe, weswegen das erste Getreideabkommen gescheitert ist, das 2022 zwischen der Ukraine und Russland in der Türkei ausgehandelt wurde. Zwar wurden wie verabredet die Sanktionen gegen russischen Dünger aufgehoben, aber keine Möglichkeit zur Bezahlung geschaffen. Hier droht die Wiederholung. Die EU hält an den Sanktionen fest. Das ist auch gegen den Widerstand der USA möglich, da SWIFT als Organisation ihren Sitz in Brüssel hat. Der Vorgang zeigt, wie komplex der Weg zurück in die Normalität ist.
Das macht auch ein weiteres Treffen zwischen russischen Diplomaten mit US-Unterhändlern in der Türkei deutlich, das ebenfalls in der letzten Woche stattfand. Es war das zweite Treffen dieser Art. Dabei ging es ausschließlich um die Normalisierung der russisch-amerikanischen Beziehungen. Die Rückgabe der von den USA geschlossenen Konsulate und die Aufstockung des Personals der US-Botschaft in Moskau waren Thema. Auch hier gilt, das Zerstören der Beziehungen ging deutlich schneller als ihre Wiederherstellung.
Vor diesem Hintergrund wirken die Verurteilungen Russlands durch deutsche Politiker und die an deutsche Politik angeschlossenen Medien destruktiv und gleichzeitig politisch naiv. Ohne inhaltliche Kenntnis der Gespräche wird Russland pauschal vorgeworfen, Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Dabei kann das aus westeuropäischer Perspektive überhaupt nicht beurteilt werden, denn es gibt schlicht keine Verhandlungen mit Russland. Die diplomatischen Bemühungen Russlands und der USA zeigen vielmehr deutlich auf, welchen Schaden die scheidende Außenministerin angerichtet hat und welche Mühen auf deutsche Diplomaten zukommen, sollte sich auch in Deutschland der Wind drehen und man wieder auskömmliche Beziehungen mit Russland anstreben. Doch von solchen Gedankengängen ist man in Berlin weit entfernt.
Schließlich traf in der vergangenen Woche noch der US-Sondergesandte Steve Witkoff mit Russlands Präsident Putin zusammen. Das Gespräch dauerte vier Stunden. Über den konkreten Inhalt ist kaum etwas bekannt. Laut Dmitri Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten, wurden weitere Informationen zum Ukraine-Krieg ausgetauscht. Obwohl auch hier die besprochenen Themen vertraulich behandelt werden, titelt die Tagesschau: „Langes Gespräch, wohl wenig Ertrag“. Sie ist damit nicht allein. Die Medien des deutschen Mainstreams reden die diplomatischen Bemühungen zwischen den USA und Russland systematisch klein.
Das Narrativ, mit „Putin“ – soll heißen, mit politischen Repräsentanten Russlands – ließe sich nicht verhandeln, soll aufrechterhalten werden, obwohl die faktischen Vorgänge die Behauptung widerlegen.
Dem US-Sondergesandten Witkoff werfen deutsche Medien zudem die Verbreitung russischer Propaganda vor. Witkoff hatte gesagt, die Menschen im Donbass hätten sich in Referenden für Russland entschieden. Bei den Referenden handelte es sich um „völkerrechtswidrige Inszenierungen“, behauptet die Tagesschau.
Man kann die Bedingungen kritisieren, unter denen die Referenden abgehalten wurden. Ein Teil der Gebiete, über die abgestimmt wurde, befand sich zum Zeitpunkt der Referenden noch unter ukrainischer Kontrolle und war daher von der Abstimmung ausgeschlossen. Dass sich die Menschen im Donbass auch unter anderen Bedingungen mehrheitlich für einen Beitritt zur Russischen Föderation ausgesprochen hätten, steht dagegen nicht infrage. Die überwiegende Mehrheit der Menschen im Donbass sieht in Russland eben nicht den Besatzer, sondern den Befreier. Da mag man in Deutschland das Prozedere kritisieren, an den Fakten ändert das nichts.
Damit sind wir bei der gegenläufigen Entwicklung. Denn während sich die USA um ein Ende des Konflikts bemühen, bemühen sich Westeuropa, die EU und allen voran Deutschland um seine Verlängerung. Während Witkoff mit Putin spricht, verspricht der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius der Ukraine Waffenlieferungen im Wert von elf Milliarden Euro. Pistorius hintertreibt damit aktiv die Bemühungen um eine Verhandlungslösung. Er ist damit selbstverständlich nicht allein, auch wenn sein Geschenk an Kiew unter allen Geschenken der westeuropäischen Staaten am großzügigsten ausfällt.
Dass Deutschland an Frieden in der Ukraine kein Interesse hat, geht auch aus dem Koalitionsvertrag hervor. Dort wurden große Teile der Forderungen von Selenskyjs sogenannter Friedensformel verankert. Deutschland will der Ukraine weiterhin durch Waffenlieferungen zu einer „Position der Stärke“ verhelfen, aus der heraus mit Russland verhandelt werden soll. „Position der Stärke“ ist ebenso wie die Rede vom „gerechten Frieden“ eine Chiffre für den Sieg über Russland. Dass dies das Ziel ist, wird auch daran deutlich, dass Selenskyjs Forderung nach einem Tribunal gegen Russland in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Die Einrichtung eines Tribunals zur Aburteilung russischer Verbrechen und die Anerkennung der dort gefällten Urteile durch eine künftige russische Regierung ist aber nur unter der Bedingung der bedingungslosen Kapitulation Russlands vorstellbar. Wer sich so etwas in einen Koalitionsvertrag schreibt, will keinen Frieden.
Zudem sucht die künftige Bundesregierung nach Möglichkeiten, das in der EU eingefrorene Vermögen der Ukraine juristisch sauber zu übertragen, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Auch das ist eine Forderung Selenskyjs. „Juristisch sauber“ wird es allerdings kaum gehen. Dass man den Vorgang außerhalb der EU als etwas anderes als Diebstahl werten wird, kann ausgeschlossen werden.
Aus all den im Koalitionsvertrag verankerten Plänen spricht die Sprache des Willens zur Eskalation. Deutschland wird weiterhin nichts zu einer diplomatischen Lösung des Ukraine-Konflikts beitragen. Schon jetzt verspricht Pistorius auch für das kommende Jahr weitere Waffenlieferungen und finanzielle Unterstützung. Der Krieg soll nach Vorstellungen der Bundesregierung also auch im Jahr 2026 weitergehen. Deutschland ist gemeinsam mit den westeuropäischen Staaten gewillt, den Krieg in der Ukraine auf Kosten der Ukraine in die Länge zu ziehen, während sich zahlreiche andere Länder, unter ihnen inzwischen sogar die USA, um Frieden bemühen.
Vom der Welt zur Wiedervereinigung gegebenen Versprechen, dass von Deutschland nur noch Frieden ausgeht, ist nichts übrig. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies mittelfristig keine negativen Konsequenzen nach sich zieht, ist gering, zumal Deutschland klar erkennbar den eingeschlagenen Kurs nicht nur beibehält, sondern noch forciert.
Die deutschen Aufrüstungspläne beobachtet man von Russland aus aufmerksam. Ob Deutschland den Zwei-plus-Vier-Vertrag noch achtet, wird in Russland längst diskutiert. Das Versprechen Deutschlands an die Welt hatte völkerrechtlich verbindlichen Charakter. Die „deutsche Frage“ ist daher längst zurück – vermutlich nicht nur in Russland, sondern inzwischen auch in den USA.
Titelbild: kremlin.ru