Anleitung zum Totrüsten

Anleitung zum Totrüsten

Anleitung zum Totrüsten

Ein Artikel von Rupert Koppold

Unterzeile: „Geld gewinnt Kriege“, so schreibt der Ökonom Moritz Schularick in einer Studie für das Kiel Institut für Weltwirtschaft. Schularick hat die deutsche Politik in eine grenzenlose Militarisierung getrieben und dabei sogar die NS-Rüstung als Vorbild angeführt. Seine „Lehre“ wird gern übernommen, auch von einem grünen Ministerpräsidenten wie Winfried Kretschmann. Von Rupert Koppold.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer hatte die Idee zur wahnwitzigen deutschen Aufrüstung? Der Spiegel weiß es und schreibt am 5. März 2025: „Der Ökonom Moritz Schularick hat jene Milliardenkredite vorgeschlagen, die Schwarz-Rot jetzt umsetzen will.“ Schularick ist seit 2023 Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft IfW, auf der Homepage seiner Institution heißt es: „Er berät regelmäßig Zentralbanken, Finanzministerien, Investoren und internationale Organisationen.“ Und unsere Leitmedien, so muss man hinzufügen, bieten ihm immer wieder die Möglichkeit, seine „Erkenntnisse“ publik zu machen.

„Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand“, fordert der Professor für Volkswirtschaft schon am 23. März 2024 im Spiegel, und diese Forderung wählt das Magazin auch als Überschrift für Schularicks Gastbeitrag aus. Deutschland sei nicht verteidigungsfähig, die Wirtschaft lahme, deshalb solle der Staat „aus dieser Not eine Tugend machen und mit Ausgaben für Rüstung das Wachstum ankurbeln“. Schularick schlägt ein Sondervermögen vor, realistisch erscheine ihm eine Erhöhung der Militärausgaben „bis zum Ende des Jahrzehnts auf 150 Milliarden Euro jährlich“ (!). Schularick empfiehlt sich dabei als guter Hausarzt: „Eine Vitaminspritze würde dem deutschen Patienten zumindest kurzfristig helfen, wieder auf die Beine zu kommen.“

Diese Aufrüstung müsse – und so ist es inzwischen gekommen – auf jeden Fall kreditfinanziert sein, weil Kürzungen an anderer Stelle vor allem die Sozialausgaben beträfen. Das aber würde, so Schularick noch sensibel, „politisch polarisieren und das Land innenpolitisch destabilisieren“. Es würde „uns [?] schwächer machen und den Rückhalt in der Bevölkerung untergraben“. Mittelfristig allerdings würden „harte Budgetentscheidungen zwischen ,Kanonen und Butter‘ zu treffen sein. Inzwischen hat der Bundestag das Geld für die größte deutsche Aufrüstung [fast?] aller Zeiten durchgewunken, Moritz Schularick kann bei seinen Forderungen alle Hemmungen ablegen, es muss für ihn nun auch kurzfristig die Butter rationiert werden.

Das „Finanzpaket“ sei auch nur, sagt Schularick, ein erster Schritt: „Wir müssen weitere Schritte gehen und massiv deregulieren, das Sozialsystem und das Arbeitsrecht reformieren“, so zitiert ihn am 3. März 2025, als das Vorhaben der designierten Schwarz-Rot-Regierung anstand, die Rheinische Post. Schularick konkretisiert: „Wir werden wieder mehr und länger arbeiten müssen. CDU-Chef Friedrich Merz muss jetzt zeigen, dass er es auch damit ernst meint.“ Und klar: „Die Rente gehört unbedingt auf die Reformagenda der neuen Regierung. Unsere Demografie lässt uns gar keine Alternative.“

In der extrem aufrüstungsfrohen Ausgabe des ZDF-Heute Journals vom 19. März 2025 wird Moritz Schularick zum möglichen Tempo der deutschen Aufrüstung befragt. Er verspricht: „Wir werden alle überrascht sein, was da alles möglich ist!“ Dies wüssten wir ja aus der deutschen Vergangenheit. „Wenn wir an die Flugzeugproduktion im Zweiten Weltkrieg denken, da kann man viel sehr schnell hochfahren, wenn man die entsprechenden Prioritäten setzt.“ Wie? Darf man die Aufrüstung der Nazis in einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung als Vorbild anführen? Aber ja: Was vor ein paar Jahren noch skandalös gewesen wäre, das geht nun wieder in diesem zeitengewendeten Deutschland.

Nachfragen aber müssen erlaubt sein. Bräuchte man, um ein vorbildliches Nazi-Aufrüstungstempo zu erreichen, nicht viele Zwangsarbeiter? Sollte man deshalb in Sachen Migration statt Abschiebung nicht eher in Richtung Arbeitslager denken? Und dann wurde dieser Nazikrieg, trotz des immensen Rüstungstempos, am Ende ja verloren. Zu letzterem Sachverhalt freilich hat Schularick das Patentrezept schon geliefert: Prioritäten setzen! In der Ankündigung seines Aufsatzes „Who wins wars?“, geschrieben mit Co-Autor Jonathan Federle und publiziert von Schularicks IfW, fasst das Institut die Antwort gleich zusammen: „Money wins wars“ (Den Text zwischen Frage und Antwort kann man sich eigentlich schenken, wer ihn trotzdem lesen will, hier der Link: Who wins wars?

Jetzt ist es also erforscht: Geld gewinnt Kriege! Und zwar zum ersten Mal, wie Schularick in seinem Aufsatz stolz verkündet („This has been shown for the first time in a new empirical analysis of the Kiel Institute for the World Economy.“) Schularick polstert seine Arbeit am Ende mit einem Cicero-Zitat auf („Nervos belli, pecuniam infinitam“), der die Geld-gewinnt-Kriege-These schon im Jahr 43 v. Chr. verkündete. Der Ich-war-der-Erste-Anspruch wäre also diskutabel. Doch wie dem auch sei: Die gemeinsame Forderung von Cicero und Schularick nach „unbegrenzten Geldreserven“ wird von der neuen deutschen Regierung – unter Mithilfe der draußen vor der Koalitionstür gelassenen, aber immer noch verlässlich bellizistischen Grünen – nun umgesetzt. Dies wären ja auch, so Schularick, die „Kernforderungen“ von Robert Habeck gewesen.

Kleiner Exkurs: Die Bundesregierung sei für forschungsbasierte Politikberatung aufgeschlossen, sagt Schularick. Die Kontakte seien eng, sowohl auf institutioneller als auch auf persönlicher Ebene. Schularick hat im Jahr 2023 auch dazu geraten, den schwedischen Batteriekonzern Northvolt beim Bau eines Werks in Schleswig-Holstein (!) zu unterstützen, was Habeck auch getan hat. Der Focus spricht aber bald von „Habecks 600-Millionen-Poker“ und fragt: „Steuergeld in den Sand gesetzt?“ Inzwischen hat Northvolt in Schweden Insolvenz angemeldet.

Doch zurück zur Rüstungsberatung. Das ZDF fragt Schularick am 12. März 2025: „Sie haben SPD und Union beraten. Wurden Sie richtig verstanden und jetzt kommt, was Sie wollten?“ Schularick: „Teilweise ja, teilweise nein. Also die Ausnahme von der Schuldenbremse bei den Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent ist grundsätzlich eine gute und sinnvolle Regelung, und ich (!) würde die gerne so im Grundgesetz sehen.“ Es drohe allerdings „ein großer Verschiebebahnhof“ von Investitionen. Deshalb beschwert sich der Professor über seine Schüler: „Das hat man nicht unterbunden und dementsprechend nicht gut zugehört.“ Überhaupt muss Schularick seine Schüler immer wieder maßregeln! Am 26. Juni 2024 konstatiert er etwa in der FAZ, dass „ein russischer Sieg die aktuellen finanzpolitischen Debatten zur Makulatur“ machen würde. Die knallig zur Sache passende Artikelüberschrift lautet: „Deutschland hat den Schuss nicht gehört“.

Noch ein kleiner Exkurs: Schularicks Co-Autor des FAZ-Schuss-Texts ist Niall Ferguson, Berater und Unterstützer von US-Präsident George W. Bush beim völkerrechtswidrigen Irak-Krieg 2003. Ein Jahr später sprach sich Ferguson dann gegen die Wiederwahl von Bush aus, weil dieser die Sozialausgaben nicht so stark kürzen wollte, wie er, Niall Ferguson, es verlangt hatte. Im Jahr 2018 forderte Ferguson übrigens konservative Studenten an der Stanford-Universität auf, Recherchen zu einem linksgerichteten Kommilitonen anzustellen: „Jetzt wenden wir uns dem feineren Spiel zu, sie im Studentenausschuss zu zermürben.“ Dies schrieb Ferguson laut Wikipedia an den Vorsitzenden des republikanischen Studentenverbands, und er fügte orwellianisch hinzu: „Der Preis der Freiheit ist ständige Wachsamkeit“.

Wieder zurück zu Schularick und seinem Kieler IfW, das im Wesentlichen vom Bund und vom Land Schleswig-Holstein finanziert wird. Die „wissenschaftliche“ Anleitung zum Auf- und Wett- und Totrüsten kann dort eine lange Tradition vorweisen. Gegründet wurde das Institut von Wirtschaftsprofessor Bernhard Harms in wilhelminischen Zeiten, genauer: im Kriegsjahr 1914. Gunnar Take, der über die IfW-Geschichte geforscht hat, kommt laut Wikipedia zur Erkenntnis: „Mit einer intensiv betriebenen Öffentlichkeitsarbeit wurde Harms zu einem in der Kriegspropaganda aktivsten deutschen Wirtschaftsprofessoren.“ Schularick führt also fort, was Harms begonnen hat. Wobei es bei Harms, der von 1915 an die „Kriegswirtschaftlichen Nachrichten“ herausgab, um die Unterstützung kaiserlichen Großmachtstrebens ging. Die finanziellen und politischen Förderer seines Instituts waren „die Kaiserfamilie, die Marine, kolonialistische Lobbygruppen, Reeder, Bankiers und Industrielle“ (Wikipedia).

Unbeschadet ging das IfW dann durch die Weimarer Republik hindurch und in das Dritte Reich hinein, wo es sich judenfrei machte, das Nazi-Regime in Sachen Machtpolitik publizistisch aufmöbelte und vor und während des Kriegs Gutachten für das Wehrwirtschafts- und Reichswirtschaftsministerium erstellte. Andreas Predöhl zum Beispiel, von 1934 an Leiter des Instituts, arbeitete am Projekt eines nationalsozialistisch geprägten europäischen Wirtschaftsraums – und mit ihm Karl Schiller, der spätere bundesrepublikanische Wirtschafts- und Finanzminister! Als Geopolitiker versteht sich auch Moritz Schularick. Die Resultate seiner oben erwähnten Studie „Who wins wars“ werden vom IfW angepriesen als „highly relevant for today’s geopolitics“. Und Schularick selbst schreibt am 13. März 2025 auf X: „The interplay between monetary policy and geopolitics was the focus of our Policy Panel at our Monetary Policy Conference. It covered many topics, including Trump’s (erratic) policies, the war in Ukraine, the pandemic, and how central banks have responded to these developments.“ Was jedoch der Publizist Wolfgang Michal von der Disziplin Geopolitik hält, deren Geschichte er ausführlich im Freitag (13. März 2025) darstellt, wird schon in der Überschrift zu seinem Text klar: „Wiederkehr einer Weltsicht des Wahns“. In seinem Schlusssatz fasst Michal zusammen, wohin solche Forschungen führen: „Geopolitik ist stets ein sicherer Weg zum Krieg.“

Kontinuitäten, wohin man blickt! Aufgearbeitet hat das IfW seine Geschichte lange nicht, es hat sie verschwiegen oder geschönt. Der Institutsleiter und begeisterte Nazi Andreas Predöhl etwa lehrte nach dem Krieg weiter, nun an der Uni Münster, und er gründete 1965 das Deutsche Überseeinstitut in Hamburg. Erst im Jahr 2019 erschien eine Arbeit des schon erwähnten Gunnar Take über die Rolle des IfW in der Nazi-Zeit. Der Institutspräsident Gabriel Felbermayer, Schularicks Vorvorgänger, schreibt dazu auf der IfW-Homepage: „Wir sind sehr froh, dass sich mit Gunnar Take ein Historiker aus eigenem Antrieb [!] der Institutsgeschichte während der Zeit des Nationalsozialismus angenommen hat. Diese unabhängige Forschungsarbeit ist für uns wichtig und wertvoll. Die Geschehnisse am Institut während der NS-Zeit sind beschämend und verstörend.“ Nun, so verstörend wohl auch wieder nicht, wenn der aktuelle IfW-Chef Moritz Schularick die Nazi-Aufrüstung unbefangen als für unsere Zeit vorbildlich bezeichnen kann. Und nicht zu vergessen: Das Institut wahrt seine Tradition auch durch die Verleihung sowohl des Bernhard-Harms-Preises als auch der Bernhard-Harms-Medaille. Den Preis erhielt zum Beispiel Karl Schiller im Jahr 1989, die Medaille wurde im Jahr 1968 an Hermann Josef Abs vergeben, den Nazi-Banker und Ex-Aufsichtsrat der I.G. Farben.

Moritz Schularick hat passgenau das „erforscht“, was die Politik wünscht und seinem Institut guttut. Auch der BND-Chef Bruno Kahl, Oberst der Reserve, steht in großer Russophobie-Tradition, sein Nachrichtendienst wurde ja von Reinhard Gehlen gegründet, der schon für die Nazis als Leiter von „Fremde Heere Ost“ geforscht hat. Kahl weiß genau: „Russland bereitet sich auf einen Krieg mit dem Westen vor.“ Und er lügt dreist: „Die Militärausgaben sind um ein Vielfaches höher als im Westen.“ Solch primitive Die-Russen-kommen-Propaganda wird unter anderem von Reiner Braun fachgerecht widerlegt, er zitiert dabei die neuen Zahlen des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri und kommt zum Schluss: „Die NATO ist in allen zentralen militärischen Bereichen Russland um das Drei- bis Siebenfache überlegen.“

Aber was nützen solche Stimmen, die von unseren Leitmedien sowieso ignoriert oder marginalisiert werden? Da gibt etwa der Tagesspiegel am 23. Februar 2025 lieber Generalmajor Andreas Henne, Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision, den Raum, für sein Ziel zu werben. Henne will nämlich den „zeitgerechten NATO-Aufmarsch möglich machen“. Russische Sabotagekräfte seien bereits im Land, geschützt werden müsse kritische Infrastruktur, egal ob militärische oder zivile. „Es wird sicherlich Infrastruktur geben, die beidem dient,“ sagt Henne. „Also ein Kraftwerk, das eine Kaserne versorgt und gleichzeitig eine Kleinstadt, ist natürlich für uns interessant zu verteidigen, sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe.“ Na, das ist doch mal ein schöner Vergleich! Aber halt! Wären dann nicht Kaserne und Kleinstadt, die zu verteidigenden Fliegen, totgeklappt?

Doch was soll diese Wortklauberei! Immerhin bemühen sich Leute wie Heimatschutz-Henne oder der grüne baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz um einprägsame Bilder. Bayaz fordert im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (3. März 2025) natürlich Hochrüstung. Er beklagt, dass „der Groschen“ noch nicht bei allen gefallen sei, und er verbindet bei der Warum-Frage Börsensprache mit Kulinarik: „Immerhin haben wir [?] die Unfähigkeit zur Verteidigung zu verantworten und die Friedensdividende verfrühstückt …“ Und sowieso: „Die neue Regierung wird unliebsame Dinge anpacken müssen, von den sozialen Sicherungssystemen bis hin zu Arbeitsanreizen.“ Bayaz plädiert unter anderem dafür, zur Finanzierung der Aufrüstung einen Feiertag zu streichen.

Danyal Bayaz spricht damit Moritz Schularick aus dem Herzen, er hat ja auch mit diesem zusammen (und mit Claus Ruhe Madsen, Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein) am 13. März 2025 einen Gastkommentar fürs Handelsblatt geschrieben, in dem die Hochaufrüstung als Super-Konjunkturprogramm für Deutschland gepriesen wird. Besagtes Handelsblatt hatte am 6. März 2025 voller Vorfreude geschrieben: „Es kann ein olivgrünes Wirtschaftswunder geben.“ Und die guten Nachrichten nehmen einfach kein Ende! Die kriselnde Auto- und deren Zulieferindustrie zum Beispiel werden transformiert zur Rüstungsindustrie. Rheinmetall erwägt gerade die Übernahme eines VW-Werks in Osnabrück, es sei gut geeignet für die Panzerproduktion.

VW und Rheinmetall! Deutsche Kontinuitäten eben. Auf der Rheinmetall-Homepage findet sich übrigens ein Text zur Firmengeschichte, in dem die Nazi-Zeit aufgearbeitet werden soll. In diesem Text beklagt sich das Unternehmen, dass es während des Zweiten Weltkriegs von der Bürokratie behindert wurde: „Selbst die für den immer noch erhofften ‘Endsieg’ notwendige Waffenfertigung wurde durch sie immer wieder ausgebremst. Das betraf sowohl die Beschaffung von Arbeitskräften – selbst die von Zwangsarbeitern – als auch die Verlegung von Betrieben.” Hätten wir sonst doch noch gesiegt? Wären Europa und am Ende die ganze Welt dann ein Nazi-Reich geworden? Und wäre das gut so? Aber noch sind wir erst in der bundesdeutschen Vorkriegszeit, in welcher der aktuelle Rheinmetall-Chef Armin Papperger in jedem Sinn bedenkenlos jubelt: „„Eine Ära der Wiederaufrüstung in Europa hat begonnen“ […] Dies bringe der Firma ,Wachstumsperspektiven für die kommenden Jahre, wie wir sie noch nie erlebt haben.‘ Seit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 hat sich der Aktienkurs des Unternehmens mehr als verzehnfacht.“

Und auch im Süden geht was. Oliver Dörre, Chef der bayerischen Rüstungsschmiede Hensoldt, sagt, seine Firma profitiere von den Schwierigkeiten der Autoindustrie, er will Beschäftigte von Bosch und Continental übernehmen. Baden-Württemberg wird ebenfalls nicht leer ausgehen, Hensoldt rüstet ja auch in Ulm, Oberkochen (Ostalbkreis), Immenstaad am Bodensee und Pforzheim. Und außerdem: „Allein vier Fraunhofer-Institute in Baden-Württemberg beschäftigen sich mit Militärtechnologie. Dazu gibt es in Heilbronn und Tübingen wichtige Forschungszentren zu Künstlicher Intelligenz. Für die Verteidigungsindustrie wird KI ebenso wie autonome Systeme, Robotik, und Drohnen-Technologie eine zentrale Rolle spielen.“

Und was sagt Winfried Kretschmann zu all dem, der einzige grüne Ministerpräsident Deutschlands und wahrscheinlich der letzte von Baden-Württemberg? Er hatte sich ja mal, im Jahr 2011 und kurz bevor er Landesvater wurde, kritisch über seine einschlägige Großindustrie geäußert und behauptet: „Weniger Autos sind natürlich besser als mehr“. Noch im selben Jahr aber hat er bereut und, wie damals die Stuttgarter Zeitung schrieb, seinen Fehler wiedergutgemacht: „Besuch bei Porsche – Kretschmann bügelt schlechten Start aus“. Jetzt, am 5. März 2025, kann die ARD-Tagesschau verkünden: „Kretschmann will Ausbau der Rüstungsindustrie in BW“. Der Staatsanzeiger vom selben Tag zitiert ihn: „Das wird ein neuer industrieller Schwerpunkt für Baden-Württemberg werden, da bin ich mir sicher.“ Ethische Bedenken habe er nicht, so Kretschmann: „Ich war noch nie ein Pazifist.“ Diese Debatte sei für die Grünen sowieso seit dem Kosovo-Krieg „ausgestanden“.

Kretschmann hat sein Wendehals-Talent also hinreichend und nicht nur beim Auto-Thema bewiesen. Vom Kommunistischen Bund Westdeutschland ging es zu den Grünen und hinein in den Konservatismus. Den Widerstand gegen das irre Bahnhofsprojekt S21, der ihn an die Spitze des Landes gespült hatte, gab er gleich nach Amtsantritt auf („Der Käs‘ isch gässa!“), nun macht er sein Baden-Württemberg eben zum Hochrüstungsmusterland. Und wenn Winfried Kretschmann zusammen mit seinem Parteifreund Danyal Bayaz und Professor Moritz Schularick, dem Geistesbruder von Doktor Seltsam, mal im Atombunker sitzen sollte, dann wissen diese drei und all ihre Kumpane trotzdem: Alles richtig gemacht!

Titelbild: Shutterstock / Maksim Safaniuk