Seitdem die ungarische Regierung ihren Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof angekündigt hat, sind die Beziehungen zwischen Budapest und den EU-Eliten erneut angespannt. Allerdings haben sich in die Kritik auch einige logische Fehler eingeschlichen. Erfahren Sie mehr dazu in diesem Artikel des ungarischen Journalisten Gábor Stier, übersetzt von Éva Péli.
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Wenn es einen Punkt gibt, in dem ich mit der Außenpolitik der ungarischen Regierung nicht einverstanden bin, dann ist es die Haltung zum Nahost-Konflikt, die ernsthafte Fragen aufwirft, und ihre unkritische Unterstützung für Israel. Ich glaube, ich verstehe die Beweggründe hinter diesem Ansatz, aber dieser Ansatz, der voller innerer Widersprüche ist, schwächt die Hauptrichtung der Außenpolitik. Hinzu kam die Rückkehr Donald Trumps, die das Selbstbewusstsein Viktor Orbáns stärkte, der alles auf den Sieg des republikanischen Kandidaten gesetzt hatte. So begann auch Budapest, die internationalen Institutionen offen zu kritisieren, die in vielerlei Hinsicht wirklich überholt und nun grundlegend von „progressiv-liberalem“, also linksliberalem Denken durchdrungen sind.
In diesem Kontext ist der Rückzug der ungarischen Regierung aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verständlich, aber selbstverständlich spaltend. Und es ist wohl kein Zufall, dass dieser mit dem Besuch Benjamin Netanjahus in Budapest und seine Begründung mit der Rhetorik des Weißen Hauses zusammenfällt.
Als Reaktion auf den Haftbefehl gegen Netanjahu sagte Orbán, dass der Internationale Strafgerichtshof sich in unfassbarer Weise in einen ungelösten internationalen Konflikt einmischt. Er bezeichnete den internationalen Haftbefehl selbst als eine dreiste, fast zynische Entscheidung und lud darauf den israelischen Ministerpräsidenten nach Ungarn ein.
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Ungarn zwar das IStGH-Statut angenommen hat, das internationale Übereinkommen darüber aber aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht vom Parlament ratifiziert wurde, sodass in Ungarn keine Maßnahmen in Bezug auf die Entscheidungen des IStGH ergriffen werden können. Trump warf dem IStGH vor, unrechtmäßig und ungerechtfertigt gegen die USA und seinen engen Verbündeten Israel vorzugehen. Laut dem US-Präsidenten habe der Gerichtshof seine Macht missbraucht, er bezeichnete die USA und Israel als erfolgreiche Demokratien, in denen das Militär die Kriegsgesetze strikt durchsetzt.
„Kein Platz für Ungarn in der EU“
Das „Sahnehäubchen“ war, dass die ungarische und die israelische Führung gemeinsam von Budapest aus das Weiße Haus anriefen. Kurz und gut: Die derzeitige Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Nahen Osten kann nur im Kontext des Dreiecks Trump-Netanjahu-Orbán wirklich verstanden werden. Es war also zu erwarten, dass die westeuropäische Führung Orbán und seine Regierung für diesen Schritt angreifen würde, aber das wirklich Interessante ist das Argument, das auf die inneren Widersprüche Europas hinweist.
Das Magazin Der Spiegel greift Orbán unverblümt an und behauptet, Ungarn habe keinen Platz in der Europäischen Union, die als Friedensprojekt auf der Grundlage von Werten und Normen aufgebaut wurde. In einer Welt, die einem Dschungel ähnele und in der das Gesetz des Dschungels zuerst gelte, werde es schwer sein, zu überleben, so das Magazin weiter. In dieser Situation müssen sich alle Länder fragen, auf welcher Seite sie stehen. Auf der Seite der Demokratien, die das Recht achten, oder auf der anderen Seite.
Dem Spiegel zufolge hat Orbán seine Entscheidung klar getroffen. Auch die niederländische Tageszeitung De Volkskrant beklagt, dass das Völkerrecht untergraben werde. Orbán zeige wie ein Autokrat mit dem Mittelfinger auf die internationale Rechtsordnung – hier fehle es nicht an Putinismus – und Ungarn spalte die Europäische Union von innen und beflecke ihr Ansehen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass die europäische Elite die USA, die den IStGH bereits vor Trumps Rückkehr ignoriert haben, so angegriffen hätte. Wie sollten sie auch, denn unter Bill Clinton, Barack Obama oder Joseph Biden war das nicht das Einzige, woran Brüssel und die „progressiv-liberale“ Elite in Europa sich nicht störten. Sie gingen davon aus, dass die USA unantastbar seien und der Hegemon in der Welt schalten und walten könne, wie er wolle. Der IStGH, nachdem er seine politische Neutralität aufgegeben hatte, ist zu einem Werkzeug in den Händen des westlichen Mainstreams geworden, interpretierte seine Rolle selektiv und agierte entsprechend.
EU als Friedensprojekt?
Aber gehen wir noch weiter: Der Spiegel behauptet also, dass die Europäische Union als ein auf Werten und Normen basierendes Friedensprojekt aufgebaut wurde. Nun, diese Werte spielen keine Rolle, wenn es zum Beispiel um die Ukraine geht. Brüssel drückt seit Jahren ein Auge zu, wenn es um die Verherrlichung ehemaliger berüchtigter Anhänger der Nazi-Ideale, wie Stepan Bandera oder Roman Schuchewytsch, auf staatlicher Ebene geht. Aber es interessiert sich auch nicht für offene Verletzungen von Minderheitenrechten oder für die Gleichschaltung der Medien.
Wir könnten auch Beispiele nennen, in denen demokratische Werte verletzt werden, wenn Politiker, die nicht in den Mainstream passen, von Bukarest bis Paris rausgekickt werden, und Parteien, die Wahlen gewinnen, von der Macht verdrängt werden, siehe in Österreich. Die These hinkt also, dass die Demokratien, die die Werte und das Gesetz achten, auf der einen Seite stehen und Orbán auf der anderen. Und wer befleckt den Ruf der Europäischen Union? Nun, heutzutage sind es meist die Leiter der Union selbst. Was das europäische Friedensprojekt angeht, so ist es nicht die ungarische Regierung, sondern Brüssel, das sich gegen diese Idee stellt.
Die „Willigen“ denken zynisch, dass Europa auf ukrainischem Territorium verteidigt werden muss, selbst um den Preis der Opferung der Ukraine, und dass diese Politik dazu genutzt werden muss, Trumps Friedensbemühungen zu behindern. Diese Politik spaltet die EU am stärksten, ganz zu schweigen von den anderen Bruchlinien. Es ist daher heuchlerisch, Ungarn allein für die Probleme der EU verantwortlich zu machen oder dies auch nur zu suggerieren. Es ist eine Tatsache, dass sich Budapest manchmal auch in solchen Fragen gegen die Führung der Europäischen Union stellt, in denen es das nicht tun sollte oder es zumindest aus taktischer Sicht nicht ratsam ist. Doch es wettert nicht gegen die EU, vielmehr ärgert es sich über sie – darüber, dass das derzeitige „liberale“ Fortschrittsdenken die EU selbst zerstört.
Um glaubwürdig zu sein, müsste das Urteil über Ungarn etwas tiefer gehen, als nur abgedroschene Klischees wiederzukäuen, und eine gewisse Selbstkritik würde auch nicht schaden. Es hat sich doch in mehreren Fällen erwiesen, dass Orbán richtig lag.
Der Beitrag ist zuerst auf Moszkvater erschienen und wurde gekürzt und redaktionell bearbeitet.
Titelbild: Mit KI erstelltes Symbolbild (Grok)