Der Globale Norden hat im IWF neunmal mehr Stimmrecht als der Globale Süden

Der Globale Norden hat im IWF neunmal mehr Stimmrecht als der Globale Süden

Der Globale Norden hat im IWF neunmal mehr Stimmrecht als der Globale Süden

Ein Artikel von amerika21

Im IWF hängt das Stimmrecht eines Landes von seiner Wirtschaftsmacht ab. Die USA haben praktisch ein Vetorecht und gestalten somit die Politik nach ihren Interessen. Was den Internationalen Währungsfonds (IWF) betrifft, so ist jeder Mensch im Globalen Norden neun Menschen im Globalen Süden wert. Diese Berechnung ergibt sich aus den Daten des IWF zur Stimmverteilung in der Organisation im Verhältnis zur Bevölkerung der Staaten des Globalen Nordens und des Globalen Südens. Von Vijay Prashad.

Jedes Land erhält auf der Grundlage seiner „relativen wirtschaftlichen Position”, wie der IWF sagt, ein Stimmrecht zur Wahl von Delegierten in das Exekutivdirektorium des IWF, das alle wichtigen Entscheidungen der Organisation trifft. Ein kurzer Blick auf den Vorstand zeigt, dass der Globale Norden in dieser wichtigen multilateralen Institution für verschuldete Länder stark überrepräsentiert ist.

Die USA verfügen zum Beispiel über 16,49 Prozent der Stimmen im IWF-Direktorium, obwohl sie nur 4,22 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Da es gemäß des IWF-Übereinkommens 85 Prozent der Stimmen erfordert, um Änderungen vorzunehmen, haben die USA ein Vetorecht bei den Entscheidungen. Infolgedessen beugen sich die leitenden Mitarbeiter des IWF jeglicher Politik der US-Regierung. Sie beraten sich, auch aufgrund der Tatsache, dass sich der Sitz der Organisation in Washington befindet, häufig mit dem US-Finanzministerium über ihren politischen Rahmen und einzelne politische Entscheidungen.

Als die US-Administration 2019 beschloss, die Regierung Venezuelas einseitig nicht mehr anzuerkennen, übte sie Druck auf den IWF aus, diesem Beispiel zu folgen. Venezuela, eines der Gründungsmitglieder des IWF, hatte den IWF mehrfach um Hilfe gebeten, 2007 ausstehende IWF-Darlehen zurückgezahlt und dann beschlossen, den IWF nicht mehr um kurzfristige Hilfe zu bitten. Tatsächlich verpflichtete sich die venezolanische Regierung stattdessen zum Aufbau der Bank des Südens, um verschuldeten Ländern im Falle von Zahlungsbilanzdefiziten Überbrückungskredite zu gewähren.

Während der Pandemie versuchte Venezuela jedoch, wie die meisten Länder, seine Reserven in Form von Sonderziehungsrechten (SZR – die “Währung” des IWF) in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar in Anspruch zu nehmen, zu denen es im Rahmen der globalen Liquiditätsaufstockungsinitiative des Fonds Zugang hatte.

Der IWF beschloss jedoch auf Druck der USA, das Geld nicht auszuzahlen. Zuvor war bereits ein Antrag Venezuelas auf 400 Millionen Dollar aus seinen Sonderziehungsrechten abgelehnt worden.

Obwohl die USA behaupteten, der wahre Präsident Venezuelas sei Juan Guaidó, bestätigte der IWF auf seiner Website weiterhin, dass der Vertreter Venezuelas beim IWF Simón Alejandro Zerpa Delgado sei, der damalige Wirtschafts- und Finanzminister der Regierung von Präsident Nicolás Maduro.

Der Sprecher des IWF, Raphael Anspach, antwortete nicht auf eine E-Mail, die wir im März 2020 bezüglich der Verweigerung der Gelder schickten, obwohl er eine formelle Erklärung veröffentlicht hatte, dass das „Engagement des IWF mit Mitgliedsländern auf der offiziellen Anerkennung der Regierungen durch die internationale Gemeinschaft beruht”.

Da es „keine Klarheit” über diese Anerkennung gebe, schrieb Anspach, werde der IWF Venezuela während der Pandemie keinen Zugang zu seiner eigenen Sonderziehungsrechtsquote gewähren. Dann entfernte der IWF plötzlich Zerpas Namen von seiner Website. Dies geschah ausschließlich auf Druck der USA.

Im Jahr 2023 zeigte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vor der Neuen Entwicklungsbank (BRICS-Bank) in Shanghai/China, auf, dass die IWF-Politik die ärmeren Länder „erstickt”.

In Bezug auf Argentinien sagte Lula: „Keine Regierung kann mit einem Messer an der Kehle arbeiten, weil sie verschuldet ist. Die Banken müssen geduldig sein und, wenn nötig, die Vereinbarungen erneuern. Wenn der IWF oder eine andere Bank einem Land der Dritten Welt Geld leiht, meinen die Leihgeber, dass sie das Recht haben, Befehle zu erteilen und die Finanzen des Landes zu steuern – als ob die Länder zu Geiseln derer geworden wären, die ihnen Geld leihen.”

Das ganze Gerede über Demokratie wird hinfällig, wenn es um die eigentliche Grundlage der Macht in der Welt geht: die Kontrolle über das Kapital.

Letztes Jahr hat Oxfam aufgezeigt, dass „die obersten ein Prozent der Welt mehr Reichtum besitzen als 95 Prozent der Menschheit” und dass „mehr als ein Drittel der 50 größten Unternehmen der Welt – mit einem Wert von 13,3 Milliarden Dollar – heute von einem Milliardär geführt werden oder einen Milliardär als Hauptaktionär haben”.

Mehr als ein Dutzend dieser Milliardäre sind jetzt im Kabinett von US-Präsident Donald Trump; sie repräsentieren nicht mehr die ein Prozent, sondern die 0,0001 Prozent, ein Zehntausendstel Prozent.

Bei dem derzeitigen Tempo wird es weltweit bis zum Ende dieses Jahrzehnts fünf Billionäre geben. Sie dominieren die Regierungen und haben daher einen außerordentlich großen Einfluss auf multilaterale Organisationen.

1963 brachte der nigerianische Außenminister Jaja Anucha Ndubuisi Wachuku seine Enttäuschung über die Vereinten Nationen und andere multilaterale Organisationen zum Ausdruck. Afrikanische Staaten, so sagte er, hätten „kein Recht, ihre Ansichten zu bestimmten Themen in wichtigen Organen der Vereinten Nationen zu äußern”.

Kein afrikanisches und kein lateinamerikanisches Land hatte jemals einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Im IWF und in der Weltbank konnte kein afrikanisches Land jemals eine Agenda einbringen.

Bei den Vereinten Nationen fragte Wachuku: „Werden wir weiterhin nur Verandah-Boys sein?”

Obwohl der IWF für 2024 einen weiteren Sitz für einen afrikanischen Vertreter vorgesehen hat, ist dies bei Weitem nicht ausreichend für den Kontinent, der zwar mehr IWF-Mitglieder (54 von 190 Ländern) und mehr aktive IWF-Kreditprogramme als jeder andere Kontinent hat (46,8 Prozent von 2000 bis 2023), aber den zweitniedrigsten Stimmanteil (6,5 Prozent) nach Ozeanien.

Nordamerika, mit zwei Mitgliedern, hat 943.085 Stimmen, während Afrika, mit 54 Mitgliedern, 326.033 Stimmen hat.

Nach der Finanzkrise 2007 und zu Beginn der dritten Weltwirtschaftskrise beschloss der IWF, einen Reformprozess einzuleiten. Auslöser dieser Reform war folgender Sachverhalt: Wenn sich ein Land an den IWF wandte, um einen Überbrückungskredit zu erhalten – was eigentlich unvoreingenommen geschehen sollte –, schadete das letztlich diesem Land auf den Kapitalmärkten, weil die Aufnahme eines Kredits mit dem Stigma einer schlechten Leistung behaftet war. Das Geld wurde dem Land dann zu höheren Zinssätzen geliehen, was die Krise, die den Antrag auf einen Überbrückungskredit überhaupt erst ausgelöst hatte, nur noch verschärfte.

Das Problem liegt allerdings tiefer: Alle geschäftsführenden Direktoren des IWF waren Europäer, was bedeutet, dass der Globale Süden in den oberen Rängen der IWF-Führung nicht vertreten war.

Die gesamte Abstimmungsstruktur im IWF hat sich verschlechtert, wobei die Quotenabstimmungen (basierend auf der Größe der Wirtschaft und dem finanziellen Beitrag zum IWF) an Umfang zunahmen, während die demokratischeren “Basisabstimmungen” (ein Land, eine Stimme) an Einfluss verloren.

Diese unterschiedlichen Stimmrechte werden in zweierlei Weise gemessen: berechnete Quotenanteile (CQS), die durch eine Formel festgelegt werden, und tatsächliche Quotenanteile (AQS), die durch politische Verhandlungen festgelegt werden.

In einer Berechnung für 2024 hat China beispielsweise einen AQS von 6,39 Prozent, während sein CQS 13,72 Prozent beträgt. Um Chinas AQS zu erhöhen, damit dieser seiner CQS entspricht, müsste der AQS anderer Länder, z.B. der USA, gesenkt werden.

Die USA haben einen AQS von 17,40 Prozent, der auf 14,94 Prozent gesenkt werden müsste, um die Erhöhung für China zu ermöglichen. Diese Verringerung des US-Anteils würde also die Vetomacht der USA aushöhlen. Aus diesem Grund haben die USA die IWF-Reformagenda im Jahr 2014 zu Fall gebracht. Im Jahr 2023 ist die IWF-Reformagenda erneut gescheitert.

Paulo Nogueira Batista Jr. war von 2007 bis 2015 Exekutivdirektor für Brasilien und mehrere andere Länder beim IWF, von 2015 bis 2017 Vizepräsident der Neuen Entwicklungsbank und schreibt für die internationale Ausgabe der führenden chinesischen Zeitschrift Wenhua Zongheng. In einem wichtigen Text mit dem Titel “A Way out for IMF Reform” (Juni 2024) schlägt Batista eine Sieben-Punkte-Reformagenda für den IWF vor:

  1. Lockerung der Darlehenskonditionen
  2. Senkung der Zuschläge für längerfristige Kredite
  3. Verstärkung der konzessionierten Kreditvergabe zur Beseitigung der Armut
  4. Aufstockung der Gesamtmittel des IWF
  5. mehr Macht für die Basisstimmen zur Stärkung der ärmeren Nationen
  6. Ein dritter Vorstandssitz für den afrikanische Kontinent
  7. Schaffung des Amtes eines fünften stellvertretenden Geschäftsführers, der von einer ärmeren Nation besetzt werden sollte.

Wenn der Globale Norden solche grundlegenden, vernünftigen Reformen ignoriert, so Batista, „werden die Industrieländer bald mit einer leeren Institution allein dastehen”. Der Globale Süden, so sagt er voraus, wird aus dem IWF austreten und neue Institutionen unter der Ägide neuer Plattformen wie der BRICS gründen.

Tatsächlich werden solche Institutionen bereits aufgebaut, wie die BRICS-Kontingentreservevereinbarung (CRA), die 2014 nach dem gescheiterten Versuch, den IWF zu reformieren, ins Leben gerufen wurde. Aber die CRA „ist weitgehend eingefroren geblieben”, schreibt Batista.

Bis zu einem Tauwetter ist der IWF die einzige Institution, die die für ärmere Länder notwendigen Finanzmittel bereitstellt. Deshalb sind selbst fortschrittliche Regierungen wie die in Sri Lanka, wo die Zinszahlungen 41 Prozent der Gesamtausgaben im Jahr 2025 ausmachen, gezwungen, nach Washington zu gehen. Mit dem Hut in der Hand lächeln sie dem Weißen Haus auf dem Weg zum Sitz des IWF zu.

Übersetzung: Elinor Winter, Amerika21.

Titelbild: Shutterstock / Gil C

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