Zittau – besser als Berlin?

Zittau – besser als Berlin?

Zittau – besser als Berlin?

Ein Artikel von Dirk Engelhardt

Billige Mieten, massenhaft Wohnraum, traumhafte Umgebung, viel Platz für neue Betriebe: Die Stadt in der Randlage Deutschlands steht bereit für eine rosige Zukunft. Es fehlen: mutige Menschen. Von Dirk Engelhardt.

Für Berliner oder Münchener müsste dies ein Traum sein: eine renovierte Zwei-Zimmer-Wohnung mit Balkon und Einbauküche wird im Zentrum von Zittau für 430 Euro Miete pro Monat angeboten – warm! Dies ist keine Ausnahme, sondern markiert das Preisniveau. Warum trotz solcher verlockenden Angebote in puncto Wohnen nur wenige Menschen nach Zittau ziehen, ist eigentlich unverständlich. Wenn man durch die Straßen der Stadt mit rund 25.000 Einwohnern läuft, bemerkt man unweigerlich, dass gefühlt jedes zweite Haus leer steht. Auch leer stehende Ladenlokale gäbe es in Hülle und Fülle. „Genaue Zahlen zum Leerstand gibt es nicht, unsere Stadtentwicklungsgesellschaft geht von etwa einem Viertel Leerstand aus“, sagt Kai Grebasch von der Stadtverwaltung Zittau. Darunter fallen allerdings auch Wohnungen, die momentan nicht in einem vermietbaren Zustand sind.

Quelle: Shutterstock / Below the sky

Aufgrund dieses Leerstands mutet es absurd an, dass die Stadt große Anstrengungen unternimmt, junge Familien durch Ausweisung von Bauflächen für Einfamilienhäuser anzulocken. Stadtrat Matthias Böhm (Bündnis 90/Die Grünen) plädiert für eine Alternative: „Ich finde es sinnvoller, historische Bausubstanz mit Fördermitteln für Familien zu sanieren“, sagt er. Außerdem, so Böhm, sollten die nach dem Mauerfall in den Westen Ausgewanderten, und das sind nicht wenige, durch Jobbörsen zur Rückkehr animiert werden. „Flüchtlinge sind bei der Mehrheit hier nicht willkommen“, spricht Böhm ein pikantes Thema an, „obwohl wir durch den Fachkräftemangel zum Beispiel im medizinischen Bereich, im Verkehrsbereich und in der Gastronomie massive Probleme haben. So mussten in Zittau bereits namhafte Gaststätten wegen Personalmangel schließen.“

Zittau, an der alten Handelsstraße nach Böhmen gelegen, war einst eine reiche Stadt mit prächtigen Kaufmannshäusern und exklusiven Gründerzeitvillen. Das Rathaus, erbaut 1840 von Carl August Schramm nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, macht den Eindruck eines toskanischen Renaissance-Palastes und gibt dem Rathausplatz ein ganz besonderes Flair.

Rathausplatz in Zittau – Quelle: Shutterstock / Pictofotius

Direkt neben dem Marktplatz fristen die antiken Fleischbänke ein verlassenes Dasein – im Mittelalter bildeten sie mit ihrem neoklassizistischen Laubengang den Handelsplatz der Fleischerzunft. In der Zeit der DDR wurde hier noch Wochenmarkt abgehalten, jetzt steht alles leer.

Ein Verein in Zittau, der Freiraum Zittau e.V., setzt sich für die Nutzung der leer stehenden Häuser ein. Das Konzept lautet wie folgt: Eigentümer verwaister Gebäude stellen dem Verein die Räume gegen die laufenden Betriebskosten zur Verfügung. Die Mitglieder halten anschließend das Haus in Schuss und gestalten das kulturelle Leben, zum Beispiel mit Filmprojekten oder Tanzprojekten. An der Inneren Weberstraße, nicht weit vom Marktplatz entfernt, nahm der Verein ein riesiges Kaufmannshaus aus dem 18. Jahrhundert, das schon lange leer stand, unter seine Fittiche. Dort war einst das Kaufhaus Messow beheimatet, in der DDR-Zeit residierte dort ein HO-Warenhaus. Nach dem Mauerfall gab es mehrmals Besitzerwechsel, bis der Verein Freiraum das Haus nutzen durfte. Zu den jetzigen Nutzern gehören Künstler, Handwerker und Maler, es finden Tanzveranstaltungen wie Lindy Hop statt. Doch eine Renovierung des Hauses mit seinen Bogenhallen und verwinkelten Fluren wäre sehr kostenaufwendig und liegt derzeit in weiter Ferne. Ähnlich steht es um die riesige Mandaukaserne am Stadtrand aus dem Jahr 1868. Der neugotische Bau mit seiner ziselierten Backsteinfassade, Türmen und Zinnen fällt schon von Weitem ins Auge, doch eine Renovierung und Nutzung liegt in weiter Ferne.

Immerhin hat Zittau eine Hochschule, außerdem hat das Internationale Hochschulinstitut der TU Dresden hier eine Zweigstelle, ebenso das Kunststoffzentrum Oberlausitz des Fraunhofer Institutes. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt plant auch gerade eine Niederlassung. Trotzdem sind Neuansiedlungen von Firmen bisher rar, die Arbeitslosenquote in Zittau beträgt zurzeit 8,6 Prozent.

Auf die Frage, welche Zuzüge er denn gerne in Zittau sehen würde, antwortet Kai Grebasch: „Ich denke, in einer überalterten, schrumpfenden Gesellschaft sollten alle willkommen sein, die ihren Teil für Bestehen und Entwicklung beitragen wollen.“ Wie überall würde der Mann von der Stadtverwaltung natürlich gerne Fachkräfte in seine Stadt locken – doch allzu weit ist er mit diesem Vorhaben bisher nicht gekommen. Natürlich ist sich Grebasch bewusst, dass Zittau viele drängende Probleme noch nicht gelöst hat: Dazu zählt zum Beispiel eine gute Verkehrsanbindung. Die Breitbandanbindung ist bereits sehr gut. „Dies wird dafür sorgen, dass sich mehr Menschen aus den immer unwirtlicher werdenden Großstadtregionen abwenden und nach naturnahen, modernisierten neuen Lebensmittelpunkten umsehen werden“, ist sich Grebasch sicher. Doch wenn die Breitbandanbindung so gut ist und die Mieten so niedrig, warum kommen dann kaum Menschen nach Zittau, die gerne im Homeoffice arbeiten?

Eine weitere Initiative, die Zittau voranbringen will, ist „Zittau kann mehr“. Die Zittauer Ute Wunderlich, Anke Zenker-Hoffmann, Romy Hepper und andere setzen sich dafür ein, dass Zittau wieder wächst und vor allem jünger wird. „Wir Zittauer müssen Menschen in nah und fern dazu bewegen, hierher zu ziehen, hier zu arbeiten und zu leben“, teilt die Initiative auf ihrer Seite mit. Die Lage von Zittau direkt an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik wird bisher noch viel zu wenig promoviert. Die Initiative hat bewirkt, dass Kitas und Schulen verbessert wurden, dass Denkmäler in der Innenstadt saniert wurden und dass die Verschuldung der Stadt von 22 Millionen Euro auf elf Millionen Euro gesenkt wurde.

Auch im Tourismus ist noch viel zu tun. Die Hotels der Stadt kämpfen mit einer relativ geringen Auslastung, obwohl die Stadt touristisch hochattraktiv ist, genau wie das Umland. Vom Bahnhof Zittau fährt stündlich eine Dampfeisenbahn auf einer Schmalspurstrecke elf Kilometer ins Zittauer Gebirge, in den Kurort Oybin und den Kurort Jonsdorf.

Quelle: Shutterstock / Sever 07

Die Fahrt dauert eine knappe Stunde, und Reisende können im Speisewagen bei Zittauer Bier die neue Langsamkeit entdecken. Auf der Hälfte der Strecke, vor der Abzweigung nach Jonsdorf, hält die Lok am Museumsbahnhof Bertsdorf und füllt wie in alten Zeiten die Wasserbehälter auf. Die Betreibergesellschaft, die Sächsisch-Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft mbH, hat in den letzten 20 Jahren immerhin mit attraktiven Angeboten die Fahrgastzahl verdoppelt, im letzten Jahr waren es 243.000 Fahrgäste. Auch aus Polen und Tschechien kommen viele Dampflokfreunde. Christian Sacher, der Projektleiter der Dampfbahn-Route Sachsen, ist stolz auf das Erreichte: „Wir haben drei Zeitreise-Züge mit zum Teil 120 Jahre alten Waggons, einen offenen Aussichtswagen im Sommer und Führerstandsmitfahrten in der Hauptsaison,“ sagt Sacher.

Zittau hat im vergangenen Jahr die Einführung einer Gästekarte mit Kurtaxe beschlossen, um den Tourismus zu fördern. Matthias Böhm kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die touristisch bedeutende Gemeinde Oybin bei dieser Gästekarte nicht mitmacht. „Das ist Kirchturmpolitik“, so Böhm. Doch auch an vielen anderen Stellen hapert es in Zittau, weil einfach kein Geld da ist. „Selbst Pflichtaufgaben können nicht ausreichend finanziert werden, ganz abgesehen vom Erhalt des Zittauer Theaters oder der Sportförderung“, so Böhm. Auch ein Radverkehrskonzept fehlt, bemängelt der Grüne. Immerhin führt der Oder-Neiße-Fernradweg durch die Stadt, Hinweise darauf fehlen allerdings weiträumig.

Im Landkreis Görlitz, zu dem auch Zittau gehört, hatte die AfD bei der Wahl im Februar 46,7 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Für die AfD im Sächsischen Landtag sitzt Hajo Exner, der allerdings Fragen in Bezug auf die Zukunftsperspektiven für Zittau nicht beantworten wollte. Auf seiner Internetseite schreibt Exner, der Schwerpunkt seiner Arbeit seien ein Aufnahmestopp für Immigranten in Sachsen, konsequente Abschiebungen und Rückführungen.

Titelbild: Das Rathaus im Stile der Neorenaissance in der ostdeutschen Stadt Zittau – Quelle: Shutterstock / MarcinPapaj

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