Ein “Gespenst” tauchte auf der Insel auf. Es hatte jedoch wenig oder gar nichts mit Marx, Engels oder Gramsci zu tun, aber alles mit Frantz Fanon. Grenada war einige Jahre lang das Symbol für ein alternatives Amerika. Diese Karibikinsel erinnert eindringlich an die Lehren von Fanon, Malcolm X und all jenen, die es gewagt haben und es immer noch wagen, die imperialen Strukturen infrage zu stellen. Von Alex Santos Roldán.
Die Monroe-Doktrin ist wieder in aller Munde. Trumps “Make America Great Again” fordert nun schamlos die völlige Unterordnung der westlichen Hemisphäre unter Washington. Es folgen weitere Erklärungen in diesem Sinne, von der Annexion Kanadas und Grönlands über die Wiedererlangung der Kontrolle über den Panamakanal bis hin zur Unterdrückung der lateinamerikanischen Kriminalität mit Waffengewalt.
Überflüssig. Das ist das am besten geeignete Adjektiv für eine solche Aneinanderreihung von Behauptungen. Keiner der genannten Orte läuft Gefahr, sich unmittelbar von der US-Hegemonie zu emanzipieren und eine Bedrohung darzustellen. Die Trump-Rhetorik reagiert auf die multipolare Bedrohung mit einer “hegemonialen Angst” um die Kontrolle über den Kontinent.
Nichts davon ist neu. Vor mehr als 40 Jahren mussten die USA bereits vor ihrem Niedergang gerettet werden. Damals war es Ronald Reagan, der mit einem neoliberalen Schockplan zur Rettung eilte. Seine Präsidentschaft markierte den Höhepunkt der amerikanischen Vormachtstellung, legte aber paradoxerweise den Grundstein für die tiefste Krise, die das Land je erlebt hat. Welche Bedrohung rechtfertigte eine solche Reaktion? Ein wesentlicher Teil der Antwort liegt auf einer kleinen Insel in der Karibik: Grenada.
Die USA verteidigen … wovor?
Am Morgen des 25. Oktober 1983 erwachte die Insel Grenada mit einer Militärflotte vor ihrer Küste. An Bord befanden sich 7.000 US-Marineinfanteristen und 300 Soldaten der Karibischen Friedenstruppe (Caribbean Peace Force, CPF). Sie sollten General Hudson Austin stürzen und die Demokratie wiederherstellen. Und sie schafften es. In einem dreitägigen Konflikt, der eher einer Polizeiaktion als einem Krieg ähnelte, führten sie die Mikronation wieder in die liberale Ordnung zurück.
Eine eklatante Verletzung der Souveränität eines Staates, die rund hundert Menschenleben kostete, löste nur verhaltene Reaktionen seitens Großbritanniens und der Vereinten Nationen aus. Verurteilungen, die, wie Ronald Reagan es ausdrückte, „ihn beim Frühstück überhaupt nicht gestört haben”. Der Präsident zeigte Stärke und die Insel kehrte in die mediale Nichtbeachtung zurück.
In den Geschichtsbüchern würde folgende Rechtfertigung stehen: Die Invasion sei notwendig gewesen, um die kommunistische Aggression in Amerika einzudämmen, da das Land eine kubanisch-sowjetische Basis sei, die als Kommunikationsverbindung zwischen Moskau und dem Sandinismus in Nicaragua diente. Im Mittelpunkt all dieser Argumentation stehen der internationale Flughafen Point Salines und die Länge seiner Landebahn, denn seine 2.700 Meter repräsentierten die Verwirklichung eines neuen Projekts für das Land.
Die “Insel der Gewürze” befand sich mitten in einem gesellschaftlichen Umbruch. Das Land, das gezwungen war, sich auf diesen landwirtschaftlichen Sektor zu spezialisieren und dessen Bevölkerung aus Nachfahren versklavter Menschen bestand, begann sein souveränes Abenteuer mit dem Versuch, sowohl internationale Partner als auch Einnahmequellen zu diversifizieren. Daher die Notwendigkeit eines neuen Flughafens, der angesichts des Aufkommens einer neuen Industrie funktionsfähig sein könnte: des Tourismus.
In Washington entschied man sich jedoch, den Zweifel als unwiderlegbaren Beweis zu betrachten. Sowjetische Militärtransportflugzeuge konnten dort landen, wo auch kommerzielle Flüge landeten, da die in beiden Fällen erforderlichen Landebahngrößen ähnlich sind.
Der vor Ort verfasste Bericht des demokratischen Kongressabgeordneten Ronald Dellums, der auf den zivilen Charakter der Einrichtungen hinwies, spielte kaum eine Rolle. Ebenso wenig war die Beteiligung kapitalistischer Länder wie Kanada oder Großbritannien am Bau oder an den Versuchen des Parlaments von Maurice Bishop von Bedeutung.
Die Bedrohung durch den Kommunismus überschattete alles. Aber welche Rolle spielte Grenada im Bürgerkrieg in Nicaragua? Sicherlich eine begrenzte. Die geografische Lage sprach gegen jede Art von internationaler Verschwörung, die das karibische Land mit Nicaragua in Verbindung bringen wollte. Zwischen den Küsten beider Nationen liegen etwa 2.600 Kilometer, doppelt so viel wie zwischen dem mittelamerikanischen Land und Kuba. Diese Entfernung steht in krassem Gegensatz zur Durchlässigkeit der Grenze zu Costa Rica.
Managua brauchte Grenada nicht, um dem Ansturm Washingtons und der Contras zu widerstehen – wie es auch Moskau nicht brauchte. Ein Kreml, der in ein Blutbad in Afghanistan verwickelt war, der sich mit dem Niedergang seines Wirtschaftsmodells und dem Machtvakuum auseinandersetzen musste, das durch den Tod Leonid Breschnews entstanden war, begann, sich in seine Einflusssphäre zurückzuziehen. Somit war der einzige Akteur, der direkt an einer kommunistischen Regierung in St. George’s interessiert war, Havanna, das einen kleinen Partner für seine Sache gewinnen konnte.
Aber wie 60 Jahre zeigen, hat Kuba allein nicht genug Kraft, um das geopolitische Paradigma in Amerika zu verändern. Das Gespenst des Kommunismus schwebte nicht mehr über dem Kontinent.
Dennoch lag Reagan nicht völlig falsch. Ein “Gespenst” tauchte auf der Insel auf. Dieses hatte jedoch wenig oder gar nichts mit Marx, Engels oder Gramsci zu tun, aber alles mit Frantz Fanon.
Die “weißen Masken” abnehmen
Nicaragua, Kuba, der Kalte Krieg, Ronald Reagan, der Kreml … davon handelt die Invasion von Grenada (1983) nach der westlichen Darstellung. Es ist paradox, dass unter den Ursachen für die Invasion selbst keine der konjunkturellen und strukturellen Dynamiken der Insel berücksichtigt wird. Die lebhafte politisch-soziale Realität des Landes und ihre politischen Auswirkungen auf den gesamten Kontinent bleiben hinter einer vereinfachenden Darstellung verborgen.
In der Kolonie zeigt sich die Realität nackt. Die Aufklärung wurde in Stücke gerissen, als sie mit der Realität der Bantusklaven in der Karibik in Berührung kam. Während in Paris, London und Genf über den Begriff der Humanität nachgedacht wurde, widersprachen auf den Plantagen Tausende von Sklaven mit ihrem Schweiß und Blut jeder diesbezüglichen Überlegung. Es dauerte nicht lange, bis die Ideen der Metropole den Interessen des Kolonialkapitalismus widersprachen.
Grenada, das bis dahin ein bloßes Objekt der Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien gewesen war, versuchte, Haiti nachzueifern und eine Schwarze Republik aus ehemaligen Sklaven zu errichten. Unter der Führung von Julien Fédon stellten die schwarzen Massen das System infrage. Ihre Revolution konnte der Unterdrückung durch die Supermächte nicht länger als ein Jahr standhalten, aber ihr Vermächtnis überdauerte die Jahrhunderte.
Die revolutionäre Tradition der Antillen führte zu den Werken von Frantz Fanon. Der Philosoph aus Martinique fasste zusammen, was die Grundlage des gesamten rassistischen Systems ist, das in ganz Amerika vorherrscht: die psychologische Unterwerfung der Nicht-Weißen unter die Standards der Weißen. Die “weißen Masken” mussten auf dem Weg zur Emanzipation der nicht-weißen Völker heruntergerissen werden.
Diese Prämisse war Ursache und Ursprung der Invasion. Grenada schritt unter der Führung des Labour-Politikers Eric Gairy in die Unabhängigkeit, in der Absicht, einen friedlichen Übergang zu gewährleisten, der die Rollen Washingtons und Londons in der Karibik nicht beeinträchtigen würde. Das revolutionäre Erbe zwang ihn jedoch, von diesem Weg abzuweichen. Das neokoloniale Projekt sollte die gewaltsame Unterdrückung der Opposition durch die “Mongoose Gang” erfordern[1]. Und wieder floss das Blut.
Maurice Bishop, ein revolutionärer Anführer, der seine Reden auf Fanon und die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen stützte, erhob sich gegen Gairy. Als Führer des sozialistischen New Jewel Movement (NJM) verkörperte Bishop die Hoffnungen der Massen auf Emanzipation. Seine Proklamationen machten ihn im kollektiven Unterbewusstsein von Grenada zu einem Synonym für Veränderung und Ermächtigung.
Bishop und seine Bewegung mussten unterdrückt werden. Im Büro des Premierministers wurden die Pläne für seine Verhaftung fertiggestellt, als Gairy beschloss, einen offiziellen Besuch in New York zu machen. Das war sein Ende. Die Revolutionäre waren ihm voraus und führten einen Staatsstreich durch, der die Kräfte der Exekutive hinwegfegte.
Die Revolution war kurz, aber erfolgreich: Es wurden ein kostenloses und universelles Bildungs- und Gesundheitssystem eingeführt, strategische Wirtschaftssektoren verstaatlicht, der soziale Wohnungsbau vorangetrieben und die internationalen Beziehungen diversifiziert.
So war Grenada vier Jahre lang das genaue Gegenteil seiner ehemaligen Metropole.
Während Reagan im Namen der Freiheit den Sozialstaat zerstörte und im Krieg gegen Drogen die afroamerikanische Bevölkerung ruinierte, bot Bishop dieser Gemeinschaft ein emanzipatorisches Modell.
Und die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die US-Regierung verhängte eine Handelsblockade und eine diplomatische Isolation, was die ideologischen internen Streitigkeiten innerhalb des NJM verschärfte. In einer Sackgasse steckend, eskalierten die Spannungen um Fragen der marxistischen Reinheit der Revolution.
Die Flexibilität und das politische Kapital von Bishop wurden von Teilen der Partei und des Militärs, die eine Annäherung an das sowjetische Format forderten, mit Misstrauen betrachtet.
Das Experiment kam zu seinem Ende. Bernard Coard und Hudson Austin, Vertreter der Partei bzw. der Streitkräfte, setzten Bishop ab und verhafteten ihn. Die Bevölkerung erhob sich und befreite ihren Anführer vorübergehend aus dem Gefängnis. Aber nichts davon half. Die Armee eröffnete das Feuer auf die Menge und der Regierungschef von Grenada wurde hingerichtet.
Reagan hatte diese Partie gewonnen. Nachdem die Regierung von Grenada delegitimiert und mit Blut befleckt worden war, dauerte es nicht lange, bis die Räder des nordamerikanischen Neokolonialismus die Supermacht an die Spitze einer Koalition stellten, die die “Freiheit” vor sowjetischem Interventionismus “verteidigen” sollte, indem sie auch nur den geringsten Akt afroamerikanischer Souveränität auslöschte.
Echos von Grenada in der Ära Trump
Ronald Reagan und Donald Trump haben etwas gemeinsam: Beide sind geborene Verkäufer. Und ihr Produkt ist der “amerikanische Traum” – ein Traum, der sich aus einer Mischung aus kapitalistischem Individualismus, protestantisch-christlicher Moral und rassistischer Gesellschaftsstruktur zusammensetzt. Alles verschmolzen und zusammengefasst unter dem Begriff der Freiheit.
Offensichtlich hat die Freiheit nur eine Farbe: Weiß. Die USA sind selbst eine große “weiße Maske”, die es auf die eine oder andere Weise schafft, dass die einheimische Bevölkerung, ehemalige Sklaven und Einwanderer aller Herkunftsländer die Ambitionen, Ängste und Sorgen ihrer politischen und intellektuellen Eliten als ihre eigenen annehmen.
Diese Strategie ist das wirksamste Instrument, über das das Weiße Haus bei der Herrschaft über die westliche Hemisphäre verfügt. Wenn der Status quo bedroht ist, wird daher eine bedrohlichere Maske hergestellt, die massenhaft in der Gesellschaft verteilt und ins Ausland exportiert wird. Auf diese Weise wird von Argentinien bis Deutschland dafür gestimmt, bestehende Mängel mit einem aggressiveren Auftreten zu kaschieren.
Aber es gibt keine Maske, die den Verfall verschleiern kann.
China dominiert mit seinen Exporten den Weltmarkt bei Weitem, einschließlich der Hälfte des amerikanischen Kontinents.
Ebenso wenig gibt es eine Maske, um eine Million Menschen unter den eigenen Ideen zu homogenisieren. Angesichts der Proklamationen von Trump, Bukele, Milei und Co. wird es immer Grenada geben.
Grenada als Symbol eines alternativen Amerikas. Grenada als zuverlässige Erinnerung an die Lehren von Fanon, Malcom X und all jenen, die es gewagt haben und es immer noch wagen, die imperiale Struktur infrage zu stellen. Schwarze, gelbe und braune Stimmen, die die Echos einer vereitelten Revolution wiedergeben, die noch eine Verabredung mit der Geschichte hat.
Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21.
Titelbild: Grafik zur geplanten US-Invasion von Grenada (Operation Urgent Fury) – Quelle: Joint Military Operations Historical Collection (JMOHC) – gemeinfrei.
[«1] Anm. d. Übers.: Die Mongoose Gang war eine Miliz unter Kontrolle von Premier Eric Gairy mit der Aufgabe, Kritiker zum Schweigen zu bringen, Demonstrationen aufzulösen und Gegner der Regierung Gairy zu ermorden.