Ein aktueller Artikel zu Sahra Wagenknecht zeigt beispielhaft: Die Interessen deutscher Bürger werden zu Interessen Russlands umgedichtet – wer dann noch für diese eigenen Interessen eintritt, ist plötzlich ein nützlicher Idiot Putins. Mit dieser Masche wird gegen Regierungskritiker vorgegangen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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In einem aktuellen Gastbeitrag im Focus verbreitet Susanne Spahn Verschwörungstheorien über „Pläne des Kremls“ und Sahra Wagenknecht. Die Historikerin gehört zum „Expert-Circle“ des Focus. Der Artikel beginnt so:
„Mit dem Abschied des Bündnisses Sahra Wagenknecht aus dem Bundestag verliert Russland eine wichtige Fürsprecherin im Parlament. Wagenknecht ist Teil der Pläne des Kremls, eine Querfront von linken und rechten Kräften in Deutschland zu fördern.“
Kontaktschuld – auch ganz ohne Kontakt
Wagenknecht lehne schließlich die Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine ab, so der Artikel – damit vertrete sie „wichtige russische Interessen“. Indem Wagenknecht „außenpolitische Großmannssucht und beispiellose Hochrüstung“ der Befürworter des aktuellen, umstrittenen Finanzpakets kritisiere und den Grünen vorwerfe, „kriegsverrückt“ zu sein, äußere Wagenknecht Ansichten, „die der Propaganda der russischen Staatsmedien sehr nahekommen“ würden.
Der russische Staatssender RT sei so einflussreich, weil er in Deutschland „ein Netzwerk von Alternativmedien, Influencern und Politikern geschaffen hat“. Von der US-Zeitung Washington Post im April 2023 veröffentlichte Dokumente würden die Versuche Moskaus, direkt in die deutsche Politik einzugreifen, angeblich „belegen“, so Spahn. Und weiter:
„Wagenknecht spielt in dem Netzwerk eine wichtige Rolle, da sie russische Narrative und Interessen inhaltlich unterstützt und damit für die Staatsmedien sehr interessant ist.“
Im Text selber geht es allerdings weniger um Wagenknecht, sondern überwiegend um ausführlich geschilderte Aktivitäten von Rechtsextremen, mit denen Wagenknecht nichts zu tun hat, in deren Nähe sie aber immer wieder gerückt werden soll. So würden der Aktivist Jürgen Elsässer und seine Mitstreiter „aktiv an der Querfront“ arbeiten und würden somit „die Pläne Moskaus“ umsetzen, von denen die Washington Post berichtet habe. Aber selbst bezüglich der Rechten muss Spahn am Schluss einräumen:
„Es ist allerdings unklar, ob dies auf Anregung Moskaus oder aus eigenem Antrieb geschieht und welche Rolle Russland bei der Umsetzung spielt.“
Entscheidende Punkte – eine „Anregung Moskaus“ oder überhaupt irgendeine „Rolle Russlands“ – bleiben also „unklar“. Dennoch wird auf der wackeligen These eine massive Verleumdung aufgebaut, um Wagenknecht über (nicht vorhandene) Kontaktschuld als irgendwie rechts und irgendwie im Sinne Moskaus handelnd hinzustellen. Das ist ein neues Level der Kontaktschuld: Die Schuld entsteht demnach sogar durch Menschen, mit denen Wagenknecht gar keinen Kontakt pflegt.
Die Interessen deutscher Bürger sind jetzt die Interessen Russlands
Noch eine andere, weit verbreitete Masche wird im Text genutzt: Die Interessen deutscher Bürger werden zu Interessen Russlands umgedichtet – wer dann noch für seine eigenen Interessen eintritt, ist automatisch ein nützlicher Idiot Putins: Mit dieser Taktik wird momentan gegen legitime Forderungen von Regierungskritikern vorgegangen.
Außerdem ist es ein alles entscheidender Unterschied, ob man aktiv mit der russischen Seite oder mit Rechtsextremen zusammenarbeitet, oder ob diese beiden Gruppen Aktivitäten entfalten und einen ungefragt und unerlaubt zum Verbündeten erklären. Wenn bei der Wagenknecht-Demo auch 20 Rechte erscheinen, dann unterwerfen sich diese Personen den Aussagen der Demonstration, nicht umgekehrt. Wenn RT über Aktivitäten Wagenknechts berichtet, dann müssen Nachfragen zur Motivation der Berichte an die Adresse von RT gerichtet werden und nicht an Wagenknecht.
Wagenknecht vertritt nicht russische Interessen, sondern sie formuliert die Interessen zahlreicher deutscher Bürger: Die haben (unter anderem) kein Interesse an einem Krieg gegen Russland und auch nicht an einem sinnlosen Wirtschaftskrieg, der die eigene Energie verteuert.
Mit Verschwörungstheorien gegen Regierungskritiker
Der Focus-Artikel von Spahn ist nur als Luftnummer zu bezeichnen, er wird hier nur thematisiert, weil er beispielhaft für die Nutzung von Kontaktschuld und Verschwörungstheorien gegen Regierungskritiker stehen kann. Zu weiten Teilen beruht der Text auf Aussagen einer weiteren Luftnummer: Im April 2023 meldete die „Tagesschau“, der Washington Post würden vertrauliche Dokumente vorliegen, nach denen die russische Regierung gezielt Einfluss auf die Politik in Deutschland nehmen wolle – durch Unterstützung einer „Querfront für den Kreml” genannten Anti-Kriegs-Allianz von Rechten und Linken. Weiter heißt es:
„Dass so manches, was die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zur russischen Invasion in der Ukraine zu sagen hatte – wie etwa bei der umstrittenen Wagenknecht-Schwarzer-Demo Ende Februar in Berlin – im Kreml auf Wohlgefallen stieß, ist immer wieder angemerkt worden. Doch dass Moskau gezielt versucht haben soll, Einfluss auf die Politik in Deutschland zu nehmen, indem Russland das Bilden eine Allianz aus Wagenknecht, der extremeren Linken und der AfD unterstützt: Das ließ sich bislang nicht nachweisen. Möglicherweise hat sich das geändert.“
Die Betonung liegt auf dem „möglicherweise“, denn mit dem folgenden Absatz werden doch erhebliche Zweifel gesät:
„Was die Dokumente nicht enthalten sind Hinweise auf direkte Kontakte zwischen den russischen Strategen und möglichen Partnern in Deutschland.“
Spahn nimmt auf die Behauptungen der Washington Post stark Bezug. Aber sogar die US-Zeitung räumt selber ein, dass es außer dem eigenen Geraune zu Kontakten „mindestens einer Person aus dem Umfeld von Sahra Wagenknecht“ nicht mal „Hinweise“, geschweige denn Beweise für eine aktive Zusammenarbeit von Wagenknecht-Seite gibt.
Übrig bleiben von einer Kreml-Verschwörung also nur Indizien für thematische Übereinstimmungen deutscher Regierungskritiker mit den Analysen der russischen Seite – als Beispiel wird aufgezählt, dass „Kreml-Strategen“ indirekt den Demo-Slogan „Runter mit den Strompreisen!“ inspiriert hätten. Mit dieser Masche werden absolut legitime Forderungen hiesiger Bürger zu in Russland hergestellter Propaganda erklärt. Was für eine Frechheit und was für ein inhaltlicher Unsinn. Nebenbei wird dadurch auch vermittelt, die Bürger seien zu doof, um selber auf solche naheliegenden Forderungen zu kommen.
„Whataboutism“ und Meinungsmache
Generell: Selbstverständlich versucht Russland, wie alle Staaten, seine Interessen auch mit Propaganda im Ausland zu stärken. Das Ausmaß der russischen Propaganda in Deutschland reicht jedoch nicht im Entferntesten an die massive Beeinflussung von US-Seite heran, der die Westdeutschen seit 1945 und die Gesamtdeutschen seit 1990 ausgesetzt sind. Momentan werden einige der Werkzeuge der US-Beeinflussung des Auslands durch die Trump-Regierung gestutzt – aber ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass neue Werkzeuge der Beeinflussung an deren Stelle treten werden.
Auch das Anlegen von Dossiers über innenpolitische Gegebenheiten in anderen Ländern gehört international zum üblichen Geschäft. Darauf hinzuweisen, ist übrigens kein „Whataboutism“, sondern es zeigt das ganze Bild – im Gegensatz zu dem nach russenfeindlichen Kriterien ausgewählten Mini-Ausschnitt von Spahn.
Entscheidende Fragen bezüglich dieser international üblichen Praxis sind: Hat Russland – ausgehend von dem von der Washington Post behaupteten Dossier – die deutsche Innenpolitik nicht nur analysiert, sondern hat es sich aktiv darin eingemischt? Wenn es diese aktiven Versuche gab, waren sie erfolgreich? Und: Gab es von deutscher Seite Personen, die für diesen Plan mit der russischen Seite zusammengearbeitet haben? Und was hat das alles mit Wagenknecht zu tun? Alle diese Fragen werden nur extrem unbefriedigend beantwortet, damit fällt die ganze Geschichte des Focus in sich zusammen. Einer Politikerin indirekt anzukreiden, „Teil von Plänen“ zu sein, ohne dass sie davon weiß, ist schon ein starkes Stück Meinungsmache.
Vergiftete Verhältnisse
Man könnte Texte wie den von Spahn belächeln, würden solche Artikel nicht mutmaßlich aus den niederen Beweggründen geschrieben, das Verhältnis Deutschlands und Russlands weiter zu vergiften und zusätzlich eine wichtige Oppositionspolitikerin indirekt als „feindliche Agentin“ zu markieren.
Übrigens: Es ist angesichts eines historisch knappen Ergebnisses für das BSW und der noch zwingend ausstehenden Prüfungen mehrerer Aspekte der Bundestagswahl noch gar nicht ausgemacht, dass Sahra Wagenknecht – wie von Spahn prophezeit – den Bundestag verlässt.
Titelbild: penofoto / Shutterstock