Eine aktuelle, von Annalena Baerbock initiierte „Handreichung“ des Auswärtigen Amtes (AA) empfiehlt Ländern, Landkreisen und Kommunen anlässlich des Gedenkens an den 80. Jahrestag der Befreiung von der NS-Diktatur am 8. und 9. Mai, keine Einladungen an russische oder belarussische Diplomaten auszusprechen und bei Bedarf Diplomaten dieser Länder per Hausrecht von den Gedenkorten entfernen zu lassen – wohlgemerkt von Grabstätten, in denen abertausende Soldaten aus genau diesen beiden Ländern zur Ruhe gebettet sind. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten unter anderem wissen, auf welcher Rechtsgrundlage das AA hier Einfluss nimmt, wie und mit welchen Teilnehmern Bundesländer, Landkreise und Kommunen diesen Jahrestag begehen. Die Antwort bezeugt den Willkürcharakter dieser Entscheidung. Von Florian Warweg.
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Hintergrund:
In dem internen Papier des AA, das über das Brandenburger Innenministerium an die Landräte und Kreise verschickt wurde und unter anderem der Berliner Zeitung vorliegt, heißt es einleitend, dass sich „die Handlungsempfehlung für den Umgang mit Russland und Belarus“ im Inland „an Bundesländer und Kommunen sowie Gedenkstätten und sonstige Einrichtungen“ richtet. Dann werden die „Empfehlungen“ konkret ausformuliert. Wörtlich heißt es dann weiter:
„Im Inland grundsätzlich keine Teilnahme offizieller Stellen an Veranstaltungen auf Einladung von Russland/Belarus und keine Einladung an russische und belarussische Vertreter zu Gedenken von Bund, Ländern und Kommunen. Da wir unsere Erinnerungskultur bewusst pflegen wollen, sind eine Vielzahl eigener Gedenkveranstaltungen im In- und Ausland in Planung. Sollten Vertreter von Russland oder Belarus bei Veranstaltungen im Inland unangekündigt erscheinen, können Einrichtungen in eigenem Ermessen und mit Augenmaß von ihrem Hausrecht Gebrauch machen.“
Dieses Ausmaß an Geschichtsvergessenheit des Auswärtigen Amtes unter Führung von Annalena Baerbock muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Am 80. Jahrestag der Befreiung von der NS-Diktatur will man just die Länder, die den mit Abstand höchsten Blutzoll dabei entrichtet haben, die Teilnahme an dem offiziellen Gedenken an ihre eigenen Toten proaktiv verhindern.
Und das Ganze ausgerechnet initiiert vom Rechtsnachfolger des Landes, welches im erklärten „Kampf gegen den jüdischen Bolschewismus“ einen explizit als Vernichtungskrieg geplanten Feldzug gegen die Sowjetunion durchführte, dem weit über 20 Millionen Sowjetbürger, davon mehrheitlich Russen und Weißrussen, zum Opfer fielen und an dem der Großvater der geschäftsführenden Außenministerin als Wehrmachtsoffizier von Tag eins an beteiligt war.
Ein Großvater, dessen Kampf „im Winter 1945“ gegen die vorrückende Rote Armee an der Oder-Brücke Baerbock in einem Gespräch mit der US-Denkfabrik Atlantic Council am 6. Mai 2021 mit einem Lächeln auf den Lippen als ihre Inspiration für „fighting for Europe“ bezeichnete:
Kennt Ihr schon @ABaerbock's Auftritt beim @AtlanticCouncil? #BaerbockforKanzlerin verkauft sich dort zunächst als Ostdeutsche (hä?), um dann zu erzählen, wie ihr Ostfront-Opa im Winter 45 an der Oder gegen die Rote Armee kämpfte. Dies sei ihre Inspiration für "fighting for🇪🇺"… pic.twitter.com/VJrnQcTnKO
— Florian Warweg (@FWarweg) May 19, 2021
Alleine in den Kämpfen um Berlin und Brandenburg, den zwei Bundesländern, welche das AA mit seiner Handreichung besonders im Blick hat, fanden mehrere zehntausend Sowjet-Soldaten aus dem heutigen Russland und Belarussland den Tod im Kampf gegen Wehrmacht und SS.
Und ausgerechnet jene Außenministerin mit ihrem bis heute nicht geklärten Verhältnis zur Rolle ihres Opas an der Ostfront, laut Wehrmachtsakten war Oberst Waldemar Baerbock „ein bedingungsloser Nationalsozialist, vollkommen auf dem Boden des Nationalsozialismus“ stehend und wurde 1944 an der Ostfront mit dem „Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern“ ausgezeichnet, lässt Gedenkstätten Handreichungen zukommen, in denen erklärt wird, diese sollten per Hausrecht russische und belarussische Diplomaten von Gedenkorten verweisen, an denen zum 80. Mal um deren gefallene Soldaten getrauert wird. Wie bereits mein Kollege Tobias Riegel in diesem Zusammenhang schrieb:
„Die Dreistigkeit dieser geschichtsrevisionistischen Unverschämtheit muss man erstmal wirken lassen.“
BSW Brandenburg: „Zutiefst respektlos und völlig inakzeptabel“
Die NachDenkSeiten fragten das BSW an, welches in Brandenburg in Regierungsverantwortung steht, wie dieses die Handlungsempfehlung, die insbesondere auf Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Befreiung von Nazi-Deutschland in Brandenburg abzielt, bewertet. Der BSW-Fraktionsvorsitzende Niels-Olaf Lüders im Landtag Brandenburg erklärte dazu, dass seine Partei die Handlungsempfehlung scharf verurteilt und die Gedenkveranstaltungen dazu aufruft, diese zu ignorieren:
„Die Empfehlung, russische und belarussische Gäste nicht einzuladen bzw. bei ihrem Erscheinen vom Hausrecht Gebrauch zu machen, ist zutiefst respektlos und völlig inakzeptabel. 11 Millionen Russen und 3 Millionen Belarussen haben während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben verloren. Die Rote Armee hat den wichtigsten Anteil am Sieg über Nazi-Deutschland. Ihr ist mit Blick auf Brandenburg zum Beispiel auch die Befreiung des KZ Sachsenhausen zu verdanken. Die Handlungsempfehlung des Auswärtigen Amtes ist ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen und Nachfahren unserer Befreier. Ich fordere daher die Brandenburger Gedenkveranstaltungen dazu auf, mit dieser Handlungsempfehlung kreativ umzugehen oder sie bestenfalls zu ignorieren. Das Gedenken an die Befreiung von Nazi-Deutschland sollte insbesondere in Zeiten ausufernder Kriegsrhetorik als Möglichkeit für Völkerverständigung und Dialog genutzt werden.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 9. April 2025
Frage Warweg
Eine aktuelle Handreichung des Außenministeriums empfiehlt Ländern, Landkreisen und Kommunen anlässlich des Gedenkens an die Befreiung von der NS-Diktatur am 8. und 9. Mai, keine Einladung an russische oder belarussische Diplomaten auszusprechen und bei Bedarf Diplomaten dieser Länder per Hausrecht von den Gedenkorten zu entfernen. Wir sprechen wohl gemerkt von Grabstätten, an denen Abertausende Soldaten aus just diesen beiden Ländern zur Ruhe gebettet sind. Da würde mich zunächst interessieren, Herr Wagner, auf welcher Rechtsgrundlage sich das AA hier einmischt und mitbestimmen will, in welcher Art und Weise bzw. mit welchen Teilnehmern Bundesländer, Landkreise und Kommunen diesen Jahrestag begehen.
Wagner (AA)
Herr Warweg, das öffentliche Gedenken an die Befreiung und das Ende des Zweiten Weltkriegs ist wahnsinnig wichtig, auch das Gedenken an die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung. Das ist ein hohes Gut, und das wird bei diesen Gedenkveranstaltungen hochgehalten.
Was natürlich nicht geht, ist eine Instrumentalisierung von Gedenkveranstaltungen zu propagandistischen Zwecken. Ich erinnere noch einmal daran, dass Russland ja im Moment dafür verantwortlich ist, dass ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg in Europa geführt wird. Insofern gilt, glaube ich, bei diesen Veranstaltungen ein Hausrecht – das liegt bei den Veranstalterinnen und Veranstaltern -, und von dem kann Gebrauch gemacht werden.
Zusatzfrage Warweg
Ich fürchte, Sie haben meine Frage nicht ganz verstanden. Meine Frage war ja relativ deutlich die, auf welcher Rechtsgrundlage das Auswärtige Amt diese Handlungsgrundlage erstellt und an die Länder, Kommunen etc. hat austeilen lassen, und das in einem föderalen System! Da würde mich interessieren, wie gesagt, auf welcher Rechtsgrundlage ausgerechnet das Auswärtige Amt in dieser Form intervenieren kann.
Wagner (AA)
Sie fragen mich, auf welcher Rechtsgrundlage ein deutsches Bundesministerium im hypothetischen Fall – hierbei geht es ja um interne Papiere, auf die ich hier sozusagen nicht eingehen werde – mit deutschen Landkreisen, Städten und Bundesländern kommunizieren darf. Ich glaube, Sie haben meine Antwort nicht verstanden, Herr Warweg. Es gibt ein Hausrecht. Auf das können sich Veranstalterinnen und Veranstalter von solchen Veranstaltungen berufen, und das gilt dort.
Im Übrigen, noch einmal gesagt: Das Andenken an die Befreiung und an das Ende des Zweiten Weltkriegs ist wahnsinnig wichtig, und es ist gut, dass es diese Gedenkveranstaltungen gibt. Was es nicht geben darf, ist eine Instrumentalisierung durch russische Propaganda. Ich erinnere noch einmal daran, dass Russland im Moment einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa führt.
Frage Bebenroth (junge Welt)
Dazu habe ich eine Frage an das BMI: Wie sind denn die Erfahrungen mit den vergangenen Gedenkveranstaltungen zum 8. und 9. Mai? Welche Provokationen sind da von wem ausgegangen, und welche Befürchtungen gibt es für dieses Jahr?
Kall (BMI)
Das kann ich Ihnen aus dem Stand nicht sagen. Erst einmal ist ja für die Sicherheit solcher Veranstaltungen dann auch die Landespolizei zuständig. Die Bundespolizei unterstützt dabei. Insofern fragen Sie doch vielleicht einmal bei der Innenverwaltung in Berlin nach, wie die Erfahrungen der Berliner Polizei damit sind. Es gibt ja ganz vielfältige Gedenkveranstaltungen in Berlin, vom offiziellen Gedenken bis hin zu dem, was man in Treptow am Sowjetischen Ehrenmal kennt, und Ähnlichem. In Berlin gibt es also eine sehr große Zahl davon und auch eine große Erfahrung der Berliner Polizei; insofern mein Hinweis, sich dorthin zu wenden.
Frage Warweg
Herr Wagner, die Argumentation des Auswärtigen Amtes ist es also, dass man diplomatische Vertreter von zwei Ländern, die mit Abstand den höchsten Blutzoll für die Befreiung vom NS-Regime geleistet haben, präventiv ausschließt, weil man glaubt, das könnte propagandistisch, wie Sie meinten, genutzt werden. Aber dahinter steht ein Präventivgedanke. Sie haben jetzt keine konkreten Ansätze, die besagen, dass das so genutzt wird, sondern aus Angst vor Missnutzung verbieten Sie diesen zwei Ländern und deren diplomatischen Vertretern die Teilnahme an diesem Gedenken. Habe ich das richtig verstanden?
Wagner (AA)
Herr Warweg, wir verbieten überhaupt nichts, sondern ich verweise Sie noch einmal auf das, was ich eben gesagt habe. Es geht ja nicht um das Auswärtige Amt, und Max Kall hat es ja gerade auch dargestellt. Es gibt eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen ganz unterschiedlicher Organisatorinnen und Organisatoren. Ich würde das, ehrlich gesagt, wirklich strikt zurückweisen. Niemand hier stellt die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands und die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands in Abrede. Das tut hier wirklich niemand. Ich habe nur noch einmal darauf hingewiesen, dass Russland im Moment für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Europa verantwortlich ist und Belarus diesen Krieg unterstützt.
Zusatz Warweg
Das heißt, der Krieg in der Ukraine ist sozusagen die Grundlage dafür, dass das AA in dieser Handreichung sagt, es solle von deutscher Seite keine Einladung an russische und belarussische Vertreter zu offiziellen Gedenkveranstaltungen geben.
Wagner (AA)
Es gibt eine russische Propaganda, die im Moment diesen Krieg in der Ukraine rechtfertigt. Ganz allgemein gesprochen muss man gewahr sein, dass das instrumentalisiert werden kann, auch bei solchen Gedenkveranstaltungen.
Zusatz Warweg
Also doch präventiv!
(ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)
Wagner (AA)
Herr Warweg, wir werden doch jetzt diesen Dialog nicht weiterführen. Ich verweise Sie auf das, was ich eben gesagt habe, und wenn Sie es nicht verstehen wollen, dann ist das Ihr gutes Recht.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 09.04.2025
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