„Bis jetzt?“ Antwort von Russen-Botschafter lässt Anne Will in TV-Doku schlucken“ – so lautet die Überschrift eines am Montag auf Focus Online erschienenen Artikels. Der Beitrag ist ein Dokument journalistischer Verwahrlosung. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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„Russen-Botschafter“ – so steht es da. In großen Buchstaben in der Überschrift. „Russen-Botschafter“ – das heißt also: Der Botschafter der Russen. Oder sollte man – im Sinne des Geistes in der Überschrift – besser gleich vom „Russ“ sprechen?
Gleichsam eines Puzzles fügen deutsche Medien Stunde für Stunde und Tag für Tag kleine und größere Teile zu einem immer größer werdenden Gesamtbild zusammen, das schon seit langer Zeit dem Betrachter vor Augen führt: Hier kommt Propaganda.
Eine „Berichterstattung“, die den Namen längst nicht mehr verdient und von anti-russischen Ressentiments geprägt ist, lässt kaum eine Gelegenheit aus, „dem Russ“ eine mit auf den Weg zu geben. Woher in deutschen Redaktionen die Aversion gegen Russland kommt, bleibt im Ungewissen – die Invasion Russlands in der Ukraine oder andere „moralische Kritikpunkte“ können nicht der Grund sein. Dann hätte die deutsche Presse im Hinblick auf das außenpolitische Handeln der US-amerikanischen Politik schon seit Jahrzehnten auf den Hinterbeinen sein müssen.
Die Überschrift von Focus Online zeigt wie unter einem Brennglas die journalistische Verwahrlosung in vielen deutschen Medien auf, wenn es um Russland geht. Der Leser, der noch nicht vom Feindbilddenken infiziert ist, stellt sich die Frage: Warum ist die Überschrift so formuliert? Warum lautet sie nicht: „Russischer Botschafter“? Oder finden sich auch entsprechende Artikel mit der Überschrift „Ami-Botschafter“?
Die Despektierlichkeit in der Formulierung kommt gewiss nicht von ungefähr. In ihr ist jene Stimmungsmache gegen „das Russische“ angelegt, ohne die kaum ein „anständiger“ haltungsjournalistischer Beitrag im Zusammenhang mit Russland auskommt.
Die Regieanweisung scheint zu lauten: distanzieren, abwerten, niedermachen. In den Köpfen vieler Redakteure scheint das, was sie als „Berichterstattung“ verstanden wissen wollen, längst auf einem Schlachtfeld stattzufinden. Wobei: So flüssig, wie die Propaganda aus den Medien spritzt, lässt sich zu der Annahme gelangen, dass es hier längst keiner „Regieanweisung“ mehr bedarf. Das Stahlhelmchen dürfte sich der durchschnittlich anti-russische Weltbildjournalist morgens beim Eintritt in der Redaktion schon von ganz allein aufsetzen – vielleicht schläft er auch damit, was hier nicht geklärt werden kann, aber auszuschließen ist das nicht.
Und so zieht sich die verluderte „journalistische“ Schaffenskunst von der Überschrift durch den gesamten Artikel. Die Autorin beschreibt, wie sie dem Botschafter in der russischen Botschaft in Berlin begegnet und – Holzauge sei wachsam! – schier Unfassbares ihre „journalistische Aufmerksamkeit“ auf sich zieht: „In Netschajews Büro steht kein Familienfoto, sondern ein Porträt von Putin.“
Gut, in deutschen Botschaften finden sich selbstverständlich auch Bilder des Bundespräsidenten – aber darum geht es ja nicht. Es geht darum, den Lesern Propaganda zu übermitteln, die da lautet: So ist er, „der Russ“. Hat nicht mal ein Bild seiner Familie dastehen. Stattdessen ein Bild von Putin – dem „Oberbösewicht“.
Seriöser Journalismus würde, wenn er denn schon unbedingt die An- und Abwesenheit von Bildern im Büro des Botschafters thematisieren möchte, das tun, was zum Journalismus gehört: Fragen stellen, offen und nicht hinterfotzig sein. „Warum, Herr Botschafter, haben Sie hier ein Bild von Putin und kein Bild Ihrer Familie stehen?“ Nur, und darauf darf man wetten: Dann wäre wohl eine Antwort erfolgt, die den propagandistischen Ansatz zunichtegemacht hätte.
Und so geht es weiter in dem Artikel, der Szenen aus einer „ARD-Doku“ von Anne Will beschreibt, mit der am Montagabend das Fernsehpublikum belästigt wurde.
Übrigens: Es gab eine Zeit, da war der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch nicht ganz so kaputt. Damals gab es einen klugen Fernsehmoderator mit Namen Peter Lustig. Der empfahl seinen Zuschauer am Ende seiner Sendung: „Abschalten!“
Titelbild: Jose Luis Carrascosa / Shutterstock