Kriminalisierung „falscher Tatsachenbehauptungen“, verpflichtende digitale Identität, Schnittstellen von Plattformen zu Strafverfolgungsbehörden, möglicher Entzug des passiven Wahlrechts, biometrische Fernidentifizierung, umfassendere Funkzellenabfrage, KI-basierte Datenanalyse für Sicherheitsbehörden, Vorratsdatenspeicherung – und so weiter: Die kommende Bundesregierung verspricht im aktuellen Koalitionsvertrag einen autoritären Kurs, der einen gruseln lässt. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Im Koalitionsvertrag der kommenden schwarz-roten Koalition finden sich einige sehr problematische Pläne, die scharfen Protest hervorrufen sollten. Einige besorgniserregende Aspekte waren schon zuvor aus den Koalitions-Verhandlungen durchgestochen worden. Im Wortlaut findet sich der Koalitionsvertrag unter diesem Link. Hier folgen zunächst einige problematische Passagen aus dem Schriftstück.
Ab Zeile 3929 heißt es im schwarz-roten Koalitionsvertrag:
Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.
Ab Zeile 1803 heißt es:
Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und „Digital-Only“: Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform („One-Stop-Shop“) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform. Jeder Bürger und jede Bürgerin erhält verpflichtend ein Bürgerkonto und eine digitale Identität. Wir werden die EUDI-Wallet für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen bereitstellen, mit der Identifikation, Authentifizierung und Zahlungen ermöglicht werden. Wer den digitalen Weg nicht gehen will oder kann, erhält Hilfe vor Ort.
Ab Zeile 2937 heißt es:
Wir schaffen ein umfassendes Digitales Gewaltschutzgesetz, um die Rechtsstellung Betroffener zu verbessern und die Sperrung auch anonymer Hass-Accounts mit strafbaren Inhalten zu ermöglichen. Plattformen sollen Schnittstellen zu Strafverfolgungsbehörden bereitstellen, damit relevante Daten automatisiert und schnell abgerufen werden können.
Ab Zeile 2850 heißt es:
Die Sicherheitsbehörden sollen für bestimmte Zwecke eine Befugnis zur Vornahme einer automatisierten (KI-basierten) Datenanalyse erhalten. Unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen bei schweren Straftaten, wollen wir den Strafverfolgungsbehörden eine retrograde biometrische Fernidentifizierung zur Identifizierung von Täterinnen und Tätern ermöglichen. Zur nachträglichen Identifikation von mutmaßlichen Tätern wollen wie [sic!] eine Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten.
Ab Zeile 2841 heißt es:
Die Funkzellenabfrage wollen wir wieder umfassender ermöglichen.
Ab Zeile 2890 heißt es
Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung.
Digitale Identität: „Verschwörungstheorien“ werden wahr
Das Informationsfreiheitsgesetz soll „reformiert“ werden – und nicht gleich abgeschafft, wie es von der CDU angedacht war. Mit den Vorhaben zu „Bürgernummer“ und digitaler Identität bewahrheiten sich indirekt einige damals als „Verschwörungstheorien“ abgetane Sorgen aus der Corona-Zeit. Der Journalist Norbert Häring führt in diesem Artikel etwa zur verpflichtenden digitalen Identität aus:
„Die verpflichtende digitale Identität, die der Koalitionsvertrag ankündigt, soll dafür sorgen, dass den Bürokraten und Technokraten alle Informationen über alle zu steuernden Bürger im verpflichtenden Bürgerkonto zur Verfügung stehen. Das Ziel, ausdrücklich formuliert von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, besteht darin, dass die digitale Identität für alle Interaktionen mit dem Staat und mit privaten Unternehmen verwendet wird. Das bedeutet dann, dass alle Informationen über das Tun jedes Bürgers über diese Bürgernummer leicht und verlässlich abrufbar werden.“
Weitere beunruhigende Aspekte rund um den Koalitionsvertrag hat die Initiative „Netzpolitik“ in diesem Artikel zusammengetragen, etwa zu den Punkten Staatstrojaner, Gesichtserkennung und Biometrie, automatisierte Kennzeichenlesesysteme, Ausweitung der Straftatenkataloge etc. Starke Kritik an den schwarz-roten Vorhaben übt auch das Whistleblower-Netzwerk.
Ab Zeile 3302 heißt es im schwarz-roten Koalitionsvertrag übrigens:
Die Unterstützung von Projekten zur demokratischen Teilhabe durch das Bundesprogramm ‚Demokratie leben! setzen wir fort.
Damit ist dann auch eine staatlich geförderte Meinungsmache gegen Regierungskritiker gesichert.
Titelbild: Ryan Nash Photography / Shutterstock