Die israelische Armee (IDF) hat am 24. März zwei Journalisten im Gazastreifen getötet, den für Al Jazeera tätigen Hossam Shabat sowie den für Palestine Today arbeitenden Mohammad Mansour. Im ersten Fall wurde das Auto des Al-Jazeera-Journalisten gezielt ins Visier genommen, was die IDF auch offiziell einräumt, im zweiten Fall die Wohnung des Journalisten, dabei starben auch seine Frau und Kind. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung die gezielte Tötung von Journalisten als Kriegsverbrechen bewertet und wieso es angesichts von 206 durch Israel seit Oktober 2023 getöteten Journalisten allein im Gazastreifen, einer historisch einmalig hohen Zahl, keine proaktiven Stellungnahmen von Seiten der Bundesregierung gab. Von Florian Warweg.
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Hintergrund:
Hossam Shabat war im Auftrag des katarischen Senders Al Jazerra (AJ) auf der Saladin-Straße unterwegs, einer Hauptverkehrsstraße, die den Norden des Gazastreifens mit dem Süden verbindet, als ihn die israelische Armee am 24. März mit einem gezielten Luftschlag tötete. Videoaufnahmen zeigen, wie Helfer seinen leblosen Körper aus dem zerstörten Wagen ziehen. Shabat wurde 23 Jahre alt.
Die israelische Armee erklärte offiziell, dass sie den AJ-Journalisten gezielt „eliminiert“ hätte, und führte als Begründung an, dass er und fünf weitere AJ-Journalisten „Hamas-Terroristen“ seien.
Die gezielte Tötung von Journalisten in Konfliktgebieten gilt als Kriegsverbrechen. Journalisten unterliegen in diesem Kontext einem besonderen Schutz, was innerhalb des UN-Rahmens unter anderem durch die UNESCO-Resolution 29 von 1996, die Resolution 1738 des UN-Sicherheitsrats von 2006 sowie die Erklärung von Medellín vom 4. Mai 2007 dokumentiert ist.
Zwei Stunden vor seiner gezielten Tötung durch die IDF hatte Shabat über den Tod seines Kollegen Mohammad Mansour berichtet, der für den Fernsehsender Palestine Today (PJ) arbeitete. Das Haus des PJ-Journalisten in Chan Yunis, der zweitgrößten Stadt im Süden des Gazastreifens, war am Montag bei einem mutmaßlich ebenfalls gezielten Luftschlag zerstört worden. Dabei starben auch seine Frau und seine Tochter.
Der AJ-Journalist Shabat war in der gesamten arabischen Welt bekannt, weil er als freier Mitarbeiter für Al Jazeera Mubasher, dem Live-Kanal des Senders, aus Gaza berichtete. Der TV-Sender aus Katar ist der einzige internationale Fernsehsender, der noch mit eigenen Mitarbeitern live aus Gaza berichtet und deswegen massiver Repression durch Israel ausgesetzt ist. Bereits im Mai 2024 ließ Tel Aviv das AJ-Büro in Jerusalem schließen. Vier Monate später, im September 2024, stürmte die IDF mit Waffengewalt das Al-Jazeera-Büro in Ramallah, im von Israel völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland, und schloss auch dieses.
Nach dem Tod von Shabat veröffentlichte sein Team folgende letzte Worte des Journalisten auf dessen X-Account:
„Wenn Sie dies lesen, bedeutet das, dass ich von den israelischen Besatzungstruppen getötet wurde – höchstwahrscheinlich gezielt. Als das alles begann, war ich erst 21 Jahre alt – ein Student mit Träumen wie jeder andere auch. In den letzten 18 Monaten habe ich jeden Moment meines Lebens meinem Volk gewidmet. Ich dokumentierte die Schrecken im nördlichen Gaza-Streifen Minute für Minute, entschlossen, der Welt die Wahrheit zu zeigen, die sie zu verbergen suchten. Ich schlief auf Gehwegen, in Schulen, in Zelten – überall, wo ich konnte. Jeder Tag war ein Kampf ums Überleben. Ich litt monatelang Hunger, doch ich wich nie von der Seite meines Volkes.
This is Hossam’s team, and we are sharing his final message :
“If you’re reading this, it means I have been killed—most likely targeted—by the Israeli occupation forces. When this all began, I was only 21 years old—a college student with dreams like anyone else. For past 18… pic.twitter.com/80aNO6wtfO
— حسام شبات (@HossamShabat) March 24, 2025
Mit der Tötung von Shabat und Mansour steigt die Zahl von durch Israel getöteten Journalisten und Medienschaffenden (Kameramännern etc.) laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UN-Ocha) auf 206.
Die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit im Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR), Irene Khan, erklärt in einem Interview gegenüber der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, dass die Anzahl der getöteten Journalisten in Gaza für das 21. Jahrhundert einmalig hoch sei und dass Israel gezielt Journalisten töte, um „die Berichterstattung über Kriegsverbrechen unterbinden zu wollen“:
„Die UN-Aufzeichnungen aus über 30 Jahren zeigen, dass der Gazastreifen den traurigen Rekord hält, mit der höchsten Zahl an Opfern der tödlichste Konflikt für Medienschaffende und Journalisten zu sein. Der Tod vieler Journalisten ist auf die Heftigkeit des Krieges zurückzuführen, aber es gab auch gezielte Tötungen. Unter dem Humanitären Völkerrecht gelten Journalisten als Zivilpersonen und haben Anspruch auf Schutz. Die gezielte Ermordung von Journalisten ist ein Kriegsverbrechen. Und doch wurden und werden sie im Gazastreifen vorsätzlich getötet.“
Doch selbst die Einschätzungen der UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit sowie zahlreicher internationaler Journalistenvereinigungen können die Bundesregierung nicht davon überzeugen, dass die belegte gezielte Tötung von Journalisten in Gaza ein israelisches Kriegsverbrechen darstellt.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 26. März 2025
Frage Warweg
Die israelische Armee hat am 24. März zwei Journalisten im Gazastreifen getötet, den für Al Jazeera tätigen Hossam Shabat sowie den für Palestine Today arbeitenden Mohammad Mansour. Im ersten Fall wurde das Auto des Al-Jazeera-Journalisten gezielt von der israelischen Armee ins Visier genommen, was diese auch offiziell eingeräumt hat, im zweiten Fall die Wohnung des Journalisten. Dabei starben sowohl seine Frau als auch sein Kind. Da würde mich zunächst grundsätzlich die Bewertung der Bundesregierung interessieren. Stellt für die Bundesregierung die gezielte Tötung eines Journalisten durch die israelische Armee ein Kriegsverbrechen dar, ja oder nein?
Wagner (AA)
Ich kann ganz allgemein sagen: Natürlich ist die Pressefreiheit ein hohes Gut, und sie muss geschützt werden. Insofern sind Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten niemals gerechtfertigt und müssen vermieden werden.
Jetzt steht zu den konkreten Fällen, zu denen ich keine eigenen Erkenntnisse habe, das im Raum, was von israelischer Seite dazu gesagt wird. Ob es legitime Ziele waren oder nicht, das kann ich von hier aus nicht beurteilen. Aber ich kann Ihnen ganz allgemein sagen: Journalistinnen und Journalisten dürfen nicht zur Zielscheibe werden. In Gaza ist die Situation für die Menschen dort, aber auch für die Journalistinnen und Journalisten, die darüber berichten, katastrophal, extrem gefährlich und ganz schwierig. Das muss sich dringend ändern. Deshalb fordern wir die israelische Regierung und alle an den Verhandlungen beteiligten Seiten auf, schnell wieder zu einem Waffenstillstand zurückzukehren und zu einer politischen Lösung zu kommen.
Zusatzfrage Warweg
Mit der Tötung der genannten zwei Journalisten stieg laut UN-OCHA die Zahl der durch Israel seit Oktober 2023 getöteten Journalisten und Medienschaffenden auf 206 Personen, eine zumindest für das 21. Jahrhundert historisch einmalige Eskalation. Da würde mich noch interessieren: Wieso gab es bisher keine einzige proaktive Stellungnahme vonseiten der Bundesregierung, insbesondere vonseiten des Auswärtigen Amtes, zu dieser enorm hohen Zahl an getöteten Journalisten?
Nur zum Vergleich: Im Ukrainekrieg starben auf beiden Seiten seit Februar 2022 rund 40 Journalisten. Da gab es – – –
BPK-Vorsitzende Wolf
Ihre Frage ist angekommen, Herr Warweg!
Zusatz Warweg
Nein. – Dazu gab es partiell durchaus Stellungnahmen. Deswegen würde mich interessieren, wieso es bisher keine einzige proaktive Stellungnahme vonseiten des Auswärtigen Amts gegenüber dieser historisch einmaligen Zahl an getöteten Journalisten gibt.
Wagner (AA)
Was Sie behaupten, ist einfach falsch, Herr Warweg. Wir haben uns aktiv zu journalistischen Fällen eingelassen, die in Gaza vorgefallen sind, auch proaktiv. Es stimmt einfach nicht, was Sie behaupten. Aber Sie haben recht: 206 tote Journalisten sind 206 tote Journalisten zu viel. Im Übrigen gilt das, was ich eben gesagt habe.
Die beiden Konflikte miteinander zu vergleichen, ist, glaube ich, ganz, ganz dünnes Eis.
Zusatz Warweg
(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)
Vorsitzende Wolf
Ihre Frage ist gestellt, angekommen und beantwortet. – Jetzt ist Frau Jäckels dran.
Frage Jäckels (Neues Deutschland)
Ich stelle immer wieder dieselbe Frage. Sie sagen, die Pressefreiheit sei ein hohes Gut, das geschützt werden müsse. Was passiert denn, wenn unsere engsten Freunde dieses hohe Gut nicht schützen? Welche Konsequenzen hat das?
Wagner (AA)
Dann thematisieren wir das, wir verurteilen es öffentlich, wir besprechen es bilateral, und das tun wir immer wieder. Das ist, wie gesagt, etwas, das nicht sein kann, das vermieden werden muss und das verhindert werden muss. Ich glaube, das, was wir ja als Bundesregierung tun, nämlich uns dafür einzusetzen, in diesem schwierigen Konflikt dahin zu kommen, dass das Leid in Gaza aufhört und dass wir endlich zu einer politischen Lösung kommen und dass das Töten und das Sterben in Gaza aufhören, ist ja Teil dieses Einsatzes.
Insofern kann ich verstehen, dass Sie es wahnsinnig frustrierend finden, hier jetzt sozusagen nur die Antwort eines Sprechers des Auswärtigen Amtes zu erhalten, aber es ist ja nicht so, dass wir nichts tun. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Regierung ist ja sehr aktiv dabei, in diesem Konflikt sozusagen auch den Einfluss, den wir haben, geltend zu machen, und spricht dabei mit allen Seiten. Die Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für humanitäre Hilfe in Gaza befindet sich gerade in Israel, spricht dort mit den israelischen Partnern und setzt sich dafür ein, dass humanitäre Hilfe nach Gaza hereinkommt. Das ist ja außenpolitisches Handeln.
Zusatz Jäckels
Der Grund, warum ich immer wieder die gleiche Frage stelle, ist ja, dass immer wieder ähnliche Lippenbekenntnisse kommen. Deutschland setzt sich für das humanitäre Völkerrecht ein, Deutschland setzt sich für Menschenrechte ein, Deutschland setzt sich für die Pressefreiheit ein. Es folgen aber dann keine Konsequenzen, wenn es Verstöße in diesen Bereichen gibt. Die Konsequenzen, die genannt werden, sind: Wir reden mit den Partnern. – Da schleicht sich ja irgendwann so ein bisschen der Eindruck ein, dass das eigentlich nur leere Worthülsen sind und dass aber tatsächlich nichts passiert.
Vorsitzende Wolf
Frau Jäckels, entschuldigen Sie, wenn ich da einmal reingehe, aber das ist jetzt Ihre Einordnung der Antwort. Die können Sie gerne in Ihrer Berichterstattung vornehmen. Aber die Frage ist jetzt die gleiche wie die erste.
Zusatzfrage Jäckels
Können Sie denn in irgendeiner Weise vorweisen, dass es über diese Lippenbekenntnisse hinaus konkrete Konsequenzen gab?
Wagner (AA)
Das haben wir doch hier immer wieder dargelegt, Frau Jäckels. Es gibt doch konkretes Handeln. Wir haben am Montag länger über die Situation hinsichtlich Siedlergewalt im Westjordanland gesprochen. Da haben wir auf europäischer Ebene Sanktionen angestoßen. Diplomatie besteht nun einmal sehr viel aus Kontakt, Einwirken und Einflussmöglichkeiten, die wir nutzen. Das ist leider etwas, das ich hier nicht sozusagen in epischer Breite in aller Öffentlichkeit darstellen kann. Aber natürlich nutzt die Bundesregierung die Kanäle und den Einfluss, den sie hat.
Frage Warweg
Eine ganz kurze Bitte, Herr Wagner, weil ich tatsächlich vorher recht intensiv sowohl den Twitter-Account als auch die RegPK-Protokolle durchgegangen bin und keine einzige proaktive Stellungnahme gefunden habe: Könnten Sie bitte zwei oder drei Beispiele von proaktiven Stellungnahmen zur Tötung von Journalisten im Gazastreifen nachreichen?
Wagner (AA)
Das mache ich gerne, Herr Warweg.
30 Minuten später — Nachreichung durch Herrn Wagner:
Herr Warweg, ich kann bestätigen, dass es einen Kontakt zwischen Frau Baerbock und Frau Schmid gab. Das ist alles, was ich zu diesem Thema zu sagen habe.
Ich kann Ihnen aber noch etwas zu Ihrer Frage zu den Journalisten in Gaza nachreichen: Unter anderem hat die Außenministerin bei ihrer Rede auf dem Global Media Forum im Juni 2024 – ich hoffe, das trifft die Qualifikation einer proaktiven Äußerung – davon gesprochen, dass Journalistinnen und Journalisten in Gaza getötet worden sind und dass das inakzeptabel ist. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat am Tag der Pressefreiheit 2024 auf diese Fälle in Gaza hingewiesen und sie verurteilt. Der deutsche Vertreter in Ramallah Oliver Owcza hat sich dazu schon im November 2023 auf X eingelassen. Insofern, glaube ich, kann ich zu meinen Worten stehen, dass es einfach falsch war zu behaupten, wir hätten uns nicht aktiv dazu eingelassen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 26.03.2025