In Frankreich darf sich die aussichtsreiche rechte Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen nach einem Gerichtsurteil nicht zur Wahl stellen. Ein „Kampf gegen Korruption“ ist gut – aber wenn er selektiv bestimmte Personen trifft und auf der anderen Seite schwer belastete Politiker verschont bleiben, dann kann er unter Umständen den Glauben an die Justiz beschädigen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die aussichtsreiche Kandidatin für das Amt des französischen Präsidenten, Marine Le Pen, darf nun fünf Jahre lang nicht bei Wahlen antreten, wie Medien berichten. Der Vorgang ist beunruhigend. Auch wenn die drei Fälle politisch, juristisch und formal sehr unterschiedlich zu betrachten sind und hier nicht direkt verglichen werden sollen, so rufen die Vorgänge in Frankreich doch auch Erinnerungen an die aktuellen, demokratisch sehr bedenklichen Vorgänge in Rumänien und der Türkei hervor.
Die Vorwürfe gegen Le Pen sollen hier nicht juristisch beurteilt werden, sie sollen also auch nicht in Zweifel gezogen werden. Und: Wer wollte schon den Kampf gegen Korruption, Veruntreuung usw. kritisieren? Das Problem beim Vorgang um Le Pen ist eine mögliche Ungleichbehandlung. Der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn hat in diesem Text auf X mal durchgespielt, wie mit vielen anderen Politikern auf EU-Ebene umzugehen wäre, wenn in ihren Fällen ebenso pingelig recherchiert und geurteilt würde. Sein Eindruck zur sehr unterschiedlichen Motivation von juristischer Verfolgung:
„Tatsächlich scheint die staatsanwaltliche Maschinerie mit großer Akkuratesse und Geschwindigkeit voranzukommen, wenn es um des Präsidenten politische Opponenten geht, wohingegen alle gegen Mitglieder der Regierung (oder Macron persönlich) eingeleiteten Ermittlungsverfahren sich – Jahr um Jahr – ergebnislos in die Länge ziehen.“
Das bedeutet wie gesagt nicht, dass die juristischen Vorwürfe gegen Le Pen haltlos seien, es geht hier eher um die Milde, die anderen Politikern zuteil wird. Die Berliner Zeitung stellt in diesem Zusammenhang den Vergleich zwischen Le Pen und Christine Lagarde an und kommt ebenfalls zum Fazit, dass hier eine große Ungleichbehandlung stattfindet. Dieses ungleiche Vorgehen, oder zumindest der starke Eindruck davon, könnte dem Restglauben an demokratische und juristische Gerechtigkeit bei vielen Bürgern einen weiteren Schlag versetzen.
Ein „mutiges“ Urteil?
Dieser Artikel richtet sich nur an die formalen Vorgänge und die darin zum Ausdruck gebrachte mutmaßliche Ungleichbehandlung. Ich betone, dass ich mir die politischen Inhalte von Le Pen nicht zu eigen mache. Diese politischen Inhalte sind also nicht Thema dieses Textes und sie sind zur Beurteilung der juristischen Vorgänge auch nicht relevant – es sei denn, man wolle eine politische Justiz fordern, die Rechtsextreme vor dem Gesetz anders behandelt als den Rest der Bürger.
Ich möchte die juristische Ebene wie gesagt noch nicht kommentieren. Es ist aber davon auszugehen, dass jetzt bei vielen Bürgern und vor allem bei den Anhängern von Le Pen der Eindruck einer politisch instrumentalisierten Justiz entstehen könnte – gerade mit dem Wissen um die Milde bezüglich anderer Politiker. Das allein darf natürlich nicht prinzipiell von berechtigten Untersuchungen und einer Verurteilung von konkretem Missverhalten abhalten. Hier wird nicht behauptet, dass das Urteil gegen Le Pen rein politisch ist – aber bezüglich der hier festgestellten unterschiedlichen Standards soll auf allgemeiner Ebene doch warnend festgestellt werden: Wenn die Praxis einer mutmaßlich politisch beeinflussten Justiz nicht in jedem Fall, prinzipiell(!) und öffentlich geächtet wird, dann wird sie sich künftig gegen Politiker jeder Couleur einsetzen lassen.
Die „Tagesschau“ bezeichnet das Urteil in einem Kommentar als „mutig“ – die Sätze zu einer Justiz, die sich mächtigen Einflüssen widersetzt habe, können zusätzlich als naiv bezeichnet werden:
„Mutig ist das Urteil, weil es zeigt: Egal wie bekannt und einflussreich jemand ist, er oder sie bekommt vor Gericht keinen Bonus. Das Gericht hat sich nicht beeinflussen lassen. Nicht von der lauten Empörung des Rassemblement National, nicht von dem leisen Unbehagen der politischen Konkurrenten Le Pens. Auch nicht von den ungewissen politischen Folgen dieses Urteils – das beweist Mut.“
Durch die oben im Text von Martin Sonneborn usw. geschilderten doppelten Standards bei der Strafverfolgung werden die Aussagen zu einer „mutigen“ Justiz, die es auch mit der mächtigen Le Pen aufnimmt, erheblich relativiert.
Titelbild: Victor Velter / Shutterstock