„Mit dem Geld lassen sich Autobahnbrücken für Panzerüberfahrten ertüchtigen“

„Mit dem Geld lassen sich Autobahnbrücken für Panzerüberfahrten ertüchtigen“

„Mit dem Geld lassen sich Autobahnbrücken für Panzerüberfahrten ertüchtigen“

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Eine Kurzzeit-Kenia-Koalition schreibt mal eben das Grundgesetz um und schnürt für Schwarz-Rot ein Billionen-Euro-Paket zwecks Hochrüstung und Ertüchtigung der maroden Infrastruktur. „Cui Bono“, wem nützt das, fragt Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand und liefert die Antwort gleich mit: Waffenschmieden, Banken, Versicherungen, BlackRock und allen, die sonst noch beim neuen deutschen Schuldenrausch absahnen werden. Im Interview mit den NachDenkSeiten spricht der Aktivist über vergessliche Kaputtsparer, schießwütige Klimaretter und Friedrich Merz als größten anzunehmenden Umfaller. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.

Zur Person

Carl Waßmuth, Jahrgang 1969, ist Bauingenieur und Infrastrukturexperte. Er ist Mitbegründer, Vorstandsmitglied und Sprecher beim Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), der sich für die Demokratisierung der Daseinsvorsorge einsetzt und für die gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit. Gemeingut ist Trägerorganisation der Initiativen „Bahn für alle“ und „Bündnis Klinikrettung“ sowie Mitbegründer der „Allianz Vermögen besteuern jetzt“.

Ralf Wurzbacher: Herr Waßmuth, Sie und Ihre Mitstreiter kämpfen seit nunmehr 15 Jahren dafür, dass hierzulande substanziell in die in Jahrzehnten vernachlässigte Infrastruktur investiert wird. Müssten Sie nicht eigentlich Wladimir Putin dankbar sein, dass es jetzt endlich so weit ist?

Carl Waßmuth: Ich staune, was alles damit gerechtfertigt wird, weil Leute vermuten, dass „Putin“ dieses oder jenes planen würde. Für die deutsche Infrastrukturpolitik sind die Regierungen in Deutschland verantwortlich, und zwar zu 100 Prozent. Sie haben die Infrastruktur sehenden Auges bis an den Rand des Zusammenbruchs kaputtgespart. Den völligen Kollaps will man nun offenbar doch nicht zulassen. Wenn das nur aus militärischen Gründen so wäre, hieße das, einen Kollaps für die Zivilgesellschaft hätte man durchaus in Kauf genommen. Das will ich nicht hoffen.

So oder so brauchte es offenbar erst die russische Bedrohung – ob vorhanden oder nur herbeigeredet –, um einzusehen, dass Deutschlands Straßen, Brücken und Schulen kaputt sind und dringend erneuert gehören. Tut die Politik das Richtige, wenngleich vielleicht aus den falschen Motiven?

Man sollte vorsichtig mit Begründungen handelnder Politik sein und auch andere mögliche Motive im Blick behalten. Hier hilft die Frage des „Cui bono“, wem nützt es? Wem hat es genützt, dass Deutschland in Zeiten von Nullzinsen seine Schulden nur in Schattenhaushalten und mit ÖPP-Projekten, also öffentlich-privaten Partnerschaften, gemacht hat? Den Kreditgebern der Schattenkredite, denn da wurden und werden durchaus hohe Zinsen bezahlt. Die Bauindustrie hatte lange volle Bücher und konnte enorme Baupreissteigerungen durchsetzen. Jetzt geht es weiter mit fetten Regierungsaufträgen. Durch das lange Kaputtsparen wird sicher vielfach gleich der Ersatzneubau vorgeschlagen. Die aufwändige Sanierungsarbeit macht die Bauindustrie nämlich nicht so gerne.

Über Nacht haben die „Schwarze Null“ und die „Schuldenbremse“ praktisch ausgedient und üppige „Sondervermögen“ retten das Land vor dem Verfall – und einem russischen Überfall. Hätten Sie ein so radikales „Umdenken“ noch vor einem halben Jahr für möglich gehalten?

Wir haben der Schuldenbremse in der alten Form auch kein langes Leben mehr prophezeit. Die Erzählung von der Schwäbischen Hausfrau war löchrig geworden wie ein Schweizer Käse. Schwaben lassen ihr Häusle nicht verfallen, sie gehen zu ihren Bausparkassen und verschulden sich. Es hat sich auch herumgesprochen, dass Staatsschulden und Privatschulden verschiedene Dinge sind. Leider hat die Schuldenbremse ihren schlechten Zweck bereits erfüllt: Ausgaben im Sozialbereich wurden verhindert zugunsten von Schattenkrediten und Privatisierungen, die Aufnahme lang laufender und zinsgünstiger Staatsanleihen war ja verboten.

Jetzt sind die Zinsen wieder hoch. Die Kehrseite der maroden Infrastruktur ist die sich immer weiter verschlechternde Daseinsvorsorge. Das hat die Industrie zunächst nicht gejuckt, aber seit einigen Jahren spürt sie da was und beschwert sich. Die Menschen in abgehängten Regionen spüren es schon lange und werden inzwischen geradezu rebellisch. Die Frage war nun für die Union, wie sie aus der Nummer herauskommt. Zugeben, dass man von Anfang an gelogen hat, dass es nie gute Gründe für die Schuldenbremse gab?

Das auf jeden Fall nicht. Und stattdessen?

Sie haben gar nichts erklärt, sie haben es einfach gemacht. Es war auch eilig: Hauptsächlich ging es ihnen ja um Kredite für Rüstung, und dafür gibt es im neuen Bundestag keine Zwei-Drittel-Mehrheit. Also gab es eben eine Kurzzeit-Kenia-Koalition, und ruckzuck war das Grundgesetz geändert. Das war Machtpolitik reinsten Wassers: „Wir machen es, nicht weil wir es versprochen haben – wir haben das Gegenteil versprochen –, sondern weil wir es können.“ Damit wurde allerdings die Akzeptanz von Wahlen und Wahlversprechen massiv beschädigt. Was uns daraus erwächst, davor müssen wir uns wohl noch mehr fürchten als vor den Folgen der ganzen bisherigen Privatisierungen.

Böse Zungen behaupten, die vielen Infrastrukturmilliarden wären nur ein Köder für die Bevölkerung, damit sie diesen Aufrüstung-Rumms schluckt. Was denken Sie: Wie viel gut gemeinter Wille zum Sanieren von Schienen, Brücken und Schulen steckt in dem Paket?

Die Infrastruktur ist an vielen Stellen ganz objektiv kaputt. Das hat mit Rüstung nichts zu tun. Hätte sich Klein-Kenia bei den Rüstungskrediten nicht einigen können, hätte man dann die Infrastruktur nicht saniert? Aber für eine Aufhebung der Schuldenbremse zugunsten von zivilen Infrastrukturinvestitionen gibt es auch im neuen Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit, Die Linke ist ja auch dafür. Es wurde also ohne Not zusammengerührt, was nicht zusammengehört. Darin sehe ich nicht viel guten Willen, nur Geklüngel.

Sei es drum. Immerhin werden mit dem 500-Milliarden-Euro-Paket demnächst Unsummen in die darbende deutsche Wirtschaft gepumpt. Gut so?

Wenn hier CDU/CSU, SPD und Grüne alles zusammengerührt haben, muss das nicht so bleiben. Lassen Sie mich das mal sortieren: Die Rüstungswirtschaft darbt nicht. Sie braucht aus unserer Sicht keine Milliarden, und sie generiert auch kein Wachstum, im Gegenteil. Abgesehen davon, dass Waffen, einmal in der Welt, dazu neigen, eingesetzt zu werden, und dann Menschenleben, Umwelt und Infrastruktur zerstören. Bis dahin verursacht Rüstung nur Inflation, denn es werden keine Werte geschaffen, aber die Firmen und ihre Beschäftigten bekommen viel Geld, das sie nicht für die eigenen Produkte ausgeben können.

Die zivile Wirtschaft hat allerdings Probleme, von denen ein staatliches Konjunkturprogramm einige lindern könnte. Unsummen sind das allerdings nicht. Insbesondere die Kommunen bekommen von dem Programm kaum mehr als Tropfen auf heiße Steine. Die halbe Billion geht ja über zwölf Jahre. Die Länder, zu denen die Kommunen gehören, bekommen davon nur 100 Milliarden Euro. Macht 8,3 Milliarden pro Jahr. Nehmen wir an, die Länder beanspruchen davon die Hälfte für ihre Krankenhäuser, Universitäten, Gefängnisse, bleiben Städte und Gemeinden etwas mehr als vier Milliarden Euro pro Jahr. Dabei stemmen die gut 80 Prozent der Daseinsvorsorge, werden aber glatt ausgehungert. Ich hoffe, CDU- und CSU-geführte Kommunen starten in ihren Parteien eine ordentliche Revolte!

Eine andere Frage ist die, was von diesen 500 Milliarden Euro tatsächlich dem Zivilsektor zugutekommt und ob nicht auch davon Teile in den Bereich „Verteidigung“ wandern. Haben Sie dazu eine Vorstellung, vielleicht ja sogar eine quantitative?

Die Frage ist völlig berechtigt. Das neue Sondervermögen erlaubt Kredite für „zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur“. Das ist denkbar schwammig. Schlimmer: Man hat die Einschränkung „zivil“ weggelassen. Es können also mit dem Geld die Autobahnbrücken für Panzerüberfahrten ertüchtigt werden, Militärflughäfen gebaut oder Krankenhäuser für die Aufnahme einer großen Zahl von Verwundeten erweitert. Unsere Hochschulen forschen in diesem Szenario dann nicht mehr an der Heilung von Krebs, sondern an Künstlicher Intelligenz für genauere Drohnensteuerung. Und unsere kaputte Bahn: Stellen Sie sich vor, man bekäme es hin, dass die endlich repariert würde – aber drin sitzen am Ende doch nicht wir, sondern nur Soldaten.

Immerhin sollen 100 Milliarden Euro in den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen. Diesen Punkt haben die Grünen durchgesetzt. Wie weit reicht Ihre Dankbarkeit?

Auch hier sind es ja tatsächlich nur 8,3 Milliarden Euro pro Jahr. Damit stoppen wir die Klimakatastrophe nicht. Zumal Militär ja ein krasser Umweltverschmutzer ist, und da wurden die Schleusen gerade erst richtig geöffnet.

So richtig gigantisch wird das sogenannte Investitionspaket erst dadurch, dass es ein Schuldenpaket ist, das über Jahrzehnte abzustottern ist und nachfolgende Generationen massiv belasten wird. Von welchen Beträgen müsste man eigentlich reden, wenn man nur die Infrastrukturmilliarden nimmt?

Ich gehe mal davon aus, dass nicht beabsichtigt ist, diese Schulden jemals zurückzuzahlen. Staaten dürfen das, nach Ende der Fälligkeit werden neue Schulden aufgenommen bis Sankt Nimmerlein beziehungsweise bis die Schulden durch langjährige Inflation nicht mehr ins Gewicht fallen. Das bedeutet aber nicht, dass die neuen Sonderschulden nichts kosten. Allein in den kommenden zwölf Jahren zahlen wir sicher 100 bis 200 Milliarden Euro an Zinsen – nur für die 500 Milliarden Euro. Wir haben aber noch mehr Schulden und wollen für Rüstung noch mehr machen. Das kann alles zusammen dazu führen, dass Deutschland insgesamt höhere Zinsen zahlt – für alle seine Kredite.

Wer profitiert davon?

Diejenigen, die ohnehin schon reich sind. Nur die haben Milliarden übrig, die sie verleihen und verzinsen lassen können. Und die Rüstungsfirmen. Die können ja jetzt fast jeden Preis verlangen. Man könnte zynisch sagen, wir werden genauso viele neue Panzer bekommen wie zuvor, nur eben dreimal teurer pro Stück. Aber es geht um mehr als um das Geld. Es geht um unsere gemeinsamen Ressourcen. Ein Land, das auf Kriegswirtschaft umstellt, wird nicht en gros Straßenbahnen bauen. Wo nur Großaufträge zur Infrastruktursanierung vergeben werden, da geht das mittelständische Bauhandwerk zugrunde. In welcher Gesellschaft werden wir in zwölf Jahren aufwachen? Welche Konzerne bestimmen dann bei uns?

Vor zehn Jahren hatte die vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bestellte sogenannte Fratzscher-Kommission neue Modelle zur Mobilisierung privaten Kapitals zwecks Ertüchtigung der öffentlichen Infrastruktur ausgeheckt. In Teilen umgesetzt finden sich die Empfehlungen in der Zentralisierung der Fernstraßenverwaltung in Gestalt der privatrechtlich verfassten „Autobahn GmbH des Bundes“. Erleben wir jetzt so etwas wie das ganz große Fressen, sprich den Ausverkauf alles Staatlichen?

Die Autobahn GmbH wurde ja auch per Grundgesetzänderung geschaffen. Wir hatten in diesem Zusammenhang zwei ungute Dinge vorausgesagt: Erstmal wird der Laden zehn Jahre mit sich selbst beschäftigt sein und fast gar nicht bauen. Danach kommen dann im großen Stil öffentlich-private Partnerschaften ÖPP, eine besonders teure Privatisierungsform. Nun sind fast sieben Jahre seit der Gründung vergangen, und wenn man sich die Autobahnbrücken ansieht, dann haben wir wohl mit Teil eins weitgehend recht behalten. Und Friedrich Merz will ja unbedingt Privatkapital mobilisieren. Staatsanleihen sind ja auch Privatkapital, aber BlackRock will höhere Renditen. Das geht mit ÖPP prima.

Wo das hinführt, kann man in der Hauptstadt ersehen, am Beispiel der Berliner Schulbauoffensive (BSO)

Ja, da kann man die Dimension ganz gut sehen. Weil der Berliner Senat sich durch die Schuldenbremse daran gehindert sah, seine Schulen zu sanieren, hat man dort zu einem ÖPP-Modell gegriffen, mit einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft als Zwischenhändler. Die sollten für eine Milliarde Euro circa 30 Schulen neu bauen und etwa zehn sanieren. Das war vor sechs Jahren. Heute ist es amtlich, dass das mindestens 11,7 Milliarden Euro kosten wird, davon 6,1 Milliarden Euro nur für Zinsen.

Wäre es eine „Verschwörungstheorie“, auf die Idee zu kommen, dass die, wenn man so will, Privatisierung der Staatskasse der eigentliche Antrieb hinter der ganzen Schuldenmacherei ist?

Ich habe nichts Prinzipielles gegen Verschwörungstheorien. Wenn man anerkennt, dass es Verschwörungen gegeben hat und gibt, dann dürfen Wissenschaft und Gesellschaft sich theoretisch und empirisch damit befassen. Das ist nicht anrüchig. Aber eine Theorie sollte schon ein paar Axiome haben und auch imstande sein, damit ein paar Voraussagen zu machen. Privates Kapital strebt nach Vermehrung, und hohe Zinsen bei geringem Risiko sind beliebt. Das ist eine Plattheit, keine Theorie. Wir dürfen aber schon hellhörig werden, wenn unsere Volksvertreter bei Nullzinsen partout keine Schulden machen wollen und bei steigenden Zinsen plötzlich nach Krediten brüllen.

Wie ginge es anders?

Staatsschulden können helfen, Engpässe zu überbrücken. Aber wir haben nicht zwei, drei Jahre zu wenig Geld, wir haben dauerhaft und strukturell zu wenig öffentliche Einnahmen. Und unser öffentliches Vermögen ist auf einen kleinen Rest zusammengeschrumpft. Wussten Sie, dass die privaten Vermögen vor 50 Jahren doppelt so groß waren wie das öffentliche Vermögen? Heute sind die privaten Vermögen 27-mal so groß. Wir müssen diese Riesenvermögen effektiv besteuern. Schon wenn man nur alle Vermögen ab 100 Millionen Euro mit zwei Prozent besteuert, bekämen wir 25 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich.

Aber Steuererhöhungen soll es mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf keinen Fall geben …

Also vielleicht gibt es eine gute Sache an dem Überraschungscoup von Merz nach der Bundestagswahl: Ob er dieses oder jenes verspricht oder ob der Hund durch den Zaun schaut – das gibt sich alles nichts. Er hat versprochen, die Steuern zu senken? Auf, auf, los zur Steuererhöhung! Ist Merzens Ruf erst ruiniert, regiert er frei und ungeniert.

Titelbild: Shutterstock / KF-K

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