Europäisches Friedensprojekt am 9. Mai: „Wir wollen Frieden mit Russland und den russischen Bürgern!“

Europäisches Friedensprojekt am 9. Mai: „Wir wollen Frieden mit Russland und den russischen Bürgern!“

Europäisches Friedensprojekt am 9. Mai: „Wir wollen Frieden mit Russland und den russischen Bürgern!“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Das Motto von Beethovens 9. Sinfonie Alle Menschen werden Brüder, die ja die europäische Hymne ist, gilt auch für die Russen! Das sagt die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot im Interview mit den NachDenkSeiten. Dabei geht es um ein neues Friedensprojekt, das am 9. Mai stattfinden wird. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau Guérot, am 9. Mai soll ein Zeichen des Friedens gesetzt werden, europaweit. Was ist das für ein Projekt?

Nun, das Projekt hat zwei Alleinstellungsmerkmale: Es ist nicht nur ein Aufruf, den man unterschreiben kann, sondern es ist ein Projekt der individuellen Teilhabe; und zweitens ist es europaweit und erstreckt sich über den ganzen Kontinent. Jede Bürgerin und jeder Bürger in ganz Europa soll mitmachen können, und zwar bei sich zu Hause, da, wo sie oder er ist! Im Kern geht es darum, am 9. Mai – dem Europatag und gleichzeitig Tag der Befreiung – um genau 17 Uhr das Fenster zu öffnen und zeitgleich in allen europäischen Sprachen ein Manifest des Friedens zu verlesen. Dazu haben wir einen knappen Text in inzwischen rund 20 europäischen Sprachen ins Internet gestellt auf unsere Webseite: Jeder kann sich den Text in seiner Sprache ausdrucken, mitmachen und am 9. Mai um 17 Uhr verlesen. Dabei kann der Text auch gerne verändert und individuell angepasst werden: Wir wollen mit diesem performativen Sprechakt eine Welle des Friedens durch ganz Europa laufen lassen!

Zusätzlich haben wir sehr schöne künstlerische Plakate für die Aktion zum Download ins Internet gestellt, also Art Work. Die Entwürfe sind von der Neusser Künstlerin Regina Bender. Jeder kann sie sich in seinem Copyshop vor Ort ausdrucken und ans Fenster, in den eigenen Laden oder den Baum vor der Tür hängen, um in den Tagen vorher für das Projekt zu werben. Oder auch auf T-Shirts oder Buttons drucken. Die Entwürfe von Regina Bender werden wir demnächst auf unserer Webseite in einer Auktion versteigern, um etwas Geld für das Projekt zu generieren, das wir zum Beispiel für die Webseite brauchen. Wir bitten auch jeden Teilnehmer, mindestens einen Euro zu spenden.

Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Nun, ich habe 2018 schon einmal europaweit ein ähnliches Projekt durchgeführt, damals zusammen mit dem Schweizer Theaterregisseur Milo Rau und dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse. Damals ging es uns darum, nach der Bankenkrise, der völlig undemokratischen Euro-Governance und der anti-sozialen Austeritätspolitik, die die EU damals gemacht hat, daran zu erinnern, dass Europa eigentlich demokratisch und sozial sein sollte. Das habe ich mit dem Begriff „Europäische Republik“ zu fassen versucht. Darüber hatte ich zuvor, 2016, eine recht erfolgreiche, kleine Utopie geschrieben, „Warum Europa eine Republik werden muss“, die auch in mehrere europäische Sprachen übersetzt wurde. Dieser utopische Entwurf ist das Gegenteil von einem bürokratischen „EU-Superstaat“, sondern die Idee eines bürgerbasierten, demokratischen, sozialen und dezentralen Europas, in dem die europäischen Bürger der Souverän sind, und nicht eine EU-Kommission oder der Europäische Rat.

Auf dieser Grundlage haben wir 2018 dann in einem ähnlichen Projekt europaweit eine Ausrufung einer „Europäischen Republik“ als performativen Sprechakt inszeniert:

Damals haben rund 140 europäische Städte und Theater daran teilgenommen, zum Beispiel das Wiener Burgtheater, das Thalia Theater Hamburg oder auch die französische Theatergruppe um Roland Auzet. Das schönste Video zu dem Projekt hat damals das Schauspiel Graz gemacht. Insgesamt haben damals rund 25.000 europäische Bürger teilgenommen und uns danach ihre Fotos und Videoaufnahmen geschickt. Dieses ganze Material haben wir dann im März 2019 in einer Ausstellung in Berlin gezeigt und dann in einem Katalog gedruckt, den man heute noch bestellen kann. Es war ein großer Erfolg. Auch heute bitten wir die Teilnehmer, die sich an der Verlesung beteiligen, uns ihre Fotos und Videoinstallationen zu schicken.

Was wollen Sie mit diesem Projekt erreichen?

Zunächst Teilhabe und Freude! Wir möchten den Europatag, den 9. Mai, mit dem Begriff „Frieden“ besetzen, denn es steht zu erwarten, dass wir an diesem Tag viele heuchlerische Reden aus dem Mund von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron oder Friedrich Merz hören werden. Es besteht die Gefahr, dass der 9. Mai als Europatag und Tag der Befreiung symbolisch für ein Kriegsprojekt gekapert werden soll, obwohl es doch über 70 Jahre hieß: Europa, das heißt nie wieder Krieg.

Deswegen wollen wir am 9. Mai auf dem ganzen Kontinent „Frieden“ aus den Fenstern rufen! Wir hoffen, dass zehntausende Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa dabei mitmachen, von Dublin bis Thessaloniki und von Lissabon bis Bukarest, so dass der Ruf bis nach Moskau erschallt: wir wollen Frieden mit Russland und den russischen Bürgern! Das Motto von Beethovens 9. Sinfonie, Alle Menschen werden Brüder, die ja die europäische Hymne ist, gilt auch für unsere europäischen Mitbürger in Russland! Wir hoffen sehr, dass vor allem in der durch den Krieg geschundenen Ukraine viele Bürger bei dem Projekt mitmachen werden! In Russland wird man jedenfalls sicher über unser Projekt berichten und das ist gut so!

Auch werden wir im Nachgang zum 9. Mai zunächst eine Art „digitale Galerie“ oder Ausstellung auf unserer Webseite machen, um zu dokumentieren, dass die europäischen Bürger – ungleich ihrer Regierungen – für den Frieden sind! Und wenn wir es schaffen, werden wir aus dem Material dann auch wieder einen Katalog machen, damit es später, wenn sich die Historiker über die Erforschung dieses Konfliktes beugen werden, ein Dokument gibt, das bezeugt, dass es einen gesamteuropäischen Widerstand gegen den Krieg gab.

Apropos: Wir haben schon Hinweise erhalten, dass die Abkürzung von European Peace Project EPP ist – wie die European Peoples Party im Europäischen Parlament. Aber das stört uns gar nicht: Sowieso benutzen wir die Abkürzung nicht; vor allem aber würde es ja die Bedeutung EPP rebranden: Peace for the European People! Dass die EPP, also auch die einstige Europa-Partei Deutschlands, nämlich die CDU, das gerade vergisst, sollte allen Spitzenpolitikern in der EU, allen voran Frau von der Leyen und Manfred Weber, eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben: Helmut Kohl dreht sich sicher im Grab um!

Wo sind die Stimmen des Friedens in den Medien? Was sind Ihre Gedanken dazu?

Die Medien in Deutschland scheinen mir inzwischen komplett gelenkt. In den Talkshows sitzen immer die gleichen Personen, die meiner Meinung nach kriegstreiberische Positionen vertreten: Agnes Strack-Zimmermann, Carlo Masala oder Claudia Major, die mit einem fast marionettenhaften „Sprech“ immer die gleichen, schalen Argumente wiederholen, und das seit nunmehr zwei Jahren. Es ist ziemlich lächerlich, zumal die USA inzwischen beidrehen und rund Dreiviertel der Welt sowieso eine andere Analyse des Konfliktes und seiner Ursprünge hat. Die journalistische Verwahrlosung in diesem Land ist inzwischen haarsträubend, aber es fällt Gott-sei-Dank immer mehr Menschen auf. Sogar Richard-David Precht, deutscher Publikumsliebling, der sich bisher nicht durch fundamentale Kritik bemerkbar gemacht hat, hat jüngst von „Massenhysterie“ gesprochen. Das hat einige aufhorchen lassen. Lange wird es m.E. auch nicht mehr dauern, dann wird die Presse beidrehen und die Wendehälse werden sich bemühen, diejenigen in die Sendungen zu holen, die gestern noch als Lumpenpazifisten verschrien wurden.

Deutschland ist ja auch nicht alleine in Europa. In Italien zum Beispiel gab es am 15. März 2025 großen Straßenprotest unterschiedlicher politischer Couleur für Europa, aber gegen den Krieg, mit Tausenden auf der Straße, die teilweise das antifaschistische Manifest von Ventone in der Hand hielten, einem der Gründungstexte des föderalen Europas. In Spanien wiederum gab es die Tage einen riesengroßen Aufruf, der von Hunderten von sehr bekannten Schauspielern und Künstlern ausging und inzwischen von über 800 spanischen Organisationen unterschrieben wurde, darunter Attac und vielen Gewerkschaften. Das sind eigentlich linke Organisationen, deren Pendants sich bisher in Deutschland bedauerlicherweise nicht durch Appelle für Frieden hervorgetan haben, wahrscheinlich, weil sie in Abhängigkeiten der europäischen Finanzierung von NGOs und Zivilgesellschaft stecken, sodass sie sich nicht zu deutlich gegen den Kriegskurs der EU wenden können, ohne dass sie Mittelkürzungen befürchten müssen. Es wird also interessant sein zu beobachten, ob die italienische oder spanische Welle nach Deutschland hinüberschwappt. Falls ja, dürfte auch in den deutschen Medien etwas passieren bzw. dürften sie umschwenken. Außerdem steht ja Ostern vor der Tür und damit die Ostermärsche: Diese werden dieses Jahr besonders groß. Der ÖRR wird Probleme haben, daran in der Berichterstattung völlig vorbeizugehen.

Wie blicken Sie auf die aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die derzeitige Situation zwischen NATO und Russland? „Vielleicht ist dieser Sommer der letzte Sommer, den wir noch im Frieden erleben.“ Und: In Köln soll ein unterirdisches Krankenhaus gebaut werden. Was soll das?

Ich möchte derart vor Dummheit strunzende und unverantwortliche Sätze wie „der letzte Sommer im Frieden“ eigentlich nicht kommentieren. Das Gute ist, dass sie so dumm sind, dass hoffentlich bald jedem auffällt, wie hysterisch sie sind. Genau deswegen machen wir ja am 9. Mai mit unserem Projekt einen performativen Sprechakt: damit wir uns in den Frieden hineinsprechen und nicht hysterisch in den Krieg: Thoughts become words become action become reality! (Anmerk. Red. Aus Gedanken werden Worte, woraus Taten, woraus Realität wird). Gerade wurde das Communiqué der Amerikanisch-Russischen Verhandlungen bzgl. des Schwarzmeers veröffentlicht. Die Verhandlungen in Saudi-Arabien werden jetzt zügig zu Ende geführt und es ist nur noch peinlich, dass die EU weiter von Aufrüstung und Krieg faselt, anstatt bei diesen Verhandlungen konstruktiv dabei zu sein.

Zu Köln finde ich keine Worte. Ich bin in der Nähe von Köln geboren. Die Stadt hat andere Probleme und kann Geld sicher für andere und bessere Projekte verwenden als für ein unterirdisches Krankenhaus.

Lesetipp: Ulrike Guérot/Hauke Ritz: Endspiel Europa: Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist und wie wir wieder davon träumen können. Westend. 208 Seiten. Okt. 2022. 20 Euro.

Titelbild: Carmela Negrete Navarro

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