Chronik eines unnötigen Krieges: Wie der Westen Russland provozierte und den Frieden verspielte

Chronik eines unnötigen Krieges: Wie der Westen Russland provozierte und den Frieden verspielte

Chronik eines unnötigen Krieges: Wie der Westen Russland provozierte und den Frieden verspielte

Ein Artikel von Michael Holmes

Scott Hortons 900-seitiges Meisterwerk “Provoked: How Washington Started the New Cold War with Russia and the Catastrophe in Ukraine“ (Provoziert – Wie Washington den neuen Kalten Krieg mit Russland und die Katastrophe in der Ukraine begann) ist ein enorm wichtiges Werk, das akribisch dokumentiert, wie drei Jahrzehnte westlicher Einkreisung den Einmarsch Russlands in die Ukraine provozierten. Diese ausführliche Rezension von Michael Holmes soll einen breiten und umfassenden Überblick über die vielen Verbrechen, Fehleinschätzungen und Versäumnisse auf allen Seiten geben, die in einen unnötigen Krieg mündeten.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Scott Horton, Redaktionsleiter von Antiwar.com, ist vor allem dafür bekannt, dass er über 6.000 tiefgehende Interviews mit Experten zur US-Außenpolitik geführt hat. Sein beeindruckendes neues Buch “Provoked“ ist eine monumentale Anklageschrift gegen die Torheiten der westlichen Außenpolitik, in der er nachzeichnet, wie die NATO-Erweiterung und die Regimewechselkriege Russlands Feindseligkeit geschürt haben. Anhand von Tausenden von Quellen zeigt Horton überzeugend, dass das westliche Handeln – getarnt als Verteidigung der Demokratie – Moskaus Reaktion provozierte. Von den gebrochenen Versprechen der NATO bis hin zur Bewaffnung von Extremisten entlarvt Horton ein Muster westlicher Heuchelei, das Russland als expansionistischen Aggressor darstellt und gleichzeitig Friedensgespräche in der Ukraine sabotiert. Das Buch ist keine Verteidigung von Putins Regime, sondern eine forensische Untersuchung darüber, wie westliche Überheblichkeit und ideologische Hybris den Optimismus nach dem Kalten Krieg in ein nukleares Patt verwandelten. Mit der Präzision eines Historikers und der Hartnäckigkeit eines Enthüllungsjournalisten stellt Horton die gängige Darstellung Russlands als alleinigen Verursacher globaler Instabilität in Frage und argumentiert stattdessen, dass die Politik der USA und der NATO die Konflikte von Tschetschenien bis zum Donbass verschärfte. Durch die Verflechtung von Diplomatendepeschen, freigegebenen Staatsdokumenten, Zeugenaussagen und historischen Analysen zu einer ebenso fesselnden wie beunruhigenden Erzählung ermutigt Horton die Leser, die Mythen zu hinterfragen, die uns zu zerstören drohen.

Dieses gründlich recherchierte Buch stützt sich auf Experten, Diplomaten und politische Entscheidungsträger, um seine Argumente zu belegen. Jede zentrale Behauptung wird mit Zitaten und Daten aus unanfechtbaren Quellen untermauert, selbst von etablierten Persönlichkeiten und Presseorganen. Hortons Rückgriff auf von der breiten Öffentlichkeit respektierte Stimmen, gepaart mit detaillierten Archivrecherchen, verleiht “Provoked“ eine seltene Autorität und verwandelt ein Buch, das sich als konträrer Revisionismus lesen könnte, in eine unwiderlegbare Gegenerzählung. Hortons scharfe Analyse und sein schwarzer Humor machen “Provoked“ so überzeugend. Dies ist keine Polemik, sondern eine tiefgehende Analyse der eigenen Aufzeichnungen des Westens, um seine Fehltritte aufzudecken.

NATO-Erweiterung: Die Saat des russischen Misstrauens

Scott Horton zeigt überzeugend, dass Russlands tiefsitzendes Misstrauen gegenüber dem Westen das Ergebnis einer Reihe bewusster politischer Entscheidungen des Westens war, zu denen vor allem die unerbittliche Osterweiterung der NATO gehörte. Als sich der Kalte Krieg dem Ende zuneigte, versicherten die Staats- und Regierungschefs der USA und Europas den sowjetischen Vertretern, dass die NATO “keinen Zentimeter nach Osten” vorrücken würde, wenn Moskau die deutsche Wiedervereinigung zuließe. Bei diesen Zusagen handelte es sich nicht um vage diplomatische Nettigkeiten, sondern um ausdrückliche Zusicherungen, die von hochrangigen westlichen Vertretern, darunter der amerikanischer Außenminister James Baker III und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, abgegeben wurden. Horton durchforstet akribisch freigegebene Dokumente und Berichte aus erster Hand, um zu zeigen, dass es sich dabei nicht um beiläufige Bemerkungen, sondern um sorgfältig formulierte Versprechen handelte, die eine kollabierende Sowjetunion beruhigen sollten.

Horton argumentiert nachdrücklich, dass der Verrat dieser Zusicherungen nicht nur ein diplomatischer Fehler war, sondern eine tiefgreifende strategische Fehlkalkulation, die die russische Paranoia schürte. Im Gegensatz zu der karikaturhaften Darstellung der russischen Staats- und Regierungschefs, die der westlichen Integration angeblich von Natur aus feindlich gegenüberstanden, hebt Horton die Tatsache hervor, dass Michail Gorbatschow, Boris Jelzin und sogar Wladimir Putin zu verschiedenen Zeitpunkten offen dafür waren, dass Russland selbst Teil der NATO wird. Sie alle drängten darauf, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur zu schmieden, die sowohl Russland als auch Europa umfasst. Sie bestanden darauf, dass Russland als gleichberechtigter Partner behandelt wird. All diese Vorschläge wurden von den USA systematisch ignoriert oder zurückgewiesen, die stattdessen eine imperiale Agenda verfolgten, die die europäische Sicherheitslandschaft grundlegend veränderte.

Horton beschreibt detailliert, wie die NATO-Erweiterung in verschiedenen Wellen erfolgte, die jeweils die Überzeugung Moskaus verstärkten, dass der Westen Russland eher als besiegten Gegner denn als Partner betrachtete. Die erste Welle erfolgte 1999, als Polen, Ungarn und die Tschechische Republik offiziell der NATO beitraten – ein Schritt, den George Kennan, der Architekt der Eindämmungspolitik des Kalten Krieges, als einen „strategischen Fehler von möglicherweise epischem Ausmaß” anprangerte. Zu dieser Zeit galt Kennan in Washington als „der weiseste und ranghöchste der außenpolitischen Graubärte”. Er sagte voraus, dass die NATO-Erweiterung „zu einem neuen Kalten Krieg führen würde, der wahrscheinlich in einem heißen Krieg enden würde, und zum Ende der Bemühungen um eine funktionierende Demokratie in Russland”. Seine Worte klingen wie eine Prophezeiung: „Natürlich wird es eine böse Reaktion Russlands geben, und dann werden [die NATO-Erweiterer] sagen, dass wir euch immer gesagt haben, dass die Russen so sind.” Horton zitiert Dutzende renommierter außenpolitischer Koryphäen, Russlandexperten und Diplomaten, die in unmissverständlichen Worten davor warnten, dass die Ostexpansion der NATO die Ängste Russlands schüren, Europa destabilisieren, Russlands liberale Opposition schwächen und den Weg für katastrophale Konfrontationen ebnen würde. Er zeigt, dass Präsident Clintons Verteidigungsminister William Perry wegen dieser Entscheidung beinahe zurückgetreten wäre. Im Jahr 2016 sagte Perry dem Guardian:

„Ich muss sagen, dass die Vereinigten Staaten einen Großteil der Schuld verdienen. Unsere erste Aktion, die uns wirklich in eine schlechte Richtung gebracht hat, war die NATO-Erweiterung.”

Die zweite Welle im Jahr 2004 war sogar noch provokativer und brachte die baltischen Staaten – Estland, Lettland und Litauen – sowie die Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Slowenien ins Bündnis. Zum ersten Mal grenzten die NATO-Streitkräfte nun direkt an Russland. Bis 2009 hatte das Bündnis Albanien und Kroatien aufgenommen, wodurch das Vertrauen zwischen Moskau und dem Westen weiter untergraben wurde. Mit der Aufnahme Montenegros 2017 und Nordmazedoniens 2020 setzte sich das Muster fort.

Jede weitere Welle der NATO-Erweiterung verstärkte die Entschlossenheit Moskaus, aber die NATO-Gipfelerklärung von Bukarest 2008, die eine spätere Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens in Aussicht stellte, eskalierte die Konfrontation auf ein existenzielles Niveau. Horton zitiert ein entscheidendes Telegramm des US-Botschafters in Russland William Burns an Außenministerin Rice vom April 2008, in dem Burns warnte:

„Der Beitritt der Ukraine zur NATO ist für die russische Elite (nicht nur für Putin) der Leuchtendste aller roten Fäden. In den mehr als zweieinhalb Jahren, in denen ich mit den wichtigsten russischen Akteuren – von Hardlinern bis hin zu prowestlichen Liberalen – Gespräche geführt habe, habe ich noch niemanden gefunden, der den NATO-Beitritt der Ukraine als etwas anderes betrachtet als eine direkte Herausforderung für die russischen Interessen.”

Horton behauptet, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs diese Warnungen entweder vorsätzlich ignorierten oder ihre Bedeutung unterschätzten, indem sie dem expansionistischen Dogma der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges Vorrang vor der Stabilität einräumten.

Anstatt eine ausgewogene Sicherheitsarchitektur anzustreben, stellte die NATO jede neue Erweiterung als eine organische, demokratische Entscheidung souveräner Staaten dar. Horton demontiert diese Darstellung wirkungsvoll und zeigt, dass das Wachstum der NATO ein ideologisches Projekt war, das von einer Washingtoner Elite vorangetrieben wurde, die sich an ihrem „unipolaren Moment” berauschte. Der Glaube, dass Russland an den Rand gedrängt werden könne, schürte eine Arroganz, die die Grundprinzipien der Realpolitik ignorierte. Anstatt Russland in einen kooperative Sicherheitsrahmen einzubinden, betrachteten die westlichen Politikeliten die NATO als einen exklusiven Club, der Moskau Bedingungen diktierte. Horton zeigt, dass dieser abweisende Ansatz Russland entfremdete und nationalistische Gruppierungen im Land stärkte.

Die anfängliche Reaktion Moskaus auf die NATO-Erweiterung war relativ zurückhaltend, und zwar nicht, weil es den neuen Status quo akzeptierte, sondern weil es in den 90er-Jahren nicht über die Mittel verfügte, sich dagegen zu wehren. Jelzin, der verzweifelt auf die wirtschaftliche Unterstützung des Westens angewiesen war, war nicht in der Lage, die Entscheidungen Washingtons in Frage zu stellen, obwohl er davor warnte, dass das Vordringen der NATO nach Osteuropa ein Vertrauensbruch sei. Doch als Russland unter Putin wieder auf die Beine kam, verfestigten sich die über Jahre aufgestauten Missstände zu einer Doktrin des Widerstands. Horton argumentiert überzeugend, dass der Westen, indem er Russlands wiederholte diplomatische Annäherungsversuche und eindeutige Warnungen ignorierte, systematisch genau die Feindseligkeit schürte, die er später einzudämmen vorgab.

Horton unterstreicht, dass die potenzielle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für Russland eine existenzielle Grenze darstellt, die ihre Wurzeln in einer traumatischen Geschichte von Invasionen an der Westgrenze des Landes hat – einer weiten, offenen Ebene ohne natürliche Hindernisse wie Gebirge oder große Flüsse. Er weist darauf hin, dass diese Region, die die heutige Ukraine und Weißrussland umfasst, als Invasionskorridor für drei katastrophale Feldzüge diente: Napoleons Marsch auf Moskau 1812, der Vorstoß des kaiserlichen Deutschlands nach Russland 1914-1917 während des Ersten Weltkriegs und Hitlers Operation Barbarossa 1941, die den tödlichsten Konflikt in der Geschichte der Menschheit auslöste. Der Einmarsch der Nazis kostete schätzungsweise 27 Millionen Sowjetbürgern das Leben, während die Belagerung von Leningrad – dem heutigen St. Petersburg –, wo Putins eigener Bruder Viktor während der Hungersnot umkam, über eine Million Menschenleben forderte. Für Moskau, so Horton, lässt das Vordringen der NATO in die Ukraine diese Traumata wieder aufleben, verstärkt durch das Auftreten ukrainischer Neonazi-Bataillone, die sich offen auf die Ikonographie des Dritten Reichs berufen. Der persönliche Verlust Putins und die kollektive Erinnerung Russlands an die Gräueltaten der Nazis machen die Annäherung Kiews an den Westen zu einem existenziellen Verrat – ein Schauplatz für feindliche Kräfte, die die Geschichte zu wiederholen drohen.

Horton zeigt, dass die NATO die Ukraine zu einem De-facto-Mitglied machte, indem sie die Interoperabilität ihrer Waffensysteme erhöhte und ihre Kriegsstrategien und -taktiken koordinierte. Durch die Stationierung von Militärberatern, Geheimdienstmitarbeitern und Waffen in einer Region, die seit jeher für existenzbedrohende Invasionen steht, verschmolz die NATO unwissentlich geopolitische Manöver des 21. Jahrhunderts mit Russlands jahrhundertealten Überlebensinstinkten und verwandelte diplomatische Streitigkeiten in eine unversöhnliche Konfrontation.

Horton übt scharfe Kritik an einer charakteristischen Pathologie der US-Außenpolitik: der Unfähigkeit amerikanischer Politiker, sich in die Perspektive des Gegners hineinzuversetzen – zu begreifen, dass Washingtons Handlungen von Rivalen nicht als wohlwollende Führung, sondern als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden. Er erinnert daran, dass die Monroe-Doktrin jedem Land auf dem amerikanischen Kontinent mit Krieg droht, wenn es sich mit einer feindlichen Großmacht verbündet. Die USA haben diese Doktrin oft durchgesetzt. Horton fügt hinzu: „Und vergessen Sie die Einschränkungen der Monroe-Doktrin in Bezug auf Amerika. Auch jede Nation der Alten Welt muss sich dem Imperium beugen.” Er bespricht Untersuchungen, die stark auf eine Beteiligung der USA oder der Ukraine an der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines 2022 hindeuten – dem folgenreichsten Angriff auf die deutsche Souveränität seit 1945: „Unabhängig davon, ob Biden oder Selenskyjs Truppen es getan haben, war es ein Angriff auf unseren Verbündeten Deutschland.”

Westliche Einmischung, Schocktherapie und Farben-Revolutionen

Scott Horton beschreibt detailliert, wie die enthusiastische und massive Unterstützung des Westens für Boris Jelzins korrupten und autoritären Gangsterstaat in Verbindung mit der vom IWF auferlegten brutalen Schocktherapie zur totalen wirtschaftlichen Zerstörung und zum Aufstieg der Oligarchenherrschaft in Russland führte. Er zeigt auf, dass westliche Regierungen das Jelzin-Regime auch nach der gewaltsamen Niederschlagung des russischen Parlaments im Jahr 1993 – einem militärischen Angriff, bei dem Panzer das Parlament beschossen und mindestens 187 Menschen töteten – weiterhin unterstützten und dabei der geopolitischen Stabilität und radikalen Marktreformen den Vorrang gaben. Die rasche Privatisierung, die extremen Sparmaßnahmen und die epische Korruption lösten einen wirtschaftlichen Zusammenbruch von historischem Ausmaß aus, bei dem die Lebenserwartung drastisch sank. Horton zitiert eine Studie eines renommierten Experten, der „3,4 Millionen vorzeitige russische Todesfälle zwischen 1990 und 1998” schätzt. Diese eklatante Einmischung in die russische Politik schürte in der russischen Öffentlichkeit tiefe Ressentiments und Misstrauen gegenüber dem Westen und brachte die liberalen Reformer in Misskredit. Aus diesem Chaos heraus entwickelte sich Putin zu einer starken Führungspersönlichkeit. Er wurde als Wiederhersteller von Sicherheit, Einheit und Wohlstand wahrgenommen. Trotz seines derzeitigen Rufs im Westen bemühte sich Putin anfangs sehr um gute Beziehungen zu den westlichen Mächten.

Die “Demokratieförderungs”-Maschinerie des Westens hat die Souveränität vieler Länder in Osteuropa, auf dem Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien eklatant verletzt. Horton analysiert die von den USA finanzierten Farben-Revolutionen in Serbien, Georgien, der Ukraine, Kirgisistan, Weißrussland und anderen Ländern, die als Volksaufstände dargestellt werden, aber oft von der National Endowment for Democracy (NED) und USAID sowie anderen von westlichen Regierungen und der Soros-Stiftung finanzierten Organisationen inszeniert wurden. Er zeigt überzeugend, dass die westliche Unterstützung für die politische Opposition und die pro-westlichen Medien bei den meisten dieser Revolutionen von entscheidender Bedeutung war. Diese oft gewalttätigen Bewegungen ersetzten autoritäre Regime durch pro-westliche Gegenstücke, die ebenso repressiv waren. Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili, der nach der Rosenrevolution von 2003 als Reformer gefeiert wurde, ließ Oppositionelle inhaftieren und Gefangene foltern. Die Orangene Revolution von 2004 in der Ukraine brachte eine pro-westliche nationalistische Regierung an die Macht, die ebenso korrupt war wie die alte – ihre Führer Juschtschenko und Timoschenko gingen in erbitterten Machtkämpfen schnell aufeinander los. In Kirgisistan stürzte die Tulpenrevolution 2005 einen korrupten, autoritären Führer, nur um einen anderen einzusetzen, der den USA erweiterten militärischen Zugang gewährte.

Horton dokumentiert die unerschütterliche Unterstützung des Westens für autoritäre Herrscher wie Nasarbajews brutale Herrschaft in Kasachstan, das Karimow-Regime in Usbekistan, das 2005 in Andischan Hunderte von Demonstranten massakrierte, und Aserbaidschans Alijew-Dynastie, eine Kleptokratie, die abweichende Meinungen zum Schweigen bringt und die ethnische Vertreibung in Berg-Karabach betreibt, während sie gleichzeitig die NATO mit Öl versorgt. Die russische Führung, so Horton, habe die eklatante Heuchelei der westlichen Rhetorik zur Förderung der Demokratie aufgegriffen.

Stellvertreterkriege: Jugoslawien, Tschetschenien, Georgien und Syrien

Horton argumentiert, dass Washingtons Missachtung des Völkerrechts bei der ungenehmigten Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO (1999), der Invasion des Irak (2003) und den Regimewechsel-Kampagnen in Libyen (2011) und Syrien (2012) die russischen Eliten davon überzeugt hat, dass die “regelbasierte Ordnung” ein hohles Schlagwort ist. Moskau sah zu, wie der Westen diese Kriege als moralische Notwendigkeiten darstellte, während er ihre katastrophalen humanitären Folgen ignorierte und UN-Mandate umging. Für den Kreml waren diese Aktionen keine Ausnahmen, sondern ein Muster: aggressive Machtspiele, die Russlands Sicherheitsinteressen beiseiteschoben und die Souveränität schwächerer Staaten mit Füßen traten. Diese Wahrnehmung westlicher Heuchelei, so zeigt Horton, verhärtete Russlands Entschlossenheit, sich gegen eine Politik zu wehren, die es als existenzielle Bedrohung an seinen Grenzen ansah.

Nirgendwo wird diese Dynamik deutlicher als in den Jugoslawienkriegen, wo die westliche Rhetorik der Humanität mit der brutalen Realität der Stellvertreterkriege kollidierte. Horton dokumentiert minutiös, wie die USA und Europa zwar öffentlich ethnische Säuberungen verurteilten, aber aktiv Gewaltkampagnen ermöglichten, die ihren geopolitischen Zielen entsprachen, und Friedensverhandlungen sabotierten, die ein frühes Ende der Kämpfe hätten herbeiführen können. Während der kroatischen “Operation Sturm” von 1995 – einer Militäroffensive, bei der über 200.000 Serben aus der Krajina vertrieben und zivile Konvois und Häuser beschossen wurden – versorgte die Clinton-Regierung Zagreb mit Satellitennachrichten und militärischer Ausbildung und stellte die Operation als “Befreiung” dar, obwohl sie eindeutig an die ethnischen Säuberungen der faschistischen Ära erinnerte. In Bosnien bewaffneten und legitimierten westliche Mächte die bosnisch-muslimische Regierung, obwohl diese sich mit dschihadistischen Kämpfern verbündete und serbische Zivilisten massakrierte. Die Bombardierung Serbiens durch die NATO im Jahr 1999, mit der angeblich die ethnischen Säuberungen im Kosovo gestoppt werden sollten, machte diesen moralischen Bankrott noch deutlicher. Horton zeigt auf, wie der Westen die zivile Infrastruktur zerstörte und die Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) bewaffnete, die in den Drogen- und Organhandel verwickelt war und 200.000 Serben und Roma aus dem Kosovo vertrieb. Für Moskau ging es bei diesen Interventionen nicht darum, Leben zu retten, sondern die westliche Macht auszuweiten und Serbien, Russlands Verbündeten auf dem Balkan, zu demütigen.

Dieses Muster der Provokation erstreckte sich auch auf den Kaukasus und den Nahen Osten, wo die US-Unterstützung für antirussische Kämpfer das Gefühl der Einkreisung Moskaus noch verstärkte. Horton argumentiert, dass Washington während des Zweiten Tschetschenienkriegs Verbündete wie Saudi-Arabien und die Türkei stillschweigend dazu ermutigte, mit dem Dschihadismus verbundene tschetschenische Rebellen zu bewaffnen und zu finanzieren. Diese Stellvertreterstrategie zielte darauf ab, das postsowjetische Russland zu destabilisieren und dessen Kontrolle über die kaspischen Ölpipelines zu blockieren. Die Golfstaaten versorgten die Rebellen über Wohltätigkeitsorganisationen mit Waffen und wahhabitischer Ideologie, während US-Beamte angeblich Ausbildungsprogramme für Kämpfer in Aserbaidschan genehmigten. Horton betrachtet Putins vernichtende Vergeltungsmaßnahmen als verzweifelte, doch verbrecherische Reaktion auf den vom Ausland unterstützten Terrorismus. Während eine gewisse Beteiligung der USA gut dokumentiert ist, bleiben Behauptungen über direkte Waffentransfers der CIA zwar plausibel, aber unbewiesen.

Horton vertritt die Auffassung, dass der Georgienkrieg 2008 eine direkte Folge des rücksichtslosen Auftretens der NATO war. Auf dem Bukarester Gipfel im April dieses Jahres stellte das Bündnis Georgien und der Ukraine die zukünftige Mitgliedschaft in Aussicht. Ermutigt durch diese Garantie – und durch jahrelange militärische Hilfe und Ausbildung durch die USA – begann der georgische Präsident Micheil Saakaschwili einen Artillerieangriff auf russische Friedenstruppen in Südossetien und beschoss dessen Hauptstadt Zchinwali. Horton vertritt die Auffassung, dass Moskau mit seinem raschen Gegenschlag die Botschaft vermittelte, dass die NATO-Erweiterung nicht unwidersprochen bleiben würde.

Schließlich legt Horton überzeugend dar, wie die USA und ihre Verbündeten Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar den syrischen Bürgerkrieg verlängerten, indem sie extremistische Rebellen bewaffneten, darunter mit al-Qaida verbundene Gruppierungen wie Jabhat al-Nusra. Dieser Versuch, das Assad-Regime zu stürzen, förderte den Aufstieg von ISIS und al-Qaida und trieb Syrien 2015 an den Rand des Zusammenbruchs. Russlands Intervention, die als Aggression verurteilt wurde, wird als pragmatisch dargestellt: Sie sollte ein Übergreifen des Dschihadismus auf den Nordkaukasus verhindern und einen Verbündeten im Nahen Osten schützen.

Für Horton sind diese Konflikte miteinander verknüpft: Jeder vom Westen unterstützte Regimewechsel oder völkerrechtswidrige Krieg vertiefte die russischen Ängste und rechtfertigte immer härtere und autoritärere Reaktionen.

Die Ukraine: Maidan-Revolution, der Aufstieg der Rechtsextremen und die gespaltene Nation

In den brisantesten Kapiteln des Buches wird der Euromaidan-Aufstand in der Ukraine von 2014 analysiert. Horton widerspricht der westlichen Darstellung und zeigt auf, wie rechtsextreme Gruppen wie der Rechte Sektor und C14 den gewaltsamen Sturz der demokratisch gewählten Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch anführten und die friedlichen Proteste in den Hintergrund drängten. Er erörtert eingehende Untersuchungen, die stark darauf hindeuten, dass die rechtsextremen Gruppen mindestens ebenso viele Menschen töteten wie die Sicherheitskräfte. Diese antisemitischen, rassistischen und homophoben Gruppierungen wurden in den Sicherheitsapparat der Ukraine nach dem Maidan integriert. Die Asow-Kämpfer trugen offen neonazistische Abzeichen, während der Staat den faschistischen Führer und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera verherrlichte.

Horton beschreibt detailliert, wie westliche Regierungen und George Soros schon Jahre vor dem Maidan beträchtliche Mittel in pro-westliche NGOs und Medien in der Ukraine steckten. Diese langfristigen Investitionen kultivierten eine politische Infrastruktur, die den Regimewechsel vorbereitete. Horton hebt das 2014 durchgesickerte Telefongespräch zwischen der stellvertretenden Außenministerin Victoria Nuland und dem US-Botschafter Geoffrey Pyatt hervor – ein offenes Gespräch über die Auswahl der ukrainischen Führung nach dem Maidan, insbesondere von Arsenij Jazenjuk, der später zum Premierminister ernannt wurde. Nach dem Putsch unterstützten die westlichen Mächte die neue Regierung mit militärischer Hilfe und Ausbildung, Geheimdienstinformationen und diplomatischem Schutz. Im Jahr 2024 enthüllte die New York Times, dass die CIA nach dem Putsch von 2014 zwölf geheime Stützpunkte in der Nähe der ukrainischen Grenze zu Russland eingerichtet hatte. Doch die westlichen Regierungen vermieden es auffallend, Kiew zu einem Kompromiss mit der entrechteten russischsprachigen Bevölkerung im Osten und Süden zu drängen. Sie schwiegen auch zu den Mitgliedern der harten Rechten in der Regierung, der Armeeführung und der Polizei. Horton weist nach, dass die USA und Kanada sogar Neonazi-Kämpfer aus Asow und anderen Regimentern ausbildeten und bewaffneten. Asow-Führer Andrij Biletsky verkündete, dass die Ukraine „die weißen Völker der ganzen Welt auf den letzten Kreuzzug um ihre Existenz führt. Ein Feldzug gegen semitisch geführte Untermenschen”.

Die öffentliche Meinung, so zeigt Horton, war tief gespalten. Umfragen ergaben deutliche regionale Unterschiede: Die Westukraine unterstützte die EU-Integration und die Maidan-Revolution, während der russischsprachige Osten und Süden die kulturelle Auslöschung fürchteten. Die Politik nach dem Putsch – Verbot der russischen Sprache in Schulen, Entlassung von Pro-Janukowitsch-Beamten und Feiern für faschistische Führer – entfremdete Millionen von Menschen und heizte die Rebellion im Donbass an. Die Antwort Kiews war brutal. Milizen wie Asow beschossen wahllos zivile Gebiete im Donbass, vergewaltigten, plünderten und entführten Menschen. Die Armee setzte Luftangriffe, schwere Artillerie und Streubomben ein, während Sicherheitskräfte mutmaßliche Separatisten hinrichteten und folterten, was in Berichten der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen dokumentiert wurde. Kiew unterbrach auch die Versorgung der Rebellengebiete mit Wasser und Lebensmitteln. Ein Bericht der Vereinten Nationen kam zu dem Schluss, dass „die überwiegende Mehrheit der zivilen Opfer im Donbass-Krieg zwischen 2018 und 2021, etwa 81,4 Prozent, in von den Rebellen kontrollierten Gebieten zu beklagen war, während 16,3 Prozent in von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten zu beklagen waren.”

Horton spricht Russland nicht von der Ausnutzung des Konflikts frei, betont aber, dass Kiews harte Linie, die von westlichen Beratern unterstützt wurde, politischen Dissens in einen offenen Krieg verwandelte. Er zeigt, dass die große Mehrheit der Rebellen im Osten Ukrainer waren, die Repressionen durch die neue Regierung fürchteten. Der Bürgerkrieg verwandelte sich allmählich in einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland. Vor der russischen Invasion im Jahr 2022 „waren die Rebellen im Donbass fast ausschließlich einheimische Kämpfer”.

Hortons Analyse unterstreicht das beunruhigende Abdriften der Ukraine in Richtung Autoritarismus und Illiberalismus, obwohl der Westen die Revolution von 2014 als demokratischen Durchbruch darstellte. Er dokumentiert die systematische Unterdrückung der politischen Opposition – das Verbot von Parteien, die Zensur abweichender Medien und sogar der Rückgriff auf Mordanschläge und religiöse Diskriminierung. Anstatt die oligarchische Macht abzubauen, wurde sie durch die Reformen nach dem Maidan gefestigt, wobei die Korruption trotz westlicher Milliardenhilfe auf allen Ebenen fortbesteht. Die Konsolidierung der Autorität durch die Selenskyj-Regierung vor und nach der russischen Invasion – Annullierung von Wahlen, Verhaftung von Kritikern und Zentralisierung der Kontrolle – offenbart eine weitere Tendenz zur Autokratie, die durch die Kriegsmaßnahmen noch verstärkt wurde. Horton deckt auch auf, dass die Regierung immer jüngere Männer mit oft brutaler Gewalt in die Armee zwingt. Entscheidend ist, dass er den demokratischen Niedergang der Ukraine mit der Komplizenschaft des Westens in Verbindung bringt: Indem sie geopolitischen Zielen Vorrang vor demokratischer Rechenschaftspflicht einräumten, drückten die Staats- und Regierungschefs der USA und der EU bei der Repression in Kiew beide Augen zu. Der Westen, so Horton, habe es nicht einmal geschafft, die ukrainische Zentralregierung gegen die anhaltende Bedrohung durch die radikale Rechte zu stärken. Erschwerend kam hinzu, dass sie dem Land harte Sparmaßnahmen des IWF aufzwangen.

Die umkämpfte Geschichte der Ukraine: Hungersnot, Faschismus und ausländische Manipulation

Um die Spaltung der Ukraine zu kontextualisieren, geht Horton auf die traumatische Vergangenheit des Landes ein. Stalins Zwangskollektivierung in den 1930er-Jahren löste eine menschengemachte Hungersnot aus, der Millionen zum Opfer fielen und die das Misstrauen gegenüber Moskau vertiefte. Während des Zweiten Weltkriegs kollaborierte die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) – darunter auch die von Bandera geführte Fraktion – mit den Nazis und beteiligte sich aktiv am Völkermord an Hunderttausenden von Juden und Polen.

Nach dem Krieg unterstützten die USA heimlich die Überreste der OUN bei ihrem Guerillakampf gegen die Sowjetherrschaft und beschönigten ihr faschistisches Weltbild, um sie als antikommunistische “Freiheitskämpfer” darzustellen. Die Weltkriege und der Kalte Krieg, so Horton, legten den Grundstein für die ideologische Spaltung der modernen Ukraine: ein Westen, der Bandera verehrt, und ein Osten, der in ihm ein Symbol des faschistischen Terrors sieht. Heute, so Horton, wird Bandera in der Westukraine als Nationalheld gefeiert und sein Vermächtnis in staatlich geförderten Gedenkstätten und militärischer Symbolik verewigt. Der ukrainische Journalist Lew Golinkin hat nach 2014 „mehrere Hundert Denkmäler, Statuen und Straßen, die nach Nazi-Kollaborateuren in der Ukraine benannt sind” dokumentiert. Der Geburtstag von Bandera ist ein nationaler Feiertag.

Diese historische Abrechnung ist für Hortons Analyse von zentraler Bedeutung: Die Allianz des Westens mit Faschisten und Nazi-Kollaborateuren aus der Zeit des Kalten Krieges und seine Umarmung rechtsextremer Gruppen nach dem Maidan haben alte Spaltungen wieder aufleben lassen und die russischsprachigen Ukrainer im Osten und Süden entfremdet, die Banderas Erben als faschistische Nachfolger betrachten. Die rot-schwarzen Fahnen der OUN, die neben den ukrainischen Fahnen auf dem Maidan wehten, und die Hakenkreuztattoos auf den Armen vieler ukrainischer Soldaten versetzen die Minderheiten des Landes in Schrecken.

Der große Russiagate-Schwindel

Horton untersucht die Russiagate-Saga als eine Mischung aus politischem Opportunismus und institutioneller Vorteilsnahme – ohne einen Funken Sympathie für Trump. Horton belegt, dass das Narrativ der geheimen Absprachen zwischen Trump und Russland, das von Hillary Clintons Kampagne aggressiv gefördert und von Fraktionen innerhalb der US-Geheimdienste verstärkt wurde, ein kalkulierter Versuch war, das öffentliche Misstrauen als Waffe einzusetzen. Trotz jahrelanger Ermittlungen konnten weder glaubwürdige Beweise für eine Verschwörung zwischen Trump und Moskau vorgelegt werden, noch bestätigten die Untersuchungen die Behauptungen über eine erhebliche russische Einmischung in die Wahlen in den USA oder Europa. Die Folge, so Horton, war eine moralische Panik: Skeptiker der geheimen Absprachen oder des Ukraine-Kriegs wurden als ‘Putin-Marionetten’ diffamiert, während die sozialen Medien kritische Stimmen als ‘Desinformation’ zensierten. Die alten Eliten beider großen Parteien ließen ein McCarthy’sches Misstrauen gegenüber der Diplomatie wieder aufleben und setzten NATO-Skepsis mit Moskau-Loyalität gleich.

Ironischerweise ernannte Trump Russland-Falken und weitete die tödliche Hilfe für die Ukraine über das Niveau der Obama-Ära hinaus aus – Schritte, die Horton als Versuche ansieht, Anschuldigungen über Kreml-Verbindungen zu entkräften. Die Episode verrät weniger über russische Einmischung als vielmehr die Anfälligkeit des Westens für selbstverschuldete Paranoia, bei der ideologische Gewissheit nüchterne Untersuchungen in den Hintergrund drängt und unbewiesene Bedrohungen reale Eskalationen rechtfertigen. Trotz seiner Verachtung für Trumps Demagogie verurteilt Horton die liberalen Eliten für die Abkehr von rechtsstaatlichen Verfahren – was die Polarisierung vertieft, die Demokratie aushöhlt und die Politik militarisiert.

Das Minsker Abkommen und die Istanbuler Gespräche: Sabotierter Frieden

Die Minsker Vereinbarungen von 2014-2015, die dem Donbass Autonomie gewähren und die Kämpfe beenden sollten, wurden systematisch unterminiert – sowohl durch die Weigerung Kiews, sie umzusetzen, als auch durch westliche Mächte, die sie als Hinhaltetaktik betrachteten. Das Minsk-II-Abkommen von 2015 wurde von Deutschland und Frankreich im Rahmen des Normandie-Formats und der Trilateralen Kontaktgruppe der OSZE vermittelt und von der Ukraine, Russland und Vertretern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk formell unterzeichnet. Horton zeigt, dass darin „im Wesentlichen gefordert wurde, dass die ukrainische Verfassung umgeschrieben wird, um einen stärkeren Föderalismus für die Region und den Schutz der russischen Sprache einzuführen”. Kiew weigerte sich, diese politischen Reformen durchzuführen.

Selenskyj wurde als Friedensstifter mit dem Auftrag gewählt, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Doch wie Horton zeigt, geriet er unter starken Druck von militanten Neonazis und Ultranationalisten, die brutale Militärkampagne fortzusetzen. Westliche Mächte – obwohl sie Minsk öffentlich befürworteten – drängten die Ukraine insgeheim dazu, „bis zum totalen Sieg durchzuhalten”. Poroschenko, Merkel und Hollande gaben später zu, dass Minsk II ein Trick war, um der Ukraine Zeit zum Aufrüsten zu verschaffen – eine Enthüllung, die Moskau als Beweis für die Hinterhältigkeit des Westens wertete. Ukrainische Beamte erklärten, dass die Einhaltung von Minsk den Krieg hätte verhindern können, aber die USA und Großbritannien machten Druck, Russland maximal zu schwächen.

Horton geht sehr ausführlich auf die Vorgeschichte der russischen Invasion ein. „Im Jahr 2021 verabschiedete die Rada ein Gesetz, das die ukrainische Doktrin für die Wiederbesetzung und den Wiederaufbau des Donbass festschrieb. … Wie Selenskyjs alter Freund Sergej Siwocho beklagte, behandelte es die östliche Bevölkerung als ‘erobertes Volk’. Das Gesetz machte Ukrainisch zur einzigen Sprache, die in offiziellen Dokumenten oder Verfahren erlaubt war, schloss alle Staatsfeinde dauerhaft von der Beschäftigung in der Regierung aus und schloss jeden Sonderstatus für den Donbass oder die Krim aus.”

Horton beschreibt detailliert, wie Putins Vertragsentwürfe vom Dezember 2021 von den USA und der NATO als “Non-Starter” abgetan wurden, obwohl sie von Experten als verhandlungsfähiges Eröffnungsangebot eingeschätzt wurden. Russland forderte rechtsverbindliche Garantien gegen eine NATO-Erweiterung in der Ukraine, eine Begrenzung der militärischen Stationierung in Osteuropa und eine Wiederbelebung der Raketenbeschränkungen ähnlich dem INF-Vertrag. Die Regierung Biden lehnte formelle Vereinbarungen ab und bot lediglich vage „informelle Zusicherungen” an, während sie gleichzeitig die ‘offene Tür’ der NATO für die Ukraine bekräftigte, selbst als Bidens Team insgeheim zugab, dass die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine einen Krieg garantieren würde. Die OSZE dokumentierte im Februar 2022 eine erhebliche Eskalation in Donezk und registrierte über 3.400 Granaten- und Mörserangriffe, von denen zwei Drittel bis drei Viertel auf von den Rebellen gehaltenen Gebieten detonierten.

Horton erkennt Alternativen, die Russland hätte verfolgen sollen – eine globale diplomatische Initiative, multilaterale Foren, die Entsendung unbewaffneter Friedenstruppen –, obwohl er die Invasion eher als Reaktion auf eine wahrgenommene existenzielle Bedrohung denn als imperiale Ambition kontextualisiert. Putin bezeichnete die Invasion als „Präventivschlag” gegen die westliche Aggression. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gab später zu, dass Putin „in den Krieg gezogen ist, um die NATO, mehr NATO, in der Nähe seiner Grenzen zu verhindern”. Horton hebt einen entscheidenden Wandel in der US-Politik unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands hervor – den sogar die New York Times zugab –, und zwar von der Verteidigung der Ukraine zur absichtlichen Verlängerung des Krieges, um Russland eine „strategische Zermürbung” zuzufügen. Aus diesem Grund gaben die USA die Diplomatie völlig auf.

Die Istanbuler Friedensgespräche im April 2022 betrachtet Horton als eine der größten verpassten Gelegenheiten, die Katastrophe abzuwenden. Als die russischen Streitkräfte in den ersten Wochen der Invasion auf Kiew vorrückten, einigten sich die ukrainischen und russischen Unterhändler vorläufig auf folgende Punkte: Die Ukraine würde sich zur Neutralität bekennen, ihre NATO-Bestrebungen aufgeben und dem Donbass im Gegenzug für Sicherheitsgarantien und den Rückzug Russlands Autonomie gewähren. Sogar ukrainische Diplomaten gaben später zu, dass die Vereinbarung fast abgeschlossen war, da Moskau bereit war, bei wichtigen Forderungen Kompromisse einzugehen. Der damalige Selenskyj-Berater Alexej Arestowitsch bezeichnete die Istanbuler Verhandlungen, an denen er teilnahm, später als „absolut erfolgreich”. Er sagte, dass „es das profitabelste Abkommen war, das wir hätten abschließen können. … Wir haben die Champagnerflasche geöffnet. Wir haben über Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Fragen der russischen Sprache, der russischen Kirche und vieles mehr gesprochen.” Der ukrainische Verhandlungsführer Oleksandr Chalyi sagte: „Wir waren Ende April sehr nahe dran, unseren Krieg mit einer friedlichen Lösung zu beenden.”

Aber die westlichen Mächte, so enthüllt Horton, sabotierten gezielt die Gespräche. Der britische Premierminister Boris Johnson forderte Kiew Berichten zufolge zum “Weiterkämpfen” auf und sagte unbegrenzte militärische Unterstützung zu. Er machte unmissverständlich klar, dass die Ukraine im Falle eines Friedensschlusses mit Russland nicht mit der Unterstützung der USA und Großbritanniens rechnen könne. US-Regierungsvertreter wiesen die Diplomatie als Beschwichtigungspolitik zurück. Die Gespräche scheiterten und besiegelten das Schicksal der Ukraine in einem lang anhaltenden Krieg.

Für Horton verkörpert diese Episode die Tragödie: Frieden war möglich, aber der Westen gab der Bestrafung Russlands Vorrang vor der Rettung der Ukraine. Der Moment war verloren, und der Krieg geriet in eine katastrophale Pattsituation. Die USA und Großbritannien würden eine Generation von Ukrainern auf dem Altar der Großmachtpolitik opfern.

Ein sinnloser Krieg

Provoked erzählt von der grausamen Realität eines sinnlosen Krieges, „einem absolut brutalen Kampf, der an einen Grabenkrieg im Stil des Ersten Weltkriegs erinnert, der oft im eiskalten Schlamm ausgetragen wird”. Soldaten auf beiden Seiten nennen ihn einen „Fleischwolf”. Horton veranschaulicht, wie die westliche Presse dazu neigt, die russischen Gräueltaten zu übertreiben und die ukrainischen Verbrechen herunterzuspielen. Dennoch kommt er letztendlich zu dem Schluss: „Alles in allem sind die Russen die Aggressoren und haben Städte angegriffen, in denen mit Sicherheit Unschuldige getötet wurden, und so liegt es auf der Hand, dass sie sich, abgesehen von aller Kriegspropaganda, mehr und schlimmerer Verbrechen schuldig gemacht haben.”

Horton zeigt, dass die NATO-Staaten mehrere weitere diplomatische Auswege ablehnten. Ihr hartes Sanktionsregime lähmte die europäische Wirtschaft und löste Nahrungsmittelkrisen im globalen Süden aus, während sich Russland erfolgreich auf die asiatischen Märkte und die fiskalische Widerstandsfähigkeit in Kriegszeiten umstellte. Die Wirtschaft der Ukraine wurde durch den Krieg zerstört.

Die Discord-Leaks enthüllten, dass interne US-Einschätzungen vor dem gravierenden Munitionsmangel der Ukraine und den unüberwindbaren russischen Verteidigungslinien warnten. Dennoch drängte Washington Kiew im Jahr 2023 zu einer Gegenoffensive, obwohl es einen Sieg für unrealistisch hielt. Als der Angriff auf Moskaus Schützengräben und Minenfelder ins Stocken geriet, warfen US-Regierungsvertreter den ukrainischen Truppen vor, sie seien „opferscheu” – ein Vorwurf, den Horton als grotesk zurückweist: „Hunderttausende von Menschen wurden getötet, nur wegen des idiotischen und gescheiterten Plans von Präsident Biden und dem Imperium”. Eine Umfrage vom September 2024 ergab, dass mehr als zwei Drittel der Ukrainer die Aufnahme von Friedensgesprächen mit Russland befürworteten – ein krasser Gegensatz zur Rhetorik westlicher Politiker, für die Demokratie zu kämpfen, während sie die Mehrheitsmeinung in der Ukraine ignorieren.

Am nuklearen Abgrund

Hortons Kritik an Washingtons Aufkündigung von Rüstungskontrollverträgen mit Russland aus der Ära des Kalten Krieges ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie kurzsichtige politische Entscheidungen das nukleare Brinkmanship auf ein Niveau eskalieren ließen, das seit der Kubakrise nicht mehr erreicht wurde. Er zeichnet den Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile) im Jahr 2002, dem INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces) im Jahr 2019 und dem Vertrag über Offene Himmel (Open Skies) im Jahr 2020 nach – Eckpfeiler der strategischen Stabilität, die die Erstschlagskapazitäten einschränkten. Mit der Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien, die angeblich der ‘iranischen Bedrohung’ entgegenwirken sollten, haben die USA Abschussrampen mit doppeltem Verwendungszweck aufgestellt, die in der Lage sind, nuklear bestückte Raketen auf das russische Kernland abzufeuern und Moskaus Entscheidungsspielraum in einer Krise auf wenige Minuten zu verkürzen. In Verbindung mit den NATO-Militärübungen, die Angriffe auf russischem Boden simulierten, überzeugte dies den Kreml davon, dass der Westen nicht auf Abschreckung, sondern auf einen Erstschlagsvorteil aus war. In seiner Rede im Dezember 2022 sagte Putin: „Die Vereinigten Staaten entwickeln ein System für einen Entwaffnungsschlag gegen uns … Sie arbeiten an der Fähigkeit, unser nukleares Reaktionspotenzial zu neutralisieren, was ihnen erlauben würde, die Bedingungen zu diktieren oder sogar unseren Staat zu zerstören.”

Horton zitiert russische Militärstrategen und US-Rüstungskontrollveteranen, die davor warnten, dass diese Maßnahmen den Zeit- und Vertrauenspuffer auslöschten, der notwendig sei, um zwischen einem echten Enthauptungsangriff und einem falschen Alarm zu unterscheiden – ein gefährlicher Rückfall in die Weltuntergangslogik des 20. Jahrhunderts. Nach Hortons Ansicht verstärkten die Vertragsverletzungen des Westens Putins Belagerungsmentalität und rechtfertigten Russlands eigenes nukleares Auftreten – eine Rückkopplungsschleife, in der ‘defensive’ Maßnahmen zu existenziellen Bedrohungen wurden. Dieses atomare Säbelrasseln ist purer Wahnsinn, da sowohl Russland als auch die USA über Tausende von Wasserstoffbomben verfügen – weitaus mächtiger als konventionelle Atomwaffen –, die Milliarden von Menschen töten und große Teile des Planeten für Jahrzehnte unbewohnbar machen könnten.

Putins größte Befürchtung war, dass die NATO nuklearfähige Raketensysteme in der Ukraine stationieren könnte, die eines Tages von einer streng antirussischen Regierung kontrolliert werden könnten. In einem solchen Szenario würde Moskau mit der albtraumhaften Aussicht auf einen plötzlichen, verheerenden Schlag konfrontiert, bei dem die russische Führung nur wenige Augenblicke Zeit hätte, um zu entscheiden, ob sie einen nuklearen Gegenangriff starten oder auf die Möglichkeit eines Fehlalarms setzen sollte. Diese Befürchtung wurde noch verstärkt, als die westlichen Staaten der Ukraine ihr Einverständnis signalisierten, mit den von ihnen gelieferten Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Der Westen hat nicht einmal versucht, die Ukraine daran zu hindern, die russische Neonazi-Miliz “Russisches Freiwilligenkorps” einzusetzen, die mit gepanzerten Fahrzeugen aus den USA Angriffe auf russisches Territorium durchführten.

Schlussfolgerung: Heuchelei, Hybris und die menschlichen Kosten

Provoked ist ein Plädoyer für Demut und die Erkenntnis, dass sowohl liberale als auch autoritäre Imperien Ressentiments schüren und den Kreislauf der Gewalt aufrechterhalten. Es erinnert uns daran, dass bei dieser Konfrontation nicht abstrakte Ideologien auf dem Spiel stehen, sondern Menschenleben. Gewöhnliche Ukrainer sind Kanonenfutter, Spielfiguren in einem blutigen Schachspiel der Großmächte. Das Buch gipfelt in einem vernichtenden Urteil: Das moralische Getue des Westens und die autoritäre Realpolitik Russlands verstärken sich gegenseitig.

Horton verurteilt eindeutig Putins Kriegsverbrechen in Tschetschenien, Syrien und der Ukraine, besteht aber darauf, dass die NATO-Erweiterung und die Sabotage der Diplomatie Moskaus Darstellung der westlichen Doppelzüngigkeit bestätigen. Hortons Warnung vor einem „immerwährenden nuklearen Schwert, das über unser aller Köpfe hängt” klingt mit düsterer Dringlichkeit: Wenn wir uns nicht mit der Rolle des Westens bei der Provokation dieser Krise auseinandersetzen, wird sich der Kreislauf der Eskalation fortsetzen, und die Opfer werden sich vervielfachen. Dies ist nicht nur ein Buch – es ist eine 900-seitige Alarmglocke, die für eine Welt läutet, die schlafwandelnd dem Armageddon entgegengeht.

Titelbild: Buchcover – The Libertarian Institute