Die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, die Belgierin Hadja Lahbib, hat Ende März im Namen der EU-Kommission eine „Preparedness Strategy“ unter dem Motto „Zu allem bereit“ ins Leben gerufen. Dazu hat die EU-Kommissarin ein Video veröffentlicht, in dem sie persönlich aufzeigt, was EU-Bürger ab jetzt in ihren Handtaschen mitführen sollen. Als einer der ersten Gegenstände wird von ihr das Mitführen eines „Schweizer Armeemessers“ empfohlen. Bei dem präsentierten Messer handelt es sich um ein Modell mit feststellbarer, 9 cm langer Klinge. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob das Innenministerium diese EU-Empfehlung unterstützt. Von Florian Warweg.
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In dem reichlich bizarr anmutenden, aber von der EU-Kommissarin für Krisenschutz ernstgemeinten Kampagnenvideo erklärt Sie unter dem Motto „Auf alles vorbereitet – das muss unser neuer europäischer Lebensstil sein“, was man alles in einer Handtasche oder Rucksack mit sich führen sollte, um für die sich anbahnenden Krisen gerüstet zu sein.
Ab Minute 0:34 zieht die EU-Kommissarin, nachdem sie zuvor auf die Mitnahme von Feuerzeug, Taschenlampe und Wasser verwiesen hatte, ein olivfarbenes Schweizer Armee-Taschenmesser hervor und erklärt im besten Werbesprech:
„Mein besonderer Freund. Ein Schweizer Taschenmesser. 18 Werkzeuge in nur einem Messer. Ein absolutes Muss.“
Today, the EU launches its new #Preparedness Strategy.
“Ready for anything” — this must be our new European way of life. Our motto and #hashtag. pic.twitter.com/fA1z8ZvMDA
— Hadja Lahbib (@hadjalahbib) March 26, 2025
Bei dem gezeigten Schweizer Armeemesser handelt es sich um eine Modellreihe, die serienmäßig mit feststellbarer Klinge ausgestattet ist. Die von der EU-Kommissarin behaupteten „18 Werkzeuge“ gibt es aber in dieser Reihe gar nicht. Dieser Typus des Schweizer Armeemessers ist mit maximal 14 verfügbaren Werkzeugen ausgestattet.
Auf der Seite des Anbieters des fraglichen Schweizer Taschenmessers ist zudem extra ein Warnhinweis für Nutzer in Deutschland veröffentlicht:
„Lassen Sie Messer – und sei es ein noch so kleines Taschenmesser – zu Hause“
In Reaktion auf den Messeranschlag in Solingen am Abend des 23. August 2024 bei dem drei Menschen getötet und acht weitere, vier davon lebensgefährlich, verletzt wurden, wurde am 18. Oktober vom Bundestag ein sogenanntes Sicherheitspaket verabschiedet, welches auch eine Verschärfung des Waffenrechts beinhaltete. In Konsequenz daraus wurde in zahlreichen Bundesländern ein absolutes Messerverbot, welches selbst kleinste Taschenmesser umfasste, für Weihnachtsmärkte und andere Veranstaltungen verhängt.
Die sachsen-anhaltinische Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) erklärte in diesem Zusammenhang:
„Auf Weihnachtsmärkten wird die Landespolizei die Einhaltung von Waffen- und Messerverboten kontrollieren. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss damit rechnen, dass Taschen oder Rucksäcke ohne besonderen Anlass kontrolliert werden. Mein Appell an alle Bürger lautet: Lassen Sie Messer – und sei es ein noch so kleines Taschenmesser – zu Hause. Von der neuen Regelung sind Messer jeglicher Art betroffen.“
Wer jedoch Messer bei sich trage, müsse, so die Innenministerin weiter, mit einem Strafverfahren und Bußgeldern in Höhe von bis zu 10.000 Euro rechnen. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort des Innenministeriums in der BPK auf die Frage der NachDenkSeiten, ob die Bundesregierung die EU-Empfehlung, Schweizer Taschenmesser mit arretierbarer Klinge bei sich zu tragen, unterstützt, an Ignoranz und Frechheit kaum zu überbieten:
„Herr Warweg, ich weiß, Sie können sich nicht teilen – so wie wir auch nicht – und gleichzeitig in Brüssel Pressekonferenzen besuchen. Aber ich würde es Ihnen raten. Dann könnten Sie das die EU-Kommission fragen. Von denen ist das Video. Dazu beantworten nicht wir hier die Fragen, sondern die EU-Kommission.“
„Das wird nicht gut enden!“
Von den NachDenkSeiten zu seiner Einschätzung der neuen „Preparedness Strategy” der EU-Kommission und dem entsprechenden Videoclip von Hadja Lahbib befragt, erklärte der BSW-Abgeordnete des EU-Parlaments Fabio de Masi:
„Das ist aus dem Lehrbuch der Propaganda: Von der Leyen hat die EU in eine solche Sackgasse im Ukraine-Krieg geführt, dass man jetzt gezielt Angst schüren muss, um vom eigenen Versagen abzulenken. Die Wirtschaft liegt am Boden und Trump verhandelt über die Zukunft der Ukraine ohne Europa. Es braucht jetzt das Märchen vom Russen, der morgen vor dem Brandenburger Tor stünde, um den Rüstungswahnsinn zu begründen und keine Verantwortung dafür zu übernehmen, dass man die Ukraine für einen vermeidbaren Stellvertreter-Krieg geopfert hat. Bereits in der Corona-Krise hat man versucht, die Gesellschaft durch Angst statt rationalen Diskurs zu steuern. Das wird nicht gut enden!“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 2. April 2025
Frage Hallier (RTL Hauptstadtstudio)
Eine Frage an das BMI: Die EU rät jetzt dazu, sich als Vorbereitung für den Kriegsfall oder einen möglichen Angriff Russlands mit Vorräten einzudecken, die drei Tage reichen. Wie konkret ist denn die Kriegsgefahr aktuell? Müssen wir uns da vielleicht doch ein bisschen mehr Sorgen machen?
Kall (BMI)
Ich denke, das dient der generellen Vorsorge. Ansonsten müssten Sie sich zu den Beweggründen, das jetzt so zu veröffentlichen, an die entsprechenden Stellen der EU wenden. Das deckt sich mit den allgemeinen Hinweisen zum Bevölkerungsschutz, wie man sich auf Krisen, Notlagen, Naturkatastrophen und andere Bedrohungen wie Cyberattacken oder hybride Bedrohungen vorbereiten sollte und vorbereiten kann. Dazu kennen Sie ja auch die entsprechenden Broschüren vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz, die Ratschläge geben, beispielsweise gewisse Vorräte an Wasser und Nahrungsmitteln zu Hause zu haben. Das gilt für verschiedene Krisenlagen – von Hochwasser über Brände bis hin zu Anschlägen oder Cyberattacken. Ich glaube, die Vorschläge sind da sehr ähnlich.
Zusatzfrage Hallier
Sie sprechen die Hinweise und die Broschüren an, die es gibt; offenbar kommen die aber nicht ganz so gut an. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage meinen nur 20 Prozent der Bevölkerung, sich gut informiert zu fühlen, wie sie sich selbst vorbereiten können. Und auch nur 20 Prozent sagen, dass die Bundesregierung seit dem Überfall Russlands ausreichend Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung ergriffen hat, um sie im Kriegsfall bestmöglich zu schützen. Werden demnächst vielleicht noch neue Anweisungen oder Richtlinien kommen, um da nachzubessern?
Kall (BMI)
Das machen Bund und Länder gemeinsam: der Bund für den Zivilschutz, also den Schutz vor militärischen oder kriegerischen Bedrohungen, die Länder für den klassischen Katastrophenschutz. Das wirkt also eng zusammen. Da ist in den letzten Jahren eine ganze Menge passiert. Zum Beispiel ist ein gemeinsames Kompetenzzentrum für den Bevölkerungsschutz gegründet worden, das das bundesweite Lagebild beim BBK erstellt. Es ist ganz massiv in die Warnsysteme investiert worden, die in Katastrophenfällen von größter Bedeutung sind.
Die Ahrtalflut hat gezeigt, wie wichtig rechtzeitige Warnungen sind. Deswegen sind zum Beispiel Warn-Apps gestärkt worden – etwa Warnungen per sogenanntem Cell Broadcast, die man in bestimmten Katastrophengegenden gezielt aufs Handy bekommt, wo man eine solche Katastrophenlage hat.
Das ist alles eingeführt worden. Wir haben einen Bevölkerungsschutztag eingeführt, um einmal jährlich für verschiedene Krisenlagen zu sensibilisieren. Das muss natürlich weitergehen. Und deswegen hat die Bundesinnenministerin sehr begrüßt, dass derartige Investitionen künftig von der Schuldenbremse ausgenommen sind und auch bei dem Sondervermögen mitdiskutiert wurden, weil das ermöglicht, künftig wesentlich stärker in den Bevölkerungs- und Zivilschutz zu investieren.
Frage Warweg
In der von der Kollegin schon angesprochenen Kampagne der EU-Kommissarin für Krisenvorsorge und -management, Hadja Lahbib, ist sie Protagonistin in einem Clip und zieht aus einer Handtasche die ganzen Utensilien, die notwendig wären oder von der EU-Kommission empfohlen werden. Und eines der ersten ist ein Schweizer Armeetaschenmesser mit einer zehn Zentimeter langen, feststellbaren Klinge. Da würde mich interessieren: Empfiehlt das BMI auch deutschen Bundesbürgern, das entsprechende Schweizer Taschenmesser mit feststellbarer Klinge immer als Krisenvorsorge mit sich zu führen?
Kall (BMI)
Herr Warweg, ich weiß, Sie können sich nicht teilen – so wie wir auch nicht – und gleichzeitig in Brüssel Pressekonferenzen besuchen. Aber ich würde es Ihnen raten. Dann könnten Sie das die EU-Kommission fragen. Von denen ist das Video. Dazu beantworten nicht wir hier die Fragen, sondern die EU-Kommission.
Zusatzfrage Warweg
Entschuldigen Sie, Herr Kall, Sie haben vermutlich meine Frage nicht richtig verstanden. Ich habe gefragt, ob das BMI diese Empfehlung der EU-Kommission, explizit der EU-Kommissarin, teilt und unterstützt, dass deutsche Bundesbürger dieses Schweizer Armeemesser mit feststellbarer zehn Zentimeter langer Klinge jetzt täglich in ihren Handtaschen mitführen sollen. Das ist eine Frage, die ganz klar an das BMI gerichtet und auch vom BMI zu beantworten ist.
Kall (BMI)
Aber dieses Video ist von der EU-Kommission. Deswegen ist diese Frage von der EU-Kommission zu beantworten und nicht von uns.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 02.04.2025
„Medienfreiheitsgesetz“ – Ursula von der Leyen sichert sich Oberaufsicht über alle Medien in der EU