Die Militärbudgets rechtfertigen keine Panikmache vor einem russischen Angriff auf die NATO. Ebenso ist die Behauptung von der Alleinschuld Russlands am Ukrainekrieg angesichts der Vorgeschichte nicht haltbar. Trotzdem wird der Friedensbewegung ein „naiver Pazifismus“ vorgeworfen. Von Bernhard Trautvetter.
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Die Propagandamaschine der Militärlobby arbeitet auf Hochtouren. Sie vergiftet mit ihrer Angstmache aus Tatsachenverdrehungen, Fake News und doppelten Standards die Gehirne vieler Menschen. Dies geschieht tagtäglich in meinungsführenden Medien, in Funk und Fernsehen, mindestens nachrichtenstündlich.
Die Gehirnverschmutzung erinnert an die Manipulation, wie sie aus Vorkriegszeiten bekannt ist. Die Werbung für Kriegstüchtigkeit, für Auf- und Hochrüstung auf Kosten der Daseinsvorsorge scheut nicht davor zurück, Kriegsvorbereitung ‚Sicherheitspolitik‘ zu nennen. Sie streuen den Menschen Sand in die Augen, wenn sie „für deren Sicherheit“ Investitionen in Bunkerbau und in die Ausrüstung des Gesundheitswesens für Krieg planen, obwohl die circa 140 Atomreaktoren in Europa im Krieg zu Atomwaffen werden können, was zur Unbewohnbarkeit weiter Regionen des Kontinents führen würde. Dann könnte niemand mehr unbeschadet einen Bunker verlassen. Hier ein gravierendes Beispiel der aktuellen Meinungsmache:
Am 27.03.2025 berichtete die Tagesschau: „BND und Bundeswehr warnen so deutlich wie selten zuvor vor der Gefahr eines russischen Angriffs auf NATO-Territorium.“ Dem sind die Zahlen zu den Militärbudgets entgegenzuhalten. Selbst US-Geheimdienst-Informationen kommen zum Ergebnis:
„Russland will mit ziemlicher Sicherheit keinen direkten militärischen Konflikt mit den Streitkräften der USA und der NATO und es wird seine asymmetrischen Aktivitäten unterhalb dessen fortsetzen, was es als Schwelle für einen globalen militärischen Konflikt betrachtet.“ (U.S. INTELLIGENCE COMMUNITY – Annual Threat Assessment 02.05.2024, S. 14, Übersetz.: B.T.)
Dieses der Öffentlichkeit weitgehend vorenthaltene Ergebnis geheimdienstlicher Recherchen passt zu den realen Fakten der Militärforschung: Der russischen Armee steht ein Rüstungsetat zur Verfügung, der 2023/24 mit ca. 109 Milliarden US-Dollar nur einen Bruchteil der NATO-Rüstung umfasste, die bei weit über 1.200 Milliarden US-Dollar lag.
Entsprechend eindeutig verhält sich das militärische Ungleichgewicht zu Ungunsten Russlands: Die NATO hatte 2024 5.817.100 Militärangehörige im Dienst, während für Russland 1.330.900 Menschen Dienst in der Armee ausübten. Bei den aktiven Soldaten ergab sich ein Zahlenverhältnis, das weit unterhalb der Relation von eins zu drei lag: In der NATO absolvierten 2024 circa 3.358.000 Soldaten ihren Dienst an der Waffe, während es in Russland nur circa 830.900 waren.
Hier passend exemplarisch das Kräfteverhältnis bei Kampfjets: Die NATO verfügte 2024 über 3.398 Jets für den Luftkampf und Russland 773 (Quelle: hier und hier).
Dazu passend verhalten sich die Ergebnisse einer Greenpeace-Studie zum militärischen Kräfteverhältnis der Armeen Russlands und der NATO alleine schon in der Kategorie „Technologische und operationale Überlegenheit“: In der Bewertung der Waffentechnologien zeige sich, dass die NATO in Schlüsselbereichen wie Kampfflugzeugen und Panzern deutlich im Vorteil sei. Russlands Bestrebungen, moderne Systeme zu entwickeln, würden durch wirtschaftliche und technologische Engpässe stark eingeschränkt. Und weiter:
„Bei Kampfpanzern stehen mehr als 6.000 europäische Panzer 2.000 russischen gegenüber. ( Die NATO mit USA besitzt sogar über 9.000 Panzer.) Bei Artilleriesystemen ergibt sich folgendes Bild: europäische NATO-Staaten 15.399, NATO gesamt: 22.145, Russland 5.399.“
Es zeigt sich, dass die NATO-Lobby eine sozial-, gesundheits-, bildungs- und umweltpolitisch unverantwortliche, weil zerstörerische Hochrüstung legitimiert und dass sie mit einer Bedrohungslüge Spannungen eskaliert, und die eigene Bevölkerung täuscht, um Rückhalt für die Politik der sogenannten Kriegstauglichkeit zu erhalten. Die Menschen werden auf Kosten ihrer Lebensqualität und ihrer Sicherheit hinters Licht geführt. Milliarden, die in die Steigerung der Kriegsgefahr geleitet werden, fehlen bei allen Bereichen der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung.
Behauptung von der Alleinschuld Russlands
Die Bedrohungslüge findet ihre Entsprechung in der Behauptung von der Alleinschuld Russlands am Krieg in Osteuropa. Exemplarisch sei dazu die ZEIT vom 25.02.2025 zitiert: „Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine folgt der gewaltsamen Logik eines gewaltsamen Kolonialismus.“
Ohne die russischen Kriegshandlungen zu legitimieren, ist hier darauf hinzuweisen, wie die Menschen auch hier getäuscht werden: Zur Vorgeschichte des Ukrainekrieges gehört der Putsch gegen die auf Neutralität ausgerichtete Kiewer Janukowitsch-Regierung zugunsten der sogenannten Übergangsregierung Jazenjuk 2014, die eine Pro-NATO-Programmatik hatte. Die NATO wusste und weiß, dass ihre Ost-Expansion mit den juristisch verbindlichen Texten der Europäischen Friedensordnung bricht, da sie die russischen Sicherheitsinteressen verletzt – und doch setzte sie ihre ‚Open door‘-Politik auch gegenüber der Ukraine fort, obwohl es Warnungen hochkarätiger US-Diplomaten und -Experten wie die des letzten US-Botschafters in der Sowjetunion, Jack Matlock, gab:
Es „war ein Fehler, die NATO in den Osten auszudehnen – und die Art und Weise, wie das geschehen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ende des Kalten Kriegs kein westlicher Sieg war. Wir haben das Ende des Kalten Kriegs verhandelt und es zu Bedingungen getan, die auch vorteilhaft für die Sowjetunion waren. Wir haben alle gewonnen. … Putin handelt so, wie jeder russische politische Verantwortliche unter diesen Umständen handeln würde. Der Umsturz in Kiew im vergangenen Februar hat Leute in den Sicherheitsapparat gebracht, die vehement antirussisch sind und die politisch so weit rechts stehen, dass man sie ohne Übertreibung Neonazis nennen kann. Die gewaltsame Übernahme von Regierungsgebäuden hat im Westen der Ukraine begonnen. Nicht im Osten. … Aber es war der Westen, der damit begonnen hat, dieselben internationalen Regeln zu brechen, als die NATO wegen Kosovo Serbien bombardiert hat. Unsere zweite Verletzung der Schlussakte von Helsinki – wonach Grenzen nur veränderbar sind, wenn beide Seiten zustimmen – war, als wir die Unabhängigkeit von Kosovo akzeptiert haben.“
Diffamierung der Entspannungspolitik
Ein gefährliches Beispiel für die Delegitimierung einer Alternative zur Kriegspolitik ist die Diffamierung der Entspannungspolitik von Willy Brandt, Olof Palme und Egon Bahr sowie auf östlicher Seite Gorbatschow, die in einer aktuellen Kritik am sogenannten „naiven Pazifismus“ gipfelt , wie es der sog. ‚Humanistische Pressedienst‘ betreibt:
„Die Aufarbeitung der Fehler von bedeutenden Teilen der Partei Die Linke und jener von Schröder und Schwesig, aber auch von Merkel und Co. kann nun nicht länger aufgeschoben werden. Viele Einschätzungen waren hier offenbar grundlegend falsch und von einem rigorosen Wunschdenken geprägt.“
Mit dieser Formulierung versperren Kritiker der Friedensbewegung der Europäischen Zivilisation den Ausweg, denn sie stellen sich gegen die Entspannungspolitik, die zum Konzept der gegenseitigen Sicherheit im Europäischen Haus vom Atlantik bis zum Ural gemeinsam gestaltet werden soll, wie es die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bereits 1975 als Grundlage europäischer Friedenspolitik beschloss.
Titelbild: Stokkete / Shutterstock